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zwanzig / twenty / vingt.-

„Was?", fragt Savannah leise und sieht meine Mutter verwirrt an, welche aber nur mit den Schultern zuckt und sie ratlos ansieht.

„Anscheinend hat sie da etwas in Melbourne gefunden, dass für sie als sinnvollere Lösung erscheint", meint Mum. „Du sollst deine Sachen schon mal zurecht legen, die Verlegung soll so früh wie möglich passieren. Und vergiss die ganzen Kleinigkeiten nicht."

Sie verlässt das Zimmer und schließt leise die Tür hinter sich. Ich blicke zu Savannah, die auf dem Bett sitzt und mit zusammengepressten Lippen die Wand anstarrt. „Vielleicht kannst du ja mit ihnen noch einmal darüber reden. Melbourne ist nicht einfach zu erreichen", versuche ich die Situation schön zu reden. 116 Kilometer trennen uns von der Stadt und es ist bestimmt kein kurzer Weg dahin.

Savannah schüttelt langsam den Kopf, wie in Trance. „Sie machen das mit Absicht. Sie reiben es mir auch noch unter die Nase. Damit wollen sie mir zeigen, dass sie die Kontrolle über mich haben", flüstert sie leise.

„Savannah, man kann sicherlich noch mit ihnen darüber reden. Es gibt viele andere Möglichkeiten hier in der Nähe. Du musst bestimmt nicht weg und sie haben auch keine Kontrolle über dich."

Sie beginnt, sich selbst hin und her zu wiegen, als würde sie sich damit beruhigen wollen. In ihren Augen sind so viele Emotionen zu sehen. Wut, Angst, Trauer. Und dann fängt sie an zu weinen, zuerst stumm, mit fließenden Tränen, und dann, irgendwann, folgen herzzerreißende Schluchzer.

„Du verstehst das nicht, Austin. Sie schicken mich nach Melbourne zurück, in meine alte Heimatstadt. Damit wollen sie mir zeigen, dass sie mich jederzeit zurück in meinen Albtraum schicken können", presst sie hervor und beginnt zu schreien. Erschrocken weiche ich zur Seite, als sie anfängt, sich die Seele aus dem Leib zu brüllen. Ihre blonden Haare fallen ihr wild ins Gesicht und sie klammert sich verkrampft an ihrer Bettdecke fest, während sie immer wieder kurz nach Luft schnappt.

Hilflos sehe ich ihr dabei zu wie sie bricht, ohne zu wissen, was ich tun soll. Schnell eile ich zur Tür und suche nach Schwestern. Meine Mutter, die das Geschrei wohl gehört hat, kommt auf mich zugerannt. „Was ist passiert?", fragt sie und drängt sich an mir vorbei ins Zimmer. „Ich weiß es nicht, sie hat plötzlich und ohne Vorwarnung auf einmal damit angefangen", flüstere ich und meine Mutter sieht mich kurz komisch von der Seite an, bevor sie sich an Savannah wendet.

Sie versucht es mit Ansprechversuchen, Berührungskontakt und netten Worten, doch es scheint, als würde sie sich immer mehr verkrampfen und nur lauter schreien. Kurzerhand packt meine Mutter das kleine Telefon, das ihr das Kommunizieren mit Ärzten und anderen Schwestern ermöglicht, und wählt eine Kurzwahltaste.

„Ich bräuchte den leitenden Arzt auf Zimmer 203", spricht sie und blickt dabei Savannah an. „Ich schätze, wir werden Hydroxyzin brauchen. Ich tippe auf eine Panikattacke. Nicht ansprechbar."

Ich drehe mich um und laufe aus dem Zimmer, um nicht mehr zuhören zu müssen. Einige Minuten später eilen schon die ersten Schwestern zu dem Zimmer und die leitende Stationsärztin taucht auf. Stumm lasse ich mich neben der Tür nieder und starre die Wand an. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht, während ich einfach nur dasitze und die Gedanken in meinem Kopf herumgeistern. Aber Zeit ist nicht relevant. Zeit hat jeder.

