Ein skandalöses Geschenk

April 1977

Die Verlobungsfeier fand im großen Festsaal von Malfoy Manor statt. Die Räumlichkeiten waren mit duftenden Blumen und wertvollen Stoffen dekoriert. Selbst Narzissa war beeindruckt. Ihr Elternhaus war ein historisches Gebäude im altenglischen Stil, das am Waldrand vor London lag. Es war jedoch nicht zu vergleichen mit dem Landsitz der Malfoys.

Narzissa zitterte am ganzen Körper, als sie am Arm ihres Vaters den Festsaal betrat. Das Licht der Kronleuchter verteilte einen sanften Schein im Saal und ließ die zahlreichen Gäste in einem anmutigen Glanz erstrahlen.

Cygnus begrüßte den ein oder anderen Gast im Vorbeigehen. Narzissa kannte sie nicht alle, aber ihr Erscheinungsbild offenbarte sie zweifellos als noble Mitglieder der magischen Gesellschaft. Als Abraxas Malfoy die Ehrengäste bemerkte, empfing er sie sogleich. Das Oberhaupt der Malfoys war eine respektheischende Autoritätsperson, die Narzissa sehr an ihren Vater erinnerte. Seine grauen Augen schienen die Eigenschaft zu besitzen, die Menschen um ihn herum zu durchbohren und sofort ein Urteil zu fällen. Auch in seiner äußeren Erscheinung war er ihrem Vater nicht unähnlich. Sie waren nahezu im gleichen Alter, das Haar war bereits ergraut und sie trugen beide stets noblen Zwirn. In einer Sache unterschied sich Abraxas jedoch ganz deutlich von Cygnus: Trotz seiner bedrohlichen und mächtigen Aura, schien er gebrechlich. Narzissa wusste nicht, ob dies allein daher rührte, dass er sich auf einen Gehstock stützte, oder ob mehr hinter ihrem Eindruck steckte.

Sie war zumindest für den Moment zu aufgeregt, um weiter darüber nachdenken zu können.

Abraxas führte sie zu einem der Stehtische, an denen sich seine Frau zusammen mit Orion und Walburga Black unterhielt. Das Gespräch verstummte, als sie hinzustießen.

»Nicht nötig, einander vorzustellen, nicht wahr?«, scherzte Abraxas, als die beiden Black-Brüder sich nur mit einem Nicken begrüßten. »Doch wo ist Lu-«

»Hier, Vater!«

Narzissa blieb vor Schreck das Herz stehen und der Griff um den Arm ihres Vaters wurde ein bisschen fester. Sie fühlte sich beinahe wieder wie ein verängstigtes kleines Mädchen.

»Lucius, das ist deine zukünftige Braut, Narzissa Black«, erklärte Abraxas förmlich, »du erinnerst dich sicher an sie?«

Cygnus entzog seiner Tochter den Arm und für einen Moment fehlte ihr der Halt, aber Lucius ergriff sofort ihre Hand. Seine Berührung war zärtlich, höflich und exakt so, wie sie es sich gewünscht hatte. Er hauchte ihr einen Kuss auf den behandschuhten Handrücken.

»Kaum noch«, antwortete er seinem Vater.

Diese Antwort versetzte Narzissa einen schmerzhaften Stich in die Brust. Zuvor hatte sie sich in seinen blau-grauen Augen verloren. Als sie den strengen Blick ihrer Mutter bemerkte, vollzog Narzissa einen eleganten Knicks, noch bevor Lucius ihre Hand losließ.

Er erinnerte sich zwar nicht mehr an sie, doch Narzissa wusste umso mehr über ihn. Wie viele Jahre hatte sie ihn heimlich in Hogwarts angeschmachtet? Kleine Herzen mit ihren Initialen in die Schulbücher gemalt und ihm angenehme Tagträume gewidmet. Nun sollten sie bald wirklich ein Paar sein.

Es war, als würden sich all diese Träume bewahrheiten.

Während sie darauf warteten, dass die restlichen Gäste eintrafen, verfielen die beiden Familien in bedeutungslosen Small-Talk. Fortwährend kamen Besucher auf sie zu, um ihnen zu gratulieren. Narzissa trug jeden dieser Segen wie eine Auszeichnung in ihrem Herzen.

