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sieben / seven / sept.-
Während Eleana, und ich hatte für mich beschlossen, sie ab heute nur noch Madame Schwabbel zu nennen, immer noch ihren anscheinend auswendig gelernten Vortrag vor sich hin brabbelt und alle Verrückten im Raum schon kurz vor dem Einschlafen stehen, entscheide ich mich dafür, diesen Depressionen hervorrufenden Raum zu verlassen, bevor ich auch noch eingewiesen werden muss, und stehe langsam auf. Es bringt mich sowieso nicht weiter wenn ich dieser, höchst wahrscheinlich selbst ernannten, Diplompsychologin zuhöre, wenn ich nicht mal ansatzweise verstehe, wovon sie redet.
Hastig verlasse ich den Raum, Minas flehenden Blick ignoriere ich geschickt, und atme tief ein und aus. Schon allein die Luft in dem Raum erdrückt einen. Es sollte dringend gelüftet werden, ansonsten wird der sinnlichste Wunsch der Teenies dort drin erfüllt und sie sterben alle an Sauerstoffmangel.
Gerade als ich in das Schwesternzimmer laufen will, entdecke ich eine Gestalt, die zu einer Tür huscht und schnell wieder verschwindet. Ich runzele verwirrt meine Stirn und gehe in die Richtung, in die die Person gegangen ist. Den Klamotten und der Gangart nach zu urteilen müsste es Savannah sein. Ich lache kurz auf. Natürlich ist es Savannah. Wer von den anderen Patienten hier auf der Station würde sonst einen schwarzen Hoodie, der mit vulgären Sprüchen bedruckt ist, tragen und sich vor der Gruppentherapie drücken?
Je näher ich der Ecke komme, in der sie verschwunden ist, desto klarer wird mir, was sie vor hat. Nur eine einzige Tür kommt in Frage. Es ist der Notausgang, der in den hinteren Gebäudetrakt verläuft. Es gibt dort nicht viel, außer ein düsteres Treppenhaus mit halb kaputten Lichtern, die an einen schlecht gemachten Horrorfilm erinnern.
Kurzerhand drücke ich die schwere Türe auf und sehe in den Gang. Er ist nicht lang, die Treppen verlaufen nach unten und auch von den Stationen über und unter uns kann man hier lang runter, somit die einzige Verbindung zur Außenwelt für die Leute hier drin. Ich wundere mich, wieso kein Alarm beim Öffnen der Türe angeht.
Wieder runzele ich die Stirn. Eigentlich ist es gar nicht mal so dumm von ihr, denn ich bin mir sicher, mehr als die Hälfte der Patienten des gesamten Krankenhauses hat von diesem Notausgang, welcher nur bei einem Feueralarm benutzt werden darf, keine Ahnung. Allerdings ist es ziemlich dumm von den Schwestern zu denken, dass Patienten aus der Geschlossenen so blöd sind und nicht auf die Idee kommen, dass es einen Notausgang wie in jedem Krankenhaus geben muss.
Ich laufe zum Treppengeländer und werfe einen Blick nach unten. Die flackernden Lichter machen es möglich, ein wenig zu erkennen, was unter uns ist. Sämtliche Treppen, die bis runter in den Keller führen, erscheinen vor mir, aber keine Savannah. Also muss sie nach oben gegangen sein, schlussfolgere ich und seufze. Ein wenig fühle ich mich wie ein Auftragskiller, der gerade dabei ist, seinem nächsten Opfer zu folgen, welches ihm entkommen ist. Wart ab Savannah, i'm gonna kill you. Ich kichere vor mich hin. Vielleicht sollte ich aufhören, immer über meine eigenen Witze zu lachen.
Ich atme tief aus und nehme die Treppen, die nach oben führen. Es sind unglaublich viele, bei einem großen Krankenhaus kein Wunder. Soweit ich weiß, gibt es 10 Etagen und ich raufe mir die Haare bei dem Gedanken, dass ich womöglich komplett hochlaufen muss. Treppen sind wirklich nicht mein Ding. Aber was zur Hölle würde Savannah im obersten Stockwerk tun wollen?
