Forty-Three ~ Kilian
Jake und ich schwiegen uns an. Und das seit geschlagenen zehn Minuten.
Wir hatten uns in sein Zimmer zurückgezogen und nun saß ich auf der Kante seines überdimensionalen Betts und er lief vor mir auf und ab und versuchte damit vermutliche seine Nervosität abbauen. Von der er dachte, ich würde sie nicht bemerken.
Aber ich kannte ihn gut. Und auch wenn sein Blick ruhig und seine Haltung nur ein kleines Stück angespannt waren, spürte ich seine Unsicherheit förmlich. Schon allein das Hin und Her Geläufe verriet ihn.
Angesichts der offenen Vorhänge drang etwas Licht des Vollmonds zu uns durchs Fenster durch und erhellte damit den dunklen Raum.
Jake war nervös. Was wiederum mich nervös machte.
Ich war gerade dabei, die Falten in die schwarz-weiße Seide meines Kleids glattzustreichen, als er die Stille mit einem tiefen Seufzer unterbrach. „Wenn du nur wüsstest, wie lange ich mich vor diesem Gespräch verdrückt habe."
Seine Vergangenheit.
Das Tabu Thema. Außer man will ein Kopf kürzer werden.
„Ich würde gerne zuhören", gab vorsichtig zu und hob den Kopf, um ihn anzusehen, „aber ich würde dich nie dazu drängen, und das weißt du hoffentlich."
„Schon gut, manchmal ...ich mache manchmal eine große Sache daraus. Dabei ist nur ...ich will nicht zurückschauen, um - nicht wieder in diese Zeit gefangen zu werden." Er wählte die Worte bedacht und gedehnt aus, als wolle er nichts Falsches sagen.
Sein Blick war leicht benebelt, als schwämme er in Erinnerungen. Leicht überfordert schüttelte er den Kopf, als wolle er seine Gedanken damit abhängen und atmete tief durch. Dann haftete sein Blick auf mich.
Ich sah, wie er versuchte, all die Emotionen zu unterdrücken und schwieg. Es tat etwas weh zu wissen, dass er sich nicht traute, Gefühle vor mir zu zeigen. Natürlich sah ich es nicht direkt als Vertrauensproblem an, dennoch wünschte ich, er würde mir gegenüber, was seine Gefühle betraf offener sein.
Doch nach allem, was in den letzten Wochen, Monaten passiert war, brauchten wir vermutlich beide als erstes eine emotionale Pause.
Wir haben ein paar Male drüber gesprochen, nach dem heutigen Event uns für kurze Zeit zu isolieren und das was zwischen uns ist auf Eis legen. Wir wollten warten und in dieser Zeit sollte jeder von uns beiden erstmal nur auf sich selbst, seinen Sehnsüchten und Bedürfnissen fokussieren, um endlich zu erkennen, was wir von uns in Zukunft erwarten und wollen.
Danach würden wir unsere Beziehung neu aufzubauen, gemeinsam mit dieser Mafia. Von vorne an anfangen. Und wir würden es schaffen. Da war ich mir sicher.
Jake sah mein Schweigen als eine stumme Anforderung weiterzureden. Als er die Hand hob, um sich damit über das gebräunte Gesicht zu fahren, spannten sich seine Muskeln unter dem T-Shirt an, was meine Aufmerksamkeit ungewollt auf sich zog.
Warum muss er auch so hauchdünnes schwarzes Shirt anziehen?
Doch, sobald der Grünäugige vor mir anfing zu reden, galt meine Aufmerksamkeit voll und ganz seinen Worten. „Du erinnerst dich an dem ...Gouverneur von New York, Jones?"
Irritiert und zugleich überrascht blickte ich ihn an, als er langsam vor mir in die Hocke ging, um mit mir auf Augenhöhe zu sein.
Der Name sagte mir anfangs nichts, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jones. Jones wie Jasmine Jones. Meine beste Freundin.
...die du seit beinahe schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen hast. Genau wie deine Mutter und zwei anderen Freunde.
Ich schluckte den dicken Kloß in meinem Hals runter und schüttelte langsam den Kopf, um meine Vergangenheit aus dem Kopf zu kriegen und mich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren.
