kapitel 09
Erleuchte die Nacht mit deinem Lächeln,
begrüße mich mit den Sternen in deinen Augen
Ich beschließe, im Fluss baden zu gehen. Es ist schon dunkel, aber ich habe eine Dusche nach diesem Tag dringend nötig. Oder eben ein Bad. Meine Haare sollten noch in Ordnung sein, aber ich bin verschwitzt und verschlammt, was mich echt anekelt. Wenn ich mir schon auf so engem Raum mit einem Kerl ein Zelt teile, werde ich auch dafür sorgen, dass er nicht in Ohnmacht fällt, wenn er mir zu nahekommt.
„Wo willst denn du hin?", fragt Romere, der uns ein kleines Lagerfeuer gemacht hat, wo er uns Marshmallows und Brot brät.
„Zum Fluss", entgegne ich ein wenig widerwillig. Meine Wangen färben sich rot, während Romeres Blick über meinen Körper wandert.
„Alleine?"
„Mit wem denn sonst?"
Er rollt mit den Augen, steckt den Stock mit dem Brot und den Marshmallows allerdings in den Boden.
„Mit mir, du Schlumpf. Es ist schon dunkel und der Fluss ist einige Minuten von hier entfernt. Ich habe keine Lust zu sehen, wie eine Wildkatze deinen Arm wegisst, wenn ich dich suchen gehe."
„Du willst mich vor einer Wildkatze beschützen?"
Er zuckt mit den Schultern.
„Na klar. Wovor denn sonst?"
Ich verschränke die Arme vor der Brust, darauf achtend, das Handtuch auf meinen Schultern nicht runterfallen zu lassen.
„Hast du Erfahrungen mit Wildkatzen, Romere?"
„Du lässt das echt komisch klingen", sagt er, während er das Feuer so klein werden lässt, dass es keinen Waldbrand anrichtet.
„Und du weichst meiner Frage aus. Hast du Erfahrungen mit ihnen, Romere? Weißt du, wie du mich vor einer Wildkatze beschützen würdest?"
Er zuckt mit den Schultern. „Na klar. So wie ich es eben tun würde", antwortet er gelassen, während seine Augen ein wenig nervös durch die Gegend wandern. Ich kann es nicht fassen, aber Romere scheint sich tatsächlich zu fürchten.
„Wovor hast du Angst?", will ich seufzend wissen. Er geht mir voraus, sodass ich ihm wohl folgen muss, wenn ich mich heute noch erfrischen möchte.
„Vor dir."
Mein Mund klappt auf, während ich ihm mahnend gegen ein Ohr schnippe.
„AUA! Lass das, ja? Und stell keine Fragen, zu denen du die Antwort nicht hören möchtest. Du bist beängstigend, Audrey. Du machst ungewöhnliche Dinge und du reagierst ungewöhnlich. Ich meine, du hörst nicht mal Musik. Was für eine verlassene Seele bist du bitte?"
Ich werfe seinem Rücken einen bösen Blick zu.
„Ich bin keine verlassene Seele, sondern ein anständiger Mensch. Außerdem solltest du mich echt aufhören zu verurteilen, vor allem wenn du selbst nicht besser bist. Du hast Angst vor jemandem, der kleiner, schwächer und offensichtlich netter ist als du. Das ist komischer als mein Verhalten."
Romere schnaubt, worauf wir beide in Schweigen verfallen. Bei Nacht sieht die ganze Kulisse anders aus. Die bunten Farben des Tages sind alle in Mondlicht getaucht. Es ist beinahe Vollmond, weshalb die Sicht selbst bei Nacht ziemlich gut ist. Die Wolken des Tages haben sich geklärt und es sind nur noch vereinzelte Wolkenstreifen zu sehen, welche von einem Sternemeer umgeben sind. Die Natur um mich herum ist in dunkle Farbtöne – von blau bis schwarz – getaucht, welche meine Aufmerksamkeit schneller erlangen als die vereinzelten Vögel, welche durch die Gegend schwirren, oder die Zikaden, die angestrengt zirpen, als hätten sie ein eigenes Konzert. Ich frage mich, was ich tun würde, wenn ich eine Zikade wäre. Ich glaube nicht, dass ich den ganzen Tag lang herumhüpfen und mich sonnen könnte. Auch wenn mein Alltag für die nächsten Wochen sich nicht unbedingt davon unterscheidet.
