Forty-Four ~ Mom

Adora Campbell.

Ich las Mutters Namen immer und immer wieder. Und ignorierte dabei das schmerzhafte Ziehen in meiner Brust.

Bis auf die Knochen durchnässt stehe ich vor dem Gebäude, in das ich früher mit meiner Mom gewohnt hatte. Weil ich meine Mutter endlich nach mehr als ein halbes Jahr wieder sehen wollte. Und ich sie unglaublich vermisste.

Und doch schwebte meine bereits vor Kälte geröteten Fingerspitzen seit Minuten vor dem Klingelschild, ohne zu drücken.

Zu viel Angst saß tief in mir. Zu viel schlechtes Gewissen, weil ich sie so ohne Antworten verlassen hatte. Genau wie Vater es bei uns beiden damals getan hatte ...

Die negativen Gefühle plagten schwer auf mich, drohten mich zu überwältigen, während mein Herz noch weiter raste und mein Atem unkontrollierter wird. Meine leicht offenen Lippen zitterten ein wenig und ich konnte in der kalten Luft mein Atem als kleine Wölkchen vor mir sehen.

Tief nahm ich einen Luftzug, presste die Augenlider fest aufeinander und übte Druck auf der Klingel vor mir aus, bis ein leichtes Surren ertönt und mir bestätigte, dass mein Klingeln oben angekommen war.

Es war tausendmal schlimmer als der Albtraum in der Schule, wo man zu spät zum Unterricht kam, dazu noch klopfen musste und damit die ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war derart peinlich.

Und das hier ist viel gruseliger und peinlicher.

Ich war kurz darauf, mich umzudrehen, wegzurennen und irgendwann anders zurückkehren. Doch ich konnte meinen Plan nicht in Tat umsetzten, da sich die Haustür vor mir öffnet.

Meinen Mut zusammennehmend joggte ich die Treppenstufen nach oben. Und erblickte meine Mutter, die direkt mit gerunzelter Stirn vor der Tür mit verschränkten Armen stand, eine Decke um die Schultern.

Ich erstarrte. Und sie auch.

Augenblicklich stiegen mir die Tränen hoch und meine Schultern bebten sich verdächtig. Diesmal jedoch nicht wegen der Kälte.

Die Vertraulichkeit, als ich ihr müdes Gesicht mit den tiefen Augenringen musterte, verschlimmerte mein Gewissen nur noch mehr. Schnell presste ich die Hand auf dem Mund, um einen Schluchzer zu unterdrücken.

„Isabel?" Ich konnte den Unglauben aus ihrer Stimme sehr gut heraushören, ebenso wie die Hoffnung, was mir nur noch mehr das Herz zerbrach.

„Momia, soy yo. Bella", flüsterte ich unnötigerweise. Es fühlte sich surreal an, nach all dem, was passiert war, meine Mutter zu treffen. Sie zu sehen.

Mit ihrer nächsten Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Wirklich nicht.

In ein paar Schritten war sie bei mir, ihre dünnen Arme umschlangen meine zierliche Gestalt und hüllten mich schützend ein. Das war der Punkt, an dem ich schluchzend zusammenbrach. Dass sie mich trotz allem noch umarmen konnte, überwältigte mich.

Denn ich hatte es nicht verdient. Nein, überhaupt nicht. Es wäre so viel besser, wenn sie mich angebrüllt hätte. Angeschrien, dass ich ein dummes kleines Kind war, dass einen feuchten Dreck auf seine Familie und Freunde gab. Aber dazu hatten wir noch aller Zeit der Welt.

Weinend umklammerte ich sie und auch sie löste sich augenblicklich in Tränen aus, während ihr Körper anfing zu beben. „Kleines, ich habe auf dich gewartet. So lange", flüsterte sie mit erstickter Stimme, was nur dazu führte, dass mehr dumme Tränen meine Augenwinkel verließen.

Die Tatsache ignorierend, dass sie durch meine nassen Klamotten auch etwas Wasser abbekam, löste sie sich von mir und nahm meine eiskalte Hand, um mich in die Wohnung reinzuziehen.