Dafür würde ich später Zeit haben, jetzt geht es um Jake.
Wo waren wir nochmal? Ach ja, Jones.
Der Gouverneur war Jasmines Onkel und von Alex, Dylan und Jake ermordet worden.
Und derjenige, den ich später tot im Bad aufgefunden hatte, getränkt in seinem eignen Blut.
Die Erinnerung trieb mir ungewollt Gänsehaut auf den Armen und schwerschluckend fahre ich mit der Hand drüber, als würde ich damit bezwecken, sie wegzuzaubern.
Langsam nickend sah ich Jake misstrauisch an, mich selbst fragend, ob er gerade vom Thema ablenkte.
„Er hat ...meine Familie umgebracht. Er, Percy Jones, war es." Angespannt biss er die Zähne so fest zusammen, dass seine Kiefermuskeln hervorstachen.
Verwirrt und zugleich verdutzt zog ich die Augenbrauen zusammen und meine Hände umklammerten die glatte Bettkante. Die Nervosität in Jakes Blick war auf einmal durch Abwesenheit und Leere ersetzt worden. „Woher weißt du, dass er es war?", wisperte ich fassungslos und suchte seinen Blick.
Sicher, Percy Jones hatte Jake schon von dem ersten Augenblick an runtergemacht und seinen toten Vater verhöhnt. Mich hatte damals schon seine Abneigung und Bösartigkeit Jake gegenüber irritiert. Doch das macht ihn noch lange nicht zum Mörder.
Oder?
Jake stieß ein eiskaltes Lachen aus, wodurch sich meine Härchen erneut aufrichteten, und schüttelt seinen Kopf. „Es waren 31 Gouverneure, die sich zusammengetan hatten, um die Bande endgültig auszuschalten. Die anderen 20 wollten da nicht mitmachen. Jeder der 31 hat sich ein Mitglied vorgenommen. Ich hatte nie gewusst, wer der Mörder meiner Eltern war. Bis ich ihn auf dem Konzert traf", erzählt er, um seine Mundwinkel hatte sich ein verbitterter Zug gelegt. Hass verhärtete seine Gesichtszüge.
Diese gefühlskalte Seite von Jake bekam ich nur ganz selten zu Gesicht. Und wenn ich ehrlich warm beunruhigt sie mich mehr als mir lieb war. Sie macht mir beinahe schon Angst.
„Ich habe seine Stimme wiedererkannt, als uns angesprochen hatte. Es war dieselbe Stimme, die die Auftragskiller aufgefordert hatte, meinen Vater tot zu verprügeln", flüsterte Jake, in seinen Augen schimmerte Qual und er drehte sich von mir weg.
„Jake, -", sagte ich leise, doch er unterbrach mich unbewusst. „Ich habe niemandem erzählt, dass er es war. Weder Alex noch Dylan. Auch davon, dass ich fast jede Nacht von dem Tag träume." Er schluckte schwer. Sein Kopf neigte er wieder zu mir, wobei ihm eine leicht gewellte Strähne in die bräunliche Stirn fiel. Doch er strich sie nicht zurück und es kribbelte mir in den Fingern, es für ihn zu tun.
Und doch bewegte ich mich keinen Zentimeter. Meine Augen klebten an seine rötlichen Lippen. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen. Und schloss ihn wieder, weil ich wusste, meine Stimme würde versagen.
Ich war zu perplex, dass ich den jungen Mann vor mir nur mit großen Augen entgegensehen konnte.
„Ich spüre jede Nacht jeden Hieb, der meinen Vater den Tod gebracht hat und jedes Mal hörte ich den Schuss, der meine Mutter direkt ins Herz traf. Hörte jeden Schrei und jeden Schlag." Er presste die Augenlider aufeinander und atmete aus.
„Sie begleiten mich jeden Tag und wollen nicht loslassen", an diesen Punkt verzog er gequält das Gesicht. „Es ist so, als ob ich es verdient habe, sie nicht zu vergessen, verstehst du? Ich hätte mit ihnen sterben sollen, aber weil ich mich wie ein Feigling versteckt hatte, ging das Leben für mich weiter. Es ist unfair."
