Eine unerwartete Aufmerksamkeit
Oktober 1978
Mit Abraxas Malfoys Rückkehr kam auch die Lebensfreude in Malfoy Manor zurück. Es war nur ein Gefühl, das Narzissa wahrnahm, doch es schien sich sowohl in Aethel, als auch in Lucius widerzuspiegeln. Narzissa beobachtete sie mit einem wohligen Kribbeln in der Brust. Der Hausherr erschien ihr heute weniger kalt und distanziert zu sein, als es sonst seine Art war.
Direkt nach der Ankunft war er ermattet und zeigte deutliche Anzeichen von Erschöpfung, dennoch ließ er es sich nicht nehmen, ihnen allen seine Mitbringsel zu überreichen. Es waren nur kleine Raritäten aus einem fernen Land, doch als Narzissa eine filigrane hölzerne Schmuckschachtel in den Händen hielt, trieb es ihr fast die Tränen in die Augen. Es war nur ein bescheidener Gegenstand, jedoch mit großer Bedeutung.
Dies war scheinbar die Art von dem sonst so strengen und gefühlskalten Mann, seine Zuneigung zu zeigen. Anstatt, so wie es ihr Herz verlangte, ihrem Schwiegervater jauchzend um den Hals zu fallen, machte Narzissa nur einen Knicks und bedankte sich mit einem ehrlichen Lächeln und warmen Worten.
Abraxas schien das zu genügen.
Dann brachte Aethel ihn ins Gemach, wo er sich ausruhen sollte, bevor sie endlich, nach Wochen wieder gemeinsam zu Abend essen würden.
Narzissa entging nicht, dass Lucius' seinem Vater besorgt nachsah, während das leise Klopfen des Gehstocks im Flur verhallte.
»Was bedrückt dich?«, fragte sie.
Der Reinblüter wandte sich zu ihr um und es war, als habe er nicht damit gerechnet. Einen Herzschlag lang rang er mit sich, überwand dann aber scheinbar seine Zweifel und sagte: »Ich habe ihn noch nie so geschwächt gesehen.«
Narzissa trat näher an ihren Gatten heran, um ihn etwas Trost zu spenden. »Heute Abend, wenn er sich ausgeruht hat«, sagte sie aufmunternd, »wird es ihm bestimmt bereits besser gehen.«
»Vermutlich«, entgegnete Lucius ungläubig, entschuldigte sich und ging in Richtung seines Arbeitszimmers davon.
Aethel ließ Abraxas' Lieblingsspeisen auftischen und das Zusammensein am Abend war gemütlich und glücklich. Narzissa genoss es in vollen Zügen und war froh, ihren Mann für eine Weile so offen und wissbegierig zu erleben. Während Abraxas von seiner Reise berichtete, stellte er immer wieder Zwischenfragen und es erschien Narzissa fast so, als hätte er seinen Vater bei dieser Mission gerne begleitet.
Als ihre Bäuche nach der Hauptspeise gefüllt waren, wurde es gediegener und Aethel aktivierte das magische Grammophon, das etwas Kammermusik spielte. Abraxas schloss währenddessen die Augen und lauschte der Musik. Doch als sein Kopf, immer wieder absackte, stand Aethel auf und legte ihm eine Hand auf die Stirn.
»Du hast Fieber«, stellte sie fest.
»Mir geht es gut«, erwiderte er, löste den Vatermörder von seinem Hemd und gab ihn seiner Frau in die Hand, »es ist nur unangenehm heiß hier drin.«
Aethel bedachte ihren Mann mit einem Blick, den Narzissa erschrecken ließ. Sie zog das Hemd von Abraxas' Hals weg und fragte scharf: »Wie lange schon?«
»Das ist nichts worum du dich-«
»Wie lange?«, wiederholte Aethel mit Nachdruck.
Überrascht sah Narzissa, wie sich Abraxas im Stuhl zurücklehnte. Es schien zunächst, als würde er überlegen, doch der Blick seiner grauen Augen war seltsam verklärt.
»Vater!«, Lucius erhob sich abrupt und trat näher heran, als der Kopf von Abraxas abermals absackte.