Ich schlüpfe leicht zögerlich in die kleine und doch gemütliche Wohnung und zog die Tür hinter mir zu. Wortlos ging Mom in die Küche und ließ mich unbeholfen in den Flur stehen.

Schwerschluckend zog ich die Schuhe aus und hängte meine blaue Regenjacke an der Garderobe auf. Schnell bändigte ich mit einem Haargummi, welches an meinem Handgelenk war, mein nasses Haar und schüchtern tapste ich meiner Mutter hinterher.

Alles – die Möbel, die Deko, der Geruch – es war alles so vertraut und doch fremd. In dieser Wohnung hatte ich viele Erinnerungen mit meiner Mutter. Schöne und traurige.

Das Klappern in der Küche ließ mich aufhorchen und schnell sauste ich zu meiner Mutter, die dabei war, Tee für uns zu kochen. „Momia -", fing ich an, doch sie unterbrach mich mit einem Kopfschütteln.

„Liebes, ich muss immer noch verarbeiten, dass du zurück bist."

Ja, mein schlechtes Gewissen war, wenn möglich, noch größer. So groß, dass der Druck drohte mich zu überwältigen und zu Boden zu reißen.

„Es tut mir so unglaublich leid. Du kannst es dir nicht vorstellen", wisperte ich so leise, dass ich glaubte, sie hätte mich nicht verstanden.

Doch das hatte sie. Mit einem traurigen Lächeln drehte sie sich zu mir um. „Und es tut mir leid. Dass ich dich dazu ermutigt habe, dieser Band voller Mörder beizutreten."

Diese Aussage verblüffte mich. Verwirrte beobachtete ich, wie sie zwei Tassen aus dem Schrank holte und sie neben dem Herd aufstellte. „Mom, warte, wie meinst du jetzt?"

Sie seufzte schwer und schüttelte den Kopf. „Das sind nur Psychos, die dich in eine Sache reingeritten haben, mit der du rein gar nichts zu tun haben solltest."

Moment, wusste sie ...wusste sie über die Mafia Bescheid? Aber ...ich dachte, Vater hätte es ihr verschwiegen! So war's doch, oder?

Sie bemerkte meine verständnislosen Blicke und die leichte Überforderung, mit der ich zu kämpfen hatte. Schweigend nahm sie die Teekanne und goss uns beiden etwas in die Tassen ein.

Während ich versuchte Zusammenhänge zu finden, stellte sie eine Tasse vor mir und die andere nahm sie zur Hand und setzte sich an dem Tisch. „Querida, ich weiß alles über die Morde, die Jake, Dylan und Alex begangen haben. Ich wusste, du würdest ihnen entkommen und wieder zu mir kommen würdest. Wir werden dich aus dieser Sache holen, ich verspreche es dir."

Stirnrunzelnd nahm ich vor ihr Platz und fragte: „wie meinst du's? Ich komme nicht mit, Mutter. Was wird erzählt?"

Überrascht hob sie den Kopf. „Bells, die drei haben Menschen umgebracht und du wärst beinah eine von ihnen geworden. Sie sind Psychos und du wurdest in das Ganze reingezogen, dass die Polizei glaubt, du gehörst zu ihnen."

Was?

„Mom, was wird über uns erzählt?", fragte ich schärfer als beabsichtigt und jetzt war sie an der Reihe, mich verständnislos anzublicken.

„Bella, ich lese keine Zeitung, das weißt du doch. Ich höre nur ab und zu von meinen Kollegen etwas. Und Dylan, Jacob und Alexander sind psychisch krank. Sie haben wahl- und grundlos Menschen umgebracht. Die Leute glauben, du gehörst zu ihnen, aber ich weiß, dass du gezwungen wurdest, mein Kind. Es tut mir so leid."

