POV Y/N
»Ich geh' nirgendwo hin. Maximal noch auf das Polizeirevier«, sage ich und versuche mich nicht dankbar vor seine Füße zu schmeißen. »Aber das war dann.«
Er hat mich gerettet. Der blauäugige Mistkerl Satoru hat mich gerettet, doch ich werde sicher nicht mit ihm sonst wohin gehen, nachdem ich geschlagen und fast verschleppt wurde.
Mir ist immer noch etwas schwindelig und jetzt tut nicht nur meine Nase weh, sondern auch meine komplette linke Körperhälfte. Inklusive Gesicht. Es fühlt sich ein bisschen so an, als sei ich von einem Auto angefahren worden. Und ich weiß, wovon ich rede, denn als ich sieben war, ist mir das tatsächlich passiert.
Satoru sieht mir mit diesem bestimmten Blick entgegen, der keinen Widerspruch duldet, aber das ist mir egal. Ich möchte meine gefesselten Hände wegziehen, er hält sie jedoch fest und ich kann ihm nicht entkommen. Das Messer schmiegt sich noch immer an den Kabelbinder, aber Satoru schneidet das dumme Ding nicht durch.
»Du kommst mit, Y/N«, prophezeit er mir und seine Stimme klingt tief und kehlig. Gefährlich. Anziehend. Abstoßend.
»Und ich sagte, dass ich nicht mit dir gehen werde.«
Mit einem Ruck und so plötzlich, dass ich aufjaule, schneidet er meine Fesseln los. Es tut etwas weh, sodass ich mir die Gelenke reibe. Satoru lässt mich nicht aus den Augen, als er auch meine Beine befreit und sein Blick wird durchdringend. Er wandert an mir hinauf und bleibt länger an dem dünnen Stoff meiner Reizwäsche hängen.
»Wenn du nicht freiwillig mitkommst«, droht er, »zwinge ich dich eben. Aber da ich das ungern mache, solltest du lieber einlenken und vernünftig sein.«
»Vernünftig?«, frage ich wiederholend und will von ihm wegrutschen.
Satoru packt meinen Unterarm und verhindert das grinsend. »Ja, vernünftig.«
»Erzähl du mir nichts über Vernunft. Wie vernünftig kann es schon sein, freiwillig mit einem Fremden mitzugehen?«
»Ich bin kein Fremder«, presst er heraus und sein Schmunzeln ist so schnell verschwunden, wie es gekommen ist.
Ich lache auf und dabei schmerzt mein komplettes Gesicht, sodass ich aufstöhne. Ich hebe die Hand und betaste meine Wange und sehr, sehr vorsichtig auch meine Nase. Blut bleibt an meinen Fingerspitzen kleben und ich verzieh' das Gesicht. »Ach nein? Bist du nicht? Wie ist dein Nachname, was isst du gerne und was ist deine Lieblingsfarbe? Wie alt bist du und was machst du den lieben langen Tag so, wenn du nicht hinter einer Stripperin her bist, die dich nicht kennt? Und mal abgesehen davon, bin ich gerade erst einem Entführer entkommen. Wie dumm wäre ich, mit dem Zweiten mitzugehen?«
Binnen eines Wimpernschlags hat er mich mit einem brutalen Ruck an sich gezogen und presst seine Lippen auf meine. Es ist ein harter, besitzergreifender Kuss, der mir wegen all der Verletzungen kein bisschen Freude bereitet. Aber das soll er auch nicht, wie ich feststelle. Denn als Satoru sich von mir löst, noch einmal fest in meine Lippe beißt und mir dann entgegensieht, erkenne ich, wie wütend er ist.
»Erstens: Musst du nichts von dem Mist, den du aufgezählt hast, wissen, um mich zu kennen. Und zweitens: Vergleich mich nicht noch mal mit diesem toten Wichser, verstanden?« Er nickt mit dem Kinn ganz leicht schräg hinter sich und mein Blick bleibt an dem Mann hängen, der mich vorhin angegriffen hat. »Ich bin kein Entführer. Ich will nur, dass du in Sicherheit bist, du stures Weib.«
Satorus Worte werden dumpfer, als ich, mit großen Augen, auf die leblose Person sehe. »Du hast ihn umgebracht, oder? Du hast ihn wirklich ...« Ich beende den Satz nicht, als eine neue fürchterliche Angst sich in mir breitmacht. Ich sehe zu Satoru, der mittlerweile unbeteiligt dreinschaut, als würde ich ihm vorwerfen, einen Käfer zerquetscht zu haben. Er nickt und ich erschauere im noch immer gnadenlosen Regenschauer. »Du bist ein Mörder«, werfe ich ihn vor und als Antwort grinst er. »Ein verdammter Killer.«
»Genauso wie er einer war, Prinzessin.« Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht und ich bin zu geschockt, um mich zu bewegen. »Und soweit ich mich erinnere, habe ich dir schon gesagt, was ich beruflich mache.«
Ich bin ein Auftragskiller, Prinzessin. Genau das hatte er mir gesagt, als er vor meiner Tür stand. Aber woher kann ich denn wissen, dass es sein verdammter Ernst war?
