kapitel 27

Selbst wenn mir die Worte fehlen würden,
könnte ich mich immer an deinen Namen
erinnern.

Wie eine Bitte,
ein Gebet,
eine Notwendigkeit.

Lass mich niemals los,
selbst wenn ich mich nicht
mehr an dir festhalten kann.

Ein weiterer Brief klebt an meiner Tür.

Audrey.

Ich wünschte, du würdest hören, wie ich dieses Wort sage, denn vielleicht würdest du dann hören, wie ernst mir die Sache ist. Ich frage mich oft, was ich in den letzten Jahren alles verloren habe. Dich. Vielleicht aber auch mich. Ich verliere mich jeden Tag ein Stückchen mehr. Ich weiß nicht, wieso ich dir das erzähle, aber es ist wahr. Ich frage mich jeden Tag mehr, was ich tun muss, um endlich Flügel zu kriegen und durch die Luft fliegen zu können, statt jeden Tag hilflos zu fallen.

Du fragst dich vielleicht, wieso ich dir das erzähle. Die Wahrheit ist, dass ich es selbst nicht so genau weiß. Ich vermute einfach, dass du die Worte liest. Ich vermute, dass ich dich so erreiche, denn vielleicht ist es für dich einfacher mit meinen geschriebenen Worten umzugehen, statt mit dem, was ich dir sagen möchte. Und ich habe dir so viel zu sagen. Ich würde dir gerne erzählen, wie mein Tag war, was ich alles getan habe und dann zurückfragen, wie deiner war. Aber ich schätze, dass ich dieses Recht verloren habe, als ich aufgehört habe, für uns zu kämpfen.

Aber diese Zeiten sind nun vorbei, Audrey. Ich werde keinen Tag verstreichen lassen, ohne für dich zu kämpfen. Außer du willst das nicht. Wenn du lieber möchtest, dass ich dich in Ruhe lasse, dann sag es mir. Kleb den Brief wieder an die Tür, sodass ich sehe, dass du kein Interesse an der Wahrheit in diesen Worten hast. Ich möchte dich nicht belästigen. Ich möchte für dich da sein.

Alles Liebe;

Romere

Ich klebe den Brief nicht wieder an die Tür. Ich lege ihn in meine Schublade, während ich auf meinen Herzschlag höre. Auf meine Tränen warte. Aber in mir gibt es nur eine Stimme, die leise singt, dass ein Neuanfang großartig wäre. Sutton beobachtet mich skeptisch, als ich ihr das erzähle, nickt schließlich aber nur und verspricht mich, mich immer zu unterstützen. Ich weiß nicht, ob ich so positiv reagiert hätte, wenn Romere den letzten Paragraph nicht geschrieben hätte. Wahrscheinlich nicht, aber wenigstens hat er verstanden, wie wichtig es mir ist, nicht bedrängt zu werden. Vor allem, nachdem ich gefühlt Jahre von Zachary gestalkt worden bin. Er weiß vielleicht nicht, wie er uns wieder in Ordnung bringen soll, aber er weiß ganz sicher, wie er es nicht tun soll.

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„Du siehst besser aus", informiert mich Leath, nachdem ich meinen gewöhnlichen Platz neben ihm in der Bibliothek annehme. Ich werfe ihm ein breites Lächeln zu, welches er erwidert.

„Ich fühle mich auch besser. Was sind das für Prospekte auf deinem Tisch?"

„Ausflüge mit den Schülern. Du bist vermutlich auch für irgendetwas eingeteilt, weil wir diesmal nicht genug freiwillige Eltern haben, die mit den Schülern mitgehen. Sie haben wohl kapiert, dass man Eltern niemals so ernst nehmen wird. Was wollen die denn schon machen, wenn sie nicht wirklich die Autoritätspersonen sind?"

Ich schnaube.

„Können die nicht wegen allem vor Gericht ziehen?"

Leath nickt. „Doch. Aber die Frage ist, wie lohnenswert das ist, wenn sie gleichgestellten gegenüberstehen. Das würde viel Geld kosten und nicht unbedingt eine sinnvolle Investition sein."

„Achso."

Leath widmet sich wieder den neuen Büchern, welche er ins System eingliedert, während ich meine E-Mails ansehe – was ich eigentlich schon längst tun müsste, aber einfach nicht getan habe. Ich verziehe mein Gesicht, als ich meinen vollen Posteingang sehe und überfliege die meisten, welche nach etwas Sinnvollem aussehen, aber nur elitäre Werbung sind. Zu guter Letzt öffne ich dann die Mail von der Schulleitung – auf welche ich vermutlich schon längst hätte antworten müssen.

