kapitel 26

Ich suche nach Worten,
aber finde nur deine.
Wieso sind sie keine Antwort
auf meine Fragen?

Ich suche nach mir selbst,
aber finde mich nur bei dir.
Wieso sind wir so weit entfernt,
wenn da so viel Nähe sein müsste?

Ein Brief klebt an meiner Tür. Mein Name steht schwungvoll draufgeschrieben. Dieselbe saubere Handschrift wie beim letzten Mal. Ich habe einen Briefkasten, aber anscheinend mag Romere meine Tür lieber. Ich frage mich, ob er zu meiner Tür kommt, weil er glaubt, dass er klopfen wird, es dann aber doch nicht tut und stattdessen den Brief an meine Tür klebt. Ich habe Romere seit einer Woche nicht gesehen. Wahrscheinlich, weil ich ihm erfolgreich aus dem Weg gehe. Aber ich denke, dass es viel eher damit zusammenhängt, dass ich Angst habe, wieder von dem Schmerz überwältigt zu werden, welchen ich so erfolgreich verdrängt habe. Ein Teil von mir wünschte, ich würde die Antwort darauf kennen, aber es gibt nichts, was ich darauf noch als Antwort erhalten könnte ... außer Schmerz und noch mehr Schmerz, so stark, so überwältigend, dass sich alles in mir zusammenzieht und mir die Luft zum Atmen nimmt.

Ich reiße den Brief auf, denn egal wie müde ich auch von meinem langen Tag an der Schule bin, meine Neugier über Romeres Worte würde mich nicht schlafen lassen. Ich wünsche mir zwar, dass er das ganze nicht in Papier gehalten hätte, denn es ist so viel einfacher, etwas Gesagtes zu ignorieren als etwas Geschriebenes. Die gesagten Dinge können verdreht und verflochten werden, bis sie zu einer Illusion in unserem Inneren werden, aber die Worte, welche er auf einem Papier zu Sätzen zusammenbaut, haben immer dieselbe Struktur, immer denselben Geist. Dieselbe Bedeutung. Ich zwinge mich zu einigen ruhigen Atemzügen und fange dann an zu lesen.

Audrey,

Ich würde mich gerne entschuldigen. Aber ich glaube, wir wissen beide, dass der Schmerz in uns zu tief sitzt, als dass eine Entschuldigung genügt. Ich möchte dir dennoch sagen, was mir leidtut, auch wenn ich kein Recht habe, deine Vergebung zu verlangen oder gar zu fordern.

Es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe. Vier Jahre sind lang, aber verfliegen trotzdem. Ich habe nach einem Weg gesucht, mein Verhalten zu begründen, aber ehrlich gesagt ist da nur Angst. Die ständige Panik, dass ich einen Fehler mache, dass ich dich mit reinziehe, wie ich meine anderen Fehler in Ordnung bringen soll und wie ich überhaupt mein Leben auf die Reihe kriege – und dabei stehe ich praktisch noch ganz am Anfang meiner Selbstständigkeit.

Ich habe dir die Schuld für unsere Situation gegeben: Audrey hat mir die Wahrheit nicht gesagt. Sie hat mir verschwiegen, dass sie reich ist, dass sie fast schon berühmt ist. Sie hat mich im Stich gelassen.

Dabei stimmt das alles nicht. Ich habe mich auf die leichteste Stütze von Ausreden gestützt, um nicht Kontakt aufnehmen zu müssen, weil mir die Worte für eine anständige Entschuldigung gefehlt haben. Ich habe mir geschworen, dich anzurufen, deine Nummer weiß ich auswendig, genau wie auch die Nachrichten, die mir von der Schnitzeljagd-Leitung weitergegeben worden sind. Aber die Angst hat mich jeden Tag überwältigt. Ich habe mich gefühlt, als würde ich jeden Tag aufs Neue ertrinken und du weißt, wie sehr ich mich vor Gewässern fürchte. Unsere Situation hat mich ertränkt und gelähmt und ich habe den Gedanken gehasst, dass der letzte Moment, in welchem du mich vor all dieser Zeit gesehen hast, nur ein lebloses Abbild von mir gewesen ist.

Ich habe mich in jedem Aspekt deiner und meiner Verarbeitung und Vergebung getäuscht und nun sind wir hier. In New York. Einer Stadt, welche so gross und so unglaublich ist, dass manch einer sagen würde, dass es Zufall ist, dass sich zwei Menschen, die sich so nahe und doch so fern sind, treffen. Aber ich glaube, dass diese Häufung von Zufällen gar kein Zufall mehr sein kann, sondern viel mehr Schicksal.

Du bist wie eine Sonne, Audrey. Und ich bin wie ein Mond. Wir sind uns so nahe und während ich das Gefühl habe, dass sich meine Welt förmlich um dich dreht, bleibst du immer an demselben Ort und nach einer gewisser Zeit merken wir, dass wir uns eigentlich nur im Kreis drehen. Wir hoffen, dass da mehr ist, nähern uns und dann kommt wieder der Winter, verschluckt uns.