Schmerzerfüllt sah sie mich an und am liebsten wäre ich geradewegs aus der Wohnung gerannt. Ich konnte es nicht ertragen. Das Ganze hier war mir offensichtlich doch zu groß. Wie sollte ich ihr bitte sagen, dass ich sie sogar anführe? Und nicht nur mitmachte? Sie wird mich hassen. Keine Zweifel.

Ich ließ den Blick überall in der Wohnung gleiten, nur nicht zu ihr. Schwerschluckend beäugte ich die Küche und – Moment, war das eine Männerjacke auf dem Tresen? Und eine Krawatte mit einem Portmonee, welches definitiv nicht meiner Mom gehört?!

„Mom, sind wir allein hier?", fragte ich sie alarmiert mit großen Augen und umklammerte die Tischkante, bereit, jeden Augenblick aufzuspringen, um von hier wegzukommen.

Stirnrunzelnd folgte sie meinen Blick und schien irritiert über meine Reaktion. Ja, Mutter, ich riskiere hier vermutlich eine Verhaftung, aber hey, immer positiv denken, wenigstens kannst du mich im Gefängnis jeden Tag besuchen kommen, und mich weiterhin sehen können.

Es sei denn, du würdest mich überhaupt jemals besuchen, wenn du wüsstest, was ich in den letzten Monaten gemacht hatte, während du hier um mich getrauert hattest ...

Schnell schob ich alle Gedanken beiseite und fixierte die Sachen auf dem Küchentresen. „Andrew ist noch hier. Aber er schläft gerade. Keiner Sorge, ihn würde nichts vor Sonnenaufgang wachkriegen." Ein warmes Lächeln zierte ihre blassen Lippen, was mein Misstrauen erweckte.

Gerade war bestimmt über Mitternacht, so hieß es, wir hatten nicht viel Zeit. Ein kurzer Blick auf die Wanduhr gab mir zu wissen, dass ich noch genau drei Stunden Zeit hatte, alles zu erklären. Was wiederum hieß: nicht lange um den heißen Brei reden.

Trotzdem konnte ich im Moment keinen klaren Gedanken fassen. Wer war dieser Andrew verdammt und was hatte er hier zu suchen? Gehörte er dem FBI? Oder vielleicht sogar der Polizei und sie hatten sie hergeschickt, weil sie wussten, irgendwann würde ich zurückkehren und sie müssten mich schnappen?

Denn Moms Freund konnte er schon mal nicht sein. Sie war seit Vaters Tod, trotz meiner Mühe, sie dazu zu überreden, nie und wirklich niemals auf ein Date. Und das neun Jahre lang. Wieso dann auf einmal?

Und der Typ schlief nach Mutters Ansage hier auch noch. Erschrocken sprang ich auf, wobei ich dabei die Teetasse vor mir beinah umkippte, doch momentan war das meine kleinste Sorge.

Endlich schien Mom aufzufallen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, von wem sie sprach und freundlicherweise klärte sie mich auf. „Oh, du kennst ihn noch nicht. Andrew und ich ...wir haben uns in der Nacht getroffen, in der du dein erstes Konzert hattest. Wahrscheinlich hattest du bemerkt, dass ich nicht live bei dir war, doch glaub mir so leid es mir tat, mein Auto gab mitten auf dem Weg den Geist auf. Und da kam Andrew und half mir."

Stimmt, mir war sehr wohl aufgefallen, dass nur Jasmine und Luca dort waren. Zögerlich entspannte ich meine Haltung, setzte mich dennoch nicht wieder hin. Schweigend wartete ich, bis sie mir erklärte, warum der Typ denn jetzt hier war.

Seufzend kam sie meiner stummen Aufforderung auf. Mit den beiden Händen umfasste sie ihre Tasse und sah sie statt mich an. „Er und deine Freunde haben mir in der Zeit, wo ich nach dir gesucht habe, sehr geholfen. Wir sind uns dadurch sehr nahegekommen, verstehst du? Ich hatte so lange ein schlechtes Gewissen wegen deinem Vater. Bis mir einfiel, dass er gewollt hätte, dass du und ich glücklich sind. Dir habe ich das immer gesagt. Dass du glücklich sein solltest. Und mir ist klar geworden, dass ich so auf dich fokussiert war, dass ich vergessen hatte, es mir selbst auch zu sagen."

