Gefahr aus den eigenen Reihen
September 1981
Glückliche, wenngleich anstrengende, Monate lagen inzwischen hinter der kleinen Familie. Draco war zum Mittelpunkt von Narzissas Leben geworden und noch nie hatte sie vergleichbares verspürt. Draco war das Wichtigste auf der Welt, er war ihr Leben.
Jede Entwicklung, die er durchmachte, war ein Meilenstein für die junge Frau. Das Heben seines Kopfes, sein Lächeln, die ersten Worte und Schritte waren Momente, die sie mit unendlichem Stolz erfüllten.
Niemals wieder würde Narzissa Malfoy ein Lächeln, sehen, dass sie mehr liebte.
Draco machte ihr Leben perfekt und er machte auch ihre Liebe perfekt. Wenn Narzissa an die letzten Jahre ihrer Ehe zurückdachte, zog sich noch immer ihr Herz zusammen. Doch Lucius war nun zu einem anderen Menschen geworden. Sie waren zu einer Familie herangewachsen und seine Liebe war nun allgegenwärtig.
Doch während sie in ihrem kleinen Glück versunken war, nagte die Sorge weiterhin an Narzissa. Sie hatten Severus Snape für ein paar Tage beherbergt, weil er bei einem Auftrag schwer verletzt worden war. Gwendolyn hatte ihren Freund nach Malfoy Manor gebracht und sie persönlich um Hilfe gebeten. Sie konnte keine Sympathien für Dumbledores Tochter aufbringen, doch sie mochte Severus und nachdem er kuriert war und sie verlassen hatte, war Narzissa mit sich im Reinen. Es fühlte sich an – wenngleich ihr der Gedanke vollkommen lächerlich erschien – als sei ihre Schuld beglichen.
Auch die Zusammenkünfte des Dunklen Lords wurden zunehmend gefährlicher, und die Bedrohung, die von ihm ausging, schien ständig zu wachsen. Seit der Ermordung von Rabastans Vater, fürchtete Narzissa nun auch um Lucius. Es war eine schreckliche Angst, die ihr stets im Nacken saß.
Eines Nachts erwachte sie, als habe Narzissa die Spannung wahrgenommen, die in der Luft lag. Sie hob den Kopf und sah sie die Silhouette ihres Mannes am Fenster stehen. Lucius stand vollkommen stumm dort und starrte hinaus. Narzissa machte sich unwillkürlich Sorgen. Fast lautlos kam sie aus dem Bett und ging zu ihm herüber. Er zuckte, als sie ihn berührte, doch er ließ es geschehen. Narzissa schmiegte sich an seinen Rücken, umarmte Lucius und lehnte den Kopf auf seine Schulter.
»Was bedrückt dich?«, fragte sie nach einer Weile.
Sie wusste, dass die vergangenen Treffen des Dunklen Lords stets mit Risiken verbunden waren. Da seine Pläne scheinbar stagnierten, war er launisch und überaus gefährlich geworden. Auch für seine Anhänger.
»Nichts«, sagte Lucius tonlos, ergriff aber ihre Hand und führte sie zu seinen Lippen.
Narzissa verstand die Geste als Zeichen der Dankbarkeit für ihren Trost und hielt ihn noch ein bisschen fester. Er sagte nichts mehr, doch sie konnte seine Trauer spüren, vielleicht war da auch Angst. Seit Draco geboren worden war hatte sie diese immer wieder in Lucius lesen können. Er sorgte sich um seine Familie, sorgte sich um seinen Sohn und der Dunkle Lord – so viel Ruhm er auch versprechen mochte – war in den letzten Wochen vielmehr zu einer Bedrohung, als zu einer Verheißung geworden. Doch dem Dunklen Lord zu entsagen war unmöglich. Nur der Tod, löste die Verbindung mit ihm auf.
Wer würde der Nächste sein?
