Twenty ~ Jake the Genius
Seufzend lehnte ich meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe im Gästezimmer. Ich saß mit angezogenen Beinen auf dem Bett und beobachtete gedankenverloren die Aussicht, die sich mir anbot.
Draußen ging die Sonne unter und warf ihre letzten Strahlen auf dem Lakefront, der ihre Form im stillen Wasser widerspiegelte. Äußerlich sah ich bestimmt aus, als wäre ich wie das Wasser, entspannt und neutral, doch mein Inneres sprach das Gegenteil.
Ich war aufgewühlt und mein Hirn war ein einziges Fragezeichen. Es waren eineinhalb Tage vergangen, seit dem Gespräch mit den anderen. Ich vermied die drei inklusive Mira so gut es ging. Ich brauchte Zeit, um mich zu sammeln und die anderen verstanden das.
Mein Dad war kein Mörder. Aber ein Verbrecher, was die Sache nicht viel besser machte. Jake, Dylan und Alex waren ...Mörder. Und das Seltsame war, dass es mich nicht mehr so abschreckte. Ein Teil von mir wollte sogar mit ihnen arbeiten und meinen bösen Vater rächen.
Doch auch wenn ich immer wieder wiederholte, dass mein Dad kein guter Mensch war, liebte ich ihn immer noch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so ein liebenswürdiger Mensch im Inneren ein Kriminaler war.
„Aber unsere Aufgabe ist es nicht das Gute zu spielen, Bells. Manche werden als das Böse geboren. Wie wir. Und weißt du, wir finden es nicht einmal schlimm", wiederholte ich Jakes Worte in meinem Kopf und erschauderte.
War ich in dem ganzen Spiel das Böse? Wurde ich als das Böse geboren, wie Jake es indirekt ausgedrückt hatte? Mein Vater offensichtlich schon. Er war immer zufrieden von seiner Arbeit und hatte nie gezwungen gewirkt.
Ich könnte Dads Stelle annehmen und die Bande anführen. Als die erste Frau. So bekloppt sich das auch anhörte, der Gedanke klang ziemlich verlockend. Jemand klopfte an der geschlossenen Tür und riss mich aus meinen Gedanken.
Die Person wartete nicht auf meine Erlaubnis, sondern öffnete einfach die Tür. „Hey, ich will wirklich nicht stören, aber wir müssen los", sagte Jake sanft und lehnte sich mit verschränkten Armen an dem Türrahmen. Ich löste den Blick vom Fenster und sah ihn an.
Er trug ein schlichtes schwarzes Shirt, der an einigen Stellen nasse Flecken hatte und eine Jeans, in dessen Taschen er die Hände vergrub. Sein Haar war feucht und einige Strähnen klebten ihm an die Stirn. Ich wollte gar nicht erst wissen, wie er mit dem Verband duschen konnte.
Leise seufzend stand ich auf und strich Alex' schwarzen Pullover glatt. Es hatte mir Mühe und mein Nachtisch für drei Wochen gekostet, aber schließlich konnte sich der Blonde von zwei seiner heißgeliebten Hoodies trennen.
„Wie geht's deiner Verletzung?", fragte ich Jake leise und verstaute die Hände in die Shirttaschen. Der Gefragte zuckte mit den Schultern. „Ganz gut. Tut gar nicht mehr weh." Wer es glaubt. Doch ich nickte nur.
„Wohin geht's jetzt?", fragte ich und ging auf ihm zu. Kurz musterte er mein Gesicht prüfend. Sein Blick blieb an meine Augenringe hängen, aber zum Glück fragte er nicht nach. Ich hatte keine Lust auf eine stundenlange Predigt, weil ich nicht gut schlafen konnte.
„Zum Haus meines Vaters", beantwortete er meine Frage und seine Stimme klang monoton. Müde nickte ich und ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer. Drei kleine Koffer standen neben der Tür. Mira, Alex und Dylan standen im Flur und diskutierten wild miteinander.
„Da seid ihr! Guter Zeitpunkt, wir besprechen gerade, wer mit wem fährt", sagte Alex und setzte sich eine Sonnenbrille auf. „Ist die nicht auffällig? Draußen ist es doch kalt", runzelte ich die Stirn. „Ich weiß, aber die steht mir. Richtig sexy."
