kapitel 38
Selbst wenn ich dich nicht sehe,
denke ich an dich.
Und wenn ich dich sehe,
dann denke ich an mich.
Wenn ich mit dir stehe,
vor der Tür unserer Herzen,
und verstehe,
was uns bereitet Schmerzen,
schließe ich sie wieder,
für mich und dich.
Ich kenne den Namen seiner Tochter nicht. Das ist das Einzige, woran ich denken kann, als ich mir – so traurig wie ich bin – meinen eigenen Geburtstagskuchen backe, damit ich meinem Bruder und seiner Frau etwas anbieten kann, wenn sie sich schon die Mühe machen, mich zu besuchen. Aber ich kann nur daran denken, dass ich ihren Namen nicht weiß. Ich weiß nicht, wie das Kind von ihm heißt und es bringt mich um, obwohl ich mir geschworen habe, dass es mich nichts angeht und noch weniger interessiert. Ich habe mir zwei Wochen freigenommen, weil ich ihn zum einen nicht sehen möchte und zum anderen Zeit für Brexon und Page freimachen will. Für die beiden ist es nämlich nie einfach, irgendwo herumzureisen. Die Papparazzi verfolgen sie auf Schritt und Tritt, weshalb ich es noch mehr schätze, wenn sie aus ihrer Komfortzone gehen, nur um mich zu besuchen. Obwohl sie vermutlich wieder versuchen werden, so lange wie möglich unentdeckt zu bleiben – das funktioniert meistens nicht lange, aber es ist zumindest einen Versuch wert.
Ich schneide Erdbeeren in feine Scheiben, damit ich meinen Cheesecake dann damit verzieren kann. Früher, als ich noch bei Brexon und Page gewohnt habe, haben sie mir jedes Jahr einen Cheesecake zum Geburtstag gebacken. Ich habe zwar definitiv bessere Dinge gegessen, aber sie haben sich Mühe gegeben und das ist letztendlich das Einzige, was zählt. Die Stille in meiner Wohnung hat sich noch nie so erdrückend angefühlt. Ich habe mich noch nie so einsam gefühlt. Ich bin relativ oft allein und ich war auch früher schon oft alleine, aber Einsamkeit war nie wirklich ein Gefühl, welches mich verfolgt hat.
Ich schätze, dass das davon kommt, wenn man lernt, was Zweisamkeit bedeutet. Ich hatte immer die Theorie, dass das Herz einfach sein Gegenstück sucht. Von den meisten Körperteilen haben wir zwei wie eben zwei Arme, Beine oder Ohren, oder zumindest zwei Hälften wie zwei Gehirnhälften, zwei Lungenflügel, aber vom Herzen hat man nur eines, welches größtenteils nicht symmetrisch ist. Das Herz ist ein einsames Organ, und deshalb sucht es sich seine zweite Hälfte, ein komplementäres Teil, etwas, was den eigenen Körper ergänzt. Ich bin der Überzeugung, das Romere die zweite Hälfte meines Herzens besitzt, wenn nicht sogar auch diejenige, die mir gehört. Er ist die Ergänzung meines Herzens, aber ich kann ihn nicht daran teilhaben lassen, wenn in meinen Knochen der Verrat noch so tief sitzt. Ich kann ihn nicht teilhaben lassen, wenn ich nicht einschätzen kann, was ich ihm glaube und was nicht wahr ist, wenn ich nicht einsehe, was er ernst meint oder was ein Vorwand ist, eine Lüge. Ich muss auf diese Herzhälfte verzichten, wenn ich nicht bereit bin, jeden anderen Teil meines Körpers – von mir dafür aufzugeben.