Seine Augen blieben geschlossen, als er diese Worte über die Lippen brachte und wenn möglich wurde sein Gesicht gequälter, schmerzerfüllter.
Er trug diese Last die ganzen Jahre mit sich, ohne sie mit jemand zu teilen. Versteckte in sich und erbarmungslos fraß sie ihn innerlich und trieb ihn in die Verzweiflung. Und trotz sein Inneres Konflikt hatte geschafft, uns jeden Tag anzulächeln, Witze zu reißen, um unsere Stimmung aufzuheitern und seine Freunde zu helfen, wo immer sie ihn brauchten.
Wenn möglich war ich in diesem Augenblick noch faszinierter von ihm als schon. Ich wollte sagen, dass er es nicht verdiente, aber ich konnte nicht. Ich wollte sagen, wie leid es mir tat, aber meine Stimme wollte nicht.
Wieder öffnete er die Augen und ich erkannte, wie er immer noch mit sich selbst kämpfte, um weiterzureden und mir weiterhin in die Augen zu sehen. Seine schlanken Finger umgriffen plötzlich mein Kinn und er hob meinen Kopf leicht an, um seinen Blick direkt in meinen zu bohren.
„Nachdem Dylan und ich Jones auf dem Klo abgefangen hatten und ich das Messer in sein Herz rammte, dachte ich, es würde aufhören. Ich dachte, es würde mir besser gehen. Aber ich habe mich geirrt, ich Idiot." Bitter lächelnd schüttelte er den Kopf und sein Griff um mein Kinn wurde etwas grober.
Seine schlanken Finger wandern nach oben und seine Fingerkuppen strichen über meine Wange und verharren schließlich dort. „Kilian. Mein Vater war so stolz auf den Namen. Der Name bedeutet Kämpfer. Jedes Mal, wenn er mich ansah, habe ich in seinen Augen Stolz und Liebe gesehen."
Ein kleines trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen, wurde aber gleich durch einen verkrampften ersetzt.
„Kilian, der Kämpfer. Ich dachte, als sie mich und meine Schwester unserem Onkel übergeben hatten, ich könnte meinen Vater doch noch stolz machen. Ich hatte mir vorgenommen, Inessa zu beschützen und dafür sorgen, dass niemand und nichts sie verletzte. Aber ich hatte versagt. Ein weiteres Mal."
Als könnte er es nicht mehr ertragen, mir weiter direkt in die Augen zu sehen, senkt er den Kopf und starrt den Boden intensiv an. Automatisch führte ich meine Hände zu seinen Wangen, die ich umschloss und seinen Kopf wieder hob, um ihn anzusehen.
Ich drücke mich von der Kante des Betts ab und plumpste neben ihm auf dem Boden. Doch statt mir in die Augen zu sehen, presste er die Augenlider fest aufeinander. „Sieh mich an. Bitte", flüsterte ich heiser.
Er tat nichts und blieb in seiner Position verharren und als ich dachte, ich müsste ihn zwingen, mich wieder anzusehen, öffnete er langsam gequält die Augen und schluckte schwer. Er wollte nicht, dass ich die überschwemmenden Emotionen in seinen Augen lodern sah. Den Zorn auf sich selbst und die Trauer um seine Familie.
Ich lehnte meine Stirn leicht gegen seine und das restliche übrige Getümmel, welches von noch von seiner Fassade übriggeblieben war, zerbröckelte. Sie zerfiel und er ließ es zu. Er wehrte sich nicht mehr dagegen.
„Mein Onkel trank. Er konnte den Tod seiner Schwester nur schwer hinnehmen. Die beiden waren Zwillinge und hatten eine gewisse Verbindung. Er kam immer betrunken nach Hause, brüllte alles und jeden an, was ihm zu Gesicht bekam. Er zerbrach alles, was ihm in die Hand gelang und war ständig ...so mies drauf. Er trug jeden Tag einen mächtigen Zorn mit sich. Zorn auf die ganze Welt."
Er hatte Jake und seine Schwester doch nicht ...geschlagen? Als Jake meinen geweiteten Blick bemerkte, schüttelte er den Kopf und seine Hand glitt zu meiner Hüfte.
