Forty ~ "ALEX!"
„Du bist am lästigsten, Kilian. Dich sollten wir als Erstes loswerden", sagte Dylan mit samtweicher Stimme, die das genau Gegenteil von seinem steinharten Blick entsprach und feuerte, ohne mit der Wimper zu zucken.
Dann geschah alles viel zu schnell. Ryan hinter Dylan zögerte nicht und verpasste dem Lockenschopf einen lähmenden Schlag gegen den Rücken, entsetztes Keuchen entwich Kay und den anderen Whites und Alex schubste seinen besten Freund aus dem Zielpunkt.
Der Schlag des Whites traf Dylan unerwartet und plötzlich, dass er mich augenblicklich losließ. Kraftlos und wie eine Verrückte nach Luft ringend fiel ich in die Knie und meine Hand fuhr automatisch meinen wunden Hals entlang.
Doch kaum hatte ich die Stelle kurz über meine Kehle berührt, durchfuhr mich ein Schmerz und als hätte ich wäre an meinem Hals eine glühende Herdplatte, zog ich zischend die Hand zurück und verzog schmerzerfüllt das Gesicht.
Garantiert hatte mir Dylans kräftiger Griff violette und blaue Abdrücke hinterlassen, doch das war im Moment meine geringste Sorge.
Sobald sich meine Atmung normalisierte, kehrte wieder etwas Kraft in mir. Keuchend stützte ich mich mit der Hand auf dem Betonboden und erhob mich mühsam. Während ich gekonnt die Schmerzen an meinem Hals ignorierte, die mir das Atmen erschwerten, drehte ich mich zu Dylan um, der mich aus großen Augen ansah und wahrscheinlich immer einen Schock erlitt.
Als er sich langsam wieder einfing, bekam ich Panik und tat das erste, was mir in den Sinn einfiel. Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie und kickte ihm zwischen die Beine. Das gab den Rest. Mit einem erschrockenen Laut brach Dylan mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen, die Waffe rutschte ihm aus der Hand.
Ohne weiter Notiz von ihm zu nehmen, drehte ich mich zu Alex und Jake um. Und erstarrte. Der Blonde lag auf dem Boden in die Knie und sah mit weit aufgerissenen Augen auf sich herab. Sein Blick lag ebenso wie meins auf die Schusswunde in seinem Bauch.
Es brauchte kein Einstein, um zu wissen, dass die Kugel ihn statt Jake getroffen hatte. Schnell überbrückte ich die letzten Meter, die uns voneinander trennten und fiel entsetzt neben meinem Freund in die Knie. Ein Schub Adrenalin schoss durch mein Blut und in mir stand alles in Alarmbereitschaft.
„Nein, nein, nein", flüsterte ich immer wieder entsetzt und schüttelte unkontrolliert den Kopf, während meine Sorge mich überwältigte. Meine zitterigen Finger führte ich unbewusst zur Wunde und drückte diese, um die Blutung zu stoppen.
„Er verliert zu viel Blut", fluchte Jake und ließ sich neben mir nieder. Verzweifelt drehte er den Kopf zu den Whites, die uns wie zu Säulen erstarrt, anblickten. „Verdammt, hilft uns doch!" Ich sah in seinen Augen Tränen, die er aber schnell wegblinzelte und sich auf seinen besten Freund konzentrierte.
Mittlerweile kannte ich Jakes Schwächen. Neben seiner Vergangenheit, über die er kein Wort mir gegenüber erwähnte und die Fassung verlor, sobald einer seiner Freunde drauf anspielte - wie Alex es getan hatte, als wir in Jakes Onkels Haus eingezogen waren – waren es seine Freunde.
Ich hatte herausgefunden, dass wenn eins für ihn wichtiger war, als sich selbst, dann die Menschen, die ihm am nächsten standen. Zur Not traue ich ihm zu, dass er sich für das Leben seiner Freunde opfern würde.
„Alex! Alex, hörst du mich?", flüsterte Jake und seine Augen suchten die seines besten Freundes. Seine Hände, die erstaunlicherweise weit aus ruhiger waren als meine, halfen mir die Wunde zuzudrücken.
„Bitte, Alex", wimmerte auch ich leise und meine Brust hob und senkte sich ungleichmäßig, während sich meine Hände immer weiter verzweifelt auf Alex' Bauch pressten und ich in seinem Gesicht nach einer Regung suchte. Doch der Blonde stand entweder unter Schock, oder er schätzt seinen Schmerz ein.
