Thirty-Six ~ "Sorry."
Als die Kanne zu kochen anfing, hob ich sie vom Herd und goss das glühend heiße Wasser in drei Becher mit Teebeutel.
Es war sehr früh morgens. Wir wurden erst vor ein Stunden zurück von Andrews Männer zum Haus der Walkers gebracht. Ich wollte nicht wissen, wie lange die Leos uns unter Beobachtung hatten und wie viel Informationen sie über uns hatten.
Schweigend nahm ich zwei von den Teetassen und stellte je eine vor Alex und Dylan. Jake war nirgends zu sehen. Seitdem er gleich, nachdem wir zurück waren, nach oben in seinem Zimmer gestürmt war, hatte keiner von uns ihn gesehen.
Der Blonde sah den Becher vor sich mit einem schmerzerfüllten Blick an. „Sie hat diesen Tee geliebt. Als ich klein war, konnte ich es nicht ausstehen", krächzte er leise und Tränen sammelten sich wieder in seinen Augen.
Ich schluckte schwer und mein Herz zog sich zusammen. Schnell blinzelte ich die Tränen weg, die hochstiegen, nahm mir ebenfalls einen Becher und setzte mich neben Dylan am Tisch.
„Es tut so weh, Bella. Es zerreißt mich. Sie war der einzige Mensch, der für mich da war, als meine Mutter mich von sich abgestoßen hat, sie -", Alex' Stimme brach ab, als ihm ein Schluchzen in die Kehle stieg.
Er verbarg das Gesicht in den Händen und fing an leise zu weinen. Alex war normalerweise derjenige, der uns in jede Situation aufzumuntern versuchte und seine Emotionen unter Kontrolle hatte, doch seine Oma war für ihn alles, was er brauchte.
Auch meine Augen fingen wieder an zu tränen und obwohl ich mir vorgenommen hatte, für Alex stark zu sein und nicht in Tränen auszubrechen, rollte mir schon die erste Träne die Wange hinunter. Und dann die nächste. Und die nächste. Bis ich sie nicht mehr stoppen konnte.
„Oh Gott, Alex, es tut mir so leid", schluchzte ich und schlang meine Arme um ihn. Mein Gesicht verbarg ich in seine Brust und vergeblich versuchte ich den Tränenschleier zu stoppen.
„Es – es t-tut mir leid. I-ich vermiss sie nur", sagte er mit tränenerstickter Stimme und vergrub sein Gesicht in meine Halsbeuge. „Ich vermiss sie so sehr, dass es wehtut."
Wir hielten einander und trauerten um Mira, eine der tollsten Frauen, die ich kennenlernen durfte. Schon am ersten Tag in der Band, hieß sie mir willkommen und war die netteste zu mir. In der Zeit, in der ich nicht bei meiner Mom war, war sie meine Mom.
Die Frau, die mir Liebe und Geborgenheit geschenkt hatte. Die Frau, die sich die ganze Zeit um uns gesorgt hatte. Die Frau, die uns wie ihre eigenen Kinder behandelte.
„Ich hole Jake", hörte ich Dylan leise sagen und wenn ich mich nicht täuschte, stockte seine Stimme kurz. Kurz darauf ertönte das Geräusch von seinen Schritten, die sich von uns entfernten.
Mühsam unterdrückte ich weitere Tränen, doch ich klammerte mich weiter an Alex, als wäre er ein großer Teddybär. Ihm schien es nichts auszumachen, denn er drückte mich nur weiter an sich.
Eine angenehme, friedliche Stille legte sich über uns, während ich immer mehr über Mira nachdachte. Doch das Schweigen hielt nicht lange an, denn Dylans Stimme holte uns zurück. Er rief nach Alex und mir.
Verwirrt löste ich mich von dem Blonden und gemeinsam liefen wir aus der Küche, Richtung Treppe. Schnell tapste ich die Treppe hoch und meine Paranoid schaltete sich an.
Was war los? Ging es ihm gut? Und was war mit Jake? Wurden sie verletzt? Oder befand sich irgendjemand wieder im Haus? Ich bereitete mich aufs Schlimmste vor, als ich die Tür zu Dylans und Jakes Zimmer auf kickte.
„Dylan?", fragte ich mit hoher Stimme und laut klopfendem Herz. Doch Dylan war nicht verletzt. Er stand nur im Zimmer wie erstarrt da und starrte auf Jakes leeres Bett.
„Dylan?", fragte ich erneut verängstigt und sah mich im Zimmer wachsam um. Doch nichts Auffälliges war zu sehen. Nur das Fenster, das breit offenstand.
Langsam und mit vorsichtigen Schritten lief ich auf Jakes freies Bett zu und folgte Dylans Blick. Und ich sah es endlich. Ein Stück Papier.