Ich presse meine Lippen fest zusammen, genau wie auch meine Augen, weil ich schon wieder kurz davor bin, in Tränen auszubrechen. Dabei weiß ich ganz genau, dass mir das nichts bringt und dass ich mich eigentlich nur selbst verletze, wenn ich ständig darüber nachdenke. Ich kann nicht verhindern, dass es mich trifft. Vielleicht werde ich irgendwann mal in der Lage sein, das nicht als so eine dramatische Sache anzusehen, aber das ist jetzt noch nicht der Fall. Ich kann ihm jetzt noch nicht verzeihen. Ganz davon abgesehen, dass ich ihm jetzt noch gar nicht verzeihen möchte.
Als mein Handy klingelt, beruhigt mich diese Ablenkung beinahe schon. Je weniger ich an Romere Young denken muss, desto besser.
„Ja?", frage ich, während ich mein Handy auf Lautsprecher stelle. Der Name meines Bruders leuchtet auf dem Display. Vielleicht sollte ich in Zukunft nachsehen, wer es ist, noch bevor ich abnehme.
„Hey, Aud! Ich wollte mich nur kurz melden, um dir zu sagen, dass wir im Hotel angekommen sind", informiert er mich. Dabei klingt er so glücklich, dass er wahrscheinlich lächelt.
„Das ist gut. Hat es bei der Reise Schwierigkeiten gegeben?", möchte ich wissen, während ich meine Hände wasche und dann abtrockne, damit ich nicht alles mit meinen Erdbeer-Fingern anfasse.
„Nein, zum Glück nicht. Page sucht sich gerade Klamotten und dann könnten wir eigentlich direkt bei dir vorbeikommen. Wäre das in Ordnung?"
Ich lache. „Natürlich. Ich habe mir für euch freigenommen, Brex. Ich bin sowas von bereit für euren Besuch."
Mein Bruder seufzt beruhigt auf. „Dann sehen wir uns ungefähr in einer halben Stunde?"
„Na klar", sage ich. Einige Sekunden bleibt es still, bis er sich dann verabschiedet und auflegt. Mein Herz flattert ein wenig, weil ich bis zu diesem Moment nicht realisiert habe, wie sehr ich mich tatsächlich auf Page und Brexon freue. Die beiden sind praktisch meine Familie. Und ich habe zwar Sutton hier, aber ich brauche momentan jemanden, der immer für mich da gewesen ist – was bei Page ja rein theoretisch nicht der Fall ist, weil sie mich noch nicht so lange kennt – und das sind die beiden definitiv für mich. Vor allem wird es mir guttun, endlich ein wenig Ablenkung von dem Wahnsinn zu haben, welcher mein Leben beschreibt.
Ich kann nicht genau sagen, wie viel Zeit vergeht, aber als es an der Tür klopft, breitet sich automatisch ein Grinsen auf meinem Gesicht aus, welches überhaupt nicht zu meiner Gefühlslage passt. Es ist aber schön zu spüren, dass ich trotz allem in der Lage bin, mich zu freuen. Gespannt zu sein.
Doch als ich die Tür öffne, fällt mein Grinsen innerhalb von Sekunden zusammen wie ein Kartenhaus. Das sind nicht Brexon und Audrey. Das ist Romere. Schon wieder steht er vor meiner Tür, verdammt. Auch wenn er einen Schritt zurückgetreten ist, um mir nicht zu nahe zu stehen, wenn ich die Tür öffne. Wir sind beide wie erstarrt. Ich bin logischerweise überrascht, ihn dastehen zu sehen, aber er sollte nicht so überrumpelt wirken, dass ich tatsächlich die Tür geöffnet habe. Obwohl er es eigentlich doch sein sollte. Ich habe sie nämlich nicht für ihn geöffnet. Ich fühle mich einige Wochen zurückkatapultiert, als ich ihn zum ersten Mal in dem kleinen Lebensmittelgeschäft getroffen habe. Wie er da ausgesehen hat. Ein Geist seiner selbst. Vor mir steht genau derselbe Mensch, auch wenn er nun offensichtlich schlimmer aussieht als in letzter Zeit. Es hat so viele Momente gegeben, in welchen er glücklich gewirkt hat und nun ist er ein Abbild seiner selbst und ich wünschte, dass ich ihm helfen könnte, aber ich habe keine Ahnung wie ich das machen soll, ohne meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu untergraben. Oder zumindest den vernünftigen Teil in mir, der weiß, dass Romere mein Herz mit seinen Füssen getreten hat.
