Eight ~ "Damn!"

„Wie oft warst du schon auf der Bühne vor Publikum?"

Meine Augen fixierten den Stift zwischen meinen Fingern und ich befahl mir ruhig zu bleiben.

Jakes und Alex beruhigende Blicke war das Einzige, was mich noch in diesem Raum aufhielt. Dylan musste vorhin los. Familiennotfall, hatte er knapp erklärt und war dann sofort aus dem Saal verschwunden.

Ich rutschte tiefer in dem Sessel gegenüber dem Manager und zuckte mit den Schultern. „Noch nie", beantwortete ich seine Frage und sah ihm fest in die Augen, ohne vor seinem prüfenden Blick zurückzuschrecken, wie mein Inneres es tat.

„Soso, noch kein einziges Mal?", fragte er erneut und hob eine Augenbraue. Genervt blies ich die Wangen und unterdrückte den Impuls die Augen zu verdrehen.

„Du hast es gehört, Josh, stell keine Fragen doppelt", sagte Jake von seinem Sessel aus und machte sich nicht die Mühe, seine Genervtheit und seine Ungeduld zu verbergen. Josh warf ihm ein Unterbrich-mich-nicht-Freundchen-Blick, den ich sehr gut von meiner Mom kannte.

„Wir sind fast fertig, nur noch zwei Fragen vor dem mündlichen Test." Er redete ja wie meine Lehrer aus der High School. Mündlicher Test, dass ich nicht lache. Eine bessere Beschreibung zu meiner Probe war ihm wohl auf die Schnelle nicht eingefallen.

„Na dann, leg los, ich will nicht die ganze Nacht hier verbringen", sagte ich leise und befeuchtete die Lippen. Josh sah auf das Blatt in seiner Hand und notierte kurz etwas.

„Welche Instrumente spielst du und seit wie lange?"

Leichte Frage, leichte Antwort. „Geige, seit sechs bis sieben Jahren", antwortete ich und strich mir kurz eine Strähne hinters Ohr.

Kurz hob Josh anerkennend eine Augenbraune, ehe er fortfuhr. „Hast du schon mal einen Song geschrieben?"

Meine Haltung wechselte in Sekundenschnelle von entspannt und genervt zu verkrampft und zurückhaltend. Meine Augen weiteten sich kurz und ich musste schwer schlucken.

Meine Sicht wurde leicht benebelt und eine versteckte Erinnerung in meinem Inneren trat hervor. Eine Erinnerung, die ich seit langem zurückgedrängt hatte.

Sie war sehr schön und jedoch so schrecklich traurig ...mit meinem Dad. Vor elf Jahren, als ich neun war. Unwillkürlich spielte sich die Szene in meinem Kopf wieder.

„Momia, ich kann es nicht, das ist zu schwer!", heulte ich und zerknüllte das Blatt, während meine Mom in der Küche vor dem Herd stand und versuchte etwas Essbares für das Mittagessen zu vorbereiten.

Normalerweise kochte Dad, da Mom kein besonderes Talent für kochen oder backen hatte. Doch heute musste er an wichtige Akten arbeiten und deshalb übernahm Mom freiwillig das Kochen. Ich wusste jetzt schon, dass ich das Zeug nicht anrühren wollte.

„Bella, Schatz, geh zu deinem Vater. Du siehst doch, wie beschäftigt ich bin. Wenn er nicht kochen kann, kann er dir wenigstens bei deinem verdammten Song helfen", sagte Mom überfordert und gab Salz in dem Topf ein.

„Du hilfst mir nie! Das ist so gemein!", schmollte ich, riss ein Blatt vom Block, nahm mir ein paar Stifte von dem Mäppchen auf dem Esstisch und rannte zum Arbeitszimmer meines Vaters.

Ohne zu klopfen riss ich die Tür auf und warf die Sachen vor mir auf dem Boden. Dad sah perplex von seinen Blättern auf dem Schreibtisch auf und sein Blick fiel auf mein schmollendes Gesicht.

„Was ist los, Bells?", fragte er besorgt und legte den Stift in seiner Hand beiseite. „Papa! Momia ist gemein zu mir! Sie will mir nicht helfen!", rief ich sauer und stampfte mit den Füßen.

