Kapitel 4

Nicolas musste zugeben, dass es wirklich ein angenehmer Tag mit Lisa gewesen war. Natürlich war ihm klar, dass sie ihm im normalen Leben gar nicht aufgefallen wäre. Sie war leider so eine Frau, die man übersah. Das fand Nicolas wirklich schade, denn wenn man sich länger mit ihr unterhielt, merkte man, wie interessant sie eigentlich war. Sehr viele Informationen hatte er, dank Dads sogenannten Gaben, schon von ihr gehabt. Ihre Eltern waren früh gestorben. Lisa war erst fünfzehn gewesen. Was genau geschehen war, wusste er allerdings nicht. Doch auf einmal war sie alleine und kämpfte sich mehr oder weniger durch das Leben. Bis sie achtzehn wurde, reichte man sie von Pflegeeltern zu Pflegeeltern. Die meisten waren sehr nett zu ihr und sie hatte auch noch Kontakt zu einer Familie, die sie immer noch in gewisser Weise unterstützten. Allerdings ging Lisa an Weihnachten nie zu ihnen. Warum das so war, wusste Nicolas nicht.

Sie war Krankenschwester und mochte ihren Job auch. Sie liebte es Menschen zu helfen und ihre beruhigende Art kam bei dem Patienten gut an.

Ihre Wohnung war klein, aber bezahlbar und sie hatte eine Beziehung hinter sich, die man als solche eigentlich nicht bezeichnen konnte, denn dort war ihr wieder ihre uneingeschränkte Hilfsbereitschaft zum Verhängnis geworden. Der Kerl hatte sich bei ihr eingenistet als es ihm schlecht ging und sobald er wieder Land gesehen hatte, war er verschwunden und hatte den Großteil ihrer Möbel, Lebensmittel und auch ihr sauer Erspartes an sich genommen.

Sie hatte ihm einiges erzählt, aber manche Sachen blieben leider ungesagt und es ärgerte ihn irgendwie, dass er die Gaben nicht dazu nutzen konnte, um mehr zu erfahren. Für was hatte er die Gaben, wenn er sie bei so wichtigen Angelegenheiten nicht nutzen konnte?

Nachdem er ihr den Schlitten gezeigt hatte, waren sie doch in die Halle gegangen, um den Elfen zu helfen. Als diese Nicolas gesehen hatten, waren sie nicht unbedingt begeistert gewesen, aber Lisa hatte sie mit ihrer Art gleich für sich eingenommen, so dass sie sogar Nicolas bei sich akzeptierten, ohne zu murren oder ihn an seine Streiche zu erinnern.

Es war ein angenehmer Tag gewesen und er freute sich irgendwie auf die anderen zwei Tage mit ihr.

Morgen würden sie noch einmal bei den Vorbereitungen helfen und dann war es soweit. Der Heilige Abend kam und er musste die Geschenke verteilen.

Er war angespannt, aber im positiven Sinn und das kannte er bisher nicht.

"Ein Penny für deine Gedanken!"

Lisas Stimme ließ ihn aufschrecken.

"Was?"

Sie lächelte ihn an.

"Du warst wirklich tief in Gedanken versunken. Meist hast du gelächelt, aber nun hast du seltsam ausgesehen. Irgendwie erschreckt."

Er lächelte.

"Das liegt daran, dass ich gerade festgestellt habe, dass ich mich offenbar nicht so sehr von meinem Vater unterscheide, wie ich gedacht habe."

Sie kicherte leise und zog ihre Beine unter sich.

Sie sah sehr niedlich aus in diesem übergroßen Sessel vor dem Kamin. Emmi hatte ihr wohl Kleidung ihrer Mutter gegeben. Und zwar die Kleidung, die seine Mum immer zu tragen pflegte, wenn es Weihnachtszeit war. Lisa trug nun eine grüne Leggins, die mit kleinen Weihnachtsmännern bedruckt war. Sein Dad mochte das Teil gar nicht und Nicolas konnte verstehen, warum das so war. Er selbst würde auch nicht mit einer Comicfigur verglichen werden wollen, die irgendwie hässlich war. 