Der qualvolle Schrei eines Todessers hallte durch Malfoy Manor, so grauenvoll, dass es Narzissa das Blut in den Adern gefrieren ließ. Verzweifelt hielt sie dem kleinen Draco, der auf ihrem Schoß saß, die Ohren zu. Sang leise und mit bebender Stimme ein Lied und hoffte, dass es nicht Lucius war, den der Dunkle Lord geißelte. Bereits seit drei Stunden befand er sich mit den engsten verbliebenen Todessern im Herrensalon. Was sie dort besprachen, konnte Narzissa nur ahnen, doch sein Zorn war schon bei seiner Ankunft allgegenwärtig gewesen. Narzissa konnte die Angst nicht abschütteln, die sich wie ein eisiger Griff um ihr Herz legte. Voldemorts Macht schien zu schwinden, und die Aussicht auf einen Sieg über die Kräfte des Guten war plötzlich ungewiss geworden.
Inmitten dieser düsteren Gedanken plagte Narzissa eine Angst, die sie kaum aussprechen konnte. Es war die Angst um die Zukunft ihrer Familie, insbesondere um ihren geliebten Sohn Draco. Was würde geschehen, wenn Voldemort nicht wie geplant an die Macht kam?
Er hatte ihnen prophezeit, eine Welt nach ihren Idealen und Vorstellungen zu formen. Eine Welt, in man die Blutlehren wieder respektierte und er gelobte all den Abschaum, der in die Zaubererwelt eingedrungen war zu beseitigen.
Er hatte ihnen eine Welt versprochen, in der man ihren Sohn mit dem nötigen Respekt und Anstand begegnen würde. Draco, ihr kleiner Junge, der so vielversprechend war, so voller Potenzial und Talent. Sie konnte sich nicht vorstellen, was aus ihm werden würde, wenn die Pläne des Dunklen Lords scheiterten und die Todesser ihrer Macht beraubt würden.
Eine Welle der Verzweiflung durchströmte Narzissa, als sie sich die Zukunft ihres Sohnes ausmalte, die von Unsicherheit und Gefahr geprägt war. Sie konnte die Tränen kaum zurückhalten, die in ihren Augen brannten, als sie sich vorstellte, dass ihr geliebter Draco in einer Welt des Leids und der Ungewissheit aufwachsen könnte, ohne die Aussicht auf eine bessere Zukunft.
In diesem Moment schwor Narzissa sich, dass sie alles tun würde, um die Sicherheit und das Wohlergehen ihres Sohnes zu gewährleisten, koste es, was es wolle. Sie würde sich auch weiterhin dem Dunklen Lord ergeben und alles in ihrer Macht stehende tun, um sicherzustellen, dass ihre Familie geschützt war, selbst wenn die Zukunft düster und ungewiss erschien.
Als der Dunkle Lord gegangen war, kam Lucius zu ihnen nach oben. Er sah furchtbar aus und wirkte erschöpft, doch er versuchte, seinen Stolz zu wahren. Er ging vor Narzissa auf die Knie, die im Sessel saß und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann zog er Draco von ihrem Schoß, um ihn selbst zu halten. Narzissa sah deutlich, wie er Trost in dieser Berührung fand und wie Dracos Lachen, seine Erinnerungen fortspülten.
»Was ist geschehen?«, fragte Narzissa schließlich mit heiserer Stimme.
Lucius drückte Draco ein letztes Mal ans sich, bevor er dem Drängen seines Kindes nachgab und ihn auf dem Boden absetzte.
»Er war erzürnt«, sagte Lucius schlicht. »Severus ...« Seine Stimme riss kurz ab und Narzissa griff nach seiner Hand, doch er sah nur Draco dabei zu, wie er mit seinen Spielsachen spielte. »Er hat Gwendolyns toten Körper geraubt.«
Geraubt.
Narzissa richtete sich unwillkürlich auf. Es klang beinahe so, als hätte Severus Voldemort um seine Trophäe gebracht. Doch vielleicht war es auch genau das. Nichtsdestotrotz, Narzissa verstand die Auswirkungen dieser Tat durchaus: Es war Verrat. Wenngleich Narzissa Severus verstehen konnte, milderte dies nicht die Umstände für den Dunklen Lord. Sie schauderte, als sie sich an die grauenhaften Schreie erinnerte.
