kapitel 22

Du hast mir vielleicht nur mit den Kleidern geholfen,
aber du hast es auch geschafft, meine Nervosität zu vertreiben.

„Meinst du, dass dieses Outfit wirklich gut ist?", frage ich Sutton zum hundertsten Mal, während sie meinen Kleiderschrank auseinandernimmt, nur um mir dabei zu helfen, ein perfektes Outfit für meinen ersten Arbeitstaug herauszusuchen. Seit ihrer Party ist bereits eine Woche vergangen und vor einigen Tagen habe ich ihr erklärt, wieso ich so einen dramatischen Abgang gemacht habe und dass es mir leidtut, dass ich ihren Geburtstag derartig verdorben habe. Sutton hat danach eine Weile geschwiegen und ich habe das Gefühl, dass sie mir eigentlich noch etwas zu dem Thema sagen wollte, es sich aber erspart hat, weil sie gemerkt hat, dass ich beim Thema Romere ein wenig empfindlich bin und dass ich in diesem Moment ziemlich wenig einstecken kann. Ich glaube, dass sie größtenteils einfach davon schockiert war, dass ausgerechnet ich eine solche Mini-Vergangenheit mit Romere gehabt habe. Ich habe ihr zwar schonmal erzählt, dass meine Vergangenheit mit Kerlen nicht besonders ansprechend ist und auch, dass mein Bruder ein berühmter Kerl ist, aber die Geschichte mit Romere hat sie am meisten schockiert.

„Es ist so ein krasser Zufall, dass du ihn ausgerechnet hier nach all dieser Zeit wieder getroffen hast", hat sie gesagt. „Aber es erklärt auch, wieso er doch zu meiner Geburtstagsparty kommen wollte, als ich ihm gesagt habe, dass das Mädchen, welches es in der Bar gerettet hat, ebenfalls da sein wird. Ich habe nicht einmal geahnt, dass da eine Vergangenheit sein könnte, von welcher ich nichts wusste."

Genauso wenig wie ich geahnt habe, dass er mir einen Brief an die Tür kleben würde. Vorgestern habe ich den Briefumschlag gefunden und ich bin noch immer überrascht, dass er mir überhaupt etwas an die Tür gehängt hat.

Es ist zwar schon zu spät dafür, aber besser spät als nie;

Ich atme. Noch immer. Nicht zuletzt dank dir.

Ich weiß nicht, ob und wie ich das verdient habe.

Freundliche Grüße, Romere.

PS: Wenn du jemals jemanden zum Reden oder Hilfe brauchst, bitte ruf mich an. Ich habe deine Nummer zwar, aber ich glaube nicht, dass ich auch das Recht habe, einfach anzurufen, nachdem ich den Zweck der Nummer nicht erfüllt habe, als ich sie erhalten habe.

Dann stand in rundlichen, leserlichen Ziffern noch seine Nummer unter dem Zettel. Ich habe sowohl den Briefumschlag als auch den Brief in meinem Nachttischchen versteckt, damit ich sie nicht immer sehen muss, aber daran denke, bis ich eine passende Lösung dafür gefunden habe, falls ich jemals so weit sein sollte. Ich habe Sutton nicht über den Brief informiert, einfach weil ich selbst nicht weiß, was ich davon halten sollte. Er klingt wie eine Entschuldigung, aber ich verstehe nicht, wieso Romere glaubt, dass eine Entschuldigung nun angepasst wäre. Wieso er sich zu entschuldigen braucht, wenn er nicht den Eindruck geweckt hat, keinen Kontakt haben zu wollen. Oder vielleicht hat er auch einfach ein schlechtes Gewissen, da ich wegen ihm geweint habe.

„Ja, das sieht gut aus", reißt mich Sutton aus meinen Gedanken, während sie ihren Blick über mich gleiten lässt. Sie hat mir stylische hellblaue Jeans und eine weiße Bluse ausgesucht und dazu Schuhe kombiniert, die ich nicht recht klassifizieren kann, weil sie nicht wirklich Ausgangsschuhe sind, aber auch nicht als Straßenschuhe gelten. Sie sind eine Kombination aus beidem und normalerweise würde ich so etwas wirklich nicht freiwillig tragen, aber momentan scheint es zum Outfit zu passen.

„Meinst du es passt in ein Sekretariat?", frage ich, worauf sie nur mit den Augen rollt.

„Ja, ich schwöre es. Ich war schonmal in dieser Schule und alle, die in dem Sekretariat da arbeiten, sind so angezogen. Obwohl nein, das stimmt nicht. Die meisten tragen Jogginghosen und eine Bluse, weil niemand unter den Tisch blicken kann, aber ich verbiete dir, so rauszugehen, weil das wirklich eine grauenhafte Kombination ist und du eine wunderschöne Frau mit großartigen Kleidern bist, die wirklich ein besseres Outfit an den Tag legen kann."

