kapitel 05
Mein Zeug ist viel zu schwer. Ehrlich, ich habe das Gefühl, dass Page genug Sachen eingepackt hat, um ein ganzes Jahr wegzubleiben. Nun, wenn man bedenkt, dass ich mich schnell verirre und jetzt in die Wildnis gehe, ist das vielleicht gar nicht so schlimm.
Aber ist sowas von schwer. Ehrlich, ich werde vermutlich die Hälfte davon dann in dem Wagen lassen, denn ich habe absolut keine Lust darauf, meine Schultern drei Wochen lang zu malträtieren.
Vollkommen erschöpft lasse ich es also auf den Boden krachen, wobei es rumpelt und rasselt. Das hört sich definitiv nicht gesund an. Ich verziehe das Gesicht und hoffe inständig, dass ich nichts kaputt gemacht habe.
Dann lasse ich den Blick über den grasbedeckten Parkplatz schweifen, während ich mir einen Knoten ins T-Shirt binde. Es ist schon jetzt warm, obwohl es erst Morgen ist. Vielleicht hätte ich keine lange Hose anziehen sollen.
Ich schüttle den Gedanken ab und nehme mir mein Mäppchen in die Hand, wo das ganze Zeug drinsteht. Da sollte auch der Schlüssel sein. Hoffentlich, denn hier draußen kann ich niemanden fragen, die Walkie-Talkie-Stelle öffnet nämlich erst morgen - aus welchem Grund auch immer - und die Dame von der Rezeption hat die Holzhütte verlassen und ist nach Hause gegangen. Offenbar sind der Kerl und ich die letzten Teilnehmer dieser Schnitzeljagd gewesen.
Wohin er verschwunden ist, kann ich nicht sagen, aber ich möchte definitiv vor ihm losfahren, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass der Weg nicht zweispurig ist, und ich möchte niemandem hinterherfahren. Leute fahren vor mir immer merkwürdig, da spreche ich aus Erfahrung. Mein Bruder ist beispielsweise ein schrecklicher Fahrer. Er kann froh sein, dass seine Verlobte unglaublich gut fährt, sonst wäre er nämlich geliefert.
Ich kneife meine Augen zusammen, damit mich das Sonnenlicht nicht mehr so stark blendet und blättere schließlich durch die unverschämt dicke Mappe, in der sich der Schlüssel befinden sollte. So einen Gegenstand sollte man nicht einfach so übersehen, oder?
Trotzdem suche ich eine geschlagene Viertelstunde danach und bin mittlerweile so genervt davon, nichts zu finden, dass ich die Mappe auskippe. Ehrlich, das ist doch einfach nur nervig.
„Das ist Umweltverschmutzung", informiert mich jemand und reißt mich somit aus den Gedanken. Ich fahre hoch und drehe mich um, nur damit ich in das Gesicht des ›Aggressivlings‹ sehen kann. Gütige Götter, bitte nicht.
„Es ist nur Umweltverschmutzung, wenn man es liegen lässt", korrigiere ich, „und ich habe vor, alles wieder aufzusammeln."
Ich kann ihn vielleicht nicht allzu gut erkennen, da sich Schatten über sein Gesicht spiegeln - Dank der tollen Sonne - , aber ich kann definitiv erkennen, wie er eine Augenbraue in die Höhe zieht.
„Aha. Wieso hast du es dann ausgeleert?"
Ich zucke mit den Schultern. Das geht ihn zwar nichts an, aber was solls. Er kann vermutlich sowieso nichts mit diesen Informationen anfangen.
„Ich suche nach meinem Autoschlüssel. Sonst kann ich den ersten Schritt sowieso gleich vergessen."
Die Augenbraue wandert höher, was mich irgendwie nervt. Alle müssen immer damit angeben, dass sie gut dabei aussehen, wenn sie das tun. Ich sehe immer aus, als würde ich schmollen, wenn ich die Augenbraue in die Höhe ziehe - was mich nicht davon abhält, es zu tun.
„Und der wäre?"
Ich schnaube, denn diese Frage kann der Kerl nicht ernst meinen. Doch er wartet nur und mustert mich aufmerksam, während ich aus den Blättern auf dem Boden einen Stapel forme. Nichts. Hier hat es keinen Schlüssel. Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!