„Magst du diesen Andrew?", fragte ich leise und suchte prüfend ihren Blick. Verlegen lächelte sie mich an. „Wir sind ...zusammen, Kleines."

Klar, ich bin stolz auf sie, dass sie endlich über ihren Schatten gesprungen war, um nach Glück zu suchen. Und doch entspannte mich diese Information kein Bisschen.

Trotzdem, Mom zuliebe setzte ich mich wieder hin und lächelte sie an.

Jasmine, Luca und Erik.

Sie hatte die drei erwähnt. Und bei dem Gedanken an meine Freunde zog sich meine Brust erneut zusammen. Genauso kehrte die Panik zurück. „Warte mal, sind sie hier?" Panisch sah ich meine Mutter an.

Wenn ja, würde ich dieses Gespräch hier nicht überleben. Nein, auf keinen Fall. Natürlich würde ich mich riesig freuen, sie alle wiederzuholen, keine Frage. Nur nicht jetzt und hier.

Das Gespräch mit nur meiner Mom raubte mir genug Nerven und Energie. Obwohl ich noch nicht einmal angefangen hatte. In der Vergangenheit zu meinem alten Leben zurückzukehren war doch schwerer als gedacht. Wenn man bedenkt, was ich alles in den letzten Monaten alles mit meiner neuen Familie erlebt und durchgemacht hatte.

Nur zu gerne würde ich meine Liebsten mein neues Leben zeigen, doch was, wenn sie es nicht akzeptieren würden? Wenn sie mich nun mit anderen Augen ansehen und mich endgültig verließen?

Nach meiner Flucht, an der ich keinem von ihnen etwas erzählt hatte, obwohl ich es hätte tun können, konnte ich es ihnen nicht übelnehmen. Nein, auf keinen Fall konnte ich sie heute alle sehen. Ich würde vor Schuldbewusstsein zusammenbrechen, ich sah es vor.

Eine gewisse Erleichterung überkam mich, als Mom meine Frage verneinte. Aber, dass sie sie immer noch besuchten, obwohl ich längst kein Lebenszeichen von mir gegeben hatte, ließ mein Herz erwärmen.

„Erzählst du mir, was bei ihnen momentan so los ist?", fragte ich zaghaft und nehme zum ersten Mal die Teetasse zur Hand. Langsam führte ich sie zu meinem Mund und nahm einen großen Schluck. Die warme Flüssigkeit tat meinem Rachen gut und genüsslich schloss ich die Augen.

Nichtsdestotrotz war ich immer noch wegen diesem Andrew wachsamer als vorher.

„Erik ist seit zwei Wochen in Italien, um dort Architektur zu studieren. Trotzdem ruft er die Woche einmal an. Jasmine hat vor ein paar Monate eine Zusage von ihrer Uni, für die sie seit lange beworben hat, bekommen und studiert Psychologie. Das letzte Mal war sie vor drei Tagen hier, weil sie frei hatte. Nur Luca weiß noch nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll", schmunzelte sie.

Es tat gleichzeitig gut und weh, von ihnen zu hören. Ich würde sie so schnell es ging besuchen und mich mit ihnen aussprechen, nahm ich mir fest vor.

„Aber hier geht es um dich, Kind. Bist du verletzt? Haben sie dir wehgetan?" Die Besorgnis in ihrem Blick war wie eine warme Decke, die mich umhüllte. Ich hatte sie vermisst. Mir war nicht bewusst wie sehr.

„Momia, es ist ...kompliziert und ich habe mehr in der Sache zu tun als du denkst." Allein diese Worte kosteten Mühe und vorsichtig sah ich zu ihr auf.

„Bells, hast du ...hast du mit ihnen Menschen getötet?"

Heftig schüttelte ich den Kopf. „Um Himmels Willen, nein! Nur mein Verstand, aber ist ja nicht so, als hätte ich eins."