»Wie geht es ihm?«, fragte sie zögerlich.
»Er ist nicht erschienen«, antwortete Lucius und sah sie nun an.
Für ein paar Sekunden nur, teilten sie das Entsetzen.
»Er ist nicht ...«, ihre Stimme riss ab, »... aber Lucius, was wird der Dunkle Lord-«
»Er wird tun, was er will, so wie immer«, unterbrach er seine Frau und erhob sich.
Narzissa sah voller Schrecken zu ihm auf. Ihr Herz klopfte schmerzhaft und ihre Hände wurden schwitzig.
»Du musst ihm helfen«, flehte sie, ohne darüber nachzudenken.
»Was soll ich tun!«, fauchte Lucius sie plötzlich und unerwartet an.
Draco hörte mit dem Spiel auf und drehte den Kopf in ihre Richtung. Narzissa wandte den Blick von Lucius ab. Lächelte ihren kleinen Jungen nur an und versuchte etwas Beruhigendes, in ihren Ausdruck zu legen.
»Ich weiß es nicht«, gab sie heiser zu. »Rede mit ihm. Sag ihm, er soll um Gnade-«
»Und mich ebenfalls des Verrats schuldig machen?«, warf Lucius ein. Er sah sie abfällig an und schüttelte den Kopf. »Es war seine Entscheidung, Narzissa. Die gleiche, die ich auch treffen musste, nur hat Severus töricht gehandelt.«
Nach diesen Worten strich er Draco über den Kopf, dann wandte er sich um und ließ die beiden alleine im Kinderzimmer zurück. Narzissa, der auch der unterschwellige Schmerz ihres Mannes nicht entgangen war, traf in jenem Moment einen Entschluss und verließ Malfoy Manor, als Draco schlief.
Niemand öffnete ihr.
Auch nicht nach ihrem zweiten und dritten Versuch.
»Severus«, rief sie ungeduldig durch die Tür hindurch. »Ich weiß, dass du da bist. Mach auf!« Aber es geschah nichts. Nervös versuchte sie, durch eines der Fenster zu blicken, doch das war unmöglich. »Severus! Lucius hat mir alles erzählt, lass mich ein!«
Als er auch dieses Mal nicht reagierte, überwog der Zorn. Narzissa zog ihren Zauberstab und sprach ihre letzte Warnung aus. »Zwing mich nicht, die Tür zu sprengen!«
Dann hörte sie Geräusche aus dem Innern des Hauses und trat einen Schritt zurück. Als der Hausherr die Tür öffnete, schlug ihr sofort ein übler Gestank entgegen. Unwillkürlich zog Narzissa sich die Hand vors Gesicht.
»Was willst du!?«, fragte er barsch und kniff die Augen wegen des Sonnenlichts zusammen.
Sein fürchterlicher Anblick verschreckte sie zunächst, doch dann trat sie einfach an ihn vorbei in den kleinen Wohnbereich und stand inmitten von Dunkelheit.
»Bei Merlins Barte!« Der Mief mischte sich mit dem abgestandenen Gestank von Whisky. Narzissa rümpfte die Nase und mit dem Schnippen ihres Zauberstabs öffneten sich Läden und Fenster. Sowohl die frische Luft, als auch das Tageslicht waren ein Segen.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte sie und betrachtete den Familienfreund.
Sein Haar hing ihm dünn und fettig vom Kopf, seine Nase sah aus, als sei sie gebrochen und deswegen vermutete Narzissa, dass es sich bei den Flecken auf seinem Umhang um Blut handelte.