Unwillkürlich schmunzelte ich und verdrehte die Augen. „Dylan und ich fahren mit meinem Auto. Jake fährt eins auch. Bleibt die Frage, mit wem Alex und Bella fahren", erklärte Mira.
„Ich könnte mit Jake fahren", sagte ich und sah zu Jake auf. Sein Blick war warm und das Grün in seine Augen funkelte schelmisch. Alle sahen fragend zu Alex, der nachdenklich die Stirn runzelte. „Wenn ich mit Nonna fahre, dann krieg ich das Essen, das sie in ihrem Koffer hat, aber wenn ich mit Jake fahre, dann könnte ich ihn erpressen und selbst fahren", überlegte er laut.
„Er fährt mit uns. Wir brauchen Jakes gestohlenes Auto in einem Stück", verkündigte Mira und nahm ihre Schlüssel. „Selbstschuld, RIP Essen", zuckte Alex gleichgütig mit den Schultern.
„Gut, wir nehmen die Koffer. Jake, Bella, passt auf euch auf, ja? Wir treffen uns in ca. 10 Stunden in Washington", sagte Mira und nahm uns beide sanft in den Arm.
Gemeinsam verließen wir das Haus. Langsam wurde es dunkel draußen. Jake setzte sich eine weiße Cap auf und ging zu einem schwarzen Auto, das neben Miras geparkt war. Er griff in seine Jeanstasche, holte einen Schlüssel raus und öffnete die Fahrertür.
Kurz winkte ich Alex und Dylan zu, ehe ich ihm folgte, die Beifahrertür aufschloss und mich auf dem Beifahrersitz niederließ. Schweigend starrte Jake den Motor und fuhr die Fensterscheibe runter.
„Ihr folgt dem Navi, wir nehmen einen längeren Weg. Es ist besser, wenn wir nicht gemeinsam fahren, sonst wirkt das zu auffällig", sagte er und Mira nickte zustimmend.
Dann trennten wir unsere Wege. Jake stellte das Radio leise an und fuhr los. Die Dunkelheit war angebrochen und die Straßenlaternen gingen an. Ab und zu rauschte ein Auto mit rasender Geschwindigkeit an uns vorbei.
Ich hatte schweigend mein Kopf gegen die Glasscheibe gelehnt und gedankenverloren ins Leere gestarrt. „Elfe?", fragte Jake plötzlich. „Mhm?", murrte ich, ohne ihn anzusehen. „Du bist still. Und das seit mehreren Minuten", stellte er überrascht fest.
Kurz verdrehte ich die Augen. „Dürfte ich fragen wieso?", fragte er schmunzelnd. „Nope. Aber du darfst die Klappe halten", motzte ich schlechtgelaunt.
„Das ist nicht nett", runzelte er die Stirn. Schmollend verzog ich das Gesicht. „Lass mich einfach, Spaten. Ich hasse dich."
„Nein, du liebst mich", erwiderte er und er verzog seinen Mund zu einem schelmischen Lächeln.
Mein Blick huschte zu ihm. Meine Augen blieben an seine rötlichen Lippen kleben und ich schluckte schwer. Meine Kehle fühlte sich auf einmal staubtrocken an und ich räusperte mich kurz. „Tue ich nicht."
„Tust du wohl. Und du hast mich gerade angestarrt." Amüsiert sah er zu mir. Über seine Arroganz leicht lächelnd verdrehte ich die Augen und schlug ihm gegen den Arm. „Manchmal benimmst du dich echt wie das letzte Arschloch."
„Verrätst du mir jetzt, warum du schlecht drauf bist?", fragte er. „Lass mich einfach", stöhnte ich und legte den Kopf in den Nacken. Plötzlich spürte ich etwas Warmes an meinem Oberschenkel und schreckte hoch. Jakes verdammte Hand.
„Jake, konzentrier dich auf der Straße", sagte ich schrill, als er den Kopf schräg zu mir lehnte und mich ansah. „Erst sagst du mir, warum du schlechtgelaunt bist."
„Jake, pass verdammt auf." Etwas alarmiert sah ich geradeaus in die Dunkelheit, doch der Dude neben mir machte keine Anstalt, sich auf die Straße zu konzentrieren.