Meine Augen fliegen über die Zeilen, während mein Blick zu Leath wandert.

„Du hast gewusst, dass sie mich mit Romere in eine Leitungsgruppe gesteckt haben, oder?", will ich wissen, worauf er nur mit den Schultern zuckt.

„Klar. Wurde mir angeboten, aber ich reagiere nicht besonders gut auf ihn, verstehst du? Und wenn sich zwei Autoritätspersonen streiten, wird das erst recht nichts mit der Gruppe. Also solltest du dich wohl einfach geehrt fühlen, dass du es mit ihm machen darfst."

Ich rolle mit den Augen. Soll ich mich darauf freuen oder viel eher Angst davor haben? Vielleicht ein wenig von beidem.

„Schaffst du das?", will er wissen, worauf ich nicke.

„Na klar."

Ich habe nämlich schonmal Zeit in der Wildnis mit Romere verbracht. Möglicherweise habe ich mich sogar ein wenig in ihn verliebt und danach ist alles wieder in die Brüche gegangen, aber sonst ist alles in Ordnung.

Natürlich sage ich das nicht so, sondern denke es nur. Ich möchte Leath noch nicht meine ganze Situation erklären, das kann ich schrittweise tun, falls ich überhaupt jemals denke, dass es nötig sein wird. Ich erhoffe mir nicht viel, nur weil Romere mein Herz mit seinen Briefen ein wenig verweichlicht hat. Mein Herz ist ein nicht kontrollierbares Organ, weshalb ich mich möglichst nicht darauf zu stützen versuche, auch wenn sich das immer wieder als schwierig herausstellt.

„Gut. Ich hätte sonst vielleicht in Erwägung gezogen, meine Entscheidung nochmal zu überdenken. Für dich."

Ich ziehe meine Augenbrauen in die Höhe. „Ehrlich?"

„Ja. Ich will nämlich nicht, dass es dir schlecht geht. Denn wenn es dir schlecht geht, muss ich mich um all die Leute kümmern, die normalerweise zu dir kommen und die meisten davon hassen mich. Callum zum Beispiel. Also er hat das Gefühl, dass ich ihn hasse und deshalb meidet er mich so weit es eben geht. Teilweise ist das schade, aber ich weiß ganz genau, dass ich ihm niemals hätte so helfen können, wie du das damals mit dem Gedicht getan hast und deshalb will ich es ehrlich gesagt auch gar nicht wagen."

Ich seufze.

„Das ist aber schade, Leath. Du hast sicher das Potenzial, du musst nur ein wenig an dich selbst glauben, dann wird das schon."

Leath rollt mit den Augen, wirft mir aber ein dankbares Lächeln zu.

„Ich schätze, dass wir uns beide helfen, auch wenn wir es nicht unbedingt merken. Lass mich bitte einfach nicht im Stich mit diesen Kindern, falls du jemals die Möglichkeit haben solltest, es zu verhindern. Es gibt einen Grund, wieso du deinen Job hast und ich meinen."

Ich lache und dann konzentrieren wir uns beide wieder auf unsere Arbeit, auch wenn wir heute kaum etwas zu tun haben und somit mehr plaudern als dass wir tatsächlich produktiv sind.

Gegen Ende des Abends gesellt sich Jeffrey Copeland zu uns – auch Sohn der Direktion oder der Typ, welchem ich an meinem ersten Tag hier begegnet bin, ohne zu realisieren, wer er ist, genannt.

„Ihr seid mit Abstand die produktivste Kombination von Menschen, welche hinter dieser Theke gearbeitet hat", begrüßt er uns. Vermutlich, weil er die Bibliothek genau in einem dieser produktiven Momente betreten hat und nicht vorher oder später.

„Guten Abend, Jeff", begrüßt ihn Leath fröhlich. Die beiden machen den typischen Männer-Begrüß-Handschlag, was mich zum Lachen bringt. Ich wusste gar nicht, dass die beiden so gut befreundet sind.

„Hey. Und hallo dir, Audrey. Wie geht es dir so? Guter Start?"

Ich nicke. „Ja, alles gut bei mir, danke. Und bei dir, Jeffrey?"

„Auch. Hast du am Freitagabend schon etwas vor?", will er wissen, worauf ich ein wenig skeptisch den Kopf schüttle.

„Cool", mischt sich Leath ein. „Denn deine Pläne haben sich soeben geändert. Sportabend mit uns beiden und Jeffreys Schwester. Wenn du willst, kannst du auch jemanden mitnehmen."