»Dobby, ruf einen Heiler!«, rief Aethel.
»Ich brauche keine Heiler!«, widersprach ihr Mann, doch im nächsten Moment rollten sich seine Augen weg.
»EINEN HEILER!«, schrie Aethel, als Dobby im Speisesaal erschien. »Lucius, hilf mir deinen Vater nach oben zu bringen.«
Einen Moment war Narzissa zu geschockt, um etwas zu sagen, doch dann reagierte sie geistesgegenwärtig und sprach: »Ich werde den Heiler empfangen und ihn zu euch bringen!«
»Gut!«, antwortete Aethel und folgte den beiden Männern hinaus.
Narzissa eilte währenddessen in die Eingangshalle und erreichte den Salon gerade in dem Moment, als zwei Heiler eintrafen. Sie trugen die Uniformen des St.-Mungo-Hospitals und jeder von ihnen hatte eine große lederne Tasche dabei.
»Wer ist betroffen?«, fragte der Heiler mit dem dunklen Haar sogleich.
»A-a-abraxas Malfoy«, antwortete Narzissa überrumpelt.
»Was ist geschehen?«
»Er zeigte seltsame Symptome, während des Abendessens«, erklärte sie und führte die beiden Heiler die Treppe hinauf. »Schwindel, Blässe, verdrehen der Augen ...«
»Ist in den vergangenen Tagen etwas Außergewöhnliches geschehen?«, fragte der zweite Heiler.
»Nein, Sir, er war nicht hier. Er war ...«, Narzissa stockte kurz, »auf einer Reise in den Karpaten.«
Die beiden Heiler tauschten einen Blick miteinander, dann erreichten sie die Gemächer von Lucius' Eltern.
»Es ist hier«, erklärte Narzissa, als sie die Tür öffnen wollte.
»Sie müssen leider draußen bleiben«, sagte der hellhaarige Heiler, während der andere eintrat.
»Ab-«
»Es ist zu ihrer eigenen Sicherheit, Misses!« Dann hatten sie auch schon die Tür vor ihrer Nase geschlossen. Perplex blieb Narzissa stehen. Sie war zu überrascht, um sich über die Umgangsform in ihrem eigenen Heim zu wundern, doch noch bevor sie darüber nachdenken konnte, zog die laute Auseinandersetzung im Zimmer ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Narzissa erkannte Aethels und Lucius' Stimmen und sie schienen sich mit den Heilern zu streiten. Als sie die Anspannung kaum mehr aushielt und bereits nach dem Türknauf griff, ging die Tür erneut auf und Lucius trat hinaus. Er hätte sie beinahe umgerannt und entschuldigte sich auch nicht dafür.
Als die geborene Black sich zu ihm umwandte, sah sie Verzweiflung in seinem Gesicht. Es war ein Schock, ihren Mann so verletzlich zu sehen und es schien ihr Innerstes zu Eis erstarren zu lassen.
»Was ist geschehen?«, fragte sie behutsam.
Lucius antwortete nicht. Er hatte die Hände auf eine Fensterbank gestützt, sein Blick ging zu Boden und sein langes weißblondes Haar verdeckte die Sicht auf sein Gesicht.
»Lucius?«
»Vermutlich Drachenpocken«, brachte er nur hervor.
Narzissa lief es eiskalt das Rückgrat hinab.
Zwar galten Drachenpocken inzwischen als heilbar, dennoch blieb es eine tückische Krankheit, die vor allem für ältere Patienten gefährlich war. Narzissa überwand die letzten Meter, die sie voneinander trennte und legte einen Arm um Lucius. Er nahm es ohne Reaktion hin.
»Was ist mit deiner Mutter?«, fragte Narzissa und versuchte das Entsetzen, aus ihrer Stimme zu bannen.
»Sie ließ sich nicht rausschicken ... Sie«, die Verzweiflung brachte seine Stimme zum Beben und seine Hände umklammerten die Fensterbank so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten, »hört nicht auf mich ...«
Liebevoll strich Narzissa Lucius über den Rücken.