Überglücklich stand sie an Lucius' Seite, rief sich immer wieder die Etikette ins Gedächtnis und überhörte die Gespräche der anderen. Ihre Gedanken waren ungeordnet und ihr Herz schneller als am Tag ihrer Einschulung in Hogwarts. Sie hatte nur Augen und Ohren für Lucius Malfoy. Allerdings schien er Narzissa kaum zu beachten. Sie sog den schweren seifigen Duft ein, der von ihm ausging und hoffte darauf, dass der Abend noch die Gelegenheit brachte, dass sie beide ungestört sprechen konnten.

Nachdem die Gäste vollzählig waren, schloss ein Hauself die Türen und allmählich wurde es still im Saal. Dann trat Abraxas Malfoy in die Mitte des Raumes und er strahlte eine Würde aus, die Narzissa bei ihrem Vater noch nie wahrgenommen hatte.

»Liebe Gäste«, begann er und ließ den Blick schweifen, »wir haben uns heute versammelt, um die Vereinigung zweier uralter und reinblütiger Familien zu feiern. Die Verlobung meines Sohnes Lucius mit Narzissa Black.« Er machte eine kurze Pause, um den Applaudierenden Raum zu lassen und fuhr dann fort. »In Zeiten wie diesen, in der das reine Erbe bedroht wird, ist es umso wichtiger, dass wir zusammenhalten und diese Verbindung ist mehr als nur die Vereinigung zweier Familien. Lucius und Narzissa verkörpern das Beste unserer Blutlinie – Intelligenz, Anmut und Stärke. Damit sind sie auch ein Symbol unserer Treue und unseres Engagements für eine Welt, in der wir Reinblüter das Sagen haben – eine Welt, wie sie der Dunkle Lord für uns alle anstrebt.« Ein gespanntes Raunen ging durch die Menge, und Abraxas lächelte kühl. »Der Dunkle Lord, auch wenn er bedauerlicherweise heute nicht zugegen sein kann, unterstützt die Reinheit unserer Sache, denn sie steht für die Stärke und den Zusammenhalt, den wir seit Jahrhunderten bewahren. Dieses Vermächtnis wird uns in eine glorreiche Zukunft führen, in einer Gemeinschaft, die auf die Erhaltung alter Traditionen und Werte setzt.« Er hob sein Glas und wartete, bis die Gäste seinem Beispiel folgten. »Lasst uns anstoßen – nicht nur auf das Paar – sondern gleichermaßen auf diesen gemeinsamen Weg in eine neue Ordnung und auch auf den Dunklen Lord – möge seine Macht wachsen und seine Herrschaft ewig währen!«

Ein anerkennendes Murmeln ging durch die Menge. Cygnus nahm einen ersten tiefen Schluck, setzte das Glas ab und sah dann seinen Sohn an, doch in seinen kalten Augen war weder Stolz noch Freude zu erkennen, sondern nur pure Nüchternheit. »Auf Lucius und Narzissa! Möge eure Zukunft fruchtbar und glorreich sein! Zum Wohl!«

Die Gäste stimmten in den Trinkspruch mit ein und als die Versammelten miteinander anstießen, erfüllte der Klang von klirrendem Kristallglas den Raum.

Cygnus nickte und er wirkte zufrieden. Dann erhob er abermals die Stimme und sagte: »Ich möchte nun alle darum bitten, Platz zu nehmen und die Feier zu genießen. Die Geschenk Zeremonie wird nach dem Essen stattfinden.«

In der aufkeimenden Unruhe wagte Narzissa einen schüchternen Seitenblick auf Lucius, doch er reagierte nicht. Das Getuschel wurde wieder lauter, während sich alle an ihre Plätze begaben. Lucius bot ihr den Arm an und Narzissa ergriff ihn mit klopfenden Herzen. Dankbar schenkte sie ihm ein Lächeln.

Doch auch das erwiderte er nicht.

Etwas steif folgte sie ihm durch den Saal und nahm schließlich in der Mitte der u-förmig angelegten Tischreihe Platz. Ihre Eltern saßen bereits zu ihrer linken und die Malfoys auf der rechten Seite. Als sich der Lärm allmählich legte und die gedämpfte Musik wieder zu hören war, eröffnete Abraxas Malfoy das Festessen.

Narzissa zählte die Gänge nicht mit. Sie war noch nie ein großer Esser gewesen und nun war ihr auch noch durch die Aufregung furchtbar übel. Sie aß also immer nur ein paar Bissen von den vorzüglichen Speisen und ließ sich dabei möglichst viel Zeit. Sie hatte gehofft, dass ihre Nervosität während des Essens abebben würde, doch Lucius' Verhalten verunsicherte sie zunehmend.

