kapitel 40
Ich schreibe und leide,
ich spreche und vermeide,
ich schweige und sehe,
ich denke und verstehe.
„Für was ist eigentlich dieser Schuhkarton?", fragt mein Bruder in einem Flüsterton. Er sitzt mir gegenüber auf einem Küchenstuhl, während sich Page ein wenig hingelegt hat, um sich auszuruhen. Normalerweise ist sie ein Energiebündel, allerdings hat sie einen sehr langen Tag gehabt, was durch die Schwangerschaft definitiv nicht erleichtert wird. Wie mein Bruder auf den Beinen steht, ist mir jedenfalls ein Rätsel, auch wenn er das Kind nicht in sich trägt.
„Was für ein-..."
Der Schuhkarton. Ich verstumme.
„Audrey?" Ich sehe Brexon stumm an.
„Aud, was ist das für ein Karton?", fragt mein Bruder, diesmal nachdrücklicher. Ich zucke ein wenig zusammen, weil ich den Karton ziemlich erfolgreich verdrängt habe.
„Er ist von Romere", bringe ich hervor, während ich mir über das Gesicht reibe.
„Was ist da drin?"
Brexon sieht nicht mehr nur besorgt, sondern richtiggehend wütend aus. Ich denke nicht, dass es ein gutes Ende haben würde, wenn er Romere jemals über den Weg läuft.
„Briefe. Das hat er zumindest so gesagt."
„Gesagt? Was soll das heißen? Hast du dir das Zeug noch nicht angesehen?"
Ich zucke mit den Schultern. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir die Briefe überhaupt ansehen möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt in irgendeiner Form tun sollte und ob sich das lohnt. Ich weiß nicht, ob ich mir das zumuten könnte. Wie viel kann ein Herz ertragen, bevor es aufhört zu schlagen? Wie viel Schmerz ertrage ich, ehe ich daran zugrunde gehe?
„Sollte ich es mir ansehen?"
„Willst du es dir denn ansehen? Audrey, das ist eine Entscheidung, die ich nicht für dich fällen kann. Wie du sicher schon gemerkt hast, halte ich nicht viel von diesem Kerl, weil er dir dein Herz gebrochen hat."
Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. „Aber?"
„Aber du hast auch gesagt, dass er dich glücklich gemacht hat. Wenn du nicht glücklich gewesen wärst, hätte es dich niemals so sehr getroffen. Wenn dein Herz nicht für ihn brennen würde, dann hättest du dich niemals an ihm verbrennen können. Vielleicht sind diese Briefe nötig. Nicht einmal unbedingt damit sie dir helfen, ihn zurückzuerlangen, sondern um dir über die Sache klar zu werden."
Verdutzt stütze ich mich auf meine Ellbogen, während ich meinen Bruder fragend mustere.
„Wieso meinst du, dass ich ihn zurückerlangen wollte?"
Er zuckt nur mit den Schultern. „Weil du nicht so wirkst, als wärst du mit ihm fertig. Du hast nicht gesagt, dass du ihn vergessen willst. Du hast nicht gesagt, dass du mit ihm abschließen willst, dass du Kerle für nichtsnutzig empfindest. Dass du ihn nie wieder sehen möchtest. Du hast nur gesagt, dass er dein Herz gebrochen hat und du nicht weißt, wie du darüber hinwegkommen möchtest."
Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen, weil es brennt, als stünde ich unter Flammen. Er hat recht. Ich habe es zu verdrängen versucht, aber nach allem, was geschehen ist, bin ich noch immer nicht in der Lage, einfach abzuschließen. Einfach aufzuhören, ihn zu lieben.
„Wieso kann ich meine Gefühle nicht kontrollieren, Brex?", frage ich kleinlaut.
„Weil Gefühle unbändig sind. Weil sie nicht annähernd so faszinierend wären, wenn du Kontrolle darüber erlangen könntest. Aber du kannst sie umwandeln. Wenn du etwas aus deinen Gefühlen machst, ist es aber leichter, dich nicht von ihnen kontrollieren zu lassen."
