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sechsundzwanzig / twenty-six / vingt-six.-

Erleichtert werfe ich auch mein letztes Kleidungsstück, welches meiner Meinung nach unbedingt auf die Reise mit muss, in den riesigen, eigentlich verdammt hässlichen, dunkelgrünen Rollkoffer und klappe ihn zu. Mit aller Kraft zerre ich an dem Reißverschluss, um ihn zu zu bekommen.

Eine weitere Woche ist vergangen, eine Woche voller Aufregung, wie immer Schlaflosigkeit und Ratlosigkeit.

Das Flugticket war schneller zu bekommen als von mir erwartet und das ermöglicht mir die kurzfristige, eigentlich fast schon spontane  Reise nach Deutschland.

Es ist viel zu früh, gerade mal 5 Uhr morgens, aber da der Flug um 7 Uhr startet, mussten wir früh aufstehen. Dazu kam, dass ich bis jetzt zu faul zum Koffer packen war und deswegen noch eine weitere halbe Stunde hergeben musste.

„Hast du auch die ganzen Kleinigkeiten eingepackt? Unterhosen, Socken, Zahnbürsten?", fragt mich meine Mutter zum bereits fünften Mal, während sie im Türrahmen steht und mich prüfend ansieht.

Augenrollend nicke ich und hieve den Koffer hoch. „Falls ich damit überhaupt durch die Kontrolle kommen sollte, bin ich ausgerüstet für alles, was auf einen zukommen könnte, Mum. Selbst eine Zombieapocalypse könnte mir nichts anhaben", meine ich grinsend, doch sie nickt nur. Ich habe das Gefühl, dass sie noch aufgeregter ist als ich.

„Na dann bring ihn mal runter, in einer halben Stunde sollten wir losfahren, um pünktlich dort zu sein", informiert sie mich und ich befolge nickend ihre Anweisung.

In der Küche mache ich mir noch schnell einen  Kaffee, um den 14 Stunden langen Flug überhaupt überleben zu können. Währenddessen krame ich mein Handy heraus und genießen die letzten Stunden mit meinem funktionierenden Handyvertrag und unserem WLAN.

Savannah hatte sich wieder einmal kaum gemeldet, außer ein paar kleine Infos bekam man von ihr nicht viel zu hören. Während sie hier immernoch vermisst wurde, genoss sie wahrscheinlich ihr Leben in einer riesigen Villa außerhalb der Stadt.

Seufzend öffne ich nach Langem mal wieder die Facebookapp und runzle die Stirn, als ich mehrere Nachrichten entdecke. Viele von ihnen kommen von irgendwelchen irrelevanten Idioten aus der Schule, aber eine von ihnen bekommt meine volle Aufmerksamkeit.

Ich muss lächeln, als ich den Nutzernamen sehe und klicke sofort auf die Nachricht. Sie wurde schon vor einem längeren Zeitraum geschrieben, wahrscheinlich kurz nach unserem letzten Treffen und ich bereue es kurz, dass ich nicht früher nachgeschaut habe.

,,Vielleicht kannst du mir bei unserem nächsten Treffen ja wieder eine zusammengeflickte Liebesgeschichte erzählen"

Schnell tippe ich meine Antwort ab und kaue auf meiner Lippe herum. Ich mag Adrianna, was ziemlich verwunderlich ist. Sie hat mich nach nur zwei relativ kurzen Gesprächen in ihren Bann ziehen können und irgendwie würde ich alles dafür geben, um jetzt im Moment irgendwo mit ihr zusammen in einem Café sitzen und über Gott und die Welt reden zu können.

„Na los, Austin. Wir müssen los", ruft auf einmal meine Mutter und ich zucke zusammen. Schnell laufe ich in den Flur, ziehe mich an und greife schon mal nach den Autoschlüsseln, um den Koffer verstauen zu können.

Während meine Mutter noch schnell mein Handgepäck abcheckt, gehe ich zum Wagen und hieve den hässlichen, grünen Koffer hinein.

„Bereit?", fragt meine Mutter und lächelt mich heute zum ersten Mal an. Hastig nicke ich und springe auf den Beifahrersitz. Es würde etwas länger zum Flughafen dauern, weshalb wir uns beeilen mussten.

„Hast du wirklich alles eingepackt?", fragt meine Mutter ein weiteres Mal, während sie den Wagen aus der Einfahrt lenkt. Unser Haus wirkt schlagartig so leer und ich verabschiede mich innerlich von jedem kleinen Detail.

„Ja Mum. Wie oft denn noch?", verzweifelt sehe ich sie an. „Ich will doch nur sichergehen, dass es dir dort an nichts fehlen wird", gibt sie schnippisch zurück. „Dein Vater holt dich wie abgemacht am Flughafen ab. Solltest du zu früh oder zu spät ankommen, gib ihm bitte Bescheid."

Wieder nicke ich nur und starre verträumt aus meinem Fenster. Ich frage mich, wie wohl die Städte in Deutschland aussehen. Dad hat erzählt, dass er in der Nähe von München wohnt und ich konnte ihm stolz erzählen, dass ich die Fußballmannschaft kannte.

Ich seufze kurz und lehne mich dann zurück, um die letzten Minuten in meiner Heimatstadt zu genießen.

Am Flughafen angekommen muss ich mich erstmal durch den riesigen Tumult drängeln, um mein Gate zu finden. „Ich habe das Gefühl, dass wir etwas vergessen haben", verzweifelt wischt sich meine Mutter über ihr Gesicht.

„Und wenn du was brauchst, kannst du anrufen. Du sollst allgemein anrufen. Wenn du angekommen bist, dann auch", aufgeregt plappert sie neben mir vor sich hin. Mein Flug würde in einer halben Stunde starten.

