kapitel 07

Während ich die kleine Holzhütte gehe, welche mein einziger Anhaltspunkt ist, bis ich mal klarkomme, mache ich mich schon auf entsetzlichen Gestank bereit.

Bloß setzt er dieses Mal nicht ein. Ich seufze erleichtert auf, auch wenn es in der Hütte trotzdem nicht angenehm ist. Es ist stickig und fühlt sich an wie eine Sauna. Ich öffne meine Haare und binde mir sie dann zu erneut einem unordentlichen Dutt zusammen, sodass sie mir nicht im Nacken kleben und auch nicht so aus der Frisur lösen wie gerade eben.

Wie kann sich so viel Hitze in einer kleinen Hütte sammeln? Das ist echt abartig. Ich rümpfe die Nase, denn hier drin zu schlafen wird wohl keine Option sein. Hoffentlich hat Page mir ein anständiges Zelt besorgt, sonst bin ich aufgeschmissen.

Ich schiebe mir die Riemen meines Rucksacks von den Schultern und seufze beinahe erleichtert auf, als ich spüre, dass kein Gewicht mehr auf meine Schultern drückt. Einfach nur wundervoll. Ich frage mich aber auch, was sie mir alles in diesen Rucksack gepackt hat. Ich löse die Schnallen und mir springen wortwörtlich Dinge entgegen, so vollgestopft ist es. Seufzend lege ich die Shirts und die Unterwäsche auf den Boden, während ich einige Dosen Ravioli und eine Schachtel Kekse herausfische, darunter einen Schlafsack... und ein Zelt. Das wird unmöglich genug groß für mich und meinen Rucksack sein. Außer wenn ich den Rucksack als Kissen benutze. Ich reibe mir übers Gesicht und bereue es ehrlich gesagt ein wenig, dass ich meine Sachen nicht selbst gepackt habe, denn Page mag vielleicht alles gut gemeint haben, aber die Hälfte der Dinge hier sind überflüssig. Ich seufze erneut und hole mir den Plan aus meinem Rucksack, auf welchem die Route eingezeichnet ist.

Sie reicht über mehrere hundert Kilometer. Mein Herz bleibt stehen. Wie kann man nur so dumm sein? Ich Idiotin bin offiziell gestrandet. Weil Romere meinen Autoschlüssel verloren hat. Das wäre dann wohl der Moment, in welchem ich abdanken kann.

Das Walkie-Talkie fällt aus der Tasche und rettet mich im letzten Moment vor der Verzweiflung, bis mir auffällt, dass es mir heute eigentlich gar nichts bringt, weil die Anlaufstelle geschlossen hat und erst in den nächsten Tagen wieder aufmacht. Ich atme tief durch und versuche mich daran zu erinnern, dass ich keine Angst haben muss. Im Notfall kann ich Page immer erreichen. Heute ist mein erster Tag seit Ewigkeiten ohne sie und ohne Brexon. Ich kann nicht jetzt schon wie ein Trottel dastehen. Im schlimmsten Fall werde ich die hundert Kilometer auch zurücklaufen ... ja, wohl eher nicht, aber ich habe zwei gesunde Beine und eine Karte sowie auch einen Kompass, also sollte es eigentlich möglich sein, wenn sonst jegliche Hoffnung gestorben ist. Aber wenn das hier ein Posten ist, werden bestimmt auch andere Leute der Schnitzeljagd vorbeikommen und ich kann mich dann von ihnen kutschieren lassen.

Mit diesen Gedanken packe ich meine Sachen wieder in den Rucksack, wobei ich den Schlafsack und das Mini-Zelt auf dem Boden lasse, damit ich mir meinen Schlafplatz vorbereiten kann, noch bevor die Nacht anbricht. So bringe ich beinahe den ganzen Inhalt wieder in mein Gepäck. Also wenn das nicht Talent ist, dann weiß ich auch nicht weiter.

Ungefähr eine halbe Stunde später ziehen Regenwolken auf, was mich ein wenig auf die Palme bringt. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben ein Zelt aufgestellt und Page hat mir die Anleitung dazu nicht beigelegt. Wenn ich es nicht rechtzeitig aufstelle, muss ich in der Hütte schlafen, weil ich mich weigere, schon am ersten Tag verregnet und dadurch krank zu werden.