„Adam!", nahm ich undeutlich wahr, wie Ryan nach einem aus seinem Team rief, der auch Sekunden später neben uns auftauchte. „Ich glaube, ich spüre die Kugel", japste Alex plötzlich, sein Brustkorb hob und senkte sich in einem unregelmäßigen Tempo.
Er legte kraftlos die Hand auf Jakes Schulter und wollte sich anscheinend stemmen, doch ich drückte ihn an der Schulter auf dem Boden zurück. „Nicht bewegen!" Erleichtert darüber, dass er ein Lebenszeichen von sich gab, ignorierte ich das ganze Blut um uns herum.
Normalerweise hätte ich mir längst die Seele aus dem Leib gekotzt, doch ich denke, der Stromschuss in mir blendete meine Abneigung gegenüber der glänzenden Flüssigkeit für dieses eine Mal aus.
„Lasst mich mal! Wir müssen sehen, ob die Wunde lebensgefährlich ist!", rief der White neben uns und zog Alex das Oberteil aus. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, als wir den Stoff von Alex' rissen und sein blutverschmierter Bauch zum Vorschein kam.
Die Kugel hatte ihn nicht mitten in den Bauch getroffen, mehr seitlich. Verzweifelt sah ich zu Adam, der die Wunde identifizierte und betete zu allen Göttern, dass Alex gerade nicht zwischen Leben und Tod schwebte. Noch jemand zu verlieren, der mir nah stand, brauchte ich momentan am aller wenigsten.
„Er wird's wahrscheinlich überleben, wir müssen ihn nur schnell in unserem Quartier bringen, bevor er noch mehr Blut verliert. Ich denke nicht, dass wichtige Organe beschädigt wurden. Trotzdem soll die Kugel vorerst drinbleiben, wenn wir sie rausholen, wird er in Sekunden verbluten." Er sah über die Schulter und rief nach Ryan.
Sein Anführer, der dicht hinter ihm stand und mit leichter Besorgnis zu uns schaute, nickte und gab die Befehle weiter. Zwei Whites kamen zu uns und hoben Alex vorsichtig auf.
„Fuck, werde ich auch sterben?", fragte Alex rau und ließ sich kraftlos tragen. Seine glasigen Augen richtete er auf mich und Jake. Ich bemühte mich um ein Lächeln und strich ihm eine Strähne aus dem bleichen Gesicht.
„Nein, nein, du nicht", flüsterte ich und würde ihm am liebsten vor Erleichterung anspringen. Doch ich rief mir in Erinnerung, dass sein Zustand noch kritisch ist und längst nicht gut.
Auch Jake erhob sich. „Wir müssen schnell los, bevor die Polizei kommt!"
Ich drehte mich schwungvoll zu ihm um, packte ihn am Kragen seines schwarzen Pullovers – wobei ich die Tatsache ignorierte, dass meine Hände rot von Alex' Blut glänzten - und zog ihn an mich.
„Wa -", begann er überrascht, doch bevor er zu Ende reden konnte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um mit ihm auf Augenhöhe zu kommen, schloss die Augen und drückte meine Lippen auf seine.
Ich hätte mir keinen ungünstigeren Augenblick aussuchen können, um Jake meine Gefühle zu gestehen. Ich schob es jedoch auf das Adrenalin, das mich nicht mehr klar denken ließ.
Jake stand einfach nur bewegungslos da und gab keinen Mucks von sich. Das holte mich wieder zurück und vorsichtig wollte ich mich von ihm lösen und mir innerlich für meine bescheuerten Gefühle ohrfeigen. Doch kaum hatte ich mich von ihm gelöst, als seine Hand meine Taille fand und er mich näher zu sich zog, um den Kuss nicht weniger leidenschaftlich zu erwidern.
So hatte ich mir meinen ersten Kuss definitiv nicht vorgestellt, vor einem alten Krankenhaus, vor Kurzem erfahren, dass uns unser bester Freund uns tot sehen wollte und in dem Wissen, dass mein bester Freund am Sterben lag.
Dennoch empfand ich es als nötig. Ich wollte nicht, dass er wieder weglief. Von mir weg. Ohne das Wissen, das er von mir geliebt wurde. Ob freundschaftlich oder nicht, war im Moment nicht wichtig.
Ich verdrängte alles aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf Jakes weichen Lippen, die sich rhythmisch mit meine bewegten. Als wir uns voneinander lösten, um Luft zu holen, sahen wir uns in die Augen.
