Twenty-Eight ~ long night

23:03

Es blieben genau 06:57 Stunden, bis uns Mira aus den Betten holen und zum Frühstück schleppen würde.

Wenn es nach mir ginge, wäre ich längst unten in der Küche. Mit den anderen zu sitzen und quatschen, statt in der stillen Nacht allein in diesem ungemütlichen Schlafsack zu liegen. 

Obwohl ich nicht in dem Bett schlief, wurde ich das Bild von der toten Katze nicht los. Es machte mich nervös zu wissen, dass hier im Haus jemand ganz locker rein und rausschleichen konnte, ohne gesehen zu werden. 

Alex schien dieses Problem nicht zu haben. Nachdem er beim Abendessen von Mira krass angeschissen wurde, da er die Gläser kaputtgeschmissen hatte, war er problemlos hochgegeangen und ist im Bett nach Sekunden eingeschlafen.

Frustriert zog ich die Decke bis zum Haaransatz hoch und presste die Augen zusammen, in der Hoffnung Schlaf zu finden. Doch es funktionierte nicht. So erschöpft ich auch war, ich konnte einfach nicht einschlafen.

Seufzend ließ ich die weiche Decke sinken und sah zum Wecker. 23:05. Ernsthaft jetzt? Wie langsam verging die Zeit denn bitte?!

Ich versuchte Schafe zu zählen, an ein schönes Erlebnis zu denken, doch nichts half. Als ich plötzlich Durst verspürte, warf ich beinah schon erleichtert die Decke zur Seite und sprang aus dem Schlafsack.

Auf den Zehenspitzen schlich ich mich aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter mir vorsichtig und möglichst lautlos ab. Im Flur war es kälter als im Zimmer. Ich ignorierte die Gänsehaut, die sich auf meinen Armen abbildete und huschte die Treppe runter in die Küche.

Es war ganz still im Haus. Beinah friedlich. Innerlich summend tänzelte ich zum Gläserschrank, nahm mir ein Becher und setzte ihn unter dem Wasserhahn. Während das Wasser ins Glas floss, sah ich aus dem Fenster neben dem Spülbecken.

Draußen schimmerte der Mond voll. Als ich mich daran erinnerte, dass die Jungs an so einer Vollmondnacht normalerweise Gouverneure umgebracht hatten, lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken runter.

Schwer schlucken drehte ich den Wasserhahn aus und nahm einen langen Schluck. Doch dieses Mal waren sie hier. Sie würden nicht wieder morden. Sogar in meinen Gedanken hörte sich das falsch an. Die drei würden töten. Aus irgendeinem Grund war ich mir da beinah sicher.

Plötzlich kam mir die Stille nicht mehr so friedlich vor, sondern nur noch unheimlich und gruselig. Ich biss die Zähne zusammen und huschte schnell aus der Küche die Treppe hoch. Ich würde mich wohl sechs Stunden im Bett herumwälzen müssen, bis wir aufstehen mussten.

Als ich an Dylans und Jakes Zimmer vorbeischleichen wollte, fiel mir die offene Tür sofort ins Auge. Kurz stoppte ich Mitten in der Bewegung und wollte neugierig reinspähen.

Manchmal war ich ein echter Stalker. Belustigt über mich schmunzelnd wollte ich einfach vorbei zu meinem und Alex' Zimmer zurückgehen, als ich plötzlich aus dem Zimmer den Klang eines Instruments hörte. Perplex hielt ich inne.

So dumm es auch war, das Geräusch machte mich neugieriger. Vorsichtig drückte ich die hölzerne Tür weiter auf und machte einen Schritt Richtung das Innere des Zimmers.

Das erste, was mir ins Auge sprang war eine Gitarre. Dann braunes Haar eines gebeugten Kopfs. Melodische Töne erklangen und Jake summte leise mit. Doch plötzlich ballte er die Hand zu Faust, nahm verkrampft die Finger von den Saiten der Gitarre und legte frustriert den Kopf in den Nacken.

Der Mond leuchtete durch das Fenster ohne die Vorhänge hinter dem Schönling und warf seine Strahlen auf Jakes bräunliche Haut. Anhand des Blatts und den Stift neben ihm auf dem Boden nahm ich an, dass er an einem Song arbeitete.

Da ich ihn nicht stören wollte, bewegte ich mich langsam und vorsichtig nach hinten aus dem Zimmer raus und zog die Tür hinter mir zu.

Aber da mein Pech heute groß und der Tag noch nicht vorbei war, stolperte ich an dem Teppich nach hinten im Flur. Erschrocken quickte ich auf und landete unsanft nach hinten auf dem Boden.

