Schande hinter geschlossenen Türen
März 1979
Ihr war klar, dass allein der Weingeist dafür gesorgt hatte, dass sie empfänglich für Bellatrix' Worte geworden war. Doch Spiele zu Spielen war vielleicht Bellas Methode, aber auf ein solches Niveau würde Narzissa sich nicht herabbegeben.
Sie konnte Lucius' Liebe nicht erringen, indem sie ihn demütigte oder erniedrigte. Immerhin wusste sie nun, wie es sich anfühlte und ihr war auch klar, dass ihr Mann seinen Zorn nicht zügeln würde.
Was blieb ihr also übrig?
Das Einzige, was ihr dazu einfiel, war das offene Gespräch mit Lucius zu suchen. Sie fürchtete sich zwar vor seiner Reaktion und schob den Gedanken immer wieder beiseite, doch sie wusste, dass es keinen anderen Weg gab. Sie musste ihn konfrontieren, um ihre Beziehung zu retten.
An einem Abend, bevor sie zu Bett gingen, fasste sie sich schließlich ein Herz und sprach ihn an. »Lucius«, sagte sie leise, »können wir darüber sprechen?«
Er sah sie mit kalten Augen an, aber sie konnte einen Hauch von Unsicherheit in seinem Blick erkennen. »Es gibt nichts zu besprechen, Narzissa«, antwortete er kühl.
Sie blieb jedoch hartnäckig. »Lucius«, begann sie erneut mit einem Zittern in ihrer Stimme, »ich weiß, dass die Situation schwer für dich ist, das ist sie auch für mich, aber-«
»Du hast nichts zu sagen, was ich hören möchte.«
Die Hoffnung in Narzissas Augen verblasste. Für einen langen Moment war es still im Gemach und die geborene Black wusste nicht, ob sie den Mut aufbringen konnte weiterzusprechen.
»Du liebst sie, nicht wahr? Diese Gwen.« Narzissas Stimme bebte vor Verletzung. »Du liebst sie mehr als mich.«
Lucius trat einen Schritt auf Narzissa zu und der Ausdruck in seinem Gesicht verhärtete sich. »Diese Angelegenheit geht dich nichts an.«
»Geht mich nichts an?« Sie spuckte die Worte voller Bitterkeit aus. »Ich bin deine Frau, Lucius! Ich habe ein Recht-«
»Du hast kein Recht auf irgendetwas«, fuhr ihr Mann sie an. »Du bist hier, um meine Position zu stärken und um unseren Namen zu erhalten. Mehr nicht.«
Narzissas Augen weiteten sich vor Schock und Entsetzen. Sie hatte es schon lange befürchtet, doch nun hatte er es ihr direkt ins Gesicht gesagt.
»Ich ... ich liebe dich«, brachte sie mit heiserer Stimme hervor und dabei rollte ihr eine Träne über die Wange, »weißt du das eigentlich? Ich liebe dich von dem Moment an, da wir uns das erste mal in Hogwarts begegnet sind. Du magst dich nicht erinnern, aber ich tue es oft.« Er sah sie einfach nur stumm an. Scheinbar zu perplex, um darauf etwas zu erwidern.
»Ich bitte dich«, flehte Narzissa, »lass uns eine Lösung finden.«
»Es gibt keine Lösung, Narzissa«, erwiderte er plötzlich ernst. »Das hier ist meine Entscheidung, und du wirst lernen, damit zu leben.«
Die Tränen stiegen Narzissa in die Augen, aber sie weigerte sich, vor ihm zu weinen. Sie wandte sich just in dem Moment ab, da der Hauself im Zimmer erschien.
»Entschuldigen Sie die Störung, Meister, Sir«, quiekte er mit seiner unerträglich schrillen Stimme. »Eure Mutter lässt nach euch schicken. Meister Abraxas geht es sehr, sehr schlecht, Sir.«
»Wir kommen«, sagte Lucius nur und Dobby verschwand sofort.
Der Moment der Ablenkung hatte Narzissa etwas Luft verschafft, um sich zu sammeln, doch als sie sich ihrem Mann wieder zuwandte, erzitterte sie trotzdem.