Frustriert stöhne ich auf, als ich die zusammengesetzten Metallteile betrachten, die einfach zu lange für den Stoff des Zeltes sind. Die ersten Tropfen fallen mir aufs Gesicht, was ich ignoriere. Ein paar Tropfen sind noch keine Sache. Das Problem ist einfach, dass sie sich zunehmend vermehren. Ich bin kurz davor, die Aktion einfach abzubrechen, meine Sachen zusammenzusammeln und in die Hütte zu gehen, als mich plötzlich Scheinwerfer blenden. Ich habe vollkommen ignoriert, dass es kaum noch Licht hat.

„Audrey?", ruft eine laute Stimme nach mir. Für einige Sekunden bleibt mir das Herz stehen, dann erkenne ich allerdings Romere durch die Windschutzscheibe. Es ist nur Romere. Kein anderer blöder Kerl, der mir hierher gefolgt sein könnte. Der ist nämlich im Gefängnis. Ich zwinge diese Gedanken aus meinem Kopf und gehe um den Wagen herum, sodass ich direkt vor der Fahrertüre stehe, deren Fenster heruntergekurbelt ist.

„Romere", stelle ich amüsiert fest. So viel dazu, dass er mich nie wieder sehen wird. Nicht einmal eine Stunde ist für mich nicht gerade die Definition einer Ewigkeit.

Audrey", wiederholt er ein wenig atemlos, worauf ich nur eine Augenbraue in die Höhe ziehen kann. Es ist schön, dass er sich an meinen Namen erinnert, aber er muss ihn auch nicht unendlich oft wiederholen.

„Hast du etwas vergessen?", will ich wissen, während ich mir eine mittlerweile nasse Haarsträhne aus dem Gesicht schiebe. Er seufzt und umklammert das Lenkrad ein wenig fester. Der Gewaltbedarf ist bei ihm definitiv vorhanden.

„Hast du kein Zelt?", lenkt er ab und deutet auf meinen Rucksack. Ich zucke mit den Schultern.

„Doch. Natürlich habe ich ein Zelt. Ich bin doch keine Idiotin und vergesse mein Zelt zum Campen."

Er nickt langsam, sichtlich verwirrt.

„Wo bleibt es denn?"

Ich deute auf den Boden, während meine Mundwinkel zucken.

„Ich weiß leider nicht, wie man ein Zelt aufstellt."

Für einen Moment sieht er mich entgeistert an, dann lacht er lauthals los. Er braucht so lange um sich zu beruhigen, dass meine Kleidung wortwörtlich an mir klebt, als er sich wieder konzentrieren kann. Großartiges Sommerwetter. Einfach. Nur. Großartig.

„Willst du mich verarschen?"

„Sehe ich so aus als hätte ich das nötig?"

Romere sagt nichts mehr dazu, sondern steigt aus dem Wagen, umrundet mich und hebt den ebenfalls nassen Stoff auf.

„Das Zeug ist sogar wasserdicht. Wie kommst du bitte an so ein wunderbares Zelt, wenn du nicht einmal weißt, wie man eins aufstellt? Oder noch bessere Frage: Wie landest du überhaupt in der Wildnis, wenn du nicht weißt, wie man anständig campen geht?"

Ich reibe mir über das Gesicht, um das Bedürfnis ihm eine reinzuhauen zu stillen. Ich kann mir nicht wirklich erklären, wie er auf die Idee kommt, dass ich seine abfälligen Kommentare nötig habe. Das Auto ja, den Rest nein. Aber er hat mir noch immer nicht gesagt, wieso er überhaupt hier ist. Wieso er mich gesucht hat.

„Wieso bist du hier, Romere?"

„Weil ich mein ganzes Gepäck in meinem ursprünglichen Auto vergessen habe. Chillt schön auf dem Parkplatz bei der Hütte des Anfangs. Die Schlüssel sind in der Hütte ergo ich kann meine Sachen nicht holen. Ehrlich gesagt bin ich aber sowieso nicht so gut vorbereitet gewesen. Ich habe mich fehlinformiert und vermutet, dass man in den Hütten pennen kann. Naja, kann man vielleicht auch, aber dann würde man im Nebeneffekt sogleich ersticken."

Ich sehe ihn entgeistert an.

„Und ich bin schlecht vorbereitet? Jetzt muss ich mich wenigstens nicht mehr schlecht fühlen, wenn ich sehe, wozu du imstande warst."

Romere lacht erneut, was von leichtem Husten begleitet wird.

„Ich habe mir einen Deal überlegt."

Ich schüttle den Kopf. „Nein."

„Wieso nicht? Wir hatten schon einen Deal. Darf man dich daran erinnern, Cherry?"