Wir sollten damit aufhören, uns im Kreis oder auf einer Ellipse zu drehen. Wir sollten damit anfangen, einen Weg zu finden, wie wir uns nahe sein können, ohne ständig eine Bucht zwischen und zu haben oder eben Millionen von Kilometern, welche wir unmöglich überwinden können. Wir sollten einen Weg finden, neu anzufangen und gemeinsam einen Weg zu beschreiten, als ständig vor einer Kreuzung zu stehen, die uns das Herz bricht. Es gibt so viel, was ich dir sagen möchte, aber ich bin außerstande, die richtigen Worte zu finden. Genau wie wenn ich vor dir stehe und mich frage, wie ich jemals zulassen konnte, dass ich nicht antworte, kein Lebenszeichen von mir gebe und nur ansehen muss, was ich alles durch meine Unfähigkeit verloren habe.

Es tut mir von ganzem Herzen leid, Audrey.

Bitte lass uns neu anfangen und eine Decke für das Band häkeln, welches uns verbindet, sodass es immer warm und geschützt bleibt und nicht zu zerreißen droht, weil zwischen uns zu viel Spannung herrscht.

Alles Liebe, Romere

Die Worte verschwimmen vor meinen Augen, weil sie so schön sind, aber trotzdem etwas in mir erwecken, was wieder mit all dem Schmerz in mir verbunden ist. Ich wünschte, ich könnte einfach vergessen, was damals geschehen ist. Einatmen, ausatmen, ohne das Chaos um mich herum und in mir zu spüren, während mir kaum mehr bleibt als eine Entscheidung, die wieder alles zerstören könnte, gleichzeitig aber auch die Macht hat, etwas in mir zu reparieren.

Ich würde so gerne neu anfangen.

Aber wie? Wie soll ich über den Schmerz in mir hinwegsehen? Wieso sind diese Worte so viel Wert, auch wenn ich sie nicht einmal aus seinem Mund gehört habe. Sie fühlen sich real an, obwohl er theoretisch über jedes Satzzeichen hätte grübeln können, jeden kleinen Schlenker seiner Handschrift hätte verbessern können und alles zu perfektionieren, bis es mir entspricht. Aber das hat er nicht getan. An einigen Stellen ist das Papier zerknittert, die Tinte verschmiert. Als hätte seine Hand auf den Worten gelegen hatte, ehe das Blau darauf trocknen konnte.

Ich brauche eine Änderung. Aber bin ich wirklich bereit für einen Neuanfang?

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„Darf ich den Brief lesen?", fragt mich Sutton, nachdem ich ihr geschildert habe, was zwischen Romere und mir los ist. Ich habe ihr gesagt, dass er einen Neuanfang möchte und dass die Entscheidung nun bei mir liegt.

Ich schüttle meinen Kopf, auch wenn ich versucht bin, zu meiner Schublade zu rennen und das Papier direkt unter ihre Nase zu halten. Aber die Worte sind mir zu intim, als dass ich sie ihr zeigen könnte. Sie bedeuten mir zu viel, als dass ich sie jemandem geben könnte, während ich nicht einmal selbst weiß, wie ich sie verarbeiten soll. Es ist die Lähmung, welche er erwähnt hat. Ein Anhalten meiner Körperfunktion, einfach sind hier nicht meine Nerven oder sonst was schuld, sondern allein meine Emotionen.

„Okay. Möchtest du überhaupt darüber reden oder würdest du die Situation lieber vergessen, bis du strategisch darüber nachdenken kannst?", fragt sie mich, worauf ich ratlos mit den Schultern zucke.

„Wir sollten einen Film ansehen", beschließt sie dann und zieht mich auf meine Füße.

„Schaffst du es zu meiner Wohnung? Mein Bett ist grösser als deins-...", setzt sie an, doch ich unterbreche sie.

„Dein Badezimmer erinnert mich an ihn", flüstere ich und schließe meine Augen. Das Prickeln dieser Nacht wollte lange nicht verschwinden, als würden seine Berührungen wie ein Tattoo nur verblassen, aber niemals richtig verschwinden.

Sutton presst ihre Lippen verärgert zusammen. „Ich werde wohl das Badezimmer wegen ihm renovieren müssen", knurrt sie, was mich zum Lachen bringt.