Ich verschwende keine weiteren Gedanken daran und laufe weiter. Treppe für Treppe und mein Atem wird immer heftiger. Ausdauer war noch nie mein Fall, ich bin eher der Typ für Krafttraining.
Nachdem auch in der fünften Etage keine Savannah zu finden ist und die Lichter immer schlechter werden, bleibe ich stehen und lege eine Pause ein. Womöglich bin ich schon selber krank im Kopf und leide an Paranoia. Oh Gott, dann kann ich mich ja direkt selber einweisen.
„Was willst du denn hier?"
Die Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich zucke zusammen. „Heilige Scheiße, bist du komplett behindert? Wegen dir verrecke ich noch an einem Herzinfarkt!", blaffe ich Savannah wütend an, doch sie schaut mich nur unbeeindruckt an. Ihre dünnen Finger zeigen auf die Etage unter uns.
„Intensivstation. Kannst dich ja da runterbemühen, ich helfe dir sicher nicht", antwortet sie kalt und ihre Augen starren mich ausdruckslos an. Unsoziale Schnepfe, man sollte sie aushelfen lassen und nicht mich.
„Was zur Hölle tust du eigentlich hier?", werfe ich ein und sehe sie prüfend an. Es kommt mir vor, als hätte sie innerhalb von einer Nacht noch mehr abgenommen. „Das selbe könnte ich dich fragen."
„Ich habe gesehen, wie du durch den Notausgang hier rein gelaufen bist und bin dir gefolgt. Und jetzt du", meine ich.
Erwartungsvoll blicke ich sie an. „Bist du ein Stalker oder was?", gibt sie zurück.
„Oh man, nein! Sag doch jetzt, was machst du hier? Woher weißt du überhaupt von diesem Notausgang?" Sie zuckt mit den Achseln und läuft an mir vorbei. „Ist mir mal aufgefallen."
Sie läuft die Treppen runter und ich folge ihr schnell. „Wieso bist du nicht bei den anderen?"
„Du nervst mich gerade", antwortet sie. Ich rolle mit den Augen. „Ist mir egal. Also, wieso bist du nicht bei der Therapie?"
Ihre Schritte werden schneller und wir erreichen die dritte Etage. „Keine Interesse."
Ich seufze und packe sie am Arm. Kurz erschrecke ich, als ich ihren Knochen spüre. Meine Finger können sie kaum halten, so dünn sind sie. Auch sie merkt es und reißt ohne große Mühe ihren Arm aus meinen Griff. Ihre kalten Augen bohren sich in meine. „Pack mich nie wieder an, du Arschloch."
Abwehrend hebe ich die Arme und lasse meine Schultern hängen. „Wieso lässt du dir nicht helfen, Savannah?", frage ich genervt. Auch, wenn es ein mieser Gedanke ist, am liebsten würde ich sie packen und ordentlich schütteln, damit sie endlich ihren Verstand zurückerlangt. „Das geht dich einen Scheißdreck an, ich kenne nicht mal deinen Namen und du mischt dich hier in mein Leben an. Ich brauche keine behinderte Tante, die meint, mir den Sinn des Lebens erklären zu können und nach jedem zweiten Satz aha, ich verstehe sagt. Und jetzt nerv mich nicht, du Freak", zischt sie und noch während mein Gehirn ihre Worte verarbeitet, dreht sie sich um und stürmt die Treppen runter. Ich schließe die Augen und versuche, meine aufsteigende Wut zu unterdrücken. Dieses widerspenstige Miststück.
Langsam folge ich ihr und öffne die Tür. Auf dem Gang herrscht immer noch Ruhe, anscheinend hält Miss Schwabbel noch ihre ellenlange Rede, bei der niemand zuhört. Auch von Savannah ist nichts zu sehen. Ich seufze und laufe ins Schwesternzimmer. Das einzige, was mir jetzt helfen kann, ist ein starker Espresso.