Satoru ist ein verdammter Mörder. Er hat diesen Mann, Entführer hin oder her, umgebracht. Ich lasse meinen Blick an seinem Körper herab wandern und finde die Waffe, die er nicht mal mehr versteckt. Sie hängt locker im Holster an seiner Brut.
»Der Typ hätte dich weggebracht, Prinzessin. Und dann sehr langsam und qualvoll gequält, bevor er dich umgebracht hätte. Wenn Yuji und ich nicht gekommen wären, sähe es schlecht für dich aus.«
Ich sehe mich um und suche diesen Yuji, doch von ihm ist keine Spur zu sehen. Es ist der Rothaarige, oder? Oder doch der mit den dunklen Haaren? Ich weiß es nicht und schüttle den Kopf. Es ist völlig irrelevant, wer von beiden er war, denn egal wie herum, dass sie zu zweit hier sind, macht mir nur mehr Angst.
»Er holt ein Auto«, erklärt mir mein Gegenüber und liest somit meine Gedanken.
Ich schaue zurück in Satorus Augen, und da setzt erneut Panik und mein gesunder Menschenverstand ein. Mit einem kraftlosen Ruck entziehe ich mich seinem Griff und krabble rückwärts von ihm weg. »Ich komme nicht mit. Lass mich endlich in Ruhe!«, sage ich laut und deutlich, um nicht ganz wie ein verängstigtes Kleinkind zu wirken. »Lass mich verdammt noch mal in Frieden, du krankes Schwein.«
»Wenn ich das könnte, säßen weder du noch ich jetzt in diesem Schlamassel, Prinzessin.«
Er sieht mich an und ich registriere sofort, dass seine Geduld nun ein Ende hat. Satoru steht auf und geht auf mich zu. Er sieht auf mich herab und kreuzt lässig die Arme vor der Brust. »Steh auf und lass die Spielchen, Y/N.«
»Das ist mein Ernst«, widerspreche ich ihm und frage mich, ob er echt glaubt, dass ich scherze. »Wenn ich sage, ich komme nicht mit, dann meine ich es so. Und ganz sicher ist der Scheiß, der hier abläuft, kein Spiel für mich. Oder sieht mein Gesicht für dich danach aus?«
»Dein Gesicht ist wunderschön.«
Ich schnaube und es klingt ehe wie ein Schluchzen. »Lass doch den endlich den Mist sein, ja? Fakt ist: Ich gehe nicht mit dir.«
»Und wie du das wirst. Du hast keine Wahl, also gib endlich klein bei und steh auf. Wir müssen los.«
Neue Tränen sammeln sich in meinen Augen und ob er es erkennt oder nicht, ist mir egal, denn alles, was ich will, ist hier weg.
Weg.
Einfach nur weg. Weg von dem toten Mann und ganz sicher weg von Satoru.
»Nein«, hauche ich und schniefe unter Schmerzen. »Ich gebe nicht auch und ich gehe sicher nicht mit.«
Auf allen vieren schaffe ich Abstand zwischen eben jenen beiden und will mich aufrichten, doch ehe ich zu einer Bewegung ansetzen kann, ist Satoru schon bei mir. Er flucht derb, packt mich am Unterarm und ...
Etwas zischt an mir vorbei. Ich spüre einen heißen Luftzug und einen Knall direkt neben mir. Ich sehe auf das Metall des Autos und betrachtet verwirrt das kleine Loch.
»Was zum ...«
»Runter!«, bellt Satoru einen Befehl und schmeißt sich fast auf mich. Er drückt und schieb mich hastig und ohne jede Rücksicht über den Boden, bis wir hinter dem Auto sind. »Fuck!« Zischt er und so schnell, dass ich es kaum mitbekomme, hat er eine Waffe in der Hand.
Ich blinzle nur dümmlich und verstehe nicht, was los ist. Stumm und mit rasendem Herzen sehe ich zum, wie Satoru die Waffe überprüft und klickend einen Schieber nach hinten zieht und sieht sich irgendwas genauer an. Wieder flucht er und legt den Kopf an die Karosserie. »Fuck! Fuck! Fuck!«
»Was ist hier los? Was-«.