Severus antwortete nicht. Zuckte nur mit den Schultern. Er schloss die Tür, ging an ihr vorbei, ließ sich auf das Sofa sinken und rieb sich dem Kopf. Narzissa wollte die leeren Wein- und Whisky-Flaschen auf dem Tisch gar nicht zählen. Sie fragte sich plötzlich, ob Severus sich der Bedrohung überhaupt bewusst war, oder ob er in seinem trauernden Delirium die Zeit vergessen hatte.
»Severus, er sucht dich!«, flüsterte sie mit Nachdruck. »Wo hast du sie hingebracht?«
Er erstickte ein Schluchzen mit seinen Händen, es war nur ein kurzer Moment der Eskalation, dann hatte Severus sich wieder gefangen. Er sah vorwurfsvoll zu Narzissa auf und zischte: »Zu Dumbledore, wohin denn sonst?«
Sie schlug vor Entsetzen die Hand vor den Mund.
»Das erklärt natürlich einiges«, sagte sie, trat näher heran und zog den zerknitterten Tagespropheten aus der Tasche, in dem über Gwendolyns dramatisches Duell berichtet wurde. »Hier, sieh' dir das mal an.«
Er reagierte nicht darauf, obwohl sie ihm den Artikel direkt unter die Nase hielt. Es war, als wäre er sich der Auswirkungen seines Handelns noch immer nicht bewusst. Oder es war ihm schlichtweg egal. Narzissa musste ihn wachrütteln.
»Der Dunkle Lord hat getobt, so habe ich ihn noch nie erlebt«, flüsterte sie.
Nur zögerlich ergriff Severus den Tagespropheten, um den Artikel zu überfliegen. Sie wartete geduldig darauf, dass er fertig wurde, dann sagte sie mit Nachdruck: »Er verlangt, dich sofort zu sprechen, und du solltest diesem Befehl nachkommen, wenn dir dein Leben lieb ist!« Sein Blick, ließ ihren Herzschlag für einen Moment stocken. »Nun komm! Wir gehen direkt. Nein, keine Widerrede«, beharrte sie und zog Severus unter schwachen Protest vom Sofa, »und wenn dich der Dunkle Lord entlassen hat, kommst du mit nach Malfoy Manor. Dort kannst du etwas essen, ein Bad nehmen und dich ausschlafen. Wann hast du denn zum letzten Mal etwas Richtiges gegessen?«
»'zissa, hör' zu, ich will nicht«, widersprach er erneut.
»Nein, Severus, du hörst zu!« Sie sah ihn ernst an. »Ich habe nicht vergessen, was du für mich getan hast! Nun kann ich dir endlich ein wenig davon zurückgeben.«
Severus kam als gebrochener Mann zurück.
Narzissa schmerzte es, ihn so leiden zu sehen, und sie tat alles in ihrer Machtstehende, um ihn zu helfen. Sie wusste, dass sie den Verlust, den er erlitten hatte, nicht lindern konnte, doch sie konnte verhindern, dass er sich alleingelassen fühlte.
Sie versorgte ihn mit einer warmen Mahlzeit, stellte sicher, dass er sich wusch, legte frische Kleidung für ihn bereit und ließ ihn in einem der Gästezimmer schlafen.
Am Abend saß Narzissa am Fenster, während Draco friedlich in seinem Bettchen schlief. Die Sonne ging unter und der Himmel erglühte in einem feurigen Rot. Die Ereignisse der letzten Wochen hatten tiefe Spuren hinterlassen und sie spürte die Schwere der Verantwortung auf ihren Schultern. Doch inmitten all dessen fand sie Trost in dem Wissen, dass sie noch immer die Fähigkeit besaß, zu helfen, zu unterstützen und sich um die Menschen zu kümmern, die ihr am Herzen lagen.
Narzissa wusste, dass die Dunkelheit bald vorüber war, denn der lang ersehnte Triumph des Dunklen Lords stand kurz bevor. Es war notwendig, noch ein bisschen durchzuhalten. Für Lucius, für Draco und für jene, die auf ihre Hilfe angewiesen waren – weil es manchmal die kleinen Gesten der Güte den größten Unterschied machte.
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