Meine Mutter sitzt ebenfalls im Raum und liest eines ihrer Bücher. Das nenne ich doch mal anstrengendes Arbeitsleben. „Was machst du denn hier?", fragt sie verblüfft, als sie mich sieht, und schaut zu der Uhr an der Wand. „Sorry Mum, aber das was Miss Schwabbel von sich gibt, hilft nicht sondern macht nur noch mehr krank. Wäre ich nicht gegangen, hättest du mich direkt auch hier einweisen lassen können. Die Alte borderlinet einen richtig", gebe ich ehrlich zu und meine Mutter zieht eine Augenbraue hoch.
„Austin, ich will nicht, dass.."
„Dass du so über meine Mitarbeiter redest", äffe ich sie nach. „Ich weiß schon. Musste aber mal gesagt werden."
Hastig hole ich mein Portemonnaie aus meiner Jackentasche und verlasse den Raum, um zu diesen dämlichen Kaffeeautomaten zu gelangen. Die Geräusche, die er produziert, bereiten mir Kopfschmerzen und ich greife seufzend nach dem heißen Plastikbecher.
„Wo warst du?", fragt eine Stimme neben mir und ich blicke in Minas sanft lächelndes Gesicht. Ziemlich krass, dass sie hier drin trotzdem noch Lächeln kann. Ich denke, ich würde hier auch zu einem Wrack mutieren. „Hier und da", gebe ich zurück und zwinge mich zum Lächeln. Mina ist nett. Nett im Sinne von Kuscheltieren oder so. Soviel Anstand habe ich auch noch, dass ich sie dann ordentlich behandle.
„Oh, interessant", sie grinst mich an. „Sag mal, hast du Savannah gesehen?", wirft sie ein und sieht sich um. Schon allein bei der Erwähnung ihres Namens zucke ich zusammen und die Aggressionen steigen wieder auf. „Oh ja, leider", sage ich, mehr zu mir als zu ihr.
Interessiert hebt sie die Augenbraue an und sieht mich an. „Wo ist sie?" Ich antworte ihr mit einem Achselzucken und drehe mich um. „Ich muss gehen. Die Besucher kommen gleich und ich muss meiner Mutter helfen", lüge ich und laufe an ihr vorbei.
Hier drin gibt es keinen ruhigen Raum. Keinen Fluchtraum, wohin du dich verkriechen kannst, wenn du die Schnauze voll hast. Kein Platz für Stille und kein Platz für dich selber. Selbst die Zimmer werden mit Kameras kontrolliert, was die Patienten nicht wissen. Seufzend sehe ich mich im Gang um und suche nach einen Ort, an den ich mich bis zum Feierabend verkriechen könnte. Aber es gibt nichts.
Kurzerhand fasse ich einen Entschluss und laufe zu Savannahs Zimmer. Wenn sie ihre Klappe hält, kann sie ja erträglich sein. Ich reiße die Tür auf und sehe sie auf ihrem Bett. Sitzend und mit den Kopfhörern im Ohr, die so laut dröhnen, dass ich die Musik bis zu mir hören kann.
Ich gehe zu ihr und reiße sie ihr raus. „Bist du bescheuert? Hau ab, Spast", zischt sie. Ich grinse sie provokant an und tue so, als würde ich nachdenken. „Lass mich überlegen. Ähm, nö", gebe ich zurück und sehe mich im Zimmer um. „Was willst du?", fragt sie wütend und ich überlege, dieses Mal wirklich. Ja, genau Austin. Was willst du hier?