»Du hast es gehört, Narzissa. Mein Vater liegt im Sterben. Jetzt ist nicht die Zeit für unsere privaten Angelegenheiten. Ich brauche keine Frau an meiner Seite, die mir nur zur Last fällt, sondern jemanden, der für die Familie da ist.« Er sprach mit einer Kälte, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Lucius' Geduld schien nun erschöpft und er tat etwas für sie vollkommen Unerwartetes. Ihr Mann kam auf sie zu und packte sie grob am Arm. »Schweig, Narzissa! Du wirst dich jetzt gefälligst zusammenreißen und das tun, was von dir erwartet wird. Verstanden?« Seine Stimme war ein bedrohliches Flüstern, und Narzissa spürte Furcht in sich aufsteigen.
Sie wagte es nicht einmal sich loszureißen, sondern erwiderte nur heiser: »Lucius, bitte ... du tust mir weh ...«
Mit einem Ruck zog er sie näher an sich heran, sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt.
»Du wirst lernen, deinen Platz einzunehmen, Narzissa. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.« Dann ließ er sie los und wandte sich um, um das Gemach zu verlassen.
Geschockt blieb Narzissa kurz zurück. Mit klopfendem Herzen und zittrigen Beinen. Doch nach einem Moment der Besinnung folgte sie ihm zögernd. Dabei benötigte sie all ihre Selbstbeherrschung, um sich zusammenzureißen.
In einer Sache hatte Lucius Recht gehabt: Sie musste sich nun zurücknehmen und stark sein für ihre Familie.
Als sie das Krankenzimmer betraten, waren die Heiler bereits nicht mehr da. Nur Aethel saß am Kopfende, hielt die Hand ihres Mannes und starrte ihn an. Sie wirkte apathisch. Erst als Narzissa die Tür schloss, hob sie den Kopf, um sie anzusehen.
Lucius war bereits um das Bett herumgegangen und legte tröstend einen Arm um seine Mutter.
Es sollte das erste und auch das letzte Mal sein, dass Narzissa Aethel weinen sah.
Mit zögernden Schritten trat Narzissa näher. Dann nahm sie auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes Platz und betrachtete Abraxas. Die schützende Sphäre schimmerte weiß und silbrig und es war schwer, sein Antlitz darunter zu erkennen. Womöglich lag es aber auch daran, dass es nichts mehr gemein hatte, mit dem Gesicht des Mannes, der er einst war.
Vor ihnen lag das stolze Oberhaupt einer Dynastie, zerbrechlich, schwach und von einer Krankheit besiegt.
Abraxas Malfoy bestand nur noch aus Haut und Knochen. Sein Kopf gleichte mehr einem Totenschädel, und die freien Stellen waren von geschuppten Flecken übersät. Sein Mund stand leicht offen und zwischen den spröden Lippen kam immer wieder ein kratziges Röcheln hervor.
Ihre Wache sollte nicht mehr lange andauern. Abraxas war zu erschöpft von dem Kampf der letzten Wochen und er starb noch vor Mitternacht.
Nach dem Tod von Abraxas Malfoy wurde alles nur noch schlimmer.
Aethel zog sich nach der Leichenschau in ihr provisorisches Gemach zurück. Sie hatte weder mit ihrem Sohn, den Heilern noch mit Narzissa gesprochen. Die geborene Black sah ihr sorgenvoll nach und kümmerte sich im Anschluss um alle Formalien, denn auch Lucius war gegangen.
Wohin, daran wollte Narzissa keinen Gedanken verschwenden. Nach ansprengenden Stunden begann der Morgen bereits wieder zu grauen und so zog sie sich alleine in die Kemenate zurück und starrte in das Feuer des Kamins, während all die Eindrücke der vergangenen Wochen durch ihren Geist waberten.
Wie leicht konnte unbedachtes Handeln so viele Leben verändern.
Narzissa fragte sich, wie viel Zeit Aethel, wie auch Lucius benötigen würden, um zu heilen. Dann dachte sie an Andromeda und begriff, dass dies vermutlich nie vollkommen geschehen würde.
