Kapitel 6
Rob lehnte sich an die Wand vor dem Portal und wartete schon eine geraume Zeit.
Irgendwie hatte ihn das Gefühl beschlichen, dass man Lisa und ihn beobachtete. Er konnte sich denken, wer das gewesen war und derjenige dürfte bald hier auftauchen und würde wahrscheinlich sehr wütend sein.
Er hob den Kopf und betrachtete pfeifend die Decke und den Deckenfluter. So ein Portal Zimmer sollte er sich auch mal einrichten, nur etwas gemütlicher und nicht so steril wie ein OP-Saal. Es wunderte ihn, dass Lisa so etwas liebloses zuließ. Sie war so ein harmonischer Mensch und obwohl sie an Weihnachten nicht zu Hause sein würde, hatte sie das gesamte Haus weihnachtlich geschmückt. Nun, bis auf dieses Raum. Das ließ tief blicken, fand Rob.
Der Deckenfluter flackerte einen Augenblick und Rob kreuzte seine Arme vor der Brust. Bald würde es losgehen.
Das Portal änderte seine Farbe und auf einmal roch der Raum davor nach Lebkuchen.
"Bitte! Das ist ja wohl etwas übertrieben.", murmelte er genervt.
Nun flimmerte das Portal und wie Rob erwartet hatte, kam ein sehr wütender Nicolas zum Vorschein.
"Tag auch, Vetter!", begrüßte Rob ihn. "Ich hätte früher mit deinem Erscheinen gerechnet. Was hat dich aufgehalten? Mh? Kein Platz im Geschenkesack? Die Rentiere sind überfressen? Geschenke kaputt?"
Nicolas starrte ihn einen Moment verblüfft an.
"Väterchen Frost? Du?"
Rob schnaubte.
"Hör doch auf, Mann. Aus sicherer Quelle weiß ich, dass du es hasst, wenn man dich jetzt schon Santa nennt. Also lass den Scheiß, es sei denn, du meinst meinen Vater."
Nicolas schnaubte und die Wut kam wieder in seine Augen.
"Was machst du hier, Rob?"
Rob lachte leise.
"Ich mache meine Arbeit, Vetter."
Nicolas runzelte die Stirn.
"Du machst deine Arbeit als Krankenpfleger oder als Väterchen Frost? Entschuldige, aber das bist du nun mal."
Rob zuckte mit den Schultern.
"In erster Linie mache ich es schon als Väterchen, das ist richtig. Eigentlich bin ich zu früh dran, aber das Zeitmanagement...", er seufzte. "Du kennst ja selbst."
Rob sah, dass sein Vetter nicht gerade zu Scherzen aufgelegt war, also seufzte er erneut.
"Ich habe einen Wunsch vernommen. Du kannst dir vorstellen, dass ich erst einmal verwundert war, denn eigentlich erreichen mich kaum Wünsche von dieser Seite der Erde, aber dann habe ich herausgefunden, dass sie Wurzeln in Russland hat."
Nicolas starrte Rob an.
"Sie?"
Rob nickte.
"Ich kam hierher und suchte sie. Du kannst dir vorstellen, dass ich schon sehr neugierig war, vor allem, weil sie kaum einen Wunsch ausspricht."
Nicolas schnaubte.
"Und du weißt nichts Besseres, als dich bei mir einzuquartieren? Weiß Lisa überhaupt, wer du wirklich bist? Und du baggerst sie zum Dank, dass du hier wohnst, auch noch an? Sie ist meine Frau!"
Rob starrte seinen Vetter einen Moment verblüfft an. So verbohrt konnte Nicolas doch nicht sein, dass er nicht einmal die Geschichte hören wollte, sondern seine eigenen Schlüsse zog. Und das er nicht einmal erkannte, dass es sich um Lisa handelte, die den Wunsch ausgesprochen hatte, war a Dummheit nicht mehr zu übertreffen. Kannte Nicolas Lisa überhaupt?
Rob schnaubte wütend.
"Nein, sie weiß es nicht. Woher denn auch? Sie denkt, ich bin ein Kollege."
Nicolas fluchte erneut.
"Der sich in meinem Haus breit macht. Und der nichts besseres weiß, als meine Frau anzugraben."
Na, sieh mal einer an. Da ist jemand aber heftig eifersüchtig. Nun gut, dann lass uns böse sein, Väterchen Frost.