Argwöhnisch und leicht irritiert sieht mich meine Mutter an und am liebsten hätte ich mir gegen die Stirn geklatscht. Ja, ich sollte wirklich nicht viel Zeit mit Alex verbringen.

„Sorry", murmelte ich nervös und sehe auf meine verknoteten Finger. Sie lächelte mich verständnisvoll an. „Du hast bestimmt viel durchgemacht, Liebes, schlaf dich aus, morgen reden wir weiter."

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als sie aufstand mich erwartungsvoll ansah. Doch ich rührte mich keinen Millimeter. „Mom, ich ...habe nicht vor lange zu bleiben", gab ich ehrlich zu und hob endlich den Kopf.

Tiefe Falten legten sich verwirrt in ihre Stirn und ich seufzte. „Jake, Dylan und Alex gehören zu Schach. Naja, Dylan hat dazu gehört, er ist ...gestorben."

Perplex sah sie mich an. „Schach? Die Mafia, die ...vor Jahren ausgestorben ist?"

Über Dylan schien sie nicht überrascht, vielleicht wusste sie es längst. „Wir bauen sie im Moment wieder auf", erklärte ich kleinlaut und vermied ihren Blick. Aber ich konnte schon ahnen, dass sich da Unglauben spiegelte.

Wir?" Fassungslosigkeit ließ ihre Stimme beben.

„Ich gehöre zu ihnen, Mutter. Ob ich es will oder nicht." Jetzt war es raus. Endlich.

Ich wurde an den Schultern gepackt und vom Stuhl hochgezogen. Erschrocken sah ich meine Mutter endlich an. Sie legte mir eine Hand auf die Stirn, als wolle sie testen, ob ich Fieber hätte.

„Was redest du da? Isabel, geht es dir wirklich gut?" Wir sind jetzt wieder bei Isabel. Das Thema war also ernst für sie. Nicht, dass es für mich das nicht wäre.

Ich nahm ihre Hand von meinem Gesicht ab und schüttelte den Kopf. „Ich ...ich bin die Anführerin, Mom. Dad hat es gewusst und höchstwahrscheinlich gewollt."

Ihre Hand schlug auf dem Holztisch und ich zuckte zusammen. Unruhig warf ich Blicke in Richtung die Schlafzimmer, doch zum Glück schien der Typ nicht aufgewacht zu sein. Jedenfalls kam er nicht raus, um den Verursacher fürs Geräusch zu suchen.

„Isabel, komm jetzt nicht mit deinem Vater!"

Bemüht meine Verzweiflung nicht zu zeigen, erwiderte ich: „er hat aber viel mit allem zu tun, als du je denken würdest."

Und damit sprudelte alles aus mir heraus. Ich redete und redetet, dass langsam die Worte wie von selbst meinen Mund verließen und ich sie nicht mehr stoppen konnte. Ich erzählte Mom alles, was seit der Flucht passiert war, auf welche harte Tour ich erfahren musste, dass ich zu Schach gehörte.

Ein paar Sachen, wie die tot aufgefundene Katze, dass ich diejenige war, die Jones tote Leiche entdeckte hatte, der Beef zwischen den Leo's und der Whites mit uns, meine Beziehung zu Jake, ließ ich absichtlich aus. Wegen Jake, weil ich sie nicht komplett überfordern wollte und bei den anderen Dingen wollte ich nicht, dass sie sich deswegen unnötig Sorgen machte.

Hauptsächlich jedoch redete ich nicht über die Geschehnisse, sondern über meine Gefühle. Die Einsamkeit und die Angst, die ich anfangs verspürte und mit Mühe verdrängt hatte, die Sehnsucht nach meinem alten Leben, die Tatsache, dass mich das Heimweh mehrere Nächte wachhielt.

Alles, über das ich mit Alex oder Jake nicht sprechen konnte, sprudelte aus mir raus, wie ein Ballon, in dem kein Luft mehr passte, dass er irgendwann platzte.