»Sie sind jetzt in guten Händen«, sagte sie und versuchte, selbst daran zu glauben. »Warten wir ab, was sie sagen ...«
Das Warten war das Schlimmste. Narzissa hatte sich inzwischen mit verschränkten Armen gegen die Fensterbank gelehnt und starrte die Tür an, als beschwöre sie deren Öffnung. Lucius lief derweil wie eine unruhige Wampuskatzen im Flur auf und ab.
Als die Stimmen im verschlossenen Raum sich abermals erhoben, hielten beide mit ihrer Lethargie inne.
»Sie werden ihn nirgendwo hinbringen!«, donnerte Aethel laut.
»Madam«, widersprach einer der Heiler, »er muss wirklich auf eine Station!«
»Dann bringen sie gefälligst die Station hierher!«
Es war kurz still, dann öffnete sich die Tür und die Heiler traten nacheinander heraus. Lucius war sofort an der Tür und hielt sie auf.
»Wie geht es ihm?«, wollte er wissen.
»Die Vermutung hat sich bestätigt. Er ist stabil und er ist isoliert«, berichtete der dunkelhaarige Heiler. »Die Weiterbehandlung ist unabdingbar, sprechen sie mit Ihrer Mutter.«
»Wenn sie sagt, dass die Station hierher verlegt wird«, sprach Lucius mit einer unvorhersehbaren Autorität, dann wird dies so geschehen.
Die Heiler tauschten Blicke miteinander, stimmten jedoch zu. Dann zog der Heiler mit den helleren Haaren zwei kleine Fläschchen aus dem Umhang und hielt sie in die Höhe.
»Da sie beide bereits in Kontakt mit der infizierten Person waren«, begann der Dunkelhaarige erneut, »müssen Sie dieses Serum einnehmen, um das Ausbrechen der Krankheit zu verhindern. Leider sind wir aufgrund der herrschenden Auflagen dazu gezwungen die Einnahme zu überwachen.«
Lucius betrachtete die beiden Personen kritisch, dann nahm er die Fläschchen, entkorkte sie und gab eines davon Narzissa. Sie leerte die transparente Flüssigkeit in einem Zug. Es verbreitete sich wie der bittere Geschmack einer Orange in ihrem Hals und löste einen trockenen Hustenreiz aus.
Die Heiler nickten zufrieden.
»Wir werden veranlassen, dass sofort alle notwendigen Gerätschaften hergeschafft werden«, sprach er weiter und betrachtete Lucius ernst. »Das wird allerdings eine kostspielige Angelegenheit.«
»Als langjähriger Unterstützer und Finanzier für Forschungsmittel und magische Arznei, werden wir diesbezüglich sicher eine Lösung finden«, entgegnete Lucius glatt.
Der Heiler sah ihn überrascht an, straffte die Schulter und antwortete: »Das sind Begebenheiten, über die wir keine Befugnis haben. Das sollten sie mit dem entsprechenden Ansprechpartner klären.«
»Das werde ich!« Damit war das Gespräch für den Malfoy beendet und er trat in das Elterngemach ein.
Narzissa begleitete die beiden Heiler noch bis zum Kamin, mit dem sie ausreisen konnten, und verabschiedete sie. Dann ging sie mit schweren Schritten wieder hinauf, nicht wissend, was sie vorfinden würde.
An diesen Moment würde sich Narzissa ihr ganzes Leben lang erinnern.
Aethel saß auf einem Stuhl neben dem Bett, in dem Abraxas schlief. Er war in eine milchig schimmernde Sphäre gehüllt, dass Narzissa auf grausame Weise an ein Leichentuch erinnerte. Lucius stand bei seiner Mutter und eine Hand lag tröstend auf ihrer Schulter.
Das war Familie.
Narzissa fühlte sich beinahe wie ein Eindringling und blieb zögernd im Türrahmen stehen.
Es war, als hätte Aethel ihre Gedanken gelesen.
»Komm«, sagte sie mit einer überraschend festen Stimme, »tritt ruhig näher, Liebes!«
Sie gehorchte, schloss die Tür und beschwor sich einen Stuhl herauf, den sie neben dem Bett platzierte. Gemeinsam wachten sie die ganze Nacht an Abraxas Malfoys Seite.
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