„Vielleicht hast du den Schlüssel verloren", bemerkt der Kerl nach einer Weile und mir fällt auf, dass ich seinen Namen gar nicht kenne.
„Wäre mir nicht aufgefallen", murmle ich vollkommen am Ende mit meinen Nerven. Vielleicht ist das Ganze doch keine so gute Idee gewesen, wenn ich schon jetzt nicht mehr weiterkomme.
„Dann ist es ja gut, dass ich dich darauf hingewiesen habe."
Ich verenge meine Augen zu Schlitzen, als es mir plötzlich einfällt.
„Du bist mit mir zusammengestoßen und dann ist alles zu Boden gegangen. Du bist daran schuld, dass ich den Schlüssel nicht habe, zumindest nicht mehr. Er liegt jetzt vermutlich irgendwo in der Holzhütte herum!"
Ich rapple mich auf, denn das ist die einzige Erklärung, die ich mir selbst geben kann.
„Was willst du damit sagen?"
Ich rolle mit den Augen und verstaue die Mappe in dem riesigen Rucksack, den mir Page gepackt hat.
„Du bist der Grund, wieso ich das Auto nicht benutzen kann. Also wirst du mich als Entschädigung bei dir mitfahren lassen."
„Nein. Auf keinen Fall. Ich bin nicht hier, um mich von irgendjemandem belästigen zu lassen."
Ich schnaube und ziehe an der Schnalle des Rucksacks. Wieso geht das Teil jetzt denn nicht zu?
„Ich belästige dich nicht. Ich bin eine großartige Gesellschaft. Nicht, dass das irgendetwas zur Sache tut. Du fährst mich, denn sonst muss ich hier warten. An irgendeinem komischen Ort, wo es genau gar nichts hat. Und niemanden, nicht einmal in naher Umgebung oder so. Hier hat es nicht einmal Menschen, die den Posten bewachen."
Eine Weile lang bleibt es still und ich hebe meinen Blick, um den Kerl ansehen zu können.
Und. Oh. Meine. Güte. Dieser Kerl hat wirklich das Gesamtpacket. Die Muskeln. Die Größe. Das goldbraune Haar. Die definierten Gesichtszüge. Die grünen, leuchtenden Augen. Wohlgeformte Augenbrauen. Die Sommersprossen. Die rosigen Lippen.
Nur das Lächeln fehlt ihm.
Genauso wie mir. Natürlich lächle ich. Ich lache. Vor allem, wenn Page es wieder mal schafft, mir einen wundervollen Tag zu gestalten und wir einfach chillen, reden oder auch ganz verrückte Dinge tun.
Aber ich habe schon lange nicht mehr gelächelt, ohne dass mein Herz im Hintergrund geschmerzt hat. Es fühlt sich an wie ein Knochen. Es ist nicht mehr Glas, weil das zu schnell bricht. Ich habe mich schon zu oft an den Scherben darunter geschnitten und ich habe schon zu oft darunter gelitten, es Leuten zu schenken, die es nicht verdient haben.
Obwohl Blake es verdient hat. Gott, dieser Kerl hat mich beschützt. Aber eine Beziehung wäre nicht möglich gewesen. Er ist gegangen. Ans andere Ende dieses Kontinents.
Aber dieser Kerl hier ist anders. Er mustert mich durch seine grünen Augen so durchdringend, als könnte er durch meine Seele blicken und den Knochen wieder zu Glas machen. Oder zu etwas Lebendigem.
Dann hebt er eine seiner perfekten Augenbrauen und atmet tief durch, ehe er sich durch die Haare fährt und den Blick abwendet.
„Fein", meint er. „Aber danach bist du auf dich selbst gestellt. Ich passe nicht auf kleine Mädchen auf. Ich ziehe mein Ding durch und ich möchte dich nicht am Hals haben. Klar?"
Ich schlucke tief und nicke. Abercrombie Model hin oder her. Ich bin auf sein Auto angewiesen und ich schicke mich nicht selbst in die Wüste.
„Glasklar", antworte ich, wobei meine Stimme ein wenig zittert.
Gott, ich habe absolut keine Ahnung, in was ich mich da gerade geritten habe...
„Deinen Rucksack schleppst du selbst. Ich denk nicht mal dran, damit anzufangen, irgendetwas für dich herumzuschleppen, Cherry."