„Mum, du machst mich ganz nervös", gebe ich ehrlich zu und sie lächelt mich entschuldigend an. „Ich finde es nur so aufregend, dass du in ein komplett fremdes Land kommst. Ich freue mich für dich, aber der Gedanke, dass du so weit von hier entfernt bist, ist ziemlich beunruhigend für mich als Mutter", antwortet sie zähneknirschend und ich muss ihr Recht geben. Es ist verdammt weit weg, aber es ist das, was ich schon immer gewollt habe.

Verwirrt wache ich an mein Fenster gelehnt auf und sehe mich im fast leeren Flugzeug um. Die Flugbegleiterinnen sind bereits am Säubern der Maschine und ich räuspere mich kurz.

„Ist das ein Zwischenstopp?", frage ich eine von ihnen, die mich dann verdutzt ansieht. „Nein, die Maschine ist angekommen am Reiseziel", informiert sie mich und ich springe hektisch auf. Schnell packe ich mein Handgepäck zusammen, verabschiede mich und suche den Ausweg aus dem Flugzeug.

Ich habe tatsächlich den kompletten Flug verschlafen. Wahrscheinlich war das die Rache meines Körpers für den Schlafentzug.

Ich haste zur Gepäckausgabe und warte ungedulgig auf meinen Koffer. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich doch noch relativ pünklich dran bin.

Als ich das grüne Ding endlich entdecke, greife ich erleichtert nach ihm und sehe mich das erste Mal genauer am Flughafen um. Viele Menschen rennen herum, alle wirken hektisch und gestresst.

Ich suche nach dem Ausgang und begebe mich in seine Richtung. Dad meinte am Telefon, er würde direkt davor auf mich warten.

Die Aufregung steigt und ich kann es immernoch kaum fassen, dass ich gleich, nach all den Jahren, meinen Vater wieder sehen werde.

Die Glastüren öffnen sich automatisch und ich trete aus dem Flughafengebäude raus. Kühle Luft empfängt mich, die irgendwie eine gewisse Schärfe in sich trägt.

Der Flughafen ist riesig, mehrere Landebahnen umgeben die Parkplätze und viele Menschen stürmen in das Gebäude. Hilflos sehe ich mich um und höre ihnen beim Reden zu. Deutsch ist wirklich eine verdammt komische Sprache.

„Austin, hier!", verwirrt sehe ich mich nach der Quelle der Stimme um und entdecke letztendlich die Person, die ich seit Jahren vermisse.

Mein Vater trägt seine Haare mittlerweile anders und hier und da konnte man auch ein paar graue Haarsträhnen sehen. Er sieht sehr gepflegt aus und trägt noch dazu einen Anzug. Wahrscheinlich ist es gerade erst von der Arbeit gekommen.

Sprachlos sehe ich ihn an und weiß nicht, wie ich reagieren soll. Als er das bemerkt, läuft er grinsend auf mich zu und schließt mich in seine Arme. „Wie geht's dir, mein Junge?", fragt er erfreut und ich muss lächeln.

Freundschaftlich klopft er mir auf die Schulter. „Na los, lass uns fahren. Du wirst bereits ganz aufgeregt erwartet", er greift nach meinem Koffer und läuft los. Zögernd folge ich ihm zu einem dunkelgrauen BMW. „Mein ganzer Stolz", erklärt er mir und tätschelt das Dach des Wagens. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen und schüttele den Kopf.

„Ist er neu?"

Er nickt. „So ziemlich. Ein Jahr alt, der Gute."

Stolz öffnet er den Kofferraum, während ich zur Beifahrerseite laufe. Von innen sieht der Wagen ebenfalls erste Klasse aus und ich frage mich, welchen Beruf mein Vater wohl bereits ausübt.

„Steig ein, die Anderen warten schon!"

Nickend öffne ich die Tür und lasse mich auf das cremeweiße Leder sinken.

Mein Vater steigt ebenfalls ächzend ein und startet den Motor. „Erzähl, mein Junge!", ruft er und fährt los.

Ich freue mich darüber, dass die Situation so locker ist und es kein peinliches Schweigen gibt. Er fragt mich vieles und zeigt mir so gut es geht alle Merkmale Münchens, die er aus dem Stegreif kennt.

Die Stadt scheint riesig zu sein, selbst als wir sie verlassen und auf eines der Nebenstädtchen zusteuern, werden die Häuser nicht kleiner und die Menschenmenge nicht weniger.

„Wir wollten nicht in der Stadtmitte wohnen, München ist einfach so furchtbar teuer. Du musst eine halbe Stunde lang mit der S-Bahn fahren, um in die Schule zu kommen, aber Gina zeigt dir das schon. Sie sind alle so aufgeregt, das glaubst du nicht", erzählt er fröhlich und ich lächle ihm zu.

Er steuert den Wagen durch eine sehr gepflegte Wohngegend und ich kann mir die Familien in den Häusern nur allzu gut vorstellen.

„Hier wären wir", meint er und fährt in eine kleine Seitenstraße. Ein riesiges, weiß gestrichenes Haus erscheint, die Haustüre ist sperrangelweit offen. „Du kannst dann schon mal rein. Sie warten auf dich. Ich hole den Koffer", informiert mich Dad und ich steige zögernd aus.

Angst und Adrenalin erfüllen mich, als ich auf die Türe zulaufe. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht zu kommen, denn an den Teil mit dem Kennenlernen der 'neuen' Familie hatte ich bis jetzt eigentlich überhaupt nicht gedacht.

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