„Was tust du hier?", flüstere ich. Dabei möchte ich es gar nicht wissen. Ich sollte es nicht wissen wollen.
Romere mustert mich einige Sekunden lang, sieht mich mit seinen wunderschönen, kleeblattgrünen Augen so verloren an, dass sich mein Herz zusammenzieht. Noch immer hat er eine derartig starke Wirkung auf mich. Noch immer kann ich es nicht verhindern. Schon wieder wünsche ich mir, dass dem nicht so wäre.
„Ich habe Briefe für dich", bringt er schließlich hervor. Er hält mir einen Schuhkarton hin, der definitiv schon bessere Zeiten gesehen hat. Aber darauf steht mein Name in großen Lettern, verziert mit Blumen und das im Stil einer...Kinderzeichnung. Ich ziehe scharf Luft ein, während sich das alles anfühlt wie ein weiterer Stich in mein Herz.
„Wieso?", ist alles, was ich hervorbringe.
Romere lächelt traurig. „Weil das die letzte Wahrheit ist, die es gibt. Mir ist bewusst, dass ich uns vermutlich zerstört habe. Aber vielleicht gibt es noch Hoffnung. Natürlich habe ich nichts verdient, nachdem ich so gehandelt habe, nachdem ich all diese Fehler begangen habe, aber du ... du hast die Wahrheit verdient, Audrey. Ich wünschte, dass ich dir hätte zeigen können, wie sehr ich dich liebe und wie ernst ich das mit uns meine – oder eher gemeint habe -als ich noch die Gelegenheit dazu hatte. Du hast meine Fehler nicht verdient, du hast meine Lügen nicht verdient. Es tut mir vom ganzen Herzen leid. Ich wünschte, ich wäre vernünftiger. Und es tut mir leid, dass ich jetzt in dein Leben platze und dir vermutlich die Laune verderbe, denn das hast du auch nicht verdient. Es tut mir einfach leid."
Romere macht eine Pause, um zu atmen und seine Atemlosigkeit erinnert mich an die Zeit, als wir zusammen gewandert sind und er immer wieder Zeit gebraucht hat, um wieder richtig atmen zu können. Gott, damals waren wir noch zwei andere Menschen.
Nach einer Weile hat er sich schließlich gefasst und streckt seine Schultern durch, während seine Augen entschlossen auf meine treffen. Er sieht mich so intensiv an, als würde er meinen Anblick beinahe schon einatmen können. Und da weiß ich schon, was er sagen wird, auch wenn sich mein Herz dadurch nur noch weiter zusammenzieht.
„Ich hoffe, dass dieser Abschied nicht für immer ist, Audrey. Ich hoffe, dass du besser atmen kannst als ich. In jeder Hinsicht."
Er stockt und benetzt seine Lippen. „Und alles Gute zum Geburtstag. Es tut mir unendlich leid. Von ganzem Herzen."
Und dann geht er wieder, ohne überhaupt eine Antwort abgewartet zu haben. Er lässt mich mit dem Schuhkarton zurück. Ich kann nicht einschätzen, ob ich gerne etwas darauf geantwortet hätte. Oder ob ich überhaupt die richtigen Worte gefunden hätte.
Uiuiuiiii Briefe 😭
Werden sie die Situation zwischen Aud und Romere noch retten können?
Und freuen wir uns schon darauf, Page und Brex endlich wieder zu sehen 😍?
Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat, wir lesen uns nächstes Wochenende wieder 💗
[DOPPEL-UPDATE 1/2]
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