„Cherry? Wenn das deine Art ist, mich nach meinem Namen zu fragen, hast du offenbar den Höflichkeitskurs verpasst."
Der Kerl schnaubt und geht schonmal zu einem Wagen. Wenigstens weiß er, welches Auto zu seinem Schlüssel gehört. Gott, ich hoffe, dass ich nicht allzu großen Ärger wegen des verlorenen Schlüssels kriegen werde.
„Das hätte ein Wortwitz werden sollen, du Talent. Schonmal was davon gehört?"
Ich schnaube. „Er war nicht witzig."
„Weil du ihn nicht verstanden hast."
Er wirft mir einen auffordernden Blick zu, ehe er sich sogar dazu abmüht, den Kofferraum zu öffnen, damit ich meine Sachen reintun kann. Immerhin etwas.
Ich hieve mein Zeug vom Boden, schleppe es zum Auto und lasse es schließlich in den Kofferraum fallen.
„Das wäre doch gar nicht so schwer gewesen", murre ich, während er den Kofferraum zuschlägt.
„Deshalb konntest du es ja auch selbst tun, nicht wahr?"
Ich ignoriere den Kommentar und steige schließlich ein. Ich weiß nicht, wie ich einige hundert Kilometer überleben soll, wenn ich schon nach fünf Minuten überdurchschnittlich oft meine Augen verdreht habe.
„Willst du mir vielleicht verraten, was dein Wortwitz sollte?", will ich wissen, während er einsteigt und ich mich anschnalle, ehe ich es mir einigermaßen bequem mache. Hoffentlich kann der Kerl gut fahren.
„Chérie, einfach weil das grad zu meinem ironischen Tonfall gepasst hat. Und Kirsche, weil...nun deine Haare."
Ich ziehe meine Augenbraue in die Höhe und überlege fieberhaft, ob es irgendeinen Kommentar gibt, den ich passenderweise dazu abgeben könnte.
„Alles klar, Peach Tart", meine ich schließlich und sehe dabei aus dem Fenster. Ich sollte es definitiv runterkurbeln, sonst ersticke ich in diesem Wagen noch. Es ist definitiv zu stickig hier drin.
„Mein Shirt? Ehrlich? Ich habe dir wenigstens einen Spitznamen gegeben, der sich auf dich bezieht."
Ich zucke mit den Schultern und sehe dabei zu, wie er das Radio anstellen möchte. Schnell schlage ich seine Hand vom Schalter weg und mustere ihn streng, was er nur mit einem ungläubigen Blick quittiert.
„Das meinst du hoffentlich nicht ernst, oder? Ich brauche meine Hände noch fürs Fahren, Cherry."
„Ja eben. Du brauchst jetzt keine Musik."
„Jeder braucht Musik. Musik ist großartig. Wenn du das nicht so siehst, kann man sich echt fragen, was mit dir falsch läuft."
Ich rolle mit den Augen. Wie charmant.
„Ich mag Musik. Aber du kannst doch jetzt auch den Klängen der Natur lauschen."
Außerdem habe ich keine Lust, wieder mal die Stimme meines Bruders auf Dauerschleife hören zu müssen. Ehrlich, es ist einfach nur anstrengend, dass die Radiosender in letzter Zeit das Gefühl haben, dass Brexon Dillon der einzige Sänger auf dem Planeten ist.
„Aha. Musik macht trotzdem alles besser."
„Nicht alles."
Vor allem in meiner Vergangenheit hat die Musik einen Haufen Dinge zerstört. Nicht, dass ich das jemals laut aussprechen würde. Mein Bruder hat ohnehin schon ein genug schlechtes Gewissen deswegen.
„Definitiv alles", hält Peach Tart dagegen und diesmal mache ich mir nicht die Mühe, ihm zu widersprechen. Vielleicht würde er nachhaken und ich habe keine Lust einem Fremden von meinem Leben zu erzählen.
„Ich heiße übrigens Audrey", breche ich die Stille, nachdem wir einige Kilometer schweigend zurückgelegt haben. Es ist für mich immer faszinierend aus dem Fenster zu blicken und die vorbeischweifende Gegend zu betrachten.
„Romere", gibt der Kerl zurück und ich blicke ihn erstaunt an.