Ich konnte mit den anderen darüber einfach nicht reden. Ich wollte ihnen den Eindruck vermitteln, dass ich alles im Griff hatte und mein altes Leben hinter mir gelassen hatte. Dass ich all das akzeptiert hatte.

Aber, wenn ich ehrlich mit mir selbst war, über die problemlose Vergangenheit fing ich erst vor ein paar Wochen an, hinwegzuschauen. Nachdem ich Dylans Tod verarbeitet hatte, war mir klar, ich musste endlich einen klaren Schlussstrich ziehen und einen neuen Start wagen.

Und der begann mit einem Gespräch mit meiner Familie. Mom, Jasmine, Luca und Erik.

Ich redete ununterbrochen und mit jedem Wort, welches meinen Mund verließ, wurde der Druck, welcher wie ein erdrückender Stein über meine Brust lastete, kleiner und leichter. Meine Mutter hörte mir stumm zu und Sekunden, Minuten gar Stunden verstrichen.

Schlussendlich lagen wir beide schweigend auf dem Küchenfliesen. Sie saß im Schneidersitz und ich kauerte mich auf dem Boden, mein Kopf ruhte auf ihrem Schoss, während sie mir wie früher in Kindheitszeiten über die Haare strich.

Schniefend wischte ich mir die Tränen, welche ich unterbewusst vergossen hatte, mit dem Ärmel von der Wange weg und schloss kurz müde die Augen. Die Ruhe war seltsam befriedigend.

Bis Mom sie unterbrach.

„Du wirst das Ganze auflösen, Kleines."

Erschrocken fuhr ich hoch und sah fassungslos in die ernste Miene meiner Mutter. Kopfschüttelnd hauchte ich ihr die nächsten Worte entgegen. „Was zur Hölle?!"

Sie nickte, als würde sie damit ihre vorherige Aussage bestätigen und strich mir sanft eine Strähne, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, nach hinten. „Du hast mich richtig gehört. Du bist die Anführerin Bells, setze dem Horror ein Ende. Du bist nicht das Böse und das wirst du nie sein. Ich kenne dich, Kleines."

Denkst du.

Ich sprang auf und ging zwei Schritte nach hinten, um Abstand zwischen uns zu schaffen, wobei ich den Kopf abermals schüttelte. „Mom, hast du mir zugehört?!"

Ich hatte zu 100 Prozent erwähnt, dass ich es nicht konnte. Niemals, nicht einmal in 100 Tausend Jahren. Diese Mafia – sowohl die Blacks als auch die Whites – sind in den letzten Monaten für mich wie eine Familie geworden. Ich konnte das weder mir noch ihnen antun.

Früher hätte ich meiner Mutter höchstwahrscheinlich sofort zugestimmt. Ich hatte nie Entscheidung selbst treffen müssen, weil sie sich immer einmischte und ich nach ihrer Pfeife tanzte. Weil sie mir immer sagte, dass sie mich verstünde, wie kein anderer und sie nur das Beste für mich wolle.

Auf ihre Meinung hatte ich früher viel Wert gelegt. Aber jetzt traf ich meine Entscheidungen selbst und sah alles aus meinen Perspektiven, ohne Hilfe von irgendjemandem.

Meine Mom kannte mein altes ich.

Ihr war wahrscheinlich immer noch nicht bewusst, wie ich mich verändert hatte.

„Doch Bells und das Einzige was ich verstanden habe, ist, dass dich das Ganze belastet", entgegnete sie scharf.

Hätte ich ihr doch bloß nur das Nötigste verraten. Laut fluchend lief ich zum Küchentresen und stürzte dort die Hände ab, den Rücken zu meiner Mutter gedreht.

Wieso konnte ich mich nicht zurückhalten und meine verdammten Gefühle weiterhin für mich behalten?! Ich hatte es doch mehr als ein halbes Jahr geschafft, was zur Hölle war mit mir los, dass ich so leicht nachgab, verdammt?

