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Das erste was ich wahrnehme, als ich die Augen aufschlage ist, dass der Wecker zehn Uhr zeigt. 10 Uhr! So lange habe ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen, weil mein Terminkalender es einfach nicht zugelassen hat. Aber heute muss ich erst am Nachmittag zum Marketingunternehmen gehen um zu putzen. Es ist schwer die Termine für drei Jobs unter einen Hut zu bekommen, aber mir gelingt es trotzdem irgendwie. Solange man Schlaf und Freizeit nicht überbewertet natürlich.

Deswegen ist es mal eine gute Abwechslung nicht vom Klang des Weckers aufgeweckt zu werden. Trotzdem kann ich mich im Moment nicht auf diese Tatsache freuen. Denn das Zweite was ich bemerke, ist dass ich einen fetten Kater habe. Auch das kommt nicht oft vor. Ich habe die Vorhänge am Tag davor zugezogen, aber jetzt fallen trotzdem einige Lichtstrahlen in mein kleines Schlafzimmer, die sich anfühlen wie Dornen in meinen Augen.

Stöhnend setzte ich mich auf und bin desorientiert, bis mir wieder einfällt, warum ich gestern getrunken habe. Am liebsten würde ich mich wieder unter die Decke verkriechen, wenn ich an die Ereignisse denke. Für viele mag der gestrige Tag normal sein. Ein bisschen betrinken, mit einem Mann tanzen und küssen. Aber nicht für mich. Niemals für mich! Wie konnte ich nur so dumm sein. Ich habe schon sehr früh gelernt keinem zu vertrauen. Wenn du kein Vertrauen in jemanden hast, können sie es auch nicht missbrauchen. Vertrauen oder Hoffnung bedeutet nichts als Schmerz. So einfach ist das. Wer könnte das besser wissen als ich. Nur das hat mich all die Jahre angetrieben. Dieser Mann, Dorian, hat mich aus dem Konzept gebracht. Und ich habe nicht vor noch einmal zu leiden.

Mit diesem Vorsatz gehe ich ins Badezimmer. Wahrscheinlich ist jeder Kleiderschrank größer als mein Badezimmer, aber es tut seine Sache. Eine Dusche, ein Waschbecken und darüber ein Spiegel, in dem ich mich gerade betrachte. Ich ziehe mich aus und lasse mein Pyjama am Boden liegen, während meine Augen über mein Körper wandern. Das tue ich öfters. Ich bin nicht blau hinter den Ohren. Mein Körper ist mittelmäßig. Ich mag ihn, aber er ist nichts Besonderes. Süß und vielleicht etwas hübsch. Aber ich würde nicht so weit gehen, dass ich sagen würde, dass er perfekt oder sexy ist. Dorian ist sexy. Ich würde meine Hand ins Feuer legen, dass sein Körper unter dem schwarzen Anzug auch perfekt ist. Also überlege ich mir, was so ein Mann von mir wollen würde. Es kann nicht sein, dass er nicht etwas von mir will. Dass hinter seinen Annäherungen keine Absichten stecken.

Denn für mehr bin ich nicht gutaussehend genug. So traurig das auch klingt, aber ich bin realistisch. Ich bin 1,65 groß und habe also keine endlos langen Beine. Meine schwarzen welligen Haare reichen mir bis zu meiner Hüfte. Ich mag sie. Ich habe braune Augen und herzförmiges Gesicht, das mich immer etwas kindlich aussehen lässt. Marlen sagt mir immer, wenn ich mich aufrege, sehe ich aus wie ein Minion. Im Großen und Ganzen mag ich meine Erscheinung. Nur an schlechten, sehr schlechten Tagen habe ich den Drang ihn zu zerstören.

Bevor die dunklen Gedanken mich vollkommen umhüllen, steige ich schnell unter die Dusche und versuche den gestrigen Abend von mir wegzuwaschen. Ich steige in meine Schlaberklamotten, nehme meine Schlüssel und gehe rüber zu meiner einzigen Freundin. Ich weiß nämlich, dass sie nicht länger auf mich warten wird. Sie möchte Antworten, für die ich gestern viel zu müde war. Deswegen musste ich ihr Versprechen, heute zu ihr zu kommen, um Bericht zu erstatten.

»Das wurde auch Zeit.«, sagt Marlen sobald sie die Tür öffnet. »Ich warte schon den ganzen Tag auf dich.« Ich schaue auf die Uhr. Der Tag hat erst angefangen, aber ich widerspreche ihr nicht. Ich gehe ins Wohnzimmer und setze mich hin. Ihre Wohnung ist ein Ebenbild meiner Wohnung. Nur, dass meine Freundin auf der Couch schläft, damit Riley ein eigenes Kinderzimmer hat. »Möchtest du Tee?«, fragt sie mich.

»Ja, unbedingt. Ich habe das Gefühl mein Kopf platzt gleich.« Ihre Antwort ist ein Lächeln. Sie hat mich nicht oft so gesehen und wünscht sich immer wieder von mir, dass ich mal los lasse und genieße. Aber von genießen kann im Moment nicht die Rede sein. Nachdem sie fertig ist, stellt sie die Tasse vor mir ab und fordert mich auf, zu erzählen. Und das tue ich auch. Ich erzähle ihr alles.

Vorsichtig nippe ich an meinem mittlerweile kaltem Tee und betrachte sie über die Tasse hinweg.