„Komm her, Kleines. Ich werde dir helfen", sagte er sanft und bereitete seine Arme aus. Ich hob das Blatt und einen Stift vom Boden ab und rannte auf Dad zu, der mich hochnahm und auf seinem Schoss setzte.

Mein Blick fiel auf seine Zeichnungen von verschiedenen Schachfiguren auf dem Schreibtisch. Er hatte schon immer eine seltsame Leidenschaft für Schach.

„Wobei brauchst du Hilfe?", fragte er und strich mir mein wirres Haar vom Gesicht. „Ich will einen Song schreiben über mich, dich und Momia!", grinste ich stolz. Dad lachte leise und kratzte sich den Arm.

Er trug ein T-Shirt, was für ihn untypisch war, da er öfter langärmlige Shirts und Pullover anzog, um Aufmerksam auf seinem Tattoo am Oberarm zu vermeiden.

Es war eine rote Königsschachfigur in einem umgekehrten Dreieck. Faszinierend fuhr ich der Tätowierung mit dem Zeigefinger nach. „Das Tattoo ist so schön! Darf ich mich auch mal tätowieren lassen?", fragte ich strahlend.

Kurz spannte sich Dad an, in seinen grünen Augen leuchtet kurz Angst, ehe er wieder lächelte und mir einen Kuss auf dem Scheitel drückte. „Du bist noch jung, Bells, darüber reden wir, wenn du älter bist. Aber erst helfe ich dir bei deinem Projekt. Was möchtest du mit deinem Song sagen?"

„Bella?"

Jakes besorgte Stimme holte mich aus meinen Gedanken. Sein Blick war auf meine Nägel gerichtet, die ich angespannt in dem Sessel gebohrt hatte, dass meine Knöchel weiß hervortraten.

Ich entspannte mich langsam wieder und faltete die Hände in meinem Schoss, bevor ich tief Luft holte.

„Nein. Nein, ich habe noch nie einen Song geschrieben", log ich kühl und ließ kurz die Schultern kreisen.

„Nun, das wären alle Fragen. Gleich morgen kannst du vorsingen. Wir werden sehen, wie gut du dich machst. Bis dahin nimmst du das freie Zimmer in der Wohnung der Jungs", sagte Josh und lächelte kurz freundlich.

Ich erhob mich und sah zu Alex und Jake. Diese nickten und verließen mit schnellen Schritten den Saal. Ich rieb mir kurz die Augen, ehe ich ihnen folgte.

„Ist alles in Ordnung? Du warst vorhin etwas komisch", fragte Alex und runzelte besorgt die Stirn.

„Alles ist gut, Alex", fauchte ich gereizt. Konnte er nicht einfach Ruhe geben? Ich wollte nicht wieder in Erinnerungen versinken.

„Wie gesagt, Alex, eine Elfe. Äußerlich wie der Engel, hübsch und liebenswürdig, doch im inneren ein kleiner Teufel", sagte Jake leise grinsend.

Wütend funkelte ich ihn an. „Ich bin kein Teufel, verdammt. Und Alex, tut mir leid, ich wollte dich nicht anfahren." Entschuldigend sah ich den Blonden an, doch er winkte ab und ein arrogantes Grinsen umspielte seine Lippen. „Weil ich ein gnädiger Mensch bin und vergöttert werde, werde ich dir verzeihen."

„Vergöttert von Kakerlaken, oder von Ratten? Ich schwöre, sein Selbstbewusstsein ist beinah unmenschlich", schüttelte Jake den Kopf.

„Sagst gerade du. Darf ich dich erinnern, wer derjenige war, der in der High School gelbe Hosenträger mit Schlitten drauf getragen hat?", schoss Alex zurück.

Hosenträger? Jake? Ich prustete los und sah zu Jake, der sich sofort verteidigte: „Das war nur für einen Tag, wegen 'ner Wette, die DU abgeschlossen hast. Außerdem waren die verdammt sexy. Meine Lehrerin war beinah in Ohnmacht gefallen."

„Sicher doch. Jede Frau steht drauf", sagte ich grinsend und folgte Alex, der die Treppe hochstieg. „Siehst du!"