„Wir sind da", merkt Romere überflüssigerweise an und deutet auf das glitzernde Gewässer vor uns. Es sieht nicht sonderlich tief aus, was mir gerade recht kommt. Nach diesem Tag habe ich keine Energie mehr, um viel zu schwimmen. Ich lasse meine Fingerspitzen im Wasser versinken, welches erstaunlich warm ist. Vermutlich hat sich der Fluss über den Sommer gewärmt und ist nun deshalb so warm.
„Willst du in deinen Kleidern schwimmen?", fragt mich Romere, der mich schweigend beobachtet hat. Ich zögere, weil ich es eigentlich nicht vorhabe. Tragischerweise habe ich aber nicht mehr als ein Höschen unter meiner Kleidung an. Das kommt davon, wenn man meint, dass man sonst nichts braucht, wenn man allein in der Wildnis ist.
„Kannst- ... kannst du dich umdrehen?", frage ich zurück, wobei meine Stimme ein wenig rau klingt. Diese Situation macht mich nervöser als nötig ist. Es ist merkwürdig, was für einen Einfluss Romere auf mich hat, obwohl ich ihn kaum kenne. Mein Herz sollte nicht so schnell schlagen, wenn ich ihn ansehe. Meine Atmung sollte nicht so gestockt sein. Ich habe ihn gestern zum ersten Mal gesehen. Meine Erfahrungen hätten mir beibringen sollen, dass man sich nicht so schnell auf einen Kerl einlassen sollte. Erst Zachary, dann Blake. Ich will nicht, dass Romere der dritte im Bund wird. Er hat einen Funken an sich, den ich sonst bei keinem Kerl gesehen habe und das gefällt mir. Aber ich müsste zuerst herausfinden, ob dieser Funke gut oder schlecht ist, bevor ich mich ihm anvertraue. Das bin ich mir und meiner ... Vergangenheit mit Kerlen schuldig. Vor allem sollte ich nichts überstürzen.
„Willst du etwa Nacktbaden?", fragt er ein wenig fassungslos. Ich schlucke, während er mein Gesicht überrascht mustert.
„Was spricht denn dagegen?"
Wieso um alles in der Welt flirte ich mit ihm? Ich beiße mir auf die Lippen und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Das ist so entsetzlich peinlich und wir sind gerade mal bei Tag Nummer zwei.
„Tut mir leid, dass ich so verkorkst bin", nuschle ich, was ihn nur zum Lachen bringt. Ich mag sein Lachen. Es ist so ehrlich und herzlich, während immer eine Wärme darin mitschwingt, die mich zu umarmen und in Freundlichkeit zu ertränken droht.
„Du bist nicht verkorkst, Audrey. Was haben wir denn zu verlieren?"
Romere löst sanft meine Hände vom Gesicht und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.
„Wir werden drei Wochen miteinander verbringen. Da können wir sie genauso gut auch einfach genießen."
Er übt sachte Druck auf meine Hände aus, die er immer noch in seinen hält, was meinen sowieso schon labilen Atem stocken lässt. Dann drückt er einen federleichten Kuss auf meine Handfläche, was sich so viel intimer anfühlt als nur auf dem Handrücken. Oh Gott, Romere löst unfassbar angenehme Dinge in meinem Bauch aus. Ich werde bestimmt keinen Kerl küssen, den ich erst seit so kurzer Zeit kenne.
„Willst du zuerst ins Wasser?", fragt er, worauf ich nur benommen nicken kann. Es scheint fast so, als wisse er gar nicht, was er mit mir macht. Aber vielleicht tut Romere auch nur so unschuldig, während er sich innerlich sehr wohl bewusst ist, was er mit mir anstellt.