„Ich brauche nur etwas Zeit. Dann sollte ich wieder zurückkehren können, ohne komplett am Rad zu drehen", beschwichtige ich sie, während Sutton meinen Laptop holt, um einen Film für uns auszusuchen. Wir kuscheln uns auf mein Bett. Ich sage Sutton, dass ich einen Liebesfilm schauen möchte. Um zu sehen, wie die Liebe funktionieren kann. Um inspiriert zu sein, wie die schlimme Situation gelöst werden soll, welche immer in der letzten halben Stunde des Filmes vorkommt. Ich weiß nicht, wieso ich das Gefühl habe, dass mein Leben in einem Film metaphorisch dargestellt ist. Kein Idiot würde so einen Film drehen wollen, einfach weil es nicht wirklich ansprechend oder witzig, sondern vielmehr traurig und dramatisch ist. Natürlich gibt es Dramen, aber dann ist die Frage um mein Liebesleben noch nicht aufgelöst, sondern nur die Frage um ein Ende, welches in diesem Falle traurig wäre. Aber ich möchte ein Happy End. Kein Drama. Ich möchte einen Liebesfilm, nicht nur Trauma und Schmerzen.

10 Dinge, die ich an dir hasse? Was sagst du dazu?", reißt mich Sutton aus meinen Gedanken. Ich nicke, hauptsächlich weil ich es liebe, dass wir auf Klassiker zurückgreifen. Manchmal ist das eben auch notwendig. Normalerweise schaue ich solche Filme, um mein Lachen wieder zu finden, aber heute bin ich zu abgelenkt dafür. Sutton macht immer wieder Kommentare, welche mich zum Lächeln bringen, aber es ist schwierig, mich zu hundert Prozent zu fokussieren, wenn es nur etwas gibt, woran ich denken kann. Oder jemanden.

Wir sind beinahe schon am Ende des Films. Ich spüre Suttons mitfühlenden Blick auf mir, als die berühmte Ich-hasse-Szene auftaucht, von welcher der Film auch seinen Namen hat.

"Ich hasse, wie du mit mir sprichst, und deine komische Frisur! Ich hasse, wie du Auto fährst, und deine ganze Machotour! Ich hasse deine Art mich anzuglotzen und dich ständig einzuschleimen. Ich hasse es so sehr, ich muss fast kotzen, noch mehr als bei diesen Reimen. Ich hasse, wenn du Recht behältst, und deine Lügerei. Ich hasse, wenn du mich zum Lachen bringst, noch mehr als meine Heulerei. Ich hasse, wenn du nicht da bist und dass du mich nicht angerufen hast. Doch am meisten hasse ich, dass ich dich nicht hassen kann. Nicht mal ein wenig, nicht mal ein bisschen. Nicht einmal fast."

Ich hasse, dass ich dich nicht hassen kann. Ich hasse, dass diese Worte so wahr sind. Ich spüre Suttons Arme um mich herum und lasse meinen Tränen nach langer Zeit wieder einmal freien Lauf. Wieso kann die ganze Geschichte nicht weniger kompliziert sein? Wieso kann ich mich nicht einfach für ein Gefühl entscheiden, welches ich ihm gegenüber empfinde, statt dieses ganzes Chaos in mir zu haben und mich ständig so aufgewühlt zu fühlen? Es wäre so viel einfacher, wenn das zwischen mir und Romere nicht alles eine riesige Grauzone wäre, sondern nur Schwarz oder Weiß. Es ist so viel komplexer und so viel beeindruckender, so schmerzhaft aber in manchen Momenten auch unfassbar erfüllend.

„Oh, Audrey", seufzt Sutton, während meine Schluchzer die Stille zerreißen, die entstanden ist, seit sie den Film gestoppt hat. Sie streicht mir beruhigend über den Rücken und sagt Dinge, die mich beruhigen sollten, die ich aber nicht wirklich verstehe.

Alles wird gut. Aber was ist gut? Bedeutet das mit oder ohne ihn? Bedeutet das, dass ich mich für einen Neuanfang entscheiden soll oder für gar nichts? Ich würde gerne einen Neuanfang wagen, aber zu welchem Preis? Was muss ich denn noch alles ertragen, um die ganze Situation endlich zu ... ertragen?

Sutton lässt mich an diesem Abend nicht allein, auch wenn sie eigentlich zur Arbeit müsste. Stattdessen meldet sie sich krank und kümmert sich um mich, als wäre ich krank. Sie macht mir etwas zu essen, befiehlt mir Bettruhe und versorgt mich mit Aspirin und Taschentüchern. Vielleicht sind das die Symptome von innerer Zerrissenheit, der Unfähigkeit, sich für etwas zu entscheiden und auf einem Grat der Gefühle zu kraxeln, ohne wissen zu können, auf welche Seite der Sturz schlimmer sein wird. Aber er wird schlimm. Egal wofür ich mich entscheide. Wieso steht mir dann noch mein Verstand im Weg, wenn mein Herz in jedem Fall den Schaden ertragen muss, falls es dazu kommt?

Was halten wir von Romeres Brief ☀️🌕?

Wird Audrey einen Neuanfang mit Romere wagen 🤔?

Mögt ihr den Film 10 Dinge, die ich an dir hasse 🎞🍿?

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