„Die musst du mir unbedingt zeigen", meinte ich, doch Jake schüttelte den Kopf. „Zu wertvoll. Ich will nicht, dass du sie ruinierst."

„Naja, das kann sie nicht, weil sie schon ruiniert sind", sagte Alex etwas verlegen und nahm auf der Treppe zwei Stufen auf einmal.

„Was soll das denn jetzt heißen?", fragte ich und hob eine Augenbraune. Meine Hand strich kurz über das makellose glatte Geländer, als ich Alex und Jake nach oben folgte.

„Weißt du, Jake, ich denke, es ist endlich Zeit, es dir zu sagen ...ich schwöre, das war nicht Absicht, ich -"

„Nun komm schon zum Punkt", verdrehte Jake die Augen. „Ich habe sie in den Müll geworfen, weil Josh wollte, dass wir unsere alten Sachen ausräumen!"

„Mörder", flüsterte ich mit gespieltem Entsetzen und legte dramatisch die Hand auf der Stirn. Alex und Jake zuckten zusammen. Sie wechselten einen kurzen unruhigen Blick und ich runzelte die Stirn.

„Kommt schon, ich habe es doch nicht ernst gemeint", verdrehte ich die Augen und überholte die beiden. „Sicher", seufzte Jake mit belegter Stimme.

„Ich kaufe dir andere Hosenträger, Jake, versprochen", versicherte Alex, um die unangenehme Stimmung zu lockern.

„Aber mit Elchen drauf!", sagte Jake und Alex versprach es ihm hoch und heilig. Inzwischen waren wir in der dritten Etage angekommen.

„Wir sind da!", verkündigte Jake, holte seine Schlüssel aus der Jeanstasche und schloss die Tür vor uns auf.

Kurz sah ich mich im Flur um, doch nichts außer einem weißen Teppich und eine weitere Türe war zu sehen.

Ein Klicken ertönte, als Jake die Tür aufschloss und er machte eine einladende Geste. „Willkommen im Reich der ChessBless Könige."

Lachend betrat ich gefolgt von ihm und Alex die Wohnung – und staunte nicht schlecht. Die Wohnung war anderes gerichtet, als ich erwartet hatte.

Hier sah es weit gemütlicher aus als in dem Hotel in Bar Harbour. Wir landeten direkt im Wohnzimmer, das größtenteils von dem großen weißen Sofa mit vielen Kissen besetzt wurde. Unter dem übergroßen Fernseher standen eine Playstation und zwei Controller.

Auf dem Couchtisch vor dem Sofa waren Pizzapackungen gestapelt und über dem hellen Holzboden war ein flauschiger Karamellfarbener Teppich. Es gab keine Küche, nur ein kleiner Kühlschrank neben dem grauen Esstisch, auf dem überall Blätter verstreut waren.

Die Wände waren in ein klares Weiß, das durch die langen Fenster, durch die die Sonne in die Wohnung strahlte, noch heller wirkten. An der Decke über dem Sofa war ein großer LED-Deckenleuchter. Außerdem entdeckte ich vier weitere Türen.

„Viel musst du nicht wissen. Rechts neben der Tür ist das Badezimmer, einer der anderen zwei Zimmer ist meins, Alex und Dylan teilen sich ein riesengroßes Zimmer und das letzte ist für dich. Aber Vorsicht, überall sind Kleidungsstücke, die Alex heimlich, ohne Josh Bescheid zu sagen, entworfen hat. Die müssen wir entsorgen", erklärte Jake und ging an mir vorbei, um es sich auf dem Sofa gemütlich zu machen.

„Nichts meiner Designs wird entsorgt!", rief Alex empört dazwischen. „Die nehme ich in mein Zimmer." Er zog seine Schuhe aus und eilte zu einem der Zimmer.

„Dylan wird dich umbringen, wenn noch mehr deiner Merchs im Zimmer rumliegen!", rief ihm Jake nach, doch der Blonde zuckte nur desinteressiert mit den Schultern und erwiderte trocken: „Dann bringt er mich halt um. Ich komme als Geist zurück und breche ihm das Genick. Dann sind wir quitt."