"Deine Frau? Soso?" Rob sah zu Nicolas Hand. "Ich sehe keinen Ring und auch an ihrem Finger habe ich keinen gesehen. Warum nennst du sie deine Frau, wenn sie es gar nicht ist?"
Nicolas schnappte nach Luft.
"Das geht dich gar nichts an. Ich will nur, dass du von hier verschwindest, Rob. Hör auf, Lisa schöne Augen zu machen."
Rob tat so, als ob er überlegen würde, dann schüttelte er den Kopf.
"Ich lasse Lisa nicht alleine. Ich mag sie." Er sah auf seine Fingernägel. "Vielleicht würde sie sich in der Tundra auch wohl fühlen?"
Nicolas riss die Augen auf.
"Das wagst du nicht!", flüsterte er.
Rob zuckte mit den Schultern.
"Sie mag mich auch. Und ich würde sie um einiges besser behandeln, als du es tust."
"Was weißt du denn schon davon, hm? Lisa geht es sehr gut bei mir. Wir haben ein Haus, jeder hat einen Job..."
Rob hob gelangweilt seine Hand zum Mund und täuschte einen Gähnen vor.
"Ach wie niedlich. Und so solide. Ich erkenne dich gerade nicht wieder, Vetter. Aber verrate mir eins: wann hast du sie das letzte Mal so richtig durch die Kissen gescheucht?"
Nicolas starrte ihn böse an, antwortete aber nicht.
"Weißt du nicht mehr? Na gut, andere Frage. Wann hast du ihr das letzte Mal eine Kleinigkeit geschenkt? Nicht etwas Großes, sondern eine einfache Blume, die du im Garten gefunden hast? So etwas eben. Wann hast du das letzte Mal mit ihr einen gemütlichen Abend verbracht, ohne dass du an den Nordpol oder an deine scheiß Fabrik dachtest? Wie oft hast du deine Versprechen gebrochen und ist es nicht so, dass du selbst jetzt daran denkst, den Urlaub nach Weihnachten, den du ihr eben versprochen hast, wieder abzublasen, weil du die Kontrolle über das Weihnachtsgeschäft nicht verlieren willst? Wann hast du ihr das letzte Mal gesagt, dass du sie liebst? Wann gibst du ihr endlich das Gefühl, dass sie wirklich deine Freundin ist und nicht nur ein nützliches Anhängsel?"
Rob bemerkte, dass jeder Satz von ihm wie ein Messerstich für Nicolas wirkte. Immer wieder zuckte er zusammen. Sein Vetter wusste die Antworten genau. Es war schon verdammt lange her. Rob hätte nun eigentlich aufhören sollen, doch ihm war auch klar, dass er weiter gehen musste, um seinen Vetter endlich klar zu machen, dass Lisa keine Selbstverständlichkeit für ihn sein sollte und er allen auf Knien danken sollte, weil er sie hatte.
Er streckte seinen Kopf nach vorne.
"Ich kann ihr das alles bieten, Nicolas. Sie wäre meine Königin. Mein Mütterchen Frost. Ich würde sie auf Händen tragen und ihr jeden Wunsch erfüllen, den sie hegt. Sind wir doch mal ehrlich, Santa. Du erfüllst jedem Menschenkind Wünsche, selbst wenn sie nichts sagen, sondern nur daran denken. Doch bei deinem Mädchen versagst du allerdings jämmerlich. Nun, das werde ich nicht tun. Lisa ist etwas Besonderes, doch du erkennst es nicht."
Einen Moment starrte Nicolas ihn an, dann drehte er sich um und verschwand durch das Portal.
"Was ist mit Nicolas los?"
Brandon saß beim Großvater von Nicolas und beobachtete den jungen Santa, seit er aus einer der kleinen Häuser gekommen war und nun schon seit einer Weile die armen Tannenbäume malträtierte, in dem er immer wieder seine Faust in den Stamm schlug.
Der alte Santa nippte an seinem Eierpunsch, den die Elfen heute frisch angesetzt hatten. Auch Brandon hielt einen Becher in beiden Händen und genoss die Wärme des Getränkes und die Kälte in der Luft. er mochte es hier am Nordpol und war froh, dass er jedes Jahr hier her kommen durfte. Mittlerweile half er sogar den Elfen, auch wenn er nicht so schnell war wie sie. Dafür konnte er schwere Sachen schleppen. Und er genoss die Pausen, die er meist beim alten Santa verbrachte.