War sie ihm vielleicht nicht schön genug, oder war er selbst womöglich genauso nervös wie sie selbst?

Narzissa beschloss, die eisige Stille zwischen ihnen zu beenden und rief sich die öden Konversationsstunden ihrer Mutter ins Gedächtnis.

»Schmeckt Euch das Essen?«

»Es ist vorzüglich«, antwortete Lucius, ohne sie anzusehen.

Narzissa lächelte nervös, hatte sie doch auf eine Antwort gehofft, auf die sie hätte eingehen können. Aber so schnell wollte sie nicht aufgeben: »Ich fürchte nur, es ist etwas viel für mich.«

Er nickte nur, griff nach seinem Weinkelch und wandte sich dann seiner Mutter zu.

Narzissa spürte, wie die Röte auf ihre Wangen kroch. Hilfesuchend sah sie sich im Saal um und blieb an den dunklen Augen ihrer Schwester Bellatrix hängen. Diese verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln und hob eine Augenbraue. Zweifellos hatte sie Narzissas Unsicherheit erkannt.

Sie atmete tief durch, nahm sich dann ebenfalls ihren Weinkelch und trank ein paar große Schlucke eines lieblichen Weißweines. Als sie den Kelch auf den Tisch zurückstellte, griff ihre Mutter nach dem Stiel, zog ihn zu sich heran und zischte: »Benimm dich!«

Es war das letzte Fünkchen, der den Zauber erlöschen ließ.

Während die Gäste das restliche Essen genossen und immer wieder auf das junge Paar anstießen, ertrug Narzissa den Rest resigniert und war froh, als die Geschenkzeremonie eröffnet wurde. Wenn sie sich gemeinsam bei den Gästen bedanken mussten, waren sie schließlich gezwungen miteinander zu reden.

Die Zeremonie begann mit dem Austausch der Geschenke des Brautpaares. Lucius zog eine schwarze Schatulle unter dem Tisch hervor und wandte sich ihr zu.

»Als zukünftiges Mitglied, der Familie Malfoy möchte ich dir heute Abend dieses Familienerbstück überreichen«, sprach er in feierlichem Ton und Narzissa erhaschte nur einen kurzen Blick in sein Gesicht, denn im nächsten Moment öffnete er die Kassette und die junge Black wurde von dem Schmuckstück darin überwältigt.

Es war ein breites, mit Edelsteinen besetztes Band aus massivem Weißgold. Auf der Vorderseite verteilten sich siebenundzwanzig filigrane Strahlen, an deren unteren Enden jeweils ein größerer tropfenförmiger Smaragd hing. Ergriffen von der Eleganz der aufwendigen Handarbeit, nahm Narzissa zunächst keine Notiz von den hundert kleinen Diamanten, die das Schmuckstück zum Glitzern brachten. Es war einfach nur atemberaubend schön.

»Es ist wundervoll«, sagte Narzissa ungläubig.

»So wie du«, antwortete Lucius, ohne dass seine Augen diese Worte widerspiegelten.

Doch für den Moment war Narzissa zu überwältigt. Während er ihr das Schmuckstück anlegte, strahlte sie mit all den Edelsteinen um die Wette.

Nachdem Narzissa Lucius die eigens für ihn angefertigten Manschettenknöpfe mit dem Wappen der Malfoys überreicht und angelegt hatte, reihten sich die Gäste ein, um ihre Geschenke auf dem vor dem Brautpaar bereitgestellten Tisch zu übergeben.

Es war zwar eine langatmige Prozedur, doch Narzissa wusste, dass diese Tradition überaus wichtig für ihre Reputation war. In den Jahren der Erziehung durch Druella Black, hatte sie gelernt, Interesse zu heucheln und falsche Lächeln zu schenken. Lucius verhielt sich auch bei dieser Gelegenheit wie der perfekte Gentleman – im Grunde schien alles an ihm perfekt zu sein.

Narzissa beobachtete voller Stolz und Vorfreude, wie er sich bei den Gästen bedankte, dabei die ein oder andere charmante Bemerkung zum Besten gab, und kleinere Konversationen führte. Einige Male bedachte er auch Narzissa mit seinem unverwechselbaren, einnehmenden Lächeln. Jede Geste ließ ihr Herz schneller schlagen und verdrängte jeglichen Zweifel. Schon in ein paar Wochen würde sie die glücklichste Frau der Welt sein. Davon war Narzissa überzeugt.