„Absolut nicht, Peach Tart", feure ich zurück. Automatisiert sehe ich auf sein T-Shirt, als ich ihn danach benenne und heilige Kokosnuss, dieser Kerl hat Muskeln! Wenn der Regen es nicht durchnässt und an seinen Körper geklebt hätte, wüsste ich das jetzt wahrscheinlich nicht. Auch wenn mir dieses Wissen momentan nichts bringt.

„Doch. Weißt du auch wieso?"

„Ist das eine rhetorische Frage?"

„Vielleicht. Aber zurück zum Punkt. Du brauchst ein Auto. Und du brauchst jemanden, der dir das Zelt aufstellt."

Ich seufze. „Darum kümmere ich mich schon noch, keine Angst."

Ich könnte Page anrufen und sie würde das alles für mich einrichten. Romere spürt wohl, dass ich ein Ass im Ärmel habe, denn sein Blick wird zunehmend verzweifelter.

„Bitte, Audrey. Du würdest mir echt helfen. Ich kann nicht schon an Tag eins aufgeben. Ich habe mir geschworen, dass ich ein wenig länger durchhalte, wenn auch nur, um mit selbst zu beweisen, dass ich es auch wirklich kann. Du kannst es auch. Lass uns bitte nicht scheitern."

Ich sollte ihm nicht einfach zustimmen, nicht einfach einknicken und erst recht nicht schon wieder das tun, was ein Kerl möchte. Aber gleichzeitig ist es auch verlockend zu wissen, dass ich endlich eine Möglichkeit habe, auf meine eigene Art eine Lösung zu finden, ohne Page und ohne Brexon. Es sollte mir nicht so wichtig sein, aber ich kann mich nicht immer auf die beiden verlassen. Sie sind für mich da, aber sie haben auch ein eigenes Leben und ich sollte dringend aufhören, es von mir abhängig zu machen. Der einfachste Weg sind Entscheidungen, die ich selbst treffe und bei denen ich keine Hilfe von ihnen brauche. Ich kann nicht definitiv behaupten, dass es eine gute Idee ist, Romere einfach blind zu vertrauen, aber gleichzeitig hat das hier auch nicht allzu viel mit Vertrauen zu tun. Ich bin sicher hier und er ist nur eine Person, die sich in dem sicheren Feld befindet. Er könnte mir helfen. Ich muss es nur irgendwie zulassen.

„Was willst du überhaupt im Gegenzug von mir haben?", frage ich, ehe ich mich in etwas hineinreite, was ich direkt wieder bereue.

„Einen Schlafplatz in deinem Zelt und Essen."

„Ich glaube, dass du ‚gute Gesellschaft' vergessen hast."

Romeres Mundwinkel zucken.

„Ist das ein Ja?"

Ich zucke mit den Schultern. „Ich kann es nicht garantieren, weil das Zelt ziemlich klein ist, aber wenn du versprichst, nichts allzu Dummes anzustellen, wird das hier definitiv ein ja. Außerdem müssen wir das Gepäck womöglich im Auto ablagern."

„Ich verspreche es. Ich kann es auch schwören."

Ich schüttle den Kopf. „Man schwört nicht, okay?"

Romere nickt langsam, ehe er beginnt, das Zelt zusammenzubauen. Ich deute auf die Hütte hinter ihm und entschuldige mich kurz, damit ich mich in aller Ruhe umziehen kann.

Als ich fertig bin, steht das Zelt. Es ist ungefähr doppelt so groß wie ich mir das vorgestellt habe, was für zwei Personen allerdings trotzdem ziemlich eng werden könnte. Romeres Blick liegt direkt auf mir und ich stelle fest, dass er sich offiziell von seinem T-Shirt verabschiedet hat. Es ist keine schlechte Aussicht, aber ich kann ihn nicht immer so anstarren, vor allem, wenn er es selbst merkt.

„Ich habe nichts, um mich umzuziehen", erklärt er schulterzuckend und geht in das Zelt. Ich folge ihm rasch, damit ich nicht schon wieder komplett durchnässt werde.

„Wir können dir irgendwo bestimmt ein paar Dinge besorgen", breche ich die Stille, während Romere den Rucksack in das Zelt zerrt und dann den Reißverschluss zuzieht, damit kein Wasser oder keine merkwürdigen Viecher reinkommen können. Die Dunkelheit des Zeltes trifft mich unerwartet. Für einige Sekunden herrscht komplette Stille, die nur durch unser gleichmäßiges Atmen unterbrochen wird. Ich finde es sehr beruhigend, auch wenn ich ein wenig unsicher bin, wie ich mich am besten hinlegen soll, damit ich Romere nicht zu nahe bin, aber auch nicht an irgendeiner Wand des Zeltes festklebe.