 Der zu große Pullover ging ihr über die Knie und Nicolas wurde es erst einmal bewusst, wie klein Lisa eigentlich war. Den Pulli kannte er auch, denn es war sein eigener mit einem riesigen Rentier Gesicht vorne. Eigentlich hasste er diesen Pulli, aber an ihr sah er ihn gerne.Ihr Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und irgendjemand hatte ihr Lametta um das Haargummi gemacht. Außerdem steckte noch ein kleiner Stechpalmenzweig im Haar. Ihr Gesicht war vom Feuer des Kamins erhitzt und so wie sie gerade aussah, konnte man sie leicht mit einer Elfe verwechseln. Selbst das Kichern war so bezaubernd, wie es bei den Elfen immer war.

"Du kicherst? Was amüsiert dich denn so?"

Sie schlug entschuldigend eine Hand vor den Mund, als sie wieder anfing zu kichern. Seine Lippen verzogen sich automatisch zu einem Lächeln.

Verflucht, wo war der sonst immer so zynische Nicolas Clause hin, dessen Lächeln eigentlich auch immer nur ironisch oder böse war? Wo war der Kerl, der Weihnachten eigentlich hasste und allem aus dem Weg ging, so gut er konnte?

Nur deswegen war er nach Los Angeles gezogen. Australien wäre vielleicht sogar besser gewesen, denn auch dort gab es keinen Schnee. Aber ihm war es damals dort so unwirklich erschienen. Die Hitze des Sommers und dann die kitschige Weihnachtsdeko. Selbst am Strand hatten die Menschen gefeiert.

Lisa hatte sich mittlerweile beruhigt und nippte an ihrem Eggnog, den Emmi gebracht hatte. Selbst er hatte davon getrunken, dabei mochte er dieses Gesöff gar nicht. Wirklich seltsam, das alles hier.

"Verstehe mich nicht falsch, aber der Weihnachtsmann wird immer als sehr dicker Mann mit weißen Rauschebart und rotem Gewand dargestellt."

Als er spöttisch schnaubte, hob sie sofort eine Hand, als ob sie sich verteidigen musste.

"Es ist wahrscheinlich Blödsinn. Dein Vater wird ein durchtrainierter Typ sein, der die Kekse, die ihm in dieser Nacht angeboten werden, in einen Sack packen und flucht, wenn er sich doch einen in den Mund steckt. Und dann stellte ich mir dich als Santa vor. Verzeih, aber ganz ehrlich ist diese Vorstellung mehr als lächerlich."

Nicolas lachte dröhnend und ihm entfuhr ein lautes Hohoho.

Erschrocken schaute er Lisa an.

"Verdammt, das ist wie nervige Nebenwirkungen. Je länger ich hier bleibe, desto mehr solcher Anwandlungen bekomme ich!"

Wieder kicherte sie.

"Also ich finde es niedlich!"

Sein Lächeln verschwand.

"Ich bin ein Mann, Lisa. Ich bin nicht niedlich!"

Nun lachte sie aus vollem Hals, was ihn wieder zum Lächeln brachte.

"Entschuldige! Nun gut. Dein Hohoho fand ich sehr beeindruckend. Du hast eine sehr tiefe Stimme, Es scheint beinahe so, als ob sie für dieses Hohoho gemacht wurde."

Sie lehnte sich etwas nach vorne und fischte sich mit spitzen Fingern ein Stück Nougat aus der Schale. Während sie es kaute, schloss genüsslich die Augen und er hätte schwören können, dass sie leise seufzte. Wenn sie nur wüsste, wie süß sie im Augenblick aussah.

Er lehnte sich zurück und ließ die Liste auf seinem Schoß liegen.

Im Moment war es ihm egal, wer auf welcher Liste stand. Viel lieber unterhielt er sich mit Lisa.