Er beginnt ein Lied zu summen, während ich seinen Rücken betrachte, der mir zugewendet ist. Zuerst landet mein T-Shirt auf dem Boden, wodurch sich mir der Magen zusammenzieht. Ein Windhauch streift über meinen Oberkörper, sodass ich mich versteife. Romere saugt tief Luft ein, als er den Stoff auf dem Boden sieht, während seine Hände sich auf seinen Seiten zu Fäusten ballen und sich dann wieder lösen. Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ihn die ganze Sache kaltlässt. Ich halte mich an seiner Schulter fest, während ich erst aus einem, dann aus dem anderen Hosenbein hopse. Die Hose landet auf dem Boden. Wir beide halten die Luft an. Mein Höschen folgt. Romere legt den Kopf in den Nacken und brummt angestrengt.
„Du solltest lieber ins Wasser, Audrey", flüstert er mit emotionsgeladener Stimme, die meinen Bauch kribbeln lässt. Ich benetze meine Lippen und lege meinen Kopf an seiner Schulter ab, die mir noch immer zugewendet ist.
„Ich brauche einen Moment, sonst kann ich mich nicht konzentrieren", schwindle ich. Ich werde mich so oder so nicht konzentrieren können, vor allem wenn Romere seine Kleidung ebenfalls ablegen wird, aber ich traue meinen wackeligen Knien in diesem Moment nicht und das macht mir Angst. Was werden drei Wochen mit ihm aus mir machen, wenn ich meinen Körper schon nach einem Tag nicht mehr beherrschen kann? Ich weiß nicht einmal, wie es dazu gekommen ist. Romere hat größtenteils geschwiegen, mehr nicht. Er hat mich nur von einer Panikattacke gerettet und das ist es auch schon gewesen.
„Audrey, bitte", fleht Romere beinahe schon, während seine Muskeln vor Spannung zu zerreißen drohen. Eine Welle der Nüchternheit ergießt sich über mich. Romere ist nur ein Mann, mehr nicht. Ich bin eine starke, unabhängige Frau und ich kann und werde mich nicht so leicht von ihm beeinflussen lassen. Ich brauche keinen Retter, ich brauche keinen Mann, ich brauche meinen verdammten Frieden. Ich hätte hier allein sein sollen und ich werde meine Mauern nicht wieder so schnell einfallen lassen. Dieser Moment hier wird bald in Vergessenheit geraten und wenn es sein muss, werde ich nie wieder vorschlagen baden zu gehen, wenn es dafür sorgt, dass wir uns nicht mehr so nahekommen. Ich schlucke einmal, löse meinen Kopf dann aber von Romeres Schulter. Ab jetzt wird es in meiner Welt Regeln geben, auch wenn ich ihn da nicht miteinschließen werde.
2. Keine tiefgründigen Gespräche oder Panikattacken, das benebelt mein Hirn.
3. Keine Bewunderung von Romeres Körper mehr.
Zufrieden mit mir selbst wate ich in das Wasser, welches mich umschließt wie ein Trog. Ich frage mich, wie es wohl ist zu ertrinken. Ich habe nicht vor, das zu testen, aber ich frage mich, was wohl die Gedanken einer ertrinkenden Person sind. Panik? Einsicht? Ich hoffe, dass ich es niemals herausfinden werde. Ertrinken hört sich immer nach einem brutalen Tod an, vor allem wenn man bedenkt, dass ich das Wasser liebe. Viele Leute, die das Wasser lieben, ertrinken, weil sie nicht vorsichtig genug sind. Genau wie auch viele Leute beim Wandern sterben, weil sie sich nicht an alle Vorsichtsmaßnahmen halten. Es ist verrückt, wie achtlos man wird, wenn man etwas liebt.
„Bist du drin?", möchte Romere kehlig wissen, worauf ich nur mit einem „Ja" antworte. Das Wasser reicht mir genau bis zum Hals, sodass alle wichtigen Bereiche bedeckt sind. Ich tauche für einen kurzen Moment unter, bis auch meine Haare vollkommen nass sind. Als ich wieder auftauche, steht Romere bis zur Hüfte im Fluss.
„Es ist angenehm", sagt er, ohne die Distanz zwischen uns zu überbrücken. Er steht weitaus näher am Ufer als ich, was mich beruhigt. Ich traue meinem Körper noch keine Selbstbeherrschung zu, wenn meine Regeln erst so jung sind. Regeln brauchen mehr Zeit, um vollständig einzusinken und wirksam zu sein.
