16
Diese Nacht tat ich kein Auge zu. Es waren die ersten Strahlen der Sonne, die mich aus meiner Trance holten und mich bemerken ließen, dass ich wohl die ganze Nacht damit verbracht hatte, vom Rand des Pools aus auf dessen Wasseroberfläche zu starren.
Ethan war nicht zurückgekommen. Was immer es war, wenn es ihn die ganze Nacht beschäftigte... Sagen wir einfach, selbst darüber nachzudenken bereitete mir Kopfschmerzen.
Als ich mich nach einer weiteren Ewigkeit aus meiner kauernden Position erhob, hörte und spürte ich mehr als nur einen Knochen knacken. Der fehlende Schlaf haute mich beinahe wieder um und ließ meine Sicht für kurze, aber schmerzhafte, Zeit verschwimmen.
Ich sollte immer im Kopf behalten, dass ich vor wenigen Tagen noch eine Komapatientin gewesen bin. Ohne das kleine Wunderwerk an meinem rechten Ringfinger wäre ich nicht so unbeschadet davongekommen.
In dieser Hinsicht war es wirklich eine Schande, den Ring seinem eigentlichen Besitzer zurückgeben zu müssen. Was mich zu der Frage brachte, ob Jaswinda schon etwas herausgefunden hatte.
Es war nicht meine beste Idee, aber gleich, nachdem ich meinen Kopf nur kurz ins Wasser getaucht hatte, fühlte ich mich schon wesentlich besser, um mich auf die Suche nach meiner vorläufigen Komplizin zu machen.
Wahrscheinlich hätte ich auch einfach einen der vielen, umherschwirrenden Bediensteten fragen können, aber ich wollte keine unnötige Aufmerksamkeit auf uns lenken. Vielleicht sollte ich Ethan darum bitten, sie auf Dauer als mein Persönliches Mädchen für alles abzustellen. Oder vielleicht konnte ich es auch einfach selbst bestimmen?
"Dann tötet sie alle!" Ich blieb bei diesem offensichtlich als Befehl formulierten Ausruf abrupt stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, jemand würde mich meinen, was absolut absurd wäre. Ethan würde so etwas nicht zu... Ich musste schlucken. Vielleicht jetzt noch, aber wie sah es in ein paar Tagen oder Monaten aus? Spätestens dann, wenn ich meinen Worten Taten folgen lassen würde.
Ich ballte meine zittertenden Hände zu Fäusten. Wieso nicht jetzt schon damit anfangen? Ich hatte den Ort der Stimmen, die sich jetzt wieder gesenkt hatten, schnell lokalisiert. Sie kamen von einem der Balkone. Auf leisen Sohlen schlich ich zu einem der übergroßen Vasen, die direkt neben dem offenen Balkoneingang aufgestellt worden waren und kauerte mich, nach kurzem Nachdenken, hinter dem nächststehenden Topf. Die Stimmen waren jetzt laut genug, damit ich einiges auffangen konnte. "Du weißt was My Lord will! Die Angelegenheit muss so schnell wie möglich geregelt werden oder wir sind es, die daran glauben müssen!"
Ich erkannte die Stimme nicht, aber da Ethan nur absolute Ausnahmetalente im Töten anheuerte, wurde mir flau im Magen bei dem Gedanken, dass selbst ein ausgebildeter Killer scheinbar Angst vor meinem Mann hatte. Denn wenn ich eines in meinem Leben gelernt hatte, dann war es die Angst aus den Stimmen der Menschen zu hören. Egal wie gut sie sie auch zu verstecken vermochten.
Danach blieb es eine ganze Weile still. Es war klar, dass der Mann telefonieren musste, da er sonst mit sich selber reden würde, und wenn das Telefonat beendet war, würde ich hier nur meine Zeit verschwenden. Ohne etwas wirkliches erfahren zu haben und mit dem großen Risiko, beim Lauschen erwischt zu werden. Nicht, dass ich mit einer großen Strafe rechnete, unangenehm würde es aber dennoch werden. Doch gerade als ich aufstehen wollte, begann der Mann erneut zu reden. Nur dieses Mal schien er einen Scheiß darauf zu geben, ob man ihm die Panik anmerkte oder nicht.
"Es muss absolute Sicherheit garantiert sein. Du weißt, was das letzte Mal passiert ist, in Dubai, das Einkaufszenturm." Meine Neugier war wieder geweckt. Meinte er etwa jenes, in dem man mich angeschossen hatte? "Das ist kein Witz mehr. Ich bin Söldner, ich wurde dazu ausgebildet, aber... diese Männer sind meine Kameraden gewesen. Selbst bei einem solchen Fehler... sie so zu foltern. Diese Frau ist in seinem Kopf und sollte ihre irgendwas während ihres Aufenthaltes in Paris passieren, steht uns das Gleiche bevor!"
Ich habe mich um alles gekümmert.