Seine Wangen waren gerötet und die rötlichen Lippen angeschwollen. Sein Atem ging ebenso wie meins ungleichmäßig. Ich suchte in seinem Blick nach Reue, doch sah nichts außer Verlangen, Wärme und Liebe. Und es war mir herzlich egal, wenn die anderen es nicht gutheißen würden. Denn ich brauchte ihn. Ich wollte ihn verdammt.
Als Jake seine Hand sanft auf meine Wange legte und atemlos mit dem Finger meine geschwollene Unterlippe nachfuhr, erinnerte ich mich daran, dass er mich und Alex mit einer sinnlosen Entschuldigung tagelang zurückgelassen hatte. Also trat ich einen Schritt zurück und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
Gott, meine Hormone spielten gerade verrückt.
Jakes Kopf flog zur Seite und verdutzt sah er mich an. Wahrscheinlich hinterfragte er sich, womit er die Ehre hatte, eine gehauen zu bekommen. Oder er fragte sich, warum er meinen Kuss überhaupt erwidert hatte.
Er schien etwas sagen zu wollen, doch als sein Blick kurz über meine Schulter schweifte, riss er die Augen auf. „Vorsicht! Dylan!", brüllte er laut und ich drehte mich blitzschnell um, wobei ich mit allem rechnete.
Meine Augen folgten Jakes und ich sah's nun auch. Dylan hatte mit schmerzverzerrtem Gesicht versucht nach der Waffe, die ganz nah neben ihm lag, zu greifen. Ryan jedoch kam ihm zuvor, pickte die Pistole und ohne mit der Wimper zu zucken, erschoss er den Lockenschopf.
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zu, wie Dylan zusammenbrach und regungslos auf dem Boden blieb, während sich um ihn eine Blutlache bildete. Und obwohl uns alle in den Tod reißen wollte, stiegen mir Tränen in den Augen und ein stechender Schmerz durchfuhr mich.
Wir würden wohl nie wissen, warum er uns verraten hatte. Wieso er uns so sehr hasste, dass ich den Eindruck hatte, er würde uns sogar persönlich dem Todesengel überreichen.
„Wieso?", wimmerte ich leise auf und Jake legte sanft seine Hand auf meine Schulter. „Wieso müssen die Menschen, die uns am nächsten stehen, uns verraten?", fragte ich mit erstickter Stimme und drehte mich zu Jake um.
Auch er hatte Tränen in den Augen, die er, aber vergeblich versuchte zu wegzublinzeln. „Ich weiß es nicht, Elfe. Ich weiß es nicht", flüsterte der Grünäugige und schluchzend schlag ich die Arme um seine schmale Hüfte, das Gesicht in seine Brust vergraben, wobei es mir egal war, dass wir blutverschmiert waren.
„Das kann ein Neuanfang werden. Ein Neuanfang für uns alle und für die Mafia", hauchte Jake leise und trat einen winzigen Schritt zurück, um mich anblicken zu können. Seine Hand umschloss sanft meine Wange, während sich sein Blick in meiner bohrte.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals und sah weg. „Das könnte es wirklich werden. Wenn wir nicht von irgendwem wieder verraten werden", fügte ich trocken hinzu und schniefte.
Jake zuckte zusammen und als ich realisiert, was ich gerade gesagt hatte, schlang ich die Arme um meinen Oberkörper und murmelte kleinlaut eine Entschuldigung.
Es musste hart für ihn sein zu wissen, dass er jahrelang jemand vertraut und wie seinen eigenen Bruder geliebt hatte, der eigentlich ein Verräter war.
Es würde wahrscheinlich dauern, bis Alex und er drüber weg konnten.
„Wir müssen los, wahrscheinlich wird sich die Polizei langsam fragen, warum Dylan ihnen kein Signal gesendet", meldete Ryan plötzlich unruhig.
Verwirrt drehten Jake und ich uns zu ihm um. Als er merkte, was er gesagt hatte, kratzte sich der Blonde verlegen den Kopf. „Eh ...wir haben alles, bevor wir gekommen sind, kontrolliert und das Netz hier komplett abgelegt, weshalb auch Dylans Signal nicht angekommen sein kann. Und die Kameras sind auch manipuliert worden."
Oh, okay. Okay. Die Whites waren eindeutig viel besser in ihrem Job als wir.
„Danke", sagte ich zu ihm und meinte es aufrichtig. Er hatte uns wahrscheinlich das Leben gerettet. Alex' sowieso.
„Nur weil wir euch helfen, heißt das lange noch nicht, dass die Sache zwischen uns geregelt ist", warnte uns der Anführer der Whites und sein Blick wurde wieder hart.
Nein, natürlich nicht. Es gab noch vieles zu erledigen ...
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