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Ich schlief. Tief und fest. Die Dunkelheit wurde dabei zu meinem ständigen Begleiter, zu meinem Freund.
Vage erinnerte ich mich, dass es außerhalb dieser Dunkelheit auch noch etwas gab. Manchmal hörte ich Bruchstücke von dem, was mich dort erwarten könnte. Ein Flehen, doch endlich die Augen aufzumachen.
Aber ich war einfach viel zu müde, um das überhaupt in Betracht zu ziehen.
Müde und Erschöpft. Ich hatte das Gefühl, dass mich in der Außenwelt eine Aufgabe erwarten würde, der ich nicht gewachsen war. Also lief ich lieber weg. Versteckte mich in meinen Träumen und meinen Erinnerungen.
Ein Traum blieb mir besonders im Gedächtnis. Ich stand in einem märchenhaften Garten an einem majestätischen See und starrte auf mein Spiegelbild. Neben meinem starrte mir außerdem ein kleiner Junge mit dunklen Augen und goldenen Haaren zurück.
Ich hatte das Gefühl, ihn kennen zu müssen. Aber wann immer ich nach ihm fassen wollte, verschwamm das Bild und ich befand mich plötzlich wieder in einem Flugzeug. Mutter und ich saßen ganz hinten nebeneinander gekuschelt und sie strich mir beruhigend übers Haar. Das hatte sie oft getan, seltsam war nur, dass Dad ebenfalls anwesend war, nur, dass sein Bierbauch und der verbitterte Ausdruck in seinem Gesicht fehlten.
Stattdessen grinste er und hielt mir meine Lieblingspuppe entgegen. Seine leuchtend grauen Augen funkelten und er warf Mom über meinen Kopf hinweg ein liebevolles Lächeln zu.
Ja, es würde mir wirklich nichts ausmachen, für immer in diesem Traum zu bleiben.
Nur, dass es kein für immer und ewig gab.
Das gab es nie.
Und so sah ich mit jedem Traum, der verstrich, mit jeder Erinnerung, die an mir vorbeizog, ihn. Anfangs war er nur ein weit entfernter Punkt, kaum der Rede wert.
Aber allzu bald schon kam er immer näher. Und näher. Bis ich einzelne Konturen von ihm ausmachen konnte.
Die harte Kinnpartie, die scharfen Wangenknochen, die aristokratische Nase und... seine Augen. Seine wunderschönen, abgrundtiefen Augen. Nichts und niemand war diesen Augen gewachsen.
Ich am allerwenigsten. Mein Kopf schrie Nein, mein Herz brüllte Ja.
Ich war ihm nicht gewachsen.
Das bin ich nie gewesen.
Und ab einem gewissen Punkt konnte, ja wollte ich nicht mehr.
Sein Bild tauchte immer schärfer, immer deutlicher, immer intensiver vor mir auf. Er nahm mich gefangen, zog mich ironischerweise aus der Dunkelheit zurück ins Licht.
Bis ich meinen Herzschlag wieder spüren konnte.
Bis ich meine Atemzüge hörte.
Bis seine leisen gesprochenen Worte an mein Ohr drangen.
"Geh nicht... Bitte." Heiser, tief, zerstört und gleichzeitig Wunderschön.
Nur grob erinnerte ich mich, weshalb die Dunkelheit mich gefangen halten wollte. Ich spürte einen bereits verklungenen Schmerz in der Brust. Ich sah all jenes, was mich eigentlich davon abhalten sollte, erneut in seine abzutauchen. Denn jedes andere Leben würde er mir nehmen.
Aber keiner dieser Gründe reichte auch nur ansatzweise an meine Sehnsucht nach ihm heran. Nichts und niemand schien in der Lage zu sein, ihn aus meinem Herzen zu verbannen.
Dieses Gefühl, dieser übermächtige Drang, es machte mir Angst.
Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde.
Jedoch hätte mich nichts auf das vorbereiten können, als ich meine Augen öffnete und zurück in die Realität eintauchte.
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Sechs Monate zuvor
Die Worte des Arztes lösten etwas in ihm aus. Eine reißende, fast schon zerstörerische Verzweiflung grub sich in sein leeres, steinernes Herz- sofern man das Herz für die Wirkung von Emotionen verantwortlich machen kann.