Ich kannte meine Mutter, sie drehte mir die Worte in den Mund und ordnete sie so, wie sie es verstehen und hören wollte.

Hinter mir hörte ich, wie sie nach Luft schnappte. Ihr wurde anscheinend bewusst, dass ich dieses Mal nicht vorhatte, auf sie zu hören. Ein drohender Unterton legte sich plötzlich in ihre Stimme, als sie wieder sprach. „Bella, ich bin deine Mutter und du bist erst 19 -"

„Ich bin vor einen Monat und halb 20 geworden, Mutter", warf ich trocken ein.

Es stimmte. Mittlerweile hatten wir Ende September und mein Geburtstag war am achten August.

Ich war einfach 11 Monate weg, in einem Monat schon ein Jahr ...

„Und trotzdem bist du noch minderjährig! Bella, das ist zu viel Verantwortung für dich, du bist noch ein Kind, du kannst keine gottverdammte Bande anführen, die auch noch illegale Geschäfte treibt! Bitte, Kleines, beende diesen Terror und wir werden deinen Namen bei der Polizei reinwaschen!" Am Ende des Satzes wurde ihre Stimme schon flehend.

Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht lesen, da ich immer noch mit dem Rücken zu ihr stand, aber wenn ich ihr ins Gesicht sehen würde, dann war ich mir sicher, dass sie diesen Blick hatte, der sowas wie „ich will nur das Beste für dich" sagte.

Doch sie konnte mich nicht umstimmen. Sie hatte keinen Einfluss mehr auf meine Entscheidungen. Mein Entschluss war längst gefallen. Und das sollte sie langsam kapieren.

„Mein Alter hat keine Rolle gespielt, als du mich dazu ermutigt hast, der Musikband beizutreten", gab ich deshalb nur spöttisch zurück und vergaß meine Tonlage auf gesenkt zu halten.

Auch ihre Stimme wurde lauter. „Das war ein großer Schritt für deine Traumkarriere und keine Möchtegern-Mafia, die irgendwann in den Knast ja sogar in den Tod enden wird!"

„Dad war in diese Möchtegern-Mafia!", brüllte ich und Tränen der Frustration bahnten sich auf.

„Dann war dein Dad nicht der Held, für den wir ihn gehalten haben, sondern ein verdammter Gauner, der arme Leute bestiehlt!", kreischte sie zurück.

„Was zur Hölle geht hier vor?!"

Erschrocken wirbelte ich herum und erblickte an der Türschwelle von Moms Schlafzimmer einen halbnackten Mann nur in Unterwäsche, wobei sein Unterhemd leicht nach oben verrutscht war und seinen kleinen Bauch etwas freigab. Sein blondes Haar standen in alle Richtungen ab und verwirrt strich er sich über sein Dreitagebart.

Andrew?!

Von wegen, er würde vor Sonnenaufgang nicht wach sein. Ich warf meiner Mutter vernichtende Blicke, die sie verlegen erwiderte. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

Sie hatte mich wegen der Sache angelogen.

Wütend spannte ich den Kiefer an.

Andrews Blick auf mir fiel. En erfreuter Ausdruck legte sich auf seinem Gesicht und ein nettes Lächeln zierte seine schmalen Lippen. „Du musst Bella sein, Adoras Tochter, die wir suchen!"

Nein, nur das Gespenst von nebenan, du Hornochse.

Schnell nahm ich meine unausgesprochenen Worte zurück und blickte verlegen den Boden an. Der Mann hatte meine Mutter monatelang geholfen, nett zu ihm zu sein, ist das Mindeste, was ich im Moment tun konnte und auch sollte.

Er klatschte in die Hände und lief Richtung das Netztelefon. „Wir müssen die Polizei informieren, dass du zurück bist, sonst machen sie sich Sorgen ..."

Nein, sie würden dir eher 100.000 Doller schenken, wenn du mich ihnen auslieferst. Ruckartig zog ich die Waffe hervor, die mir Jake mitgegeben hatte raus und mit beiden Händen umklammert richtete ich sie auf Andrew, der schon zum Telefon gegriffen hatte.

