Kapitel 5
Lisa saß am Erkerfenster und schaute in den Sternenhimmel über ihr. Noch nie war ihr der Himmel so klar und die Sterne so hell vorgekommen. Nun, hier schien alles etwas anders zu sein.
Eddy kam durch eine kleine Katzenklappe in ihr Zimmer und trollte sich zu ihr auf die Fensterbank. Ein paar Mal drehte er sich, ließ sich dann auf ihre Füße plumpsen und begann sofort zu schnurren. Sie kraulte ihn am Kopf.
"Dir scheint es hier auch zu gefallen, oder? Ach Eddy. Ich bin mir nicht ganz sicher, was vorhin passiert ist. Nicolas hat mich geküsst. Kannst du dir das vorstellen?"
Eddys Ohr zuckte, aber ansonsten schien sich ihr Kater nicht unbedingt dafür zu interessieren, was Nicolas getan hatte.
Sie lächelte leicht und schaute dann wieder aus dem Fenster. Die letzten Elfen kamen aus der Fabrik. Sie lachten und wirkten nicht mehr so angespannt, wie sie es noch am Mittag gewesen waren. Alles schien genau nach Plan zu laufen und sie freute sich für Nicolas. Auch wenn er es nicht zugeben würde, war er sehr nervös. Dabei machte er seine Sache wirklich gut.
Sie wusste nicht genau, was sein Problem war, sie konnte nur ahnen, was ihn ihm vorging. Wahrscheinlich war das so ein Vater-Sohn-Ding. Nicolas hatte Angst zu versagen und sperrte sich gegen sein Vater. Sie lachte leise und kraulte Eddy.
"Auch wenn es doof klingt, würde ich Santa Clause wirklich gerne kennen lernen. Und seine Frau. Vor allem seine Frau. Ich kann mir vorstellen, dass sie es nicht einfach hat."
Sie hörte ein glockenhelles Lachen.
"Nein! Das hat meine Clara wirklich nicht."
Eine kleine Elfe, die Lisa vorher noch nie gesehen hatte, kam zu ihr und kniete sich vor Eddy. Sie war kleiner als die anderen und sah auch sonst sehr unpassend für den Nordpol aus. Lisa hätte sie sich jetzt eher auf eine Blumenwiese im Frühling vorstellen können.
Als die Kleine ihren Kopf hob und Lisa ansah, verstärkte sich das Gefühl auch noch. Die Kleine hatte grüne Augen und blonde Locken. Außerdem hatte sie Flügel auf dem Rücken. Alles an ihr wirkte so filigran, als ob sie jederzeit zerbrechen könnte.
"Hallo du!", begann Lisa.
Die Elfe kicherte.
"Selber Hallo. Du bist Lisa, ja? Clara hat mir von dir erzählt."
Lisa hob eine Augenbraue.
"Wer ist Clara?"
Die Kleine schnaubte und setzte sich dann im Schneidersitz auf Eddy, den das gar nicht zu stören schien.
"Clara ist die Frau von dem alten Santa. Und Nicolas Mutter."
Lisa beugte sich etwas nach vorne.
"Und wer bist du?"
Die Kleine lächelte breit.
"Ich bin Lilli. Clara hat mich mal gerettet und seitdem bin ich hier. Dir dürfte aufgefallen sein, dass ich so gar nicht hierher passe."
Lisa zuckte mit den Schultern.
"Fällt kaum auf."
Lilli strahlte.
"Das sagt Clara auch immer. Du bist ein klein wenig wie sie. Schade, dass du nicht hier bleiben kannst. Wir würden uns bestimmt gut verstehen."
Lisa lächelte Lilli an.
"Na ja, ich habe einen Job und der hat nichts mit Weihnachten zutun. Ich bin ja nur hier, weil es mein Weihnachtswunsch war."
Lilli nickte so heftig, dass ihre Locken wild umher tanzten.
"Ja. Ich habe den Stern eingefangen, auf dem der Wunsch war. Aber warum hast du so traurig geklungen?"
Lisa seufzte.
"Ich habe nicht gedacht, dass Santa mir den Wunsch erfüllen könnte."
Lilli wackelte mit der Nase.