Mein Kopf dröhnte. Es war ein Satz, der sich während meines langen Schlafesin meinem Kopf oft wiederholt hatte. Ich hatte mich immer für Sekundenbruchteile gefragt, was er damit meinte, bevor alles wieder in sich verfiel und ich erneut in die behagliche Dunkelheit abdriftete.
Mich sollte inzwischen nichts mehr überraschen, aber Folter an seinen eigenen Männern? Nur für etwas, was offensichtlich außerhalb ihrer Kontrolle lag? Ich schüttelte den Kopf. Fokussier dich, Mia! Was hatte der Typ gesagt? Paris?
Es war kurz bevor sie uns damals im Krankenhaus erwischt hatten. Thomas und Meg. War es nicht ihr Plan gewesen, Hades, Gabriel und mich dort zu verstecken? Heißt das, ich könnte vor Ort versuchen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen? Ein elektrisierendes Kribbeln breitete sich in mir aus. Der Kerl redete weiter, allerdings war er jetzt zu irgendwelchen Tunnelsystemen übergegangen, die wohl für den Drogenhandel in Kenia dienten, und ob sie diese nicht lieber in Luft sprengen sollten. Ich lugte vorsichtig um die Topfvase und überprüfte, ob Menschen in Sicht waren. Der Gang war leer und ich schlich, leise wie zuvor, um die Ecke, die mich wieder mit dem Hauptflur verband. Dieser Ort war ein verdammtes Labyrinth.
Ich wusste nur zu gut, dass wenn ich Informationen über Paris haben wollte (wie zum Beispiel unseren Ablaufplan, denn Ethan hatte immer vorher einen Ablaufplan parat), dann konnte ich diese nur an einem Ort finden. Ich fange die nächste Person, die an mir vorbei läuft, ab. Ein Frau, etwas älter als ich, möchte mich zunächst brutal abschütteln, ich erinnere mich an den Moment mit Jaswinda zurück und hätte mich am liebsten geohrfeigt, sie ungefragt am Arm gepackt zu haben. Sie war hübsch, mit großen blauen Augen und feinem, schwarzen Haar. Hübsch zu sein schien an diesem Ort ein Fluch zu bilden. Sie öffnete den Mund, wahrscheinlich um mich zu beschimpfen, aber als sie erkannte, wer ich war, verlor sie augenblicklich jegliche Farbe. Schnell ließ ich sie los. "Verzeihung", sagte ich, bevor sie auch nur ein Wort rausbringen konnte. "Ich war zu grob, tut mir leid. Ich wollte nur nach dem Weg zum Büro meines Mannes wissen." Die Frau öffnete und schloss den Mund bestimmt drei Mal, und ich bezweifelte schon, ob sie mich überhaupt verstanden hatte, aber schließlich nickte sie und ging mit gesenktem Kopf voraus. Der Anblick tat weh.
Als sie, nach zahlreichen Wendungen und Treppen, endlich vor einer dunklen, doppelflügligen Tür, welche von zwei Männern bewacht wurde, endlich zum Stehen kam, bückte ich mich etwas, um ihr lächend in die Augen sehen zu können. Wir waren zwar ungefähr gleich groß, aber da sie den Kopf strikt gesenkt hielt, machte es die Sache ein wenig schwierig. "Danke", flüsterte ich ihr ehrlich zu und sie bekam große Augen. Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle hinunter und nickte ihr ein letztes Mal aufmunternd zu, bevor ich zu den Männern trat. Diese sahen mich beim Näherkommen emotionslos an, machten aber keine Anstalten, mich aufzuhalten. "Ist er drinnen?", fragte ich einen von ihnen, woraufhin dieser nur stumm zurückstarrte. Ich seuftzte, tat einen Schritt nach vorne, wurde aber sofort von beiden gestoppt. "Kein Zutritt", sagte der linke rau. Mit ihrem Militärhaarschnittnund den kantigen, eisigen Masken hätten sie glatt Zwillinge sein können. "Ich möchte zu meinem Mann", teilte ich ihnen so entschlossen mit, wie ich nur konnte. Doch wieder erzielte ich das gleiche Resultat. "Kein Zutritt." Ich stemmte die Hände in die Hüfte. "Ich werde durch diese Tür gehen!"
Der linke, wohl der Gesprächigere, kniff warnend die Augen zusammen. "Kein.Zutritt.Für.Huren." Das Nächste, was ich wahrnahm, war nicht mein empörtes und resigniertes Schnaufen (die Szene fühlte sich wie ein schreckliches Déjà-Vu an), sondern die Faust, die blitzschnell auf den Kopf des Mannes zielte und ihn mit einem Treffer K.O schlug. Sein Kollege konnte gar nicht schnell genug die Waffe ziehen, es war doch zu langsam. Mit einem einzigen Schulterwurf segelte er über meinen Kopf hinweg. Und das alles während eines einzelnen Wimpernschlags.
B
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