"Liebesprobleme, denke ich mal. Der Junge schlägt aus der Art.", brummte er.
Brandon sah Nicolas Großvater erstaunt an.
"Ich finde, er macht sich gut als Santa."
Der Alte nickte.
"Das macht er auch gut, aber was diese Frau, also deine Schwester, angeht, so stellt er sich sehr dämlich an."
Beide nickten und sahen wieder zu Nicolas, der fluchte und seine Hand schüttelte. Einige Blutstropfen spritzten auf den blütenweißen Schnee.
"Wirklich extrem dämlich.", brummte der Alte.
Brandon nickte und blies leicht auf das Getränk.
"Was macht er denn falsch? Ich meine, ich kenne meine Schwester und sie kann manchmal auch schwierig sein, aber..."
Der Alte brummte wieder.
"Als ich meine Claudia kennenlernte, verliebte ich mich sofort in sie. Das süße Ding saß in einem Schaukelstuhl neben den geschmückten Weihnachtsbaum und lächelte mich an. Um mich war es sofort geschehen und drei Monate später heiratete ich sie."
Brandon pfiff anerkennend durch die Zähne.
"Das ging aber flott."
Der Alte brummte wieder.
"Mein Vater hat Mum vier Monate nach Weihnachten geheiratet. Auch er hat sie um die Weihnachtszeit gesehen und sich sofort verliebt. Den Vogel schoss aber mein Sohn ab. Er und Clara trafen sich einen Tag vor dem Heiligen Abend. Er nahm sie am anderen Tag mit auf den Schlitten. Das war das Jahr, an dem Weihnachten beinahe ausfiel, weil Santa und seine Misses..."
Brandon kicherte.
"Echt jetzt? Sie hatten Sex im Schlitten? Während sie die Geschenke verteilen sollten?"
Der Alte nickte.
"Zwei Monate später waren sie verheiratet und Nicolas kam nur wenige Monate später zur Welt."
Wieder schwiegen sie eine Weile und jeder hing seinen Gedanken nach. Auf einmal setzte sich Brandon kerzengerade hin.
"Nicolas hat meine Schwester noch nicht geheiratet."
Endlich lächelte der Alte.
"Richtig. Und das könnte zu seinem Problem werden."
Brandon schnaubte.
"Liebt er Lisa etwa nicht? Ich prügel ihm das Hirn aus dem Kopf."
Der Alte packte Brandon am Arm, als dieser aufspringen wollte und schnalzte mit der Zunge.
"Ruhig Blut. Es hat sich etwas ergeben, was Nicolas im Moment zum Nachdenken anregt. Der Sohn meines Neffens hat sich eingeschaltet und ich muss sagen, dass Jack Frost Junior auf seine Art sehr attraktiv ist. Und er hat Nicolas einige Sachen an den Kopf geworfen, die ihn schwer beschäftigen. Lassen wir den Dingen einfach ihren Lauf und schauen, was passiert."
Brandon setzte sich wieder brummend hin und wickelte sich in die Weihnachtsdecke. Nach einer Weile sah er zu dem Alten.
"Väterchen Frost ist also im Moment bei Lisa? Woher weißt du das?"
Der Alte kicherte leise.
"Mein Sohn und mein Enkel haben keine Ahnung, was die Erfahrung und das Alter so mit sich bringt. Mein Sohn denkt, nur weil er den Spiegel der Gegenwart in seinem Büro hängen hat, ist er der Beste. Das ist aber falsch. Ich brauche keinen verfluchten Spiegel um zu sehen, was auf der Erde vor sich geht." Er legte den Finger auf seinen Mund. "Das bleibt aber unser Geheimnis. Kein Wort zu den beiden."
Brandon nickte.
"Ehrensache, Santa."
Der lachte.
"Du warst schon immer ein guter Junge, Brandon. In einigen Jahren wird sich dein Wunsch erfüllen und ich meine nicht den Aston Martin."
Brandon schnaubte.
"Den habe ich schon abgeschrieben."
Wieder kicherte der alte Santa.
"Nun, vielleicht wünscht du dir etwas mehr als den Wagen."
Brandon lachte spöttisch.
"Was denn?"
Der alte Santa grinste.
"Das wirst du irgendwann selbst herausfinden."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top