Während sich allerlei Schmuck, Porzellan und magische Kunstgegenstände (die Malfoys waren bekannt für ihren Handel mit magischen Skurrilitäten) auf dem Tisch stapelten, wurde die Schlange der Wartenden immer kürzer und die Gäste nahmen wieder ihre Plätze ein. Schließlich blieb eine einzige kleine Schachtel am Ende des Raumes übrig und während Abraxas sich darum bemühte den Gönner ausfindig zu machen stieg das Getuschel im Saal wieder an. Narzissa warf Lucius einen fragenden Blick zu, doch dieser beobachtete nur seinen Vater, wie er sich erhob und zu dem kleinen Karton hinüberging. Er beugte sich vornüber und betrachtete ihn kurz.

Als er sich erneut dem Brautpaar zuwandte, verstummte das Geflüster.

»Kein Absender«, sagte er misstrauisch, »es ist jedoch an Narzissa adressiert.«

Alle Blicke richteten sich sofort auf die junge Black. So viel Aufmerksamkeit war ihr unangenehm.

Wer sollte ihr allein ein Verlobungsgeschenk zusenden, ohne den Dank dafür zu beanspruchen?

Sie wollte sich erheben, doch ihr Vater war schneller.

»Es könnte verflucht sein«, sprach er ernst und ging ebenfalls zu dem Karton hinüber. »Womöglich jemand, der dem fürnehmen Hause der Blacks schaden möchte.«

Der Ausdruck in Abraxas Malfoys Gesicht wirkte, als hätte man seine Ehre als Gastgeber in Frage gestellt.

»Du unterstellst mir, die Sicherheit eures Hauses zu gefährden, Cygnus?«, fragte er ernst. »Unter meinem Dach?«

Totenstille erfüllte den Saal und Narzissa bemerkte nun erst, dass auch das kleine Ensemble zu spielen aufgehört hatte. Als die beiden Männer einander anfunkelten reagierte Lucius geistesgegenwärtig.

»Ich bin sicher, Vater«, sprach er und griff Narzissas Hand; sie hatte nicht damit gerechnet und wurde grob von ihrem Stuhl gezogen, »dass Cygnus ebendies nicht gemeint hat!« Gemeinsam mit Lucius, der sie bereits losließ, trat sie näher an den Karton heran. »Doch in der heutigen Zeit, ist es sicherlich sinnvoll, Vorsicht walten zu lassen.«

Er zog seinen Zauberstab hervor und vollführte eine Reihe von Zaubern, die Narzissa nicht kannte. Anscheinend dienten sie der Überprüfung des Objektes.

Narzissa kam nicht umhin, ihn für sein diplomatisches Verhalten zu bewundern.

»Zweifellos ein magischer Gegenstand, doch ohne jegliche bedrohliche Aura«, verkündete Lucius und drehte sich Narzissa zu. »Möchtest du es öffnen?«

Sie nickte nur, wenngleich sie gerne verneint hätte. Sie wollte jedoch keine Furcht zeigen. Vorsichtig trat sie näher heran und hob den Deckel ab. Die Außenwände des Kartons klappten sofort auf den Boden und der Gegenstand im Innern schwoll rasch auf seine normale Größe an, sodass sie alle einige Schritte zurücktreten mussten.

Schließlich blickte Narzissa auf ein schrankhohes dunkles Möbelstück, mit schweren eisernen Beschlägen. Auf den ersten Blick sah es wie ein Kleiderschrank aus, aber die junge Black wusste sofort, dass es keiner war, denn es gab ein ähnliches Möbel im Haus ihrer Eltern.

Unheilvolles Geflüster breitete sich im Saal aus. Mit hartem Gesichtsausdruck trat Abraxas Malfoy vor und betrachtete das Schild, das am Knauf baumelte. Mit vielsagendem und aufforderndem Blick sah er zu Cygnus. Auch dieser wagte sich nun näher heran und seine Miene verhärtete sich ebenfalls. Narzissa konnte sehen, wie sich seine Gesichtsmuskeln anspannten, als er die Kiefer aufeinanderpresste.

»Kennst du diese Schrift?«, fragte er mit bedrohlicher Stimme und bedeutete Narzissa näher zu kommen.

Verängstigt sah sie zu Lucius, der ihren Blick nicht erwiderte und trat dann einen Schritt vor, um das Papierschild zu lesen. Darauf befanden sich nur sechs kleine Worte. Narzissa wusste sofort, warum dieses Geschenk eine Beleidigung darstellte.

Dort stand, in einer unbekannten Handschrift:

Damit du immer nach Hause zurückfindest.

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