„Was?", will das Abercrombie-Model wissen, wer er meinen Blick wohl bemerkt hat.
„Nichts. Einmal davon abgesehen, dass du einen total ... ungewöhnlichen Namen hast."
„Audrey ist auch nicht unbedingt besser", entgegnet er achselzuckend, worauf mir mein Mund aufklappt.
„Die meisten Leute finden, dass ich einen schönen Namen habe."
„Die meisten Leute lügen auch ständig, damit andere sie nicht als unsympathisch befinden."
Okay, das muss man ihm lassen. Wenigstens schleimt er nicht.
„Naja, immerhin siehst du ein, dass du einen albernen Namen hast. Wäre Romeo nicht gegangen? Zu mainstream?"
„Natürlich wäre es gegangen. Aber wer möchte sein Kind schon nach einem dank der Liebe suizidgefährdeten Teenager benennen?"
Gute Frage. Denn darauf habe ich nichts zu sagen, was bedeutet, dass er dieses kleine Wortgefecht gewonnen hat.
„Ich mochte Romeo und Julia auch nicht."
Romere - Romere - schnaubt und flenzt sich noch etwas lockerer in den Sitz.
„Ist ja auch nicht für jeden, dieses Buch, Werk oder was auch immer."
„Soll heißen?"
Er schweigt für einige Sekunden, da die Straße ein wenig schlottrig wird und er sich konzentrieren muss, um uns nicht gegen einen Baum zu fahren.
„Soll gar nichts heißen", meint er schließlich, „außer vielleicht, dass du noch nicht vollkommen verloren bist. Keine Musik mögen, meine Witze nicht verstehen ... Romeo und Julia klasse zu finden, wäre da noch die Kirsche auf dem Sahnetörtchen gewesen."
„Die Redewendung mit der Kirsche wäre nicht notwendig gewesen, Peach", entgegne ich trocken, auch wenn ich tief in mir weiß, dass das sehr humorvoll gedacht war.
„Möglich. Aber mit einer Kirsche über Kirschen zu reden, ist witzig."
Ich unterdrücke mein Grinsen so gut wie möglich, ehe ich mich kopfschüttelnd wieder dem Baumbetrachten widme. Ich liebe es, wie sich die Sonne in den Blätterdächern spiegelt und der Welt neue Farbe verleiht, während sie an einem vorbeizieht und man nur einen Hauch ihrer Schönheit erkennen kann.
„Wieso trägst du eigentlich pink?", will Romere irgendwann wissen. Ich kann gar nicht sagen, wie lange ich schweigend die Umgebung beobachtet habe, während das Vogelgezwitscher die Stille zwischen uns gefüllt hat.
„Weil pink eine schöne Farbe ist. Einmal davon abgesehen, dass das rosa ist."
„Es gibt eine Menge schöner Farben."
„Ja, ich schätze schon. Wenigstens bestreitest du nicht, dass pink eine schöne Farbe ist."
Romere sieht mir für einen Augenblick in die Augen, richtet den Blick dann sofort wieder auf die Straße vor uns. Eigentlich ist es wohl eher ein Makadam, aber das macht keinen Unterschied. Einmal davon abgesehen, dass man nicht so schnell fahren darf.
„Wieso sollte ich? Über Geschmack lässt sich nicht streiten.«
Romere grinst mich von der Seite an und ich ziehe überrascht eine Augenbraue in die Höhe.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Ein lateinisches Sprichwort. Nicht schlecht.
„Dein Name beinhaltet Rom und du studierst Latein, nehme ich an? Kein Wunder magst du Shakespeares Protagonisten nicht sonderlich, wenn es auch diese Kombination gibt."
Ein weiteres Schulterzucken und dann verfallen wir ein weiteres Mal in Schweigen.
Das ist somit auch schon das erste etwas längere Kapitel...😁
Wie hat es euch gefallen?
Wer fühlt Audreys Einstellung gegenüber schwerem Gepäck so sehr wie ich 🤣🙈?
Was halten wir von dem ersten richtigen Gespräch zwischen Audrey und Romere?
Mögt ihr Romeo und Julia?
Mögt ihr Latein?
Wer liebt es sonst noch, Musik während des Autofahrens zu hören?
Ich wünsche euch noch einen schönen Sonntagabend, wir lesen uns nächste Woche wieder 🥰
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