"Und doch hat er es getan. Clara meinte, er wartet schon ganz lange darauf, dass du ihm einen Wunsch nennst. Weißt du, er kann dir kein Geschenk machen, wenn du dir nie was wünscht. Und du bist nun schon so lange auf der Artig-Liste, dass es ihm schon beinahe peinlich war, dass du jedes Mal mit schrecklichen Geschenken abgespeist wurdest. Socken und kalten Kaffee aus dem Automaten. Das wünscht sich doch niemand. Und jetzt, als du endlich einen Wunsch geäußert hast, ist er mit Clara in Urlaub gefahren."
Sie schnalzte empört mit der Zunge, während Lisa die fragend ansah.
"Du meinst also, wenn ich mir einen Mann wünschen würde, hätte ich gute Chancen einen unter meinem Baum zu finden?"
Lilli lachte.
"Du hast aber keinen Baum. Und dein Wunsch für dieses Jahr wird gerade erfüllt." Sie beugte sich verschwörerisch zu ihr. "Und Nicolas ist doch ein netter Trostpreis, findest du nicht? Also für einen Menschen ist er ganz passabel. Etwas groß, aber nett an zu schauen."
Lisa lachte.
"Das ist er in der Tat."
Lilli legte ihren Kopf schief.
"Hast du ihn deswegen geküsst?"
Lisa spürte Hitze in sich aufsteigen.
"Du hast es gesehen?"
Die kleine Elfe nickte.
Lisa hob einen Finger.
"Dann müsstest du aber gesehen haben, dass er mich geküsst hat."
Lilli rutschte von Eddy herunter und tippelte zur Tür. Erst jetzt sah Lisa, dass ein Flügel verformt war. Deswegen flog sie also nicht. Und deswegen war sie hier, obwohl sie eigentlich irgendwo anders besser aufgehoben wäre.
"Natürlich hat er dich geküsst, Lisa. Er mag dich!"
Sie schlüpfte durch die Katzenklappe und man hörte sie leise singen: "Santa liebt Lisa! Santa liebt Lisa!"
Lisa lachte.
Sie konnte Lilli nicht wirklich böse sein. Sie war wie ein kleines Kind.
Auf einmal stockte ihr der Atem. Sagte man nicht immer, dass Betrunkene und Kinder immer die Wahrheit sagten?
Sie schüttelte lachend den Kopf.
Nein!
Nicolas Clause liebte sie nicht. Sie war eben nur eine Frau in seiner Größe und der Mistelzweig hing dort.
Sie schlüpfte ins Bett und wickelte sich in die gemütliche Decke.
Es war bis jetzt schon das schönste Weihnachten, dass sie seit langem gehabt hatte. Und morgen würde sie Geschenke verteilen. Das war eine große Ehre.
Wieder kicherte sie.
Hoffentlich überlegte Nicolas es sich anders und würde sich in den Weihnachtsmann verwandeln.Das wäre wirklich ein Highlight.
"Santa liebt Lisa! Santa liebt Lisa!"
Nicolas setzte sich kerzengerade auf, als er das kleine Biest hörte.
Lilli war eine Blumenelfe. Seine Mum hatte sie gefunden und gesund gepflegt, so weit es ihr möglich war und seitdem trieb der kleine Tunichtgut hier sein Unwesen.
Aber das war zu viel! Wenn Lisa das hörte...
Er sprang aus dem Bett und rannte, nur in seiner Boxershorts gekleidet, aus seinem Zimmer.
"Lilli! Ich setze dich auf die Unartig-Liste, wenn du mit dem Mist nicht aufhörst!"
Himmel, er hörte sich wie sein Dad an. Diese Gaben machten ihn wirklich noch irre.
Lilli lachte und hüpfte vor ihm herum.
"Das kannst du gar nicht. Das kann nur Nick!"
Nicolas wollte sie packen, aber sie wandte sich schnell aus seinem Griff und streckte ihm die Zunge heraus.
Nicolas blieb stehen und sah sie spöttisch an.
"Ach ja? Weißt du nicht, dass ich dieses Jahr der Santa bin? Dabei hast du es selbst vorhin gegrölt. Dad hat mir seine Gaben gegeben. Und es ist erst morgen der Heilige Abend. Ich kann dich auf die Unartig-Liste setzen, wie ich es für Nötig halte! Stell dich auf Kohle ein! Hat ja auch was!"