Mental erschöpft zog er mich näher an sich ran und seine Lippen strichen sachte über meine Wangen.
„Er hat uns nicht geschlagen. Dafür liebte er meine Mom zu sehr. Aber er sorgte sich auch nicht um uns. Ich musste jedes Mal entweder Geld aus seinem Arbeitszimmer borgen – wenn er gerade in einer Bar war -, um für uns Essen zu besorgen, oder das Essen eben stehlen. Das Ganze ging fünf Jahre lang. Fünf Jahre, in denen ich alles versuchte, um Inessa trotz des Ganzen ein normales Leben zu verschaffen. Fünf ganz Jahre, in denen es mir sowohl physisch als auch psychisch nicht gut ging. Fünf Jahr ...bis auch er starb." Am Ende des Satzes brach seine Stimme.
Ich spürte seinen unkontrollierten Atem auf meiner Wange und beruhigend kraule ich ihm durch die Haare. Um ihm zu zeigen, dass ich hier war. Und auch hierbleiben würde. Für ihn. Auch wenn ich ganz genau wusste, dass seine nächsten Worte mich treffen würden.
„Einmal ...er war betrunken gefahren und hat meine Schwester mitgenommen. Er hat einen Lastwagen angefahren. Es war ein gelungener Selbstmord, ich weiß es, auch wenn die Polizei meint, dass es ein Unfall war. Aber er hat nicht nur sich das Leben genommen, sondern auch meiner unschuldigen Schwester." Seine Atemzüge wurden schneller, ungleichmäßiger. Und als er weiterfuhr, spürte ich seine Lippen an meine Wange zittern.
„Sie hat ...es nicht überlebt und ist im Krankenhaus gestorben. Vor meinen Augen, Bella. Sie lag leblos in diese Trage, während Leute umher gerannt sind und versucht haben, sie schnellstmöglich zum OP-Saal zu bringen. Ich habe tatenlos mitansehen müssen, wie sie ihren letzten Atemzug gemacht hat. Ihre Augen waren geschlossen, sie war so bleich. Es hat mich ...an die Leichen meiner Eltern erinnert. Erst da wurde ich von meiner Trance geweckt. Aber sie war schon weg, sowie ein weiterer Teil von mir. Inessa war das Letzte, was mir übriggeblieben war und ich hatte geschworen, auf sie Acht zu geben. Aber ich habe es versagt." Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
Ich erstarrte und fühlte nur eins.
Schock.
Seine Hände an meine Hüfte fingen an stark zu zittern und als er dies auch merkte nahm er sie weg, in der Hoffnung, ich hätte es nicht bemerkt. Er löste sich von mir und lehnte sich zurück. Schnell blinzelten die aufkommenden Tränen weg.
„Oh mein Gott, Jake!", stieß ich schließlich entsetzt hervor und meine Hand flog zu meinem Mund.
„Ich bin schuld an ihrem Tod, Bella. Ich ganz alleine", krächzte er und versuchte sich von mir wegzudrehen. Doch ich packte ihn an den Schultern und wirbelte ihn zu mir herum.
Ohne auch nur zu zögern, schüttele ich heftig den Kopf. „Jake, du bist das Auto nicht gefahren. Dein Onkel war krank. Physisches, du hast es selbst gesagt. Er konnte den Tod deiner Familie nicht ertragen. Du kannst dir doch nicht einfach die -"
Weiter kam ich nicht, denn er unterbrach mich. „Bella, du verstehst nicht. Ich -ich habe gehört, wie -" Er hielt inne und nahm einen tiefen Atemzug, ehe er weitersprach. Seine Stimme überschlug sich vor Emotionen. Er warf mir einen kurzen entschuldigenden Blick, als er merkte, dass er überfordert mit all den Gefühlen in sich war.
„Ich habe gehört, wie er – wie sein Assistent mit ihm gesprochen hat. Er ...er hat von Selbstmord geredet. Seine Stimme klang irre und überzeugt. Er hat gesagt, er kann so nicht leben und es die einzige Lösung sei." Er schluckte schwer. „Und das Einzige, was ich gemacht habe, ist zu versuchen, seine Worte zu vergessen, Bella. Weil sie falsch klangen. Ich habe nichts dagegen gemacht. Obwohl ich es wusste."