In jener Nacht fand sie keinen Schlaf mehr, doch als der Vormittag zur Neige ging, beschloss Narzissa, dass es zumindest an der Zeit war Aethel etwas zum Essen zur bringen. Lucius Mutter hatte in den letzten Tagen kaum gegessen und dieser Zustand würde sie nur zusätzlich schwächen.
Sie wies Dobby für die Vorbereitungen an und brachte ein vollbeladenes Tablett hinauf in den ersten Stock, wo Aethel schlief, seit Abraxas erkrankt war. Als sie gegen die Tür klopfte kam keine Antwort. Narzissa trat trotzdem vorsichtig ein und entschuldigte sich sofort.
Der Raum war dunkel und das Tageslicht wurde von den schweren Brokatvorhängen zurückgehalten. Nur ein paar wenige Lichtstrahlen fanden hindurch und so konnte Narzissa sich orientieren. Aethel lag im Bett, vermutlich schlief sie noch.
Leise schlich Narzissa zum Nachttisch, stellte das Tablett darauf ab und wollte den Raum bereits wieder verlassen, als ihr etwas Seltsames auffiel. Aethel lag nicht im Bett, sie lag auf dem Bett und sie trug eine Festrobe.
Narzissa zog den Zauberstab und die Vorhänge schoben sich zur Seite und Tageslicht durchflutete das kleine Zimmer. Aethel Malfoy, umgeben von einer majestätischen Eleganz, blieb reglos liegen. Ihr Gesicht wirkte ruhig, fast friedlich, ihre Augen waren geschlossen. Das Sonnenlicht ließ ihre blasse Haut und das helle blonde Haar in einem mystischen Glanz erstrahlen.
Narzissa zog sich der Brustkorb zu und das Atmen fiel ihr schwer.
»Aethel?«, sagte sie vorsichtig und berührte ihre Schwiegermutter am Oberarm, um sie zu wecken.
Doch auch darauf reagierte sie nicht.
Eine tiefe Leere breitete sich plötzlich in ihrem Innern aus und raubte Narzissa den Atem. Sie biss sich auf die Lippen und rang mit dem Gedanken daran, wie sie Lucius informieren konnte. Dann fiel ihr Blick auf Aethels magere Hände, die leblos neben ihren Körper lagen. Die Finger ihrer rechten Hand waren leicht gekrümmt und Narzissa griff nach dem gläsernen Fläschchen, dass unter ihren kühlen starren Fingern lag.
Es trug die Aufschrift ›Acromantula-Gift‹ und war vollkommen leer.
Verzweifelt schloss Narzissa die Augen und spürte, wie eine eisige Kälte sie durchdrang und ihre Gedanken in die wirbelnde Dunkelheit zogen. Sie wusste, dass sie schnell handeln musste, bevor die Nachricht von Aethels tragischem Ende die Öffentlichkeit erreichte.
In einem Moment der Ohnmacht flüsterte sie leise eine Bitte um Hilfe in den Raum, während sie sich bemühte, einen klaren Gedanken zu fassen. Dann wurde ihr bewusst, dass sie nicht nur mit dem Verlust von Aethel zu kämpfen haben würden, sondern gleichermaßen mit den gnadenlosen gesellschaftlichen Konventionen. In der Zauberergesellschaft wurde die Art und Weise ihres Ablebens als Schande und Tabu betrachtet. Narzissa wusste, dass das Offenlegen von Aethels tragischem Ende nicht nur die Familienehre, sondern auch das Ansehen ihres Mannes gefährden könnte.
Verzweifelt ließ sie sich auf die Knie sinken, legte den Oberkörper neben Aethel auf das Bett ab und weinte bitterlich. Nach all dem, was sie in den vergangenen Monaten durchgemacht hatten, war dies notwendig. Ein kleiner Moment der Schwäche, die sich die geborene Black gönnte, weil sie wusste, dass sie in den kommenden Wochen stark sein musste.