So viel zum Thema, nett zu dem armen Kerl zu sein.

„Lass es fallen", befahl ich mit eiskalter, dominanter Stimme und setzte mein Pokerface auf. In letzter Zeit konnte ich wirklich ganz leicht von emotional zu gefühlskalt wechseln. Etwas, was ich öfter in den vergangenen Monaten tun musste.

Doch so schnell ließ sich der Mann nicht beirren. Sein Blick zuckte zwischen mir und meine Mutter, die sich wie zur Säule erstarrt nicht vom Fleck gerührt hatte und mich mit großen Augen ansah.

Nein, das war nicht ihre Tochter, zu der ich einmal werden sollte. Das hier ist die Frau, die Dad aus mir machen wollte. Seine weibliche Vision.

Er war jemand, der seine Familie und Freunde liebte, für sie alles Opfern würde und dennoch hatte er eine kalte Seite, mit der er eine Mafia anführte.

Ungeduldig schnalzte ich mit der Zunge. „Lass. Das. Gottverdammte. Telefon. Fallen. Kapiert?"

Endlich schienen meine Worte zu ihm durchzudringen. Er zuckte zusammen und ließ wie befohlen das Festnetztelefon fallen. Die ungeladene Pistole immer noch auf Andrew geruht, sah ich zu meiner Mutter.

Ihr angsterfüllter Blick gab mir einen leichten Stich in die Brust. Nein, gegen sie könnte ich niemals eine Waffe richten, denn egal, wie sie auf meine Entscheidungen reagierte, ob sie mich beleidigen, verfluchen würde, ich könnte es nie tun.

Sie war die Frau, die mir jahrelang auf sie Seite gestanden und mich groß erzogen hatte. 19 Jahre lang hatte sie dafür gesorgt, dass ich Essen und Trinken sowie ein Dach überm Kopf hatte. Ich liebte sie, egal, wie sehr sie mich durch meine Entwicklung, hassen würde.

Und ich verstand es. Ich verstand sehr gut, dass sie mich nicht mehr akzeptieren konnte. Ich war zu dem geworden, was sie gehasst hatte.

„Wenn du Vater einen Gauner nennst, Mutter, dann tust du's auch bei mir. Wie der Vater, so die Tochter. Ich werde das, was mir Dad weitergegeben hat, führen und dazu beistehen. Weißt du, ich hätte dir so vieles verraten, was ich nicht preisgeben darf. Ich war naiv zu denken, du würdest verstehen. Wie konntest du auch? Ich habe dir alles erzählt, jetzt liegt die Entscheidung bei dir, ob du mich immer noch unterstützen willst, oder mich nie wiedersehen willst. Du musst dich nicht heute entscheiden."

Andrews Blick schweifte irritiert zwischen uns, während Mom mich nur weiterhin stumm mit großen Augen ansah.

Seufzend drehte ich den Kopf zu ihrem Freund. „Das Telefon."

Er verstand sofort und kickte mir widerwillig den schwarzen Apparat zu. Ich hob es auf und während ich mit einer Hand die Waffe nach wie vor hochhielt, holte ich mit der anderen die Batterien raus und ließ sie in meine Hosentasche verschwinden.

Das nicht mehr funktionsfähige Telefon stellte ich unter der Spüle und ließ das Wasser drüber laufen. Mit einem letzten schmerzerfüllten Blick Richtung meiner Mutter, drehte ich mich auf dem Absatz um, schnappte mir meine Jacke aus der Garderobe und verließ schnell die Wohnung.

Draußen regnete es nicht mehr, dennoch zog ich die blaue Regenjacke über und verbarg mein Kopf unter der Kapuze. Die Hände in die Taschen vergraben lief ich gezielt auf das nagelneue schwarze Auto, welches auf der anderen Straßenseite geparkt war mit einem letzten Gedanken an der Konversation mit meiner Mutter.

Ob ich die ganze Aktion bereute?

Nein, keineswegs.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top