Die Prüfung
Es war ein ganz besonderer Tag. Mein Prüfungstag. Noch lag ich im Bett. Ich war schon lange wach, bevor mein Wecker klingelte. Müde war ich nicht. Dazu war ich viel zu aufgeregt. Ich starrte auf die schwarzen Digitalziffern der Wanduhr. Gleich würden sie umspringen und das ganze JSU Camp würde wach werden. Genau das geschah. Sechs Uhr dreißig. Ich stand auf, als wäre nichts, machte mein Bett ordentlich, faltete die Bettdecke und strich das Laken glatt. So wie es sich gehört. Meine Zimmergenossen waren noch verschlafen. Ich lief zum Waschraum, duschte wie jeden Tag kalt, und machte mich selbst zurecht. Auf zum Frühstück, auf in den Tag. Auf in den Kampf. Schon beim Essen nahm mich ein Aufseher beiseite. „Heute ist dein Tag. Du weißt, was du zu tun hast. Und du wirst mich nicht enttäuschen, du wirst uns, die Union, nicht enttäuschen." Er klopfte mir auf den Rücken. Sogar zum Essen war ich jetzt zu aufgeregt. Also machte ich mich auf den Weg zu Block B, wo mich meine Prüfer, erwachsene Kämpfer, bereits erwarteten. Ich zog mir eine Tarnuniform über und nahm ein Maschinengewehr entgegen. Meine Hände zitterten dabei wohl so sehr, dass der Prüfer mir erklärte, es sei nicht geladen. Wir verließen das Camp. Erfahrenere junge Streiter gingen mir voraus. Die Prüflinge marschierten immer hinten. Wir marschierten wie ein kleines Heer durch die Straßen. Als man schon Geschrei hören konnte, steckte mir jemand genug Munition für einen ganzen Bürgerkrieg zu. Wir bogen um eine Ecke und schon kam der Befehl zur Zerstreuung. Alle stürmten in verschiedene Richtungen. Während die Anderen mitten ins Getümmel rannten, hielt ich mich zurück. Hinter einer Hauswand verschanzte ich mich. Man hörte Schlachtrufe „Mit Macht gegen Gewalt!" „Was ist unsere Freiheit wert, wenn sie sich nur mit Kraft bewährt?". Es waren unsere Jungen. Jetzt war ich dran. Ich stürmte in die Menge, rief die Parolen, schlug wahllos um mich. Ich wollte alles gewinnen, hatte Gedanken von Ruhm und einer besseren Welt, einer gerechten, freien Gesellschaft. Wie sie es mir erzählt haben... Im Augenwinkel tauchte eine schwarz gekleidete Person auf. Sie hockte abseits und zielte auf einen JS! Ich versuchte mich von der Masse zu entfernen und ihr möglichst nah zu kommen. Meine Hilfe wurde jetzt benötigt. Seltsamerweise bemerkte sie mich garnicht. Konnte sie mich etwa nicht sehen, mit ihrer Sturmhaube? Ich war schon gefährlich nah und immernoch passierte nichts. Überraschend stieß ich dem Schützen den Lauf meines Gewehres in die Schulter. Völlig überrumpelt fiel er auf den Boden und hielt die Hände hoch. Panik war in seinen Augen. Oder war er eine Frau? Das war nicht zu erkennen. Ich entsicherte. In meinem Kopf wuchs der Keim eines Zweifels. Nein. Das konnte ich nicht. Nicht auf einen Menschen schießen, von dem ich nichts wusste, außer seine politische Gesinnung. Tränen schossen mir in die Augen. Halte durch. Ich musste es vollbringen, sonst würde dieser Mensch mich töten. Ich sah ihm in die Augen. Das konnte nicht sein. Nein, das war unmöglich. Ich bekam den totalen Horror. Sie kamen mir seltsam bekannt vor. Aber wer sollte es sein? Ich drückte ab. Doch meine Finger waren so schwitzig geworden, dass ich vom Abzug abrutschte. Bring es über dich! Mach JSU stolz! Die Stimmen warfen sich in meinem Kopf hin und her bis alles zu einem riesigen Stimmengewirr wurde. Mein Finger rutschte ab, immer und immer wieder. Die aufgerissenen Augen des bekannten Unbekannten verdrehten sich vor meinem Blick, alles drehte sich. Dann war es schwarz.
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