»Ich fasse es nicht!«, faucht sie. »Wie kannst du es mir nicht erzählen, dass du überfallen wurdest!« Ich stelle meine Tasse ab. Marlen hatte schon immer enorme Beschützerinstinkte was mich angeht.

»Hör zu, ich wollte es dir ja sagen. Ich habe es dir gesagt. Aber in diesem Moment war es einfach zu viel für mich. Ich musste einmal selber mit allem fertig werden. Und es ist ja Gott sei Dank nichts passiert.«, sage ich. Wieder fängt sie an zu lächeln und sie sieht dabei aus wie die böse Stiefmutter von Schneewittchen.

»Ja, weil dich der Hengst von gestern gerettet hat.«, sagt sie mit einer verführerischen Stimme. Ich starre sie nur an und weiß nicht was ich ihr sagen soll.

»Wenn ich noch Jungfrau wäre, würde ich sagen, dass er mich entjungfert hat, nur weil er in meine Richtung geschaut hat.«, redet sie weiter.

»Igitt, Marlen. Hör auf damit.«, sage ich. »Schätzchen, jetzt tue nicht so, als ob er dir nicht gefallen hat. Als ob es nicht ein bisschen gekitzelt hat da unten. Du weißt schon.« Dabei schaut sie demonstrativ auf meinen Schritt. »Funktioniert das überhaupt bei dir noch?«, kommt es von ihr. Ich werfe meinen Kopf in meine Hände. »Du bist unmöglich.«, flüstere ich.

Meine Freundin lacht und nimmt meine Hände von meinem Gesicht. »Adria, wieso kannst du es nicht einmal genießen? Einfach mal locker lassen und Spaß haben? Was kann schon passieren?«, fragt sie mich plötzlich ernst.

Tausend Möglichkeiten fallen mir ein, was passieren könnte. Tausend Arten wie ich leiden werde. Marlen weiß, dass meine Kindheit nicht einfach war, aber sei weiß nicht alles. Obwohl ich mir vorstellen kann, dass sie einiges ahnt. Aber sicher kann sie sich nicht sein. Weil ich nicht darüber rede. Mit niemandem!

»Es hat keinen Sinn noch weiterhin darüber zu reden. Ich habe noch nicht einmal seine Telefonnummer.«, sage ich in dem Versuch, dass sie das Thema sein lässt. »Vielleicht kommt er ja wieder ins Inside oder CC. Er weiß schließlich wo du arbeitest. Und so wie er dich gestern angesehen hat, würde ich sagen, dass er auf jeden Fall kommen wird.«, sagt sie, bevor sie aufsteht und die Tassen wegräumt.

*****

Ich muss noch zwei Büros putzen, dann hab ich Feierabend. Ich schaue auf die Uhr. Fast elf Uhr. Obwohl ich heute ausgeschlafen habe, bin ich im Moment ziemlich erledigt. Schnell mache ich mich wieder an die Arbeit, damit ich endlich nach Hause gehen kann. Als ich die Tische putze, stelle ich mir vor, auch einmal so einen Arbeitsplatz zu haben. Mit hohen Schuhen und Businesskleidern in die Arbeit zu gehen und ein wichtiger Mensch mit einer wichtigen Arbeit zu sein. Die Etage ist leer, weil meine Arbeit immer dann anfängt, wenn die anderen Feierabend haben. Deswegen höre ich es allzu deutlich, als eine Nachricht auf mein Handy eingeht. Ich fische mein Handy aus meiner Tasche. Unbekannte Nummer.

Unbekannt: Hast du schön geschlafen?

Zuerst bin ich wie erstarrt. Ich drehe mich um und erwarte jemanden hinter mir, der mit mir spielt. Aber der Raum ist leer. Danach dämmert es mir. Und obwohl ich ahne von wem die Nachricht ist, schreibt der kindische Teil von mir zurück.

Ich: Recer? 

Ich muss lachen.

Unbekannt: Dorian!

Ich kann die Autorität in seiner Nachricht förmlich spüren und höre auf zu lachen. Vielleicht sollte ich ihn doch nicht provozieren.

Ich: Von wem hast du meine Nummer?

Dorian: Spielt das eine Rolle?

Ich: Ja!

Dorian: Ich habe mich mit deinem Handy, als du betrunken in meinem Auto geschlafen hast, angerufen und deine Nummer gespeichert.

Okay. Drauf wusste ich nun doch nicht zu antworten. Sehr nett von ihm, dass er mich an meinen Zustand von gestern erinnert. Ich sollte wütend sein, dass er ohne meine Erlaubnis mein Handy genommen hat und meine Nummer abgespeichert hat. Aber um ehrlich zu sein bin ich nicht überrascht. Er hat mir von Anfang an nicht den Eindruck gemacht, als würde er sich nicht das nehmen, was er möchte.

Dorian: Bist du noch da?

Ich: Ja, ich bin nur etwas verwirrt.

Dorian: Bist du schon zuhause?

Ich: Nein, ich habe gleich Feierabend.

Dorian: Fahr mit dem Taxi nach Hause, Adria.

Ich: Oke.

Ich starre noch fünf Minuten auf das Handy, aber mehr kommt nicht mehr. Anscheinend hat er alles gesagt, was er sagen wollte. Und obwohl ich ihm keine Rechenschaft schulde oder seinen Anweisungen befolgen muss, nehme ich heute ausnahmsweise das Taxi um nach Hause zu fahren und versuche dabei nicht nachzudenken, wieso ich auf einen fremden Mann höre. 


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