Diese Information schockierte mich, dass ihn einen Augenblick nur sprachlos ansah und nichts sagte. „Sage es ruhig, Bella. Ich bin ein Versager", sagte er mit bemüht nüchterner Stimme und zieht die Augenbrauen zusammen.
Meine Reaktion war eine Ohrfeige.
Ja, ich habe meinen Freund gerade geschlagen.
Und er hat es nicht kommen sehen.
Aber hat es auch verdient.
Zischend sieht er mich aus zusammengekniffenen Augen an. „Wird das jetzt zur Gewohnheit?", stöhnte er und sah mich etwas genervt an.
Na, wenigstens ist die Reue für einen Augenblick verschwunden. Ungerührt sah ich ihn an. Ich nahm sein Gesicht kurz darauf in die Hände und hauche ihm die nächsten Worte entgegen. „Ich liebe dich."
Erschrocken weiteten sich seine Augen und entgeistert sah er mich an.
Aber ich würde meine Worte nicht zurücknehmen. Nein. Weil sie echt waren. Und ich seit Wochen mit mir selbst kämpfe, ob und wie ich sie ihm sagen soll.
Aber jetzt, wo er mir seine schwache und sensible Seite zeigt – eine Seite, die er fast nie zur Schau brachte. Ich habe mich noch mehr in diesem jungen Mann verliebt als schon.
Und da war es richtig es ihm auch zu sagen. Im Moment war es auch mir egal, ob er es erwiderte, oder nicht. Im Moment.
Aber natürlich wählst du diesen Moment, nicht wahr? Du solltest den Weltpreis für die gefühlvollsten-Tätigkeiten-beziehungsweise-Worte-in-den-unpassendsten-Momenten kriegen, Bella, extra mit einer Belobigung, ohne Scherz.
Es war nicht zu übersehen, dass ich Jake mit meiner Aufklärung aus der Bahn geworfen hatte. Wahrscheinlich war er jetzt nur noch mehr verwirrt und überfordert. Super, Bella. Exzellent.
„Was?", raunte der Grünäugige vor mit geweiteten Augen.
Ich nickte sanft. „Ich liebe dich, Jake. Und du sollst wissen, dass es sich auch nicht ändert oder ändern wird. Nur wird es schwer, wenn ich mir länger anhören soll, wie du dir sinnlose Vorwürfe an dem Kopf wirfst. Was hättest du tun sollen? Ihn davon abgehalten? Mit 16? Woher überhaupt hättest du wissen sollen, dass das ernst gemeint war und dass es tatsächlich passieren könnt? Hmm? Kläre mir bitte diese Fragen und noch ungefähr tausend weitere, dann glaube ich dir. Außerdem – du hast es geschafft, ein Teil des schlechten Gewissens aus mir und dir wegen Dylans Tod zu vertreiben. Wieso handelst du hier anders? Jake, sieh richtig hin. Du bist und warst nie daran schuld."
Am Ende meiner wütenden Standpauke musste ich erstmal tief Luft holen, um mich zu beruhigen. Misstrauisch zog Jake die Augenbrauen zusammen und schien meine Worte in seinem Kopf verarbeiten zu wollen.
Ich seufzte. „Jake, willst du eine weitere Schelle?"
Seine Mundwinkel hoben sich tatsächlich ein winziges Stückchen und gedehnt schüttelte er den Kopf. „Die war genug für heute." Mit diesen Worten zog er mich auf seinem Schoss, schlang seine Arme um meinen Körper und vergrub das Gesicht in meiner Halsbeuge.
Ich schmiegte mich wohlig an seiner Brust und setzte den Kopf auf seine Schulter ab, meine Arme umfassten seinen Nacken.
„Wie bist du auf den Namen Jacob gekommen?", fragte ich dann vorsichtig.