Ich runzle die Stirn.

„Was für ein Sportabend?", frage ich vorsichtig nach, denn so selbstverständlich, wie die beiden das erzählen, müsste ich eigentlich wissen, worum es sich dabei handelt.

„Hast du schonmal etwas von einem Football-Team der Schule gehört?", will Jeffrey entgeistert wissen. Ich lache beinahe schon, weil er so überrascht aussieht. Stattdessen zucke ich aber nur mit den Schultern.

„Jetzt schon. Vielleicht gefällt mir die Sportart sogar. Wenn ich zum Spiel gehe, wird meine Reaktion jedenfalls ein Präzedenzfall, egal wie sie ausfällt."

Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen, denn Jeffrey und Leath werden so blass als hätten sie einen Geist gesehen.

„Sie meint das Ernst", sagt Leath entgeistert.

„Ja, ich merke es. Aber wieso denn, Audrey? Hast du dich an deiner alten Schule geweigert zu Spielen zu gehen oder so? Das ist eine riesige Wissenslücke, die wir da zu füllen haben. Weißt du, wie ein Spiel funktioniert oder müssen wir dir das auch noch erklären?"

Ich seufze. „Ich dachte, dass euch bewusst ist, dass ich keinen normalen Unterricht besucht habe. Öffentliche oder private Schulen wären praktisch Selbstmord gewesen, wenn man beachtet, was die Situation meines Bruders und so gewesen ist. Ich kann nicht behaupten, dass es immer leicht gewesen ist, auf all das verzichten zu müssen, aber ich habe noch nie ein Football-Spiel gesehen. Und nein, ich hatte auch keinen Fernseher oder so."

Zumindest keinen, bei welchem ich irgendein Mitspracherecht gehabt hätte. Zachary hat immer einen Fernseher gehabt, aber mir niemals erlaubt, dass ich die Programme darauf auswähle. Er hat Football gehasst. Vermutlich macht er es noch immer.

„Okay...kennst du Romere Young?", will Jeffrey wissen, während er sich über das Gesicht reibt. Ich nicke, während ich Leaths Blick deutlich auf mir spüre.

„Mehr oder weniger schon, ja. Warum?"

„Er ist der Sportlehrer und Trainer hier. Trotz Asthma. Er ist echt ein toller Kerl. Er ist sogar Weltmeister im Dart-Pfeile-Werfen."

„Bowlen", korrigiere ich automatisiert. Jeffrey runzelt die Stirn.

„Was?"

„Er ist Weltmeister im Bowlen gewesen vor ein paar Jahren", erkläre ich, während meine Wangen heiß werden. Ich hätte es einfach dabei belassen sollen, dass Jeffrey falsche Werbung macht. Das ist schließlich nicht mein Problem.

„Achso, dann habe ich da wohl eine falsche Information im Kopf. Aber was ich ganz sicher richtig weiß, ist, dass er dir das Spiel vermutlich viel besser kann erklären als wir beide gemeinsam. Ich sage ihm mal, dass er sich Zeit dafür nehmen soll und das möglichst vor Freitag, denn jetzt, wo wir wissen, dass du das Spiel nicht kennst, musst du einfach mitkommen."

Jeffrey steht auf und wirft uns beiden ein Grinsen zu.

„Ich muss langsam wieder gehen, denn ich habe heute wirklich noch ein paar Sachen zu erledigen und ich wollte eigentlich etwas ganz anderes mitteilen. Diese sind für euch, da stehen all die Informationen für eure Exkursion drin, genau wie auch die Tickets dabei sind, sprecht euch mit euren Co-Leitern ab, um die Einzelheiten zu klären wie zum Beispiel die persönlichen Regeln, die ihr aufstellen wollt."

Er legt uns den jeweiligen Briefumschlag auf den Tisch und verschwindet dann, ohne eine Antwort abzuwarten.

„Ich kann nicht fassen, dass du noch nie ein Football-Spiel gesehen hast", ist Leaths letzter Kommentar, ehe wir uns den Briefumschlägen widmen. Ich gluckse, kommentiere diese Aussage aber nicht weiter.

Und damit geht das Audrey-Romere-Ausflug-Abenteuer bald in eine nächste Runde 🤩

Freuen wir uns schon darauf?

Was wird dort wohl geschehen?

Habt ihr schonmal ein Sport-Spiel (z.B. Fußball) live gesehen?

Ich hoffe dass euch das Kapitel gefallen hat, bis zum nächsten Mal 💖

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