Ich, der Chef

Es war kurz davor ein Tag zu werden. Die Dämmerung erleuchtete den Horizont, kurz nachdem wir von der Kaserne losgezogen waren. Wir, meine Schüler und ich. „Hopp, hopp, hopp", rief ich in die Runde, selbst ein wenig überrascht von meiner eigenen Lautstärke und dem forschen Ton. Wir joggten durch den Wald. Ein paar von ihnen fielen zurück. Die zukünftigen Streiter waren noch jung, Frischfleisch sozusagen. Formbar, beugbar und beeinflussbar. Wir joggten über einen Waldweg, bis ein Maschendrahtzaun erschien. „So. Alle mit dem Rücken zum Zaun und still gestanden." Ich ging zu einem Tor im Zaun, trat hindurch und schloss die Tür eines kleinen Schuppens auf. Hier standen mehrere gefüllte Waffenständer, Reihe in Reihe. Ich überlegte, welches Gewehr sich als Übungswaffe eigenen könnte und wählte schließlich eine alte Schrotflinte. Nicht zu schwer, einfach zu handhaben. Man muss ja nicht gleich mit einem Monster anfangen. Es war ein altes Modell, noch mit Holz und hatte eine niedrige Schusszahl. Ich trat aus dem Schuppen und sah, die Rücken meiner Jungen. Ganz brav standen sie. Außer Einer. Was war doch gleich seine Nummer? JS 415j. Das j am Ende seines Codes stand für „junior". Er war also im jüngsten Fünftel. Hier im Camp wurden wir in fünf gleich große Altersgruppen geteilt. Das Jüngste Fünftel wurde Junior genannt. Der Name stand hier für noch junge, zarte Seelen, die langsam an den Streiteralltag gewöhnt werden mussten. Das Älteste Fünftel waren die Seniors. Sie galten als besonders erfahren. Alle Gruppen dazwischen hießen JS – junge Streiter. Jedenfalls stand JS 415j nicht mit dem Rücken am Zaun. Ich tat etwas Fieses. „JS 415j!!!"brüllte ich. Er zuckte zusammen. „Warum stehst du nicht am Zaun, wie alle Anderen?" „Mir ist kalt, Chef." Die Kleinen mussten ihre Lehrer Chef nennen. „Na, und?" Er dachte, damit wäre es getan, aber nein. Ich stieß ihn gegen den Zaun. „Damit das klar ist. Hier hat jeder meinen Befehlen zu gehorchen. Das ist wichtig. Folgt mir." Wie traten erneut durch das Tor im Zaun. Der Zaun begrenzte ein großes Areal. „Ich lehre euch heute Schießen." Die Jungen stellten sich in eine Reihe und ich erklärte allen, was sie zu tun hatten. Danach hatte jeder genau einen Versuch, um alles richtig zu machen. Wenn nicht, musste er fünf Liegestützen machen. Die fünf gefiel mir nicht, zehn wäre mir lieber gewesen, aber sie waren halt „junior". Die neue Generation. Die Jungen meisterten ihren Job recht gut für ihr Alter und so konnten wir am Nachmittag zum Zielen übergehen. Ein eher unscheinbarer Junge fiel mir auf. „Hey, du. Nummer 121j. Wie oft hast du verfehlt?" „Gar nicht, Chef.", antwortete er verlegen. „Und wie lange bist du schon im Camp?" „Acht Tage, Chef." Sein wasserblauer Blick wich mir aus. „Laut deiner Nummer müsstest du mindestens ein halbes Jahr hier sein." Ich war selbst erst zwei Wochen hier, hatte allerdings eine viel höhere Nummer. Also musste er früher angekommen sein. „Kann sein. Aber es stimmt. Acht Tage." Und es stimmte. Ich sah noch am selben Abend im Kasernenregister nach. Erst erschien auf dem Computerbildschirm nur ein altes Profil. „Camp verlassen am 12.Januar." Also war die Nummer tatsächlich neu vergeben worden. Der alte Besitzer war mäßig erfolgreich gewesen. Er hatte eine große Personalakte, die mich in dem Moment allerdings nicht interessierte. Ich klickte auf die Schaltfläche „Aktueller Träger". JS121: Dauer des Trainings: 8 Tag(e). Absolvierte Einheiten: 7. Besondere Qualitäten: Hier war nur eine gestrichelte Linie. Höchste Zeit, dass sich sein Profil füllte.

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