»Nein!«, krächzte er schmerzerfüllt, »Mutter ...«
Das Überbringen der Botschaft über den weiteren Verlust an ihren Mann, war die schwierigste und schlimmste Aufgabe, die Narzissa in ihrem jungen Leben zu erledigen musste. Hilflos Lucius' Schmerz und seine Qualen mitanzusehen war das Zerstörenste und Niederschmetternste, was sie bis dahin erlebt hatte. Selbst Abraxas' Ableben schien ihn nicht so nahe gegangen zu sein, wie der Verlust seiner Mutter.
Jedes seiner Schluchzer, war wie ein Messerstich in Narzissas Herz. Sie hätte ihn gerne getröstet, berührt und umarmt und hätte alles dafür getan, den Schmerz von ihm zu nehmen, oder ihn zumindest zu teilen, doch durch die Entwicklung der vergangenen Tage wagte sie es nicht.
Also schloss Narzissa nur die Augen und ließ die Tränen einfach laufen.
Lucius zog sich nach dem Tod seiner Mutter zurück und Narzissa ließ ihm ein paar Stunden Zeit. Sie wusste jedoch auch, dass sie die bevorstehenden Aufgaben nicht lange aufschieben konnte. Es war notwendig, mit ihrem Mann das weitere Vorgehen zu besprechen, auch wenn ihn dies in seiner Trauer stören würde.
Narzissa fand Lucius in der Kemenate. Er saß in einem Sessel und mit den Händen umklammerte er ein zylindrisches Glas, das mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt war.
Als Narzissa eintrat, neigte er nur leicht den Kopf, sagte aber nichts.
Nur vorsichtig kam sie näher, blieb in gebührenden Abstand stehen und sah in die Flammen des Kamins, als sie sprach: »Lucius, wir müssen handeln, sonst wird dieser Tod unweigerlich Schande über unsere Familie bringen.«
Er schnaubte nur und nahm einen tiefen Schluck der Flüssigkeit aus dem Glas.
»Ist es dir gleich?«, fragte sie verwundert und trat etwas zu energisch einen Schritt vor. »Ist dir gleich, dass das Erbe deiner Eltern, deiner Urgroßeltern einfach so vergeht? Dass sie sich das Maul über uns zer-«
»Hüte deine Zunge!« Mit einem scharfen Blick wandte er sich zu ihr um und Narzissa verstummte. »Das Erbe meiner Familie ist alles, das mir bleibt.«
Für ein paar Herzschläge lang sahen sie einander nur an. Schließlich drehte Lucius sich schwermütig wieder dem Feuer zu.
»Dann lass mich dir helfen es zu wahren!« Narzissa ging näher zu ihm heran, zögerte jedoch. Aber die Verzweiflung und auch die Traurigkeit in seinen Augen, ließ ihr Herz erweichen. Sie trat direkt vor ihn, kniete neben dem Sessel nieder und nahm eine seiner Hände in die ihren.
Lucius ließ es zu.
»Ich werde alles für unsere Familie tun«, gelobte sie mit einem Flüstern. »Sanctimonia Vincet Semper.«
Lucius sah sie nur an und noch immer war nichts als Schmerz in sein Gesicht geschrieben.
»Wie willst du das bewirken?«, fragte er schließlich.
»Indem wir die Wahrheit verbiegen«, erklärte seine Frau darauf und senkte den Blick auf seine Hand. »Wir werden eine Geschichte weben, die den Anschein von Wahrheit hat, sie aber verschleiert. Wir müssen die Schande vertuschen, um unseren Namen zu schützen.«
Lucius nickte langsam und seine Gedanken schienen sich zu klären. Narzissas Beistand brachte ihn zurück in die Realität.
»Was schwebt dir vor?«, fragte er leise.
Das Knistern des Feuers erfüllte die Kemenate. Ein Raum, in dem sich auch Aethel immerzu gerne aufhielt. Bis zu jenem Schicksalsschlag, der Krankheit ihres Mannes.
Narzissa sah wieder auf in die fabelhaften blau-grauen Augen, die sie so sehr liebte und flüsterte zurück: »Das liegt doch auf der Hand. Aethel ist an gebrochenem Herzen gestorben.«
»Vielleicht ist sie das tatsächlich«, sprach Lucius nach langer Stille und Narzissa schenkte ihm ein bestärkendes Lächeln.
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