Ich habe noch nie in meinem Leben eine derartig ernste Konversation mit meinem Bruder geführt. Meistens sind es witzige oder eben hitzige Diskussionen, aber wir sprechen selten über das, was in unseren Herzen liegt. Das, was unsere Seele nistet und für uns hegt.
„Wie meine Musik. Sie hilft, zu verarbeiten. Es ist auch in dir, Audrey. Ich habe gesehen, dass du schreiben kannst. Du hast mir schon so oft geholfen. Du musst es nur finden."
Ich seufze, während ich den Kopf schüttle.
„Ich mache es schon die ganze Zeit. Seit ich ihn kenne, schreibe ich und es hilft mir nicht. Es fängt mich stattdessen in einem Netz voller Emotionen, die mich zu überwältigen drohen. Es ist viel imposanter und mächtiger als ich und ich verliere mich in Worten, während ich mich immer stärker in ihn verliebe. Die Gedichte sind ein zusätzliches Band zu ihm und ich kann es nicht loslassen. Ich kann nicht aufhören zu schreiben, weil ich wegen ihm angefangen habe. Als wir ein Notizbuch und einen Stift bei dieser Schnitzeljagd erhalten haben, da musste ich niederschreiben, was ich fühle. Ich tue es noch immer. Es ist, als müsste ich schreiben, Brexon. Ich muss diese Worte loswerden. Formen. Verfertigen. Es fühlt sich gut an zu schreiben, aber es verbindet mich auch mit all den Dingen, mit welchen ich nicht verbunden werden möchte. Wenn ich an ihn denke, muss ich schreiben und wenn ich schreibe, muss ich noch mehr an ihn denken. Es ist ein Teufelskreis, aber auch eine Erlösung, es ist eine Freizeitbeschäftigung und bringt mich damit wieder in eine Situation, die ich nicht verstehe, aber gerne erklären würde."
Sobald ich die Worte ausgesprochen habe, ist in mir nur noch mein Herzschlag. Ich bin alles losgeworden, was mir auf der Seele liegt. Was ich sagen musste, um wieder meinen Verstand zu erlangen, welcher nicht umspielt von meinen Bedürfnissen, meinen Wünschen, meiner Liebe ist. Die Liebe ist das Schönste, aber gleichzeitig auch das Unerklärlichste, was mir jemals geschehen ist. Mein Verstand hingegen wird immer wissen, was er will. Er sollte nun einmal nicht von meinem Herzen benebelt sein.
„Darf ich diese Gedichte sehen, Audrey?", fragt Brexon schließlich. Er scheint zu sprachlos zu sein, dass ich ihm gerade mein Herz ausgeschüttet habe, um auf etwas anderes, was ich gesagt habe, einzugehen. Ich nicke langsam, weil mein Kopf noch immer wie leergefegt zu sein scheint. Ich weiß, dass es notwendig ist, meine niedergeschriebenen Worte jemandem zu zeigen. Und wer wäre da besser als mein Bruder? Wer könnte mich besser verstehen als jemand, dessen Worte – Lieder – ebenfalls von Gefühlen getränkt sind. Der ebenfalls schreibt, um zu verstehen. Der schreibt, um zu leben, um zu finden, um zu erkunden, auch wenn er nur das notiert, was geschehen ist.
„Gut. Dann lese ich deine Gedichte und du liest seine Briefe. Einverstanden?"
Ich nicke, auch wenn mein Hals trocken wird. Es ist notwendig und wir wissen es beide. Ich kann nicht verdrängen, dass ich diese Briefe einfach lesen muss. Ich werde davon keine Ruhe haben, bis ich es tue.
Bald kommen die Briefe ahhhhh 💌💌💌👀😭
Freuen wir uns darauf?
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende und dann lesen wir uns bald wieder 💜
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