Sein Atem kitzelte meinen Hals, als er ausatmete. „Ich heiße mit vollen Namen Kilian Jacob Walker. Nessa ...sie war zu früh auf die Welt gekommen. In der Regel sind bei einer Frühgeburt Gehirn, Herz, Nieren, Lunge, Darm und Immunsystem den Anforderungen eines Lebens außerhalb des Mutterleibes noch nicht ganz gewachsen. Sie hat für alles länger gebraucht als normale Kinder. Das gilt auch fürs Sprechen. Besonders schwer konnte sie den Namen ‚Kilian' aussprechen. Deshalb ...mein Vater hat ihr dann Jake beigebracht, weil es ihr um einiges leichter fiel, sich das zu merken. Weißt du, was ich meine?" Er machte eine Pause und wartete auf eine Reaktion meinerseits. Neugierig nickte ich und obwohl er mich nicht sehen konnte, wusste er es, da ich beim Bewegen des Kopfs auf seine Schulter traf.
„Als sie älter wurde, war sie quasi an den Namen gewöhnt. Sie hat mich trotz, dass sie Kilian problemlos sagen konnte, immer Jake oder Jacob genannt. Ich ...konnte damals nicht richtig mit ihrem Tod abschließen. Ich vermisste sie. Sehr. Es hat wehgetan zu wissen, dass sie nicht mehr bei mir ist. Und als ich ... im Heim abgegeben wurde, habe ich meinen Namen zu dem Namen geändert." Er zögerte und seine Hände verkrampfen sich leicht.
„Ich konnte den Namen Kilian nicht mehr tragen. Es fühlt sich wie ein Verrat an. Ich war nicht derjenige, den mein Vater in mir sehen wollte. Ich war ein Feigling", krächzte er.
„Du weißt aber mittlerweile hoffentlich, dass du's nicht bist, oder?", frage ich mit zu Schlitzen verengten Augen. Er fing an, zarte, federleichte Küsse an meinem Hals zu verteilen. „Ich will aber trotzdem weiterhin Jake genannt werden, Elfe. So bleibt sie immer bei mir."
Seine warme Stimme zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Er hat seine Schwester geliebt. „Ich wünschte, ich hätte sie kennengelernt", flüsterte ich zaghaft und müde schloss ich die Augen.
Jakes Lippen hielten mitten beim Küssen inne und sanft fuhr er mit den Lippen meinen Hals entlang. Ein wohliger Schauder durchlief meinen Körper und seufzend legte ich den Kopf in den Nacken, wobei ich ihm mehr Fläche anbot. „Sie hätte dich gemocht. Ihr habt einige Dinge gemeinsam", schmunzelte er.
Neugierig öffnete ich meine Augen ein kleines Stück. „Was sind das?"
Als er rau und tief gegen meinen Hals lachte, spürte ich seine Brust vibrieren. „Das Singen, den abscheulichen Musikgeschmack, die Abneigung gegen schwarzes Kaffee – und ihr beide liebt denselben Typen. Wobei eine mehr als nur brüderliche Liebe empfindet und nachts ihre Hände nicht bei sich behalten kann", neckte er mich.
Ich verdrehte die Augen und versuchte ihn zu boxen – die Betonung lag auf ‚versuchen'. Denn sobald meine Hand auf seinem harten Bauch traf, schoss eine leichte Schmerzwelle durch meine Finger und erschrocken nach Luft japsend löste ich mich aus der Umarmung.
Ein amüsiertes Grinsen legte sich auf seine Lippen und am liebsten würde ich diesen ihm weg boxen, doch ich unterdrückte den Impuls, da ich sowieso nur mir selbst wehtun würde.
Lachend, als hätte er meine Gedanken erraten, zog er mich näher an sich und müde ließ ich den Kopf gegen seine ebenfalls harte Brust sinken. Es war zwar leicht unangenehm und eigentlich sollte ich mich umziehen, da ich dieses wertvolle Kleid nicht ruinieren sollte, doch meine Erschöpfung gewann die Oberhand.
Sanft strich mir Jake über den Rücken, bis ich fast eingeschlafen war. Als er dachte, ich sei in tiefen Schlaf versunken, drückte er seine weichen Lippen auf meine Stirn, wo sie für eine Zeit dort verweilten. Er sprach drei Worte auf Spanisch aus, wobei seine Stimme kurz stockte.
„Te amo duenda."
Ich liebe dich Elfe.
3396 Wörter.
Definitiv das längste Kapitel ..
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