Stöhnend rieb ich mir den Hintern, mit dem ich mit voller Wucht auf den Teppich gelandet war. Als wäre das nicht schlimm genug, tauchte auch noch ein halb erschrockener und halb besorgter Jake an der Tür.

Toll, Bella, hätte echt nicht besser laufen können.

Das erste, was der grünäugige Idioten beim Anblick tat, war laut loszulachen. Warnend deutete ich ihm leise zu sein und als er auch kapierte, dass die anderen schliefen, presste er die Lippen zusammen.

„Lach nur", schnaubte ich augenrollend und rappelte mich auf. „Was machst du überhaupt hier? Falls du noch die Uhr lesen kannst, wir haben schon nach Mitternacht", sagte er amüsiert und lehnte sich gegen den Türrahmen.

„Ich wollte kurz in die Küche, bin aufgewacht und hatte starken Durst", erklärte ich knapp und strich meine Schlafhose glatt. Im Moment wollte ich nur zurück in mein Schlafsack kriechen und sechs verdammte Stunden die Augen offenhalten. Die Vorstellung war natürlich zu verlockend.

„Aha", machte Jake nur und hob eine Augenbraue, machte glücklicherweise aber keine Bemerkungen. „Willst du eigentlich schlafen?", fragte er mich und runzelte die Stirn, die Stimme nun gesenkt. Zögerlich biss ich mir auf den Lippen und erhaschte einen kurzen Blick über die Schulter.

Im Flur war es stockdunkel und still, nur mein und Jakes rhythmisches Atem war zu hören. Ich schluckte schwer, als mir in Erinnerung stieg, dass dieses Haus, bevor wir gekommen waren, jahrelang verlassen war und hier sogar Kriminelle waren, denen es offensichtlich störte, dass wir am Leben waren.

Mir drehte der Magen um und plötzlich fühlte ich mich unsicherer denn je. „Können wir woanders reden?", wisperte ich nervös und schlag die Arme um meinen Körper, als sich Gänsehaut auf meinem Arm abbildete.

„Komm rein, Dylan schläft. Den werden keine zehn Elefanten vor sieben Uhr morgens wach kriegen." Jake machte einen Schritt zur Seite und winkte mich ins Zimmer rein. Dankbar huschte ich durch die Tür und hörte, wie sie von Jake hinter sich zugemacht wurde.

Kurz scannte ich den Raum ab und stellte gleich fest, dass er um einiges kleiner war als meins und Alex mit zwei Betten, einem kleinen Schrank und einem großen Teppich. Mein Blick blieb an dem großen Fenster mit der Fensterbank hängen, wo Jake eben saß.

Papiere lagen dort verstreut mit ein paar entzweit gebrochene Bleistifte und einer alten Gitarre. Langsam bewegte ich mich auf den Sachen zu und ließ mich auf einem freien Platz auf der Bank nieder.

Jake bemerkte, dass meine Augen neugierig auf die Notenblätter kleben blieben. In zwei Sekunden war er schon bei mir, sammelte sie schnell ein und legte sie in der Truhe neben der Bank, die er dann schnell unter seinem Bett stopfte. 

Doch ich hatte schon erkannt, dass es ein Song war mit der Überschrift „Just chaos". „Schreibst du gerade ernsthaft an einem Song?", fragte ich etwas belustigt und sah dem Grünäugigen in die Augen.

Dieser zuckte nur mit den Schultern und ließ sich neben mir nieder. „Manche schreiben Tagebücher oder reden mit andere, wenn ihnen etwas beschäftigt. Ich drücks in einem Song aus", antwortete er schlichte.

Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen und vorsichtig griff ich nach der Gitarre. „Ist die deine?", fragte ich und setzte die Gitarre auf meinem Schoss. „Nein, die gehörte ...meinem Vater. Ich habe sie gefunden, als wir aufgeräumt haben", erklärte er und beobachtete amüsiert, wie ich versuchte, sie auf meinem Schoss zu platzieren.

„Vorsicht", warnte er, als ich überfordert die große Gitarre ansah. Eine warme Hand legte sich auf meine und Jake posierte das Instrument richtig auf meinem Schoss. Ein Kribbeln bereitete sich auf meine Hand, die er hielt und unbewusst klammerte ich das Ende der Gitarre fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten.

„Entspann dich", hauchte er an meinem Ohr mit rauer Stimme. Ich biss mir angespannt auf der Lippe und nickte leicht. Seine Nähe löste in mir Nervosität aus und er verlangte, dass ich mich entspannte?! 

Vorsichtig löste er meine verkrampften Finger von den Saiten der Gitarre und platzierte sie richtig hin. „Hast du schon mal gespielt?", fragte Jake leise und ich spürte seinen warmen Atem an meinem Schlüsselbein. 