„Austin? Austin!", die Stimme drängt nur langsam zu mir durch und ich hebe den Kopf an, um meiner Mutter ins Gesicht zu blicken. Nachdem mehrere Patienten zum Zimmer gekommen sind, um ihre Neugierde zu stillen, habe ich mir meine Kapuze tief ins Gesicht gezogen und muss dabei wohl eingeschlafen sein.

„Wir sind fertig. Es hat etwas länger gedauert, aber es ist alles gut", informiert sie mich in einer sanften Stimmlage. Ich nicke langsam und stehe auf. Meine Knochen sind versteift durch das Lehnen an der Wand. Ich schiebe mich an meiner Mutter vorbei in das bereits leere Zimmer 203. Ich bin mir sicher, dass Savannah Grembourgh dieses Zimmer geprägt hat.

Sie liegt im Bett, schlafend und so ruhig, dass man meinen könnte, das vorhin sei nicht passiert. In ihrem Arm steckt eine Infusion, Flüssigkeit tropft in ihre Venen, anscheinend irgendein Beruhigungsmittel. Ich lache leise auf, diese grässliche Ironie. Sie hat immer gegen dieses Gefügigsein angekämpft und jetzt liegt sie da, ruhig gestellt mit irgendeinem, im schlimmsten Fall, abhängig machenden Mittel.

Ich lasse mich auf den Holzstuhl, meinem persönlichen Sitz in diesem Raum, nieder und beobachte sie. Beobachte die Anzeichen, dass sie noch lebt. Ihr leises Atmen, das Heben und Senken ihren Brustkorbes.

Die Zimmertür wird aufgerissen und die mir wohl unsympathischste Person betritt mit ihren lauten Absätzen den Raum. Ich werfe ihr den schlimmsten Blick zu, den ich aufbringen kann und lehne mich zurück.

„Du schon wieder! Habe ich dir nicht ausdrücklich gesagt, dass du dich von ihr fern halten sollst?", sagt Mrs. Grembourgh abwertend und blickt mich angeekelt an. Ich rolle mit den Augen und verkneife es mir, ihr den Mittelfinger zu zeigen oder den Stuhl gegen sie zu werfen.

Ihr Blick schweift zu der schlafenden Savannah und sie lacht verächtlicht auf. „Dieses Kind kann aber auch nichts als Probleme bereiten", meint sie leise. Es ist definitiv nicht für meine Ohren bestimmt gewesen.

„Wie können Sie nur so über ihre eigene Tochter sprechen?", frage ich fassungslos. Damit lenke ich ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Ach, Savannah ist nicht mein leibliches Kind. Zum Glück, denn mein Kind hätte eine ganz andere Erziehung genossen. Sie kennt doch sowas wie Respekt und Anstand garnicht. Unglaublich, wie viel Geld und Kraft sie einen kostet", lästert sie munter weiter, als wäre Savannah nicht gerade im selben Raum anwesend.

Die Frau widert mich an, wie sie dasteht und Savannah mit einem Blick ansieht, der so viel Hass und Ekel ausstrahlt. „Sie wird verlegt, denn ich habe das Gefühl, sie hat ihre Lektion noch nicht gelernt. Verabschiede dich schon mal im voraus, Kleiner."

Ein böses Grinsen schleicht sich auf ihre Lippen und ich ziehe die Augenbrauen zusammen. „Mir ist noch nie so eine widerwärtige Person unter die Augen getreten. Glauben Sie mir, im Leben bekommt man alles zurück. Wundern Sie sich nicht, wenn Karma Sie irgendwann so richtig schön von hinten dran nimmt", sage ich bemüht ruhig, stehe auf und verlasse den Raum.

Der Gedanke, dass Savannah nach Melbourne verlegt wird, schmerzt irgendwie und ich muss mir vielleicht etwas eingestehen, dass sie mir wichtiger geworden ist, als es eigentlich geplant war.

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