Er drehte sich herum und lief mit hoch erhobenem Kopf in das Kaminzimmer, in dem er die Liste liegen gelassen hatte.
"Nicolas! Ich habe das nicht so gemeint! Bitte. Ich bin lieb!"
So würdevoll, wie es ihm so halbnackt möglich war, schritt er ins Kaminzimmer und nahm die Liste.
"Ich könnte schwören, dass Dad dich schon längst in die Unartig-Liste gesteckt hat. Wollen wir mal sehen!"
Er tat so, als ob er jeden Namen durchging. Natürlich würde sein Dad Lilli nie auf die Unartig-Liste stellen. Er wusste genau, dass es Mums Herz brechen würde, denn aus irgendeinem Grund liebte Mum den kleinen Plagegeist.
Aber er konnte ihr drohen, denn Mum war ja nicht da. Innerlich grinste er. Schon lange hatte er darauf warten müssen, um dem Biest mal eins auszuwischen.
Sweet, but a psycho!
Der Song passte zu Lilli wie die Faust aufs Auge.
Langsam ließ er seinen Finger über das Blatt Papier gleiten, während Lilli kreischte und weinte.
"Ich bin lieb, Santa. Ehrlich! Ich mache dir keinen Ärger mehr!"
Nicolas senkte die Liste ein wenig.
"So? Versprichst du mir das? Du weißt, es ist noch lange hin, bis ich auf den Schlitten steige."
Lilli schluchzte und nickte. Nicolas war vielleicht gemein, aber sogar er hatte irgendwo ein Herz und das Flatterding schien es dieses Mal wirklich ernst zu meinen.
"Nun gut. Dann will ich mal nicht so sein. Und morgen will ich einen Kaffee haben. Keine heiße Schokolade. Du wirst ihn mir bringen."
Er sah, wie sie mit sich kämpfte, ob sie nicken oder ihm ins Gesicht springen sollte. Sie entschied sich dieses Mal weise und nickte artig.
Die Tür ging auf und Lisa stand an der Tür.
"Was ist denn hier los?"
Lilli rannte theatralisch heulend zu ihr und klammerte sich an Lisas Beine.
"Santa ist gemein zu mir. Er will mich auf die Liste der bösen Kinder setzen, wenn ich ihm keinen Kaffee bringe!"
Lisa sah zu ihm und er zwinkerte ihr zu.
"Nun, wenn du es ihm versprochen hast, musst du dich daran halten, Lilli!"
Der Satansbraten schnaubte empört und nach einem "Ihr seid beide voll gemein. Das sag ich Clara!", rannte sie nach draußen.
Lisa lächelte leicht.
"Ärgere sie nicht. Sie ist eben wie ein kleines Kind!"
Er schnaubte böse.
"Lilli ist über hundert Jahre alt. Sie ist nur schrecklich verwöhnt." Er legte die Liste auf den Tisch und kam zu ihr. "Ich schreibe ja auch nicht auf die Unartig-Liste. Mum würde mich umbringen. Aber Lilli braucht mal einen Denkzettel."
Lisa kicherte leise, dann merkte er die sanfte Röte in ihrem Gesicht und fluchte auf sich selbst. Er hatte immer noch nicht mehr an, als die Boxershorts. Verflucht, war das peinlich. Er räusperte sich laut.
"Du solltest ins Bett, Lisa. Morgen ist ein anstrengender Tag."
Warum klang seine Stimme so heißer?
Sie nickte und senkte dann den Kopf.
"Ja. Gute Nacht, Nicolas!"
Moment mal. Klang ihre Stimme auch so seltsam wie seine?
Bevor er der Frage nachgehen konnte, war sie aus dem Zimmer gegangen und er stand da, nur in seiner Unterwäsche bekleidet.
Nicolas fragte sich, ob er eigentlich noch irgendein Fettnäpfchen übersehen hatte oder ob da noch einige auf ihn warteten.
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So, morgen geht es weiter. Und passend zum Datum werden Nicolas und Lisa in den Schlitten steigen. Mal schauen, ob noch mehr passiert, als nur Geschenke verteilen.
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