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Ich spiele aber Violine, zählt das?", scherzte ich und schluckte schwer, als er leise auflachte. „Lass ich durchgehen, Ma'am." 

Als er die Finger über die Saiten gleiten ließ, zuckte ich zusammen und sah leicht erschrocken zu Dylan, doch dieser hatte sich in seinem bett kein Millimeter bewegt. „Vielleicht wecken wir ihn auf", zischte ich besorgt und beobachtete Dylans, der oberkörperfrei mit dem Rücken zu uns lag.

„Elfe, hörst du mir eigentlich zu? Der Spaten kann 18 Stunden am Stück schlafen, ohne dass ihn etwas oder jemand wecken kann", lachte der Grünäugige, doch ich schaute weiterhin skeptisch, was Jake nicht zu stören schien.

Er streckte seine andere Hand unter meinem Arm, den ich auf dem Griffbrett gelegt hatte und legte die Finger sicher auf die Saiten. Mit der anderen Hand spielte er schnelle Töne. Es dauert nicht lange, bis ich den Song, den er spielte, erkannte.

„Someone you loved von Lewis Capaldi?", fragte ich und drehte den Kopf grinsend zu ihm. „Was ist? Der Song ist gut", verteidigte er sich, die Augen weiterhin auf seine Finger gerichtet, die geschickt weiterspielen.

„Ich dachte, du hast gesagt, dass du sowas nicht magst. Am Konzert." Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen. „Ich habe gesagt, dass ich happy love songs nicht mag", konterte er.

„Aber Liebeskummer Lieder schon?", fragte ich belustigt und sah, wie sich Jake in die Innenwange biss. Als er langsam den Kopf zu mir drehte, fiel ihm eine braune Strähne ins Gesicht und ich unterdrückte den Impuls sie ihm aus dem Gesicht zu streicheln.

„Kummer existiert. Jeder verspürt Schmerz, aber Liebe ist eine Illusion. Man bildet sich ein, dass man jemand liebt, aber wenn man diese Person nicht nur Äußerlich kennt, dann vergeht dieses Gefühl", flüsterte er, den Blick in die Leere gerichtet.

„Also glaubst du nicht an Liebe", fasste ich zusammen und legte den Kopf schräg. Mittlerweile hatte Jake aufgehört zu spielen. Seine Hand lag still auf dem Griffbrett neben meinem Arm.

„Manche Menschen können einfach nicht geliebt werden. Das ist Fakt", schnaubte er und sah mir in die Augen. Ich erwiderte seinen Blick und schüttelte den Kopf. „Jeder kann geliebt werden. Das Innere ist manchmal sogar der Grund dafür."

„Kann es sein, dass du immer positiv denkst?", fragte er mich leicht amüsiert. „Kann es sein, dass du immer negativ denkst?", schoss ich zurück und hob eine Augenbraue. Ein intensiver Blickduell entstand.

„Negativ sein hat seine Vorteile. Man wird nicht enttäuscht", hauchte Jake leise. Verwirrt legte ich die Stirn in Falten und wollte nachhaken, doch der Grünäugige legte mir einen Finger auf die Lippen und hinderte mich damit daran.

Erst jetzt realisierte ich, wie nahe wir uns waren. Nur eine einzige Bewegung fehlte, um die Millimeter zwischen unsere Lippen zu überbrücken. Mein Puls stieg in die Höhe und mein Atem stockte.

Mein Hals fühlte sich staubtrocken an, als Jake seine Hand um meine Wange legte und mit dem Daumen federleicht und quälend meine Unterlippe nachfuhr. Seine Stirn berührte sanft meine, als ich mich traute langsam näher zu rücken. 

Seine andere Hand fand meine Taille und er hielt mich fest, während ich abwechselnd von seine Lippen zu seinen mittlerweile dunkelgrünen Augen sah. Wie in Zeitluppe senkten sich seine Lippen und das Verlangen, sie auf meine spüren zu wollen überwand mich ...

Ein Knall ertönte hinter uns und erschrocken fuhren wir auseinander. Mit weitaufgerissenen Augen umklammerte ich Jakes Gitarre und atmete zischend ein. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, war, dass es ein White mit Waffen oder ein Leo sein könnte.

Weder noch. Ein Stöhnen ertönte vom Boden neben Dylans Bett, der nun leer war. Jake atmete erleichtert aus, als er auch realisierte, dass es nur sein bester Freund war, der offensichtlich vom Bett gefallen war.

Langsam rappelte sich der Lockenschopf auf und rieb sich den Hinterkopf ächzend. Als er sprach klang seine Stimme noch verschlafen und kratzig. „Fuck, ich habe geträumt, dass Alex der Bastard mich die Treppe runtergeschubst hat."

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