Den restlichen Nachmittag verbrachten wir damit, Alex Zeug in sein Zimmer zu verlagern. Jake half uns dabei. Das neue Album von ChessBless ‚bloody inside' lief im Hintergrund, während wir die Kartons wegstapelten.

Dabei sang Alex lauthals mit. Er drehte wie sich eine Ballerina im Kreis und versuchte elegante Schritte zu machen. Es endete damit, dass er mit dem Kopf gegen die Tür lief und auf dem Boden landetet.

„Endlich hat der Unsinn ein Ende", seufzte Jake erleichtert und ging zum Kühlschrank.

„Ey, dein allesliebster bester Freund holt sich ne Gehirnerschütterung und du bist froh darüber, dass er nicht mehr singt? Wo bleiben die Loyalität und Hilfsbereitschaft?", stöhnte Alex und nahm das Kühlpack entgegen, das Jake ihm zuhielt.

Er wollte aufstehen, doch ich drückte ihn zurück auf dem Boden. „Vorsicht! Bleib sicherheitshalber sitzen, sonst brichst du dir noch was", meinte ich etwas besorgt und musterte kritisch die bläuliche Beule, die sich auf seiner Stirn gebildet hatte.

„Was kann er sich noch brechen? Den Schädel hat er vorhin beinah zerschmettert, die Beine können von mir aus abfallen, die wachsen nach", erwiderte Jake und schlenderte zum Sofa.

Wütend funkelte ich ihn an. „Jake, zeig doch Mitgefühl, dein bester Freund ist gerade gegen 'ne verdammte Tür gelaufen!"

„Seine Anwesenheit tut dir nicht gut, Elfe. Du fängst schon an zu fluchen wie er", sagte Jake amüsiert und griff nach der Fernbedingung.

Hunderte bissige Erwiderungen lagen mir auf der Zunge, doch ich kam nicht dazu, sie ihm an den Kopf zu werfen, denn die Wohnungstür wurde plötzlich aufgerissen und ein erschöpfter und aufgewühlter Dylan betrat die Wohnung.

Stumm zog er die Schuhe aus, flitzte zu Jake und ließ sich neben ihm aufs Sofa fallen, die Augen starr geradeaus gerichtet. Drei Augenpaare lagen auf ihm und es wurde totenstill im Raum.

„Wie geht's ihr?", fragte Alex vorsichtig und wollte das Kühlpack sinken lassen, doch ich hielt es ihm zurück an die Stirn. Dylan stieß ein humorloses Lachen aus und schnaubte: „wie sollte ihr schon gehen? Sie brauchte noch eine OP."

„Scheiße", fluchte Jake und drückte den Arm seines Freundes mitfühlend. „Wer braucht noch eine OP? Und wieso?", fragte ich verwirrt. Alex und Jake sahen zu Dylan, der sich seufzend über die Augen fuhr.

„Meine Mom ist krank. Das seit mehreren Jahren. Sie hat ...eine lebensgefährdende Art von Krebs. Die Hoffnung, sie zu überleben ist sehr gering. Doch je mehr OPs Mom durchsteht, desto schlimmer wird ihre Gesundheit, da sie nicht mehr die Jüngste ist. Noch eine weitere OP kann sie das Leben kosten", erzählte er und vermied verkrampft meinen Blick.

Entsetzt weiteten sich meine Augen. „Oh Gott. Will sie denn die nächste OP durchziehen?" Dylan rieb sich kurz müde übers Gesicht und Alex, Jake und ich sahen ihn abwartend an.

„Sie liegt im Koma, aber sie hat unterschrieben, dass sie jede OP, die ihr das Leben retten kann, durchziehen wird", flüsterte er zögerlich und seine Stimme brach.

Schweigend lief ich zu ihm rüber und schlag meine Arme um seinen Oberkörper. Das traf ihn unvorbereitet. Er blinzelte kurz, ehe er unsicher die Umarmung erwiderte.

Solche schlimmen Momente kannte ich zu gut. Da brauchte man kein Mitleid anderer, sondern einen Halt, um nicht zu stürzen. 

Dylan tut mir leid ...aber er hat noch die halbe story erst erzählt ...

Wie in der Ankündigung versprochen wird die Lesenacht heute stattfinden :D Es ist quasi ein etwas verspätetes Weihnachtsgeschenk xD

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