Emotionen... was für ein seltsames Konzept. Aber jetzt schmerzte der Muskel, welcher sein sogenanntes Herz darstellte.
Er schmerzte, zog sich zusammen, presste ihm die Luft aus den Lungen.
"... wissen nicht, wann sie aufwachen wird", sagte der Arzt nun schon zum wiederholten Male und holte ihn so auf eine brutale Art und Weise zurück in die Wirklichkeit.
Er sprach trotz seiner Herkunft so perfekt Englisch, dass man meinen sollte, er hätte dieses Land, oder wenigstens diese Stadt schon einmal verlassen. Was nicht der Fall war.
Er selbst hatte während des quälenden Wartens einen kompletten Background-Check durchgeführt, bereit, diesen Arzt jeden Moment aus dem OP-Saal zu ziehen und einen besseren einzusetzen, falls es irgendwelche Probleme mit seinen Referenzen gegeben hätte.
Tatsache war jedoch, dass er weit und breit der beste Arzt war, weshalb ihn seine Männer auch aus einer anderen Operation gezerrt und zu ihmgebracht hatten.
Gib dich niemals mit etwas minderem als dem Besten zufrieden; ein Motto der Lockhearts, welches ihm heute zugute gekommen war. Das heißt, gekommen wäre. Denn dieser Mann hörte einfach nicht auf, solche Sachen zu sagen wie "Es tut mir Leid" , "Koma" und "Ihr Aufwachen ist ungewiss."
"Sir?" Einer seiner Männer, welche er direkt vom Auto aus kontaktiert hatte, trat zu ihm. Mit einem Gesicht, das wirklich jedes Baby und verdammt noch mal jeden Erwachsenen zum Weinen bringen würde, war er an vorderster Front des privaten Millitärs der Lockhearts.
Über Generationen hinweg hat seine Familie Männer wie ihn rekrutiert, dessen Nachkommen sich ebenfalls für das Ansehen und den Reichtum der Lockhearts entschieden hatten.
Daniel Cornwall war einer der fähigsten und tödlichsten Personen, die er kannte. Und trotzdem hatte er versagt. Er hatte einen Scharfschützen in ihre Nähe kommen lassen. Diesen Bastard anschließend auch noch entkommen lassen.
Ein seltsamer Druck baute sich in seinem Herzen auf. Wurde größer und größer, bis er das Gefühl hatte zu explodieren. Er keuchte, schob sich an Daniel, dem Arzt, den Schwestern vorbei und trat in den sterilen Raum, in dem kurz zuvor noch um das Leben seiner Frau gekämpft wurde.
Nur dass die leblose, beängstigend still liegende Gestalt niemals seine Mia sein konnte. Selbst im Schlaf konnte sich nicht still bleiben. Immer drehte und wendete sie sich, trat ihn manchmal sogar und liebte es, ihm die Decke vom Körper zu reißen. Er hatte es nie als nervend oder lästig empfunden. Sie war so voller... Leben...
Also wieso bewegte sie sich dann nicht!?
"Sie haben etwas falsch gemacht." Es dauerte einen Moment, Bis er die drohende, kratzige, gebrochene Stimme, als seine eigene identifizierte.
"Sie.Haben.Etwas.Falsch.GEMACHT!" Das letzte Wort brüllte er so laut, das alle Anwesenden einige Schritte zurückwichen. Selbst Daniel.
Aber seine Augen lagen nur auf dem Arzt, der ihm nicht das Lächeln seiner Frau zurückgebracht hatte. Jede Farbe wich nun aus dessen Gesicht und zurück blieb nur eine Maske der Furcht und des Horros.
Denn genau in diesem Moment, dachte sich der alte Mann, stand kein Mensch mehr vor ihm. Sondern der Teufel persönlich. Ein Teufel, der gefährlicher nicht hätte sein können, denn es kam nie etwas Gutes dabei raus, wenn der Teufel sein Herz verschenkte.
Da die liebe Grammatik und ich leider nicht immer Hand in Hand gehen, möchte ich hier ganz herzlich EmeraldEmpressXII fürs drüberlesen, korregieren und auffrischen meiner Grammatikkenntnisse danken! Auf gute Zusammenarbeit ❤❤❤
Anmerkung für die Zukunft: Jedes Kapitel, an dessen Ende ein großes B steht, wurde bearbeitet.
B
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