„Hunger. Ich habe Hunger", gab ich frustriert auf und funkelte ihn böse an. Zufrieden richtete er den Blick nach vorne, die Hand ließ er auf meinem Oberschenkel ruhen, doch keiner von uns achtete darauf. „Geht doch."
Ich seufzte erleichtert und rieb mir kurz die müden Augen. „So, jetzt wo du den Grund kennst, gehst du mir sofort etwas zu essen besorgen", trällerte ich und sah ihn frech an.
Doch Jake schüttelte belustigt den Kopf. „Vergiss es. Es ist nachts und wir sind mitten auf der Autobahn. Wo soll ich dir essen holen?"
Ich zuckte gleichgütig mit den Schultern. „Hast du dir selbst verbockt. Sieh zu, dass du mir was zu essen besorgt. Außerdem ist es deine Schuld, dass ich am Verhungern bin."
„Wieso bekomme ich immer die Schuld?", fragte er mit gespielter Empörung. „Komm mir jetzt nicht damit, du weißt es selbst. Du musstest ja den Helden spielen und bist -"
Plötzlich hob er die Hand von meinem Oberschenkel und deutete mir leise zu sein. Beleidigt, dass er mich unterbrach hob ich den Blick.
„Ich glaube, wir haben Gesellschaft", sagte Jake leise. Seine Stimme wurde augenblicklich sowie seine Haltung angespannt und sein Blick fixierte etwas im Rückspiegel.
Ich folgte verwirrt seinen Blick und erblickte grelle Blaulichter eines Polizeiwagens, die nicht weit weg waren. Schwerschluckend sah ich zu Jake. „Wie viele?", fragte ich beunruhigt.
Konzentriert nahm Jake die Unterlippe zwischen die Zähne und verengte die Augen. „Hört sich nach mehreren an."
Ich kniff die Augen zusammen und lauschte angestrengt. Tatsächlich hörte ich die Sirenen, die immer lauter wurden, nun auch.
„Bella, vertraust du mir?", fragte Jake plötzlich und sah mir fest in die Augen. „Was soll die Frage?", schoss ich verwirrt zurück. „Sag mir einfach, ob du mir vertraust. Nur dieses eine Mal."
Vertraute ich ihm? Um ehrlich zu sein, nach all seine Aktionen nicht mehr ganz, doch er schien es gerade ernst zu meinen und hatte ich überhaupt eine Wahl? Entweder hörte ich nicht auf ihn und wir werden höchstwahrscheinlich geschnappt, oder ich vertraute ihm und setzte mein Leben aufs Spiel. Auch wenn die zweite Variante die dümmste war, entschied ich mich für sie.
Zögerlich nickte ich. „Wir werden jetzt schnell die Plätze tauschen, okay?", sagte er ruhig, während die schrillen Sirenen lauter wurden. „Jetzt?", fragte ich fassungslos und er nickte. Super, ich bereute meine Entscheidung jetzt schon.
Ich warf schnell einen Blick über den Rücken und sah panisch zu den Polizeiwagen. „Wenn ich jetzt sage, kletterst du auf meinen Schoss, okay?" Hatte er sie noch alle? Das war doch die bescheuertste Idee, die er überhaupt hatte.
„Bist du irre?", fragte ich deshalb ungläubig. „Schnell, Bella, wir haben keine Zeit zu verlieren", sagte er konzentriert und schnallte sich ab. Er warf einen Blick in dem Rückspiegel und rief auf einmal: „JETZT!"
Ohne lange zu überlegen, schnallte ich mich blitzschnell ab, kletterte von meinem Sitz und sprang auf seinem Schoss. Er überließ mir das Lenkrad und huschte schnell zu den Rücksitzen.
„Fahr einfach geradeaus, ja?", sagte er und ich nickte hilflos. Ein kurzer Blick über den Rücken verriet mir, dass er nach etwas in seinem Rucksack kramte.
Kurz darauf stieß er ein triumphiertes Geräusch. „Fahr etwas langsamer", bat er, nach wie vor, ganz gelassen. „Du bist irre", stellte ich fest, tat aber was er sagte.
Die Sirenen wurden lauter und im Rückspiegel spiegelte sich das Blaulicht stärker. Kurz darauf knallte Jake die Tür auf und legte sich auf die Sitze. „Bist du behindert?", kreischte ich, ein Blick auf dem Rückspiegel genügte, um die Polizeiautos zu sehen.