»Wonach sieht es denn aus?«, fährt er mich an und sein Blick ist plötzlich sowohl böse als auch höchst konzentriert. »Jemand schießt auf uns, Prinzessin. Das ist los.«
»Aber warum?«, will ich wissen. »Was habe ich gemacht?« »Du meinst, was haben wir gemacht?« Er lacht bitter auf. »Du hast mein Interesse geweckt und ich einen habe den Fehler gemacht, der falschen Person ans Bein zu pissen.« Ein neuer Knall erklingt, und ich schreie auf. »Oh ja, eindeutig die falsche Person. So eine verdammte Scheiße!«
»Kannst du mal aufhören, zu fluchen, und mir endlich erklären, was du meinst?«
»Nein«, presst er mit zusammengebissenen Zähnen heraus und als er seinen Kopf ruckartig zu mir dreht, lösen sich Regentropfen aus seinen Haaren und fliegen weg. »Sicher kann ich das gerade nicht machen. Denn jetzt muss ich dich erst mal aus der Schussbahn schaffen und wegbringen. Schnallst du das jetzt endlich? Du bist nicht mehr sicher. Nicht, solange Kaito lebt.«
»Wer zum Teufel ist Kaito?«
Ein so frustrierter Ausruf entkommt Satoru, dass ich im Normalfall hätte lachen müssen. »Du bist unglaublich, weißt du das? Man schießt auf uns, und du willst als Erstes wissen, wer es ist, statt wegzulaufen.«
Ich sag' nichts dazu und zucke nur zusammen, als erneut geschossen wird. Satoru sieht mich an, die Haare nass in der Stirn klebend. Das Blau seiner Augen strahlt im Regen und sie wirken plötzlich unnatürlich hell.
»Ich will antworten«, flüstere ich und seh zu, wie er die Augen zusammenkneift.
»Und ich will, dass du das überlebst. Also hör mir jetzt gut zu, Prinzessin. Es ist ziemlich wichtig, dass du genau das machst, was ich dir sage und vor allem genau dann, wann ich es dir sage, kapiert?« Etwas an der Art, wie er mir das sagt, bringt mich dazu, zu nicken. »Gut. Denn wenn du das nicht schaffst, stirbst du heute in einer schmutzigen Gasse. Und das willst weder du noch ich.« Nochmals prüft er seine Waffe und mein Herz hüpft, als ich meine, so etwas wie Resignation in seinen Zügen zu lesen. Satorus Kiefermuskel zuckt und er sieht wieder zu mir. »Auf drei rennst du los und sieht zu, dass du aus der Gasse kommst. Lauf zur Straße, dort müsste Yuji dich eigentlich finden und aufsammeln. Schau nicht zurück und wichtiger noch, werde nicht langsamer, okay?«
»Und du?«
Er grinst. »Sorgst du dich etwa um mich?«
Ich schlucke. »Nein.«
»Lügnerin«, erwidert er mit einem Funkeln in den Augen. Er zeigt mir die Zähne. »Ich geb' dir Deckung.«
»Aber-«.
»Auf drei«, unterbricht er mich und sieht mich ernst an. Aber statt zu zählen, beugt er sich vor und legt seine Hand in meinen Nacken. Seine Lippen schweben über meinen und ich starre ihm in diese verteufelten Augen. Ich hab' Angst vor Satoru, aber warum auch immer hämmert mein Herz jetzt nicht mehr nur wegen der schrecklichen Situation.
Er küsst mich und diesmal gebe ich nach und erwider den Kuss. Mir wird warm und so unangebracht es auch ist, meine Mitte beginnt zu kribbeln und eine mir unerklärliche Erregung packt mich.
Du bist wirklich krank, du Freak, denke ich und öffne den Mund für Satoru. Seine Zunge findet meine und ich schmecke ihn. Rauch, Minze und etwas Nussiges legt sich über meine Sinne und ich bin mir plötzlich nur allzu bewusst darüber, dass ich halb nackt im Regen hocke. Ich spüre sein Lachen an meinen Lippen und er flüstert. »Das ist eine sehr interessante Reaktion, wenn man bedenkt, in welcher Lage wir sind.«
Bevor ich antworten kann, passiert alles ganz schnell. Satoru zieht mich erneut in einen Kuss, wild und unbeherrscht. Dann schubst er mich regelrecht weg, sieht mir entgegen und sagt: »Drei.«
Ich sehe noch, wie er sich aufrichtete, irgendwo in die Gasse zielt und schießt.