„Hör mal, ich habe genauso wenig Bock auf die kranken Psychos wie du. Aber es ist ein wenig komisch, wenn ich mich in einem miefenden, dreckigen Treppenhaus verschanze. Ich bin auch still, nur bitte lass mich bleiben. Die anderen Kids sind nämlich noch gestörter als du und es gibt hier keine Möglichkeit, um Ruhe zu kriegen", sage ich ehrlich und versuche, sanft zu reden. Bitte halt die Fresse und lass mich hierbleiben, bitte halt die Fresse und lass mich hierbleiben.
Kurz sieht sie mich mit gerunzelter Stirn an, steckt sich aber dann die Kopfhörer zurück in die Ohren und dreht sich von mir weg. Ein klares Okay für mich. Erleichtert greife ich nach einem Holzstuhl und setze mich möglichst weit vom Bett weg.
Minuten vergehen, bis mich dann doch irgendwann die Langeweile packt. Ich sehe mich im Zimmer um und überlege, bis mir plötzlich etwas einfällt. Kurzerhand springe ich auf und suche das Zimmer ab. „Was machst du da, du Freak?", fragt mich Savannah, doch ich ignoriere sie und suche weiter.
Als ich fündig werde, schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. „Kameras. Sie sind in jedem Zimmer eingebaut, damit sie euch beobachten können", sage ich triumphiert und deute auf ein kleines schwarzes Ding, eingebaut in das Waschbecken in der Zimmerecke. Ziemlich clever.
Erschrocken sieht mich Savannah an. „Was? Seit wann ist die da?", fragt sie panisch und ich lache auf.
„Schon immer. Komm runter, oder fingerst du dich etwa jeden Abend?", provoziere ich.
„Ja klar, dabei denke ich auch noch immer an dich", sagt sie ironisch. Ich lache leise und greife nach der Zahnpasta. „Ich weiß nicht, wie es bei dir steht, aber ich habe keine Lust darauf, beobachtet zu werden", meine ich und schmiere etwas von der blau-weißen Creme auf die Linse. „Sie werden es vermutlich später merken, wenn die Besucher weg sind."
Sie nickt desinteressiert und starrt die Wand an. Ich ergreife die Chance und nähere mich ihrem Bett. „Kommt dich auch jemand besuchen?", frage ich neugierig. „Halt die Fresse." Bäm, k.o in der ersten Runde.
„Nein, jetzt mal ehrlich. Deine Eltern oder so?"
„Du sagtest, du wirst die Fresse halten", gibt sie zurück und ihre Stimmlage klingt hart. Ich kann die Mauer, die sie um sich herum aufgebaut hat, förmlich spüren.
„Du bist komisch, Savannah", sage ich ehrlich und lasse mich auf ihre Bettkante sinken. Noch immer sieht sie mich nicht an. Was wohl an der Wand so interessant ist. „Was lässt dich das denken?", fragt sie monoton und ich lache kurz auf.
„Du fragst mich ernsthaft, warum ich das denke? Es ist total krank, was du da abziehst. Du hungerst hier bei vollem Bewusstsein und lässt dir nicht helfen, das ist wie russisches Roulette. Nur das du deine eigene Kugel bist und glaub mir, sie wird dich bald treffen, wenn du so weitermachst. Wie kann man nur so mit seinem Leben spielen? Du bist komplett bescheuert. Leben ist zu wertvoll um es wegzuschmeißen", gebe ich fassungslos zurück und stoppe. Auch Savannah zuckte bei meinen Worten kurz zusammen, fast unmerklich, doch sie bekommt sich schnell wieder in den Griff.
Ihre Augen treffen meine und ihre Ausstrahlung lässt das Blut in meinen Adern gefrieren.
„Das Leben hat zwei Seiten. Wofür lebst du?", sagt sie und ich sehe sie verwirrt an. Ihr Gesagtes hat keinen Zusammenhang.
„Naja, keine Ahnung. Ich lebe einfach. Vielleicht für die Menschen die ich liebe, oder sowas. Ich habe darüber noch nie wirklich nachgedacht. Du?", gebe ich zurück.
„Ich lebe für die Lügen, die mir das Leben auftischt, nur weil sie sich besser anhören."
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