Ich lache, während mich ihre Antwort ein wenig beruhigt.

„Meinst du, ich werde da reinpassen? Also auf meinen Charakter bezogen?"

Sutton zuckt mit den Schultern.

„Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass das irgendetwas mit Charakter zu tun hat. Du musst einfach dein Zeug machen und dann wirst du dort gut aufgenommen, denn egal wie merkwürdig die Angestellten dort auch sind, sie erledigen wenigstens, was sie tun müssen und wollen ein möglichst angenehmes Arbeitsklima haben, verstehst du? Dabei geht es gar nicht darum, dass du eine bestimmte Persönlichkeit oder einen bestimmten Charakter hast."

Ich nicke, während ich mit jeder Sekunde dankbarer bin, Sutton um Hilfe gefragt zu haben. Sie merkt es vermutlich gar nicht, aber sie ist gerade dabei, mir einen Großteil meiner Nervosität zu nehmen. Ich glaube, dass das der erste Tag in meinem ganzen Leben sein wird, an dem ich gearbeitet habe und das macht mich eben unglaublich nervös. Und es ist nicht so, dass ich noch nie etwas getan hätte, ganz im Gegenteil, ich habe meinem Bruder ja schon etliche Male bei Songs und Songtexten geholfen und sogar ein Album mit ihm geschrieben, wofür ich eine ganze Menge Geld erhalten habe, genau wie auch damals, als ich das Haus kaum verlassen habe und er mir insgeheim immer Schadenersatz auf mein Bankkonto eingezahlt hat, weil er sich so schuldig gefühlt hat. Das habe ich erst später gemerkt und ich habe ihm auch oft gesagt, dass er das nicht tun muss, weil er schon genug für mich macht, aber Brexon hat das Geld nie zurückgenommen. Er hat immer gesagt, dass er ohnehin genug davon hat und dass er sich schuldig fühlen würde, wenn ich zuhause eingesperrt bin und nicht arbeiten gehen kann, während er sich einen Geld-Berg verdient, ohne mir etwas davon abgeben zu können. Irgendwann habe ich es dann wohl oder übel akzeptieren müssen. Mittlerweile bin ich sogar dankbar dafür, denn ich hätte sonst wohl kaum zwei Monate lang eine winzige Wohnung in New York finanzieren können, ohne irgendeine Anstellung zu haben. Rein theoretisch müsste ich nie wieder in meinem ganzen Leben einen Finger rühren, wenn ich das wollte, denn ich kann wirklich auf die volle finanzielle Unterstützung meines Bruders zählen, aber das möchte ich nicht.

Ich kann nicht auf ewig nichts tun und glauben, dass ich dann glücklich werden kann. Ich brauche irgendeine Beschäftigung und ich glaube, dass es mir auch guttun würde, wenn ich endlich mal die Erfahrung mache, selbstständig ein wenig Geld zu verdienen. Denn ich helfe samstags zwar in einer Sozial-Küche für Obdachlose, aber das mache ich freiwillig und weil ich es wichtig finde, Menschen zu helfen, die Hilfe dringend nötig haben. Vor allem auch, wenn ich die nötigen Mittel dazu habe. Ich bin vielleicht keine gute Köchin, aber ich kann bei der Essensausgabe helfen.

„Danke für deine Hilfe, Sutton", sage ich und schließe die Blondine in meine Arme. „Du bist eine großartige Hilfe", füge ich hinzu, was sie zum Lachen bringt.

„Ich habe doch gar nicht so viel gemacht, Süße. Dein Kleiderschrank hat praktisch die ganze Arbeit geleistet."

Ich zucke mit den Schultern und schließe meine Arme noch ein wenig fester um sie.

„Vielleicht. Aber du bist für mich dagewesen, als ich es gebraucht habe und dafür könnte ich dir nicht dankbarer sein, verstehst du?"

Sutton nickt und verstrubbelt meine Haare, flucht dann aber keine Sekunde später schon los.

„Oh Gott, das tut mir so leid, ich wollte deine Frisur nicht zerstören!", ruft sie beinahe schon ein wenig panisch, was mir ein Lachen entlockt, während sie ins Badezimmer rennt, um eine Haarbürste zu holen. Ich atme tief durch und schließe für einen kurzen Moment die Augen. Es fühlt sich an, als würde heute endlich mein Leben beginnen.

Audrey beginnt also endlich zu arbeiten 😍!

Habt ihr eigentlich einen Traumberuf?

Geniesst das Wochenende & bis zum nächsten Kapitel ☀️💛

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