"Sag das aber nicht meinem Vater, dass ich wohl sehr geeignet für seinen Job bin!"

Sie öffnete die Augen, nahm einen Keks und murmelte leise vor sich hin, dass sie dringend Diät halten musste, wenn sie zu Hause war. Sobald der Keks gegessen war, sah sie ihn fragend an.

"Wieso sollte er es nicht erfahren? Wird er dann nicht stolz sein?"

Er nickte.

"Oh ja, das wird er, denn er prophezeit es mir schon seit Jahren.Deswegen bin ich abgehauen und vermeide jedes Weihnachten, so gut es geht."

Sie starrte ihn entsetzt an.

"Was? Aber ich hatte heute den Eindruck, dir gefällt das alles."

Er zuckte mit den Schultern.

"Nun ja.Ich muss es jetzt auch tun."

Sie wirke etwas nachdenklich, was ihm gar nicht passte.

"Lisa! Lass es sein!"

Fragend schaute sie zu ihm.

"Was meinst du?"

Er schnaubte.

"Du machst dir Gedanken um Sachen, die dich nichts angehen. Wenn wir ehrlich sind, wirst du einen schönen Abend haben, aber wie ich meinen Vater kenne, wird er irgendeinen Trick anwenden und du wirst alles vergessen, sobald du zu Hause bist. Nächstes Jahr wirst du dich wohl wieder überreden lassen, den Dienst eines anderen zu übernehmen und ich werde in Los Angeles am Strand liegen und mich fragen, ob ich dich nicht besuchen sollte, was aber unnötig ist, weil du mich vergessen hast. Wenn ich aber ehrlich sein soll, werde vielleicht ich sogar von ihm eine Gedächtnislücke verpasst bekommen. Und nächstes Jahr wird das Spiel wieder von vorne beginnen."

Das war jetzt Blödsinn. Er würde dieses kleine Persönchen bestimmt nicht so schnell vergessen, egal was sein Vater ihm verpasste.

Ihr Gesicht war ernst.

"Das kann sein, aber dein Vater wird das alles nur machen, weil du dich so gegen ihn sperrst. Und das ist dumm, Nicolas. Denn du magst das alles hier, auch wenn du es nicht zugibst."

Er seufzte.

"Dieses Jahr mag ich es vielleicht. Aber was ist mit nächsten Jahr? Und dem Jahr darauf?"

Da würde sie nicht hier sein und deswegen würde er auch keinen Spaß haben. Das sagte eer natürlich nicht laut.

Sie lächelte ihn an.

"Das weiß ich nicht, Nicolas. Aber ich bin mir sicher, dass du dir nur deshalb einen Kopf darum machst, weil du niemand enttäuschen willst. Und weißt du was? Ich denke, so ist dein Vater auch!"

Sie stand auf.

"Ich werde zu Bett gehen. Morgen ist noch einmal ein anstrengender Tag."

Sie ging zu Tür, bis Nicolas sie aufhielt und auf sie zu kam.

"Halt, Lisa!"

Er zeigte zur Decke. Ein kleiner Mistelzweig baumelte dort.

Lisa starrte ihn mit großen Augen an.

"Wo kommt der denn her? Ich schwöre, das war vorher keiner!"

Er lächelte und hob mit einem Finger ihr Kinn an.

"Du weißt aber, was zu tun ist, oder?"

Sie schluckte hart und nickte.

Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sehr sanft auf die Lippen.

"Ich danke dir. Auch wenn du mir vielleicht nicht glaubst, hilfst du mir wirklich. Ohne dich würde ich es wahrscheinlich nicht durchziehen."

Sie wirkte etwas verwirrt, aber dann lächelte sie wieder.

"Danke! Aber ich denke, dass könntest du auch ohne mich!"

Sie patschte ihn auf die Brust und ließ dann einen sehr verwirrten Nicolas zurück.

Er hatte sie tatsächlich geküsst!Und vorher hatte er einen Mistelzweig von der Decke baumeln lassen!

Was zur Hölle war nur los mit ihm?

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