Ich renne und tue damit genau das, was er mir gesagt hat. Mit aller Kraft dränge ich den Schmerz in meiner Seite weg und sprinte immer weiter. Meine High Heels klappern und das Wasser der Pfütze spritzt auf, als ich durch die Straße fege und sofort zu keuchen anfange. Ich kann nicht durch die Nase atmen und der Regen peitscht mir ins Gesicht. Jeder tropfend, der meine Verletzungen trifft, tut weh, aber ich beiße die Zähne zusammen. Aber als mich das ohrenbetäubende Knallen der Schüsse wie Peitschenhiebe verfolgt, zucke ich doch zusammen. Instinktiv ducke ich mich und schütze meinen Kopf mit den Armen. Ich höre mich schreien und komme etwas aus dem Takt, als viel zu nahe hinter mir etwas in die Wand einschlägt und dann ebenfalls sehr nahe dreimal hintereinander das Geräusch von Schüssen erklingt.
Bam! Bam! Bam!
Ich schluchze, ich hole unkontrolliert und hektisch Luft und renne weiter, weiter und weiter. Die verdammte Straße scheint gar kein Ende mehr zu nehmen und als ich schon denke, ich kann nicht mehr, packt jemand meinen Arm.
Ich kreische auf, doch Satorus Griff wird wieder bestimmter. »Schneller, Y/N. Lauf schneller!«
Satoru hebt die Waffe und drückt ab. Ich zucke zusammen und ein Surren bildet sich in meinem Ohr und wird immer lauter. Fluchend sieht er die Waffe an, knurrt und wirft sie weg. Dann trifft sein Blick meinen und er fordert mich erneut auf, schneller zu machen.
Aber ich kann nicht mehr. Meine Lunge brennt, meine Beine schmerzen und meine Füße knicken in den Schuhen immer öfter um und ich strauchle.
»Satoru, ich-«
»Duck dich!«
Ohne nachzudenken, mache ich, was er sagt, und schmeiße mich auf den Boden. Wieder fliegen Kugeln und wieder schlagen sie viel zu knapp neben uns in die Wand ein. Wir rappeln uns auf und laufen weiter und endlich, endlich kommt die Straße in Sicht.
»Gleich geschafft, Prinzessin. Wir sind gleich-«. Satoru schreit auf und gerät aus dem Takt. Er flucht, zischt und als ich zu ihm sehe, schüttelt er den Kopf und nickt in Richtung Gassenende. »Geh!«
Ich tue, was er verlangt und gefolgt von Satoru, preschen wir letztlich wie zwei Irre aus der Seitenstraße. Wir kommen genau dann an, als vor uns ein Auto schlitternd zum Stillstand kommt. Ohne zu wissen, wer das ist, schiebt mich Satoru barsch in Richtung des Vehikels. Er reißt die Tür auf, schubst mich ins Auto und gleitet dann selbst hinein. Ich bin völlig außer Atem und noch ehe die Hintertür geschlossen ist, rasen wir auch schon los.
Ich atme hektisch, bekomme kaum Luft und durch die Schluchzer, die ich nicht zurückhalten kann, wir alles noch schlimmer. Wieder sammeln sich kleine Sterne am Rand meiner Wahrnehmung und ich muss blinzeln, um sie zu verjagen.
Eine Weile sagt keiner etwas und wir lassen und still von Yuji durch die Stadt bringen. Gelegentlich wirft er Satoru und mir einen Blick über den Rückspiegel zu, doch er sagt nichts.
Erst nach einer guten halben Stunde bricht der Rothaarige das Schweigen. »Wie schlimm ist es?«
Irritiert runzle ich die Stirn und versuche, mich irgendwie zu bedecken. Langsam werde ich mir der Situation wieder bewusst und obwohl ich mit Nacktheit kein Problem habe, ist das hier doch eine extreme Ausnahmesituation. Alles hieran ist falsch und anders und ... Ich weiß nicht was. Abgedreht trifft es wohl am besten.
»Es wird gehen müssen«, antwortet Satoru neben mir und als ich zu ihm sehe, lehnt er sich zurück.
Yuji wirkt nicht überzeugt und sein Blick senkt sich. »Schaffst du es bis ins Safehouse, oder müssen wir anhalten?«
Satoru schüttel den Kopf und verzeiht das Gesicht. »Zu gefährlich. Wir müssen weiter.«
Als er mich ansieht und lächelt, senke auch ich den Kopf und bemerke endlich, dass er seine Hand auf die rechte Seite drückt. Ich blinzle einmal, dann noch mal. Langsam hebe ich die Hand und lege sie auf seine. Er zischt mit zusammengebissenen Zähnen, als ich seine Finger löse, anhebe und eine Schusswunde freilege, aus der eine ganze Menge Blut fließt.
»Du bist getroffen«, höre ich mich noch gedämpft sagen, als die Welt wieder über mir einbricht und ich in einem Strudel aus Gefühlen und Emotionen ertrinke, die jetzt ungnädig auf mich einschlagen. Ich weine bitterlich, als ich nochmals bewusstlos in mir zusammensinke und auf Satorus Schoß lande.
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