Drei verdammte Polizeiautos waren hinter uns und er riss einladend die Tür auf.
Ein Schuss ertönte und ich zuckte zusammen. Erst dachte ich, dass die Bullen auf uns schossen, doch eines deren Autos rutschte plötzlich ab. Klasse, es war Jake, der geschossen hatte.
Einfach großartig. Der Junge, neben dem ich noch vor weniger als zwei Minuten saß, hatte die ganze Zeit eine Pistole versteckt. War das normal?
„Du hast eine verdammte Waffe in deinem Rucksack?", fragte ich entgeistert. Ein erneuter Schuss ertönt, darauf folgten drei weitere, die jedoch von der Polizei stammten.
„Scheiße!", fluchte Jake plötzlich. „Bella, fahr etwas schneller, die kommen näher." Ich drückte auf die Gaspedale und wurde augenblicklich in dem Sitz gedrückt.
Wieso hatte ich immer Lucas Angebote abgelehnt, meine Fahrkünste zu verbessern, nachdem ich ein Auto angerempelt hatte und der Dude, der offensichtlich zu dumm war, das Auto wieder unter Kontrolle zu kriegen, mitsamt Auto in den Fluss neben der Straße fiel?
Erst als ich den Wagen wieder im Griff hatte, wagte ich erneut einen Blick nach hinten. Jake hatte die Pistole wieder geladen und schoss weiter auf die Räder der Autos. Als er sich gegen die Sitze presste, um kurz Luft zu holen, legte er kurz den Kopf in den Nacken. Schweißperlen glitzerten auf seine bräunliche Stirn und seine vollen Lippen waren konzentriert zu einer Linie zusammengepresst.
„Nimm die Einfahrt! Schnell!", brüllte er plötzlich. Rasch lenkte ich das Auto nach links und erwischte die Einfahrt noch rechtzeitig. Doch die Polizei ließ sich nicht beirren.
Jake fing an ununterbrochen zu fluchen und ich könnte drauf wetten, dass er damit Alex' Rekord sogar brechen konnte.
„Fahr etwas langsamer!", sagte er zähneknirschend, lugte durch die offene Tür nach draußen und schoss mehrmals hintereinander. Das ohrenbetäubende Geräusch ließ mein Herz vor Schreck höher schlagen und ich grub die Nägel fest in das feine Leder des Lenkrads.
Ein weiteres Auto rutschte von der Straße ab und der Wagen dahinter prallte mit ihm zusammen. Es war wie im Film. Die Autos trafen schnell und hart aufeinander, dass es eine kleine Explosion gab.
Das Geräusch war laut und ich zuckte zusammen. Jake legte die kleine Pistole zurück in seinen Rucksack und schloss die Autotür, die nun zwei Schusslöcher hatte.
„Soll ich wieder fahren?", fragte er schweratmend. Ohne lange zu zögern nickte ich heftig. Wir hatten es geschafft. Wir waren der Polizei ein weiteres Mal entwicht. Erleichterung machte sich in mir bereit.
Jakes Hände packte mich sanft von hinten an die Taille und hob mich. Innerhalb Sekunden saß er unter mir. „Sicher, dass du zurück aufm Beifahrersitz willst?", fragte er scherzend und löste behutsam meine verkrampften Finger, die sich fest in dem Lenkrad gebohrt hatten.
Schweigend kletterte ich zurück in dem Beifahrersitz und schnallte mich an. Erschöpft lehnte mich nach hinten im Sitz. „Das war knapp", seufzte ich leise und schloss kurz die Augen. „Meine Schusskünste zu danken."
„Sag mal, bist du eigentlich komplett bescheuert? Wieso hast du eine verdammte Waffe in deinem Rucksack?", fragte ich vorwurfsvoll und sah zu ihm.
„Habe ich einem Polizisten bei meiner Flucht entnommen. Und hey, die ist nicht mal gefährlich. Kann höchstens ein paar Millimeter in die Haut dringen", meinte er und bog rechts ab.
„Hast du es jemandem erzählt?", fragte ich unruhig. „Wieso sollte ich? Ist doch gar nicht wichtig", sagte er schulterzuckend.
„Du bist irre", wiederholte ich meine Worte von vorhin kopfschüttelnd.
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