„Vielleicht schon, wahrscheinlich aber nicht", sagt er irgendwann leise. „Ich habe auf der Webseite nichts von einem Kleidergeschäft gelesen."

„Vielleicht habe ich etwas, was dir passen könnte. Mein Bruder hat mir ein paar seiner Sachen mitgegeben, weil er weiß, dass ich sie bequem finde."

Es raschelt. Ich nehme an, dass Romere nickt oder den Kopf schüttelt.

„Du musst das nicht tun. Ich kann die wenigen meiner Sachen auch im Fluss waschen."

„Du kannst nicht drei Wochen lang jeweils ein paar Stunden nackt sein, Peach Tart. Es ist hier kälter als in der Stadt."

„Ich habe einen Schlafplatz, Audrey. Ich bin dir schon dankbar, ehrlich. Ich kann nicht alles von dir verlangen, das wäre unglaublich unhöflich von mir."

Ich schlucke die Unsicherheit herunter, die sich in meinem Hals bildet. Ich weiß nicht, warum das Bedürfnis ihm zu helfen zunehmend steigt. Ich sollte ihm nicht so sehr helfen wollen. Romere ist ein erwachsener Mensch.

„Jeder Mensch braucht Hilfe, Romere. Du darfst sie annehmen. Außerdem fühle ich mich schlecht, wenn ich alles habe, dir aber nicht einmal das Mindeste geben würde. Wir haben einen Deal und wenn wir schon für die nächsten drei Wochen zusammen abhängen müssen wir das Ganze nicht auf das Minimum beschränken, okay? Ich will kein schlechtes Gewissen haben, bloß weil du zu anständig bist."

Kurz breitet sich wieder Schweigen über uns auf. Es frustriert mich ein wenig, dass ich nicht in sein Köpfchen schauen und nachlesen kann, was darin vorgeht, weil er offenbar nicht genau weiß, was er antworten soll.

„Danke", meint er nach einer Weile. Es raschelt wieder und ich kann spüren, dass er sich endlich hinlegt, so wie ich es schon tue. Seine Schulter streift meine ein wenig und wie vom Blitz geschlagen rücken wir beide ein Stück auf die jeweilige Seite.

„Tut mir leid."

„Kein Ding", sage ich, auf beide seiner Aussagen bezogen.

„Wie ist den Bruder so?", fragt er nach einer Weile. Meine Kehle wird trocken, weil ich für einen Moment denke, dass er doch von Brexon Bescheid weiß, sich aber einfach als unwissend ausgibt.

„Du hast ja vorhin gesagt, dass er dir Kleidung mitgegeben hat", fügt Romere dann aber hinzu und mein Herzschlag beruhigt sich wieder. Mein Misstrauen wird eben sehr schnell geweckt, vor allem wenn jemand mit mir über meinen Bruder zu sprechen beginnt.

„Ja ... er heißt Brexon. Und er ist eben ein Bruder. Anders kann man das eigentlich gar nicht beschreiben." Vor allem nicht, wenn ich seine Karriere und meine Vergangenheit und alles drum herum ignoriere.

„Magst du ihn? Du klingst nicht sonderlich begeistert."

Ich schnaube. „Ich liebe ihn sogar. Aber die Situation ist kompliziert..."

„Eine Geschichte für einen anderen Tag?", schlägt Romere vor, worauf ich nicke, obwohl er es gar nicht sehen kann.

„Hast du Geschwister?", will ich wissen.

„Ebenfalls eine Geschichte für einen anderen Tag", meint er. Ich grinse kurz, weil ich es mag, dass wir uns nicht zwingen, irgendetwas zu erzählen. Es ist eine angenehme Stimmung, was mir guttut. Ich bin mir so etwas nicht gewohnt, aber die Vorstellung davon gefällt mir.

„Gute Nacht", murmele ich irgendwann. Ich glaube schon, dass Romere schon schläft, bis er die Worte genauso leise zurückhaucht.

Was halten wir davon, dass die beiden ab jetzt wieder zusammen unterwegs sind?

Wie findet ihr den Deal?

Meinungen zu Romere/Audrey?

Was wird wohl als nächstes mit den beiden geschehen?

Hat euch das Kapitel gefallen?

Es tut mir übrigens leid, dass ich letzte Woche vergessen habe, ein Kapitel hochzuladen...😬🙈
Dafür wird entweder heute oder morgen noch ein Kapitel kommen 😁❤️

[Wochenend-Doppel-Update 1/2]

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