„Ja." Ich darf nicht mehr mit ihm reden, sonst gewinnt meine Neugier die Oberhand. Ich frage mich, wie Romere in seinem normalen Leben ist. Wie er leibt und lebt, was er in seiner Freizeit macht, womit er Zeit verbringt, was ihm Spaß macht und noch so viel mehr, dass ich meinen Mund förmlich zusammenpressen muss, um ihn nicht auszuquetschen wie ein nasses Kleidungsstück.
„Ich kann nicht glauben, dass ich in einem Fluss bin", sagt er nach einigen Minuten Schweigen, während welchen ich betont auf die Natur um uns herum gestarrt habe. Je weiter die Elemente entfernt sind, desto weniger gut erkennt man sie in der Nacht.
„Ach ja?", entgegne ich und suche trotz meinen Versuchen es nicht zu tun seinen Blick. Romere zuckt mit den Schultern und nickt.
„Als Jugendlicher hatte ich panische Angst vor dem Wasser, weißt du? Ich ... es hat eine Menge Gründe, aber ich bringe es meistens nicht auf die Reihe, sie aus meinem Kopf zu verbannen und einfach das zu tun, wonach es mir steht. Als Kind wollte ich immer Synchronschwimmer werden, aber die Dinge haben sich geändert."
Wieso?, will ich fragen. Was hat sich geändert?
„Was willst du jetzt werden?", frage ich stattdessen. Small-Talk ist immer eine gute Ablenkung.
„Bowling-Bahn Besitzer."
Ich stoße ein Lachen aus. Ich schwöre mir, nur noch dieses Gespräch so mit ihm zu führen. Meine Neugier wird nicht wieder die Oberhand gewinnen.
„Wofür studierst du dann Latein, wenn man fragen darf?"
„Du darfst nicht, aber für den Plan B."
„Hat Plan A nicht genug Potential?"
Ich sollte nicht so viele Fragen stellen.
„Plan A hat zu viel Potenzial."
„Wofür brauchst du in dem Fall einen Plan B?"
„Notfälle sind nicht vorherzusehen, Audrey. Dafür. Ich will mich nicht auf eine Version der Zukunft fokussieren, wenn es viele verschiedene gibt, die ich auswählen könnte, verstehst du?"
Ich zucke mit den Schultern. Vollkommen verstehen werde ich es nie, denn mein Plan B ist mein geliebter Bruder, der mir so viel Kohle zustecken könnte, dass ich niemals mehr auch nur einen Finger rühren müsste, wenn ich das wollen würde. Ich konzentriere mich immer auf meinen Plan A, denn wenn man nur eine Sache im Kopf hat, ist die Wahrscheinlichkeit sie zu ruinieren, geringer.
„Ja", lüge ich aber wieder. Ich kann Romere nicht sagen, dass mein Bruder ein berühmter Rockstar ist. Weltberühmt. Der Brexon Dillon schlechthin. Die Reaktion ist immer dieselbe. Augenblickliche Freundschaft, Liebe, Zuneigung und eine Art von Geldgier, von welcher mir immer schlecht wird. Romere richtet in seinem normalen Zustand schon genug Schaden in mir an, da muss ich ihm nicht noch zusätzlich Munition liefern, mit welcher er mich zerstören könnte.
„Ich denke, dass wir langsam zurückgehen sollten. Ich bin müde und morgen wird bestimmt wieder ein langer Tag", sage ich. Ich spüre schon den Anflug von Kopfschmerzen, weil es mir überhaupt nicht liegt, so viel zu lügen, wie ich es momentan mache.
Romere sieht für einen Moment so aus, als wolle er mir widersprechen und Enttäuschung flackert in seinem Gesicht auf, dann nickt er aber zustimmend und pflastert sich ein spielerisches Grinsen auf die Lippen.
„Klar", sagt er. Und dieses kleine Wort richtet in mir so viel mehr Schaden an, als mein unsinniges Gehabe, auch wenn es das einzig Richtige ist.
Ist es wirklich besser für Audrey, sich nun von Romere zurückzuziehen?
Ist es gut, dass sie ihm nichts von Brexon erzählen möchte?
Was halten wir von dem intimen Moment zwischen Audrey und Romere 😏?
Wie hat euch das Kapitel gefallen?
Ich wünsche euch ein wunderschönes restliches Wochenende, bis bald 💚💚
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