Mein Magen drehte sich um, als ich die Wörter las. Ein einziger Satz in Jakes geschwungener Schrift stand drauf.
„Es tut mir leid."
~
Das plötzliche Verschwinden von Jake gab mir den Rest. Wichtige Sachen waren aus seinem Schrank verschwunden. Wir hatten das Ganze Haus auf dem Kopf gestellt, doch er war weg. Verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.
Ich hatte schweigend die Suche abgebrochen und war in mein Zimmer gestürmt. Ich konnte nicht anderes, ich schrie mir die Seele aus dem Leib. Meine Frustration hatte ich an dem kleinen Schrank ausgelassen.
Ich hatte mir stundenlang die Faust blutig geschlagen. Dieser Schmerz blendete für eine Zeit meine aufgewühlten Emotionen. Mit tränenverschmiertem Gesicht schlug ich mit all meiner übrigen Kraft gegen das Holz, wobei mir Splitter in die Haut bohrten.
Doch ich achtete nicht darauf. Blind vor Schmerz schlug ich weiter auf die Kommode ein. Schweratmend, nach gefühlten Stunden, brach ich zusammen.
Alles, was ich in den letzten Monaten zurückgedrängelt hatte – die Selbstzweifel an meine Stärke als Anführerin; das Vermissen meines alten Lebens, meine Mom, meine Freunde, meine Wohnung; die Angst jeden Tag von den Leos oder Whites überfallen und getötet zu werden; die Verantwortung über die ganze Situation; Miras Tod und – und meine Gefühle zu Jake, alles was ich versteckt hatte, brach über mich zusammen und überrollte mich.
Weinend stemmte ich mich hoch zum Bett, wo ich mich drauf warf und das Gesicht in den Händen verbarg. Ich konnte nicht mehr. Das Ganze wurde mir zu groß, überragte mich.
In dieser Woche hatte ich viele emotionale Zusammenbrüche. Meine Psyche spielte nicht mehr mit. Und mein Körper langsam auch nicht. Von Dylan und Alex hatte ich nichts gehört.
Andrews hatte recht. Wir brachen auseinander. Wir würden auseinanderreißen, bis die Bande sich auflöste.
~~~
Nach Tagen traute ich mich aus meinem Zimmer. Jedoch nur um etwas Essbares von der Küche zu holen. Ich hatte nichts außer die Riegel gegessen, die mir von vermutlich Dylan jeden Tag morgens geschoben wurden.
Als ich über die Türschwelle trat, merkte ich, wie seltsam still es hier im Haus war. Auf die Zehenspitzen in meinem Schlafanzug tapste ich die Treppe runter und schleppte mich übermüdet zum Kühlschrank.
Schlafen tat ich nicht viel. Meine Augen wollten mich nicht in dem Land der Träume schicken, wo ich für ein paar Stunden Ruhe finden könnte. Stattdessen hatte ich die ganze Zeit Bilder von Allisons und Miras Leichen vor den Augen.
Als ich Schinken und Senf aus dem Kühlschrank rausholte und mir ein Sandwich bereitete, hörte ich die Haustür klingeln. Genüsslich biss ich in den Toast und ignorierte dabei das Geräusch.
Ich aß mein Essen zu Ende, während ich darauf wartete, dass Dylan oder Alex die Treppe runterströmen würde und nachsah, wer was von uns wollte. Doch keiner der beiden tauchte auf.
Seufzend schob ich mir das letzte Stück des Sandwiches in den Mund und bewegte mich dabei zur Tür.
Falls es ein Nachbar war, würde ich ihn anmotzen, dass er verschwinden würde und wenn es Zayn und seine Gefolge wären, würde ich dem Bastard ohne Zögern eine reinhauen.
Meine Emotionen waren abgeschaltet, ich verfiel langsam, aber sicher in Depressionen. Und es war mir tatsächlich egal. Egal, wie so ziemlich alles momentan.
Mit einem genervten Blick entriegelte ich die Tür und öffnete sie mit einem Schwung auf. Kurz mussten sich meine Augen an das helle Licht der Sonne gewöhnen. Und dabei war es November.
Mit der Hand schirmte ich mir die Augen, doch zu meiner Überraschung stand niemand vor der Tür. Klingelstreich? Höchstwahrscheinlich. Wie witzig die Kinder heutzutage doch sind.
Genervter als vorhin drehte ich mich zur Tür um und wollte wieder ins Haus, doch mir fiel der geklebte Zettel drauf sofort ins Auge.
Mir drehte der Magen um, als ich mich an den letzten Zettel, das ich gelesen hatte erinnerte. Von ihm. Kurz warf ich einen Blick über die Schulter und als ich mich versicherte, dass mir niemand zusah, nahm ich schnell das Stück Papier von der Türfläche ab.
Smallpox Hospital, New York
Montag, 19:00 Uhr
~ W
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