Ein Schatten über Malfoy Manor
November 1978
Abraxas' Erkrankung änderte alles.
Das Familienoberhaupt war weder ein sympathischer noch ein besonders liebenswerter Mann. Dennoch hatte er den Respekt und die Demut seiner Familie inne. Zwar blieb sein Zustand zunächst stabil, doch der Ausnahmezustand hatte Auswirkungen auf das gesamte Familienleben. Aethel blieb jeden Tag an der Seite ihres Mannes. Sie las ihm vor, brachte ihm das Essen und manches Mal saß sie auch einfach nur stumm da, um Abraxas Gesellschaft zu leisten.
Narzissa hatte noch nie in ihrem Leben eine solche Fürsorge und Treue erlebt und immer wieder fragte sie sich, welches Ereignis Aethel Selwyn so unerschütterlich mit Abraxas Malfoy verbunden hatte. Die geborene Black wünschte sich nichts sehnlicher, als eine ähnliche Verbindung zu ihrem eigenen Ehemann.
Doch Lucius entglitt ihr immer mehr.
Trotz all ihrer Bemühungen das Familienleben zu erhalten, Lucius zu gefallen und sein Herz zu gewinnen, spürte Narzissa eine zunehmende Distanz zwischen ihnen. Es konnte nur an der gegenwärtigen Dauer und der Angst liegen, die ihrer aller Herzen in ihren Krallen hielt, doch es war für Narzissa eine zusätzliche Belastung.
Als es an einem Abend läutete, betrat Narzissa die Eingangshalle, da der Hauself gerade die Pflege von Abraxas betreute. Völlig unbedarft öffnete Narzissa die Tür und wich erschrocken von der magischen Präsens einen Schritt zurück.
Man hatte ihr Geschichten erzählt. Etliche. Sie hatte ihre Familie über ihn sprechen gehört, ihre Faszination und den Respekt bemerkt und sie musste auch stets Bellatrix' Schwärmereien lauschen. Trotzdem stellte ihre erste Begegnung mit dem Dunklen Lord all ihre Erwartungen in den Schatten.
Der Mann, der ihr gegenüberstand, war attraktiv und Narzissa hätte ihn vermutlich auch als sympathisch eingeschätzt, wenn sein Lächeln nicht so viel Hohn preisgab. Seine magische Aura war beängstigend und faszinierend zugleich und in einen flüchtigen Moment lang konnte Narzissa die Gefühle ihrer Schwester Bellatrix beinahe nachvollziehen.
Doch als er sprach, war der geborenen Black sofort klar, dass jegliche Güte und Freundlichkeit nur ein Schauspiel waren. Dieser Mann war gefährlich.
Narzissa wusste es mit der ersten Begegnung.
»Müssen die Malfoys inzwischen ihre Gäste persönlich einlassen?«, sprach er höhnisch und sah Narzissa abschätzend an.
»Es sind alle verhindert«, antwortete sie mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte, obwohl sie sich absolut klein und hilflos fühlte.
»Verhindert«, wiederholte der schwarz gewandete Magier amüsiert.
Das dunkle kinnlange Haar umsäumte die hohlen Wangen und ließen die blasse Haut noch makelloser erscheinen. Seine grauen Augen betrachteten sie auf eine Art, die ihr unangenehm war.
»Kommt bitte herein, Mylord«, sprach Narzissa, die sich rechtzeitig besann, den Kopf neigte und die Tür weiter öffnete. »Womit kann ich Euch dienen?«
Lord Voldemort trat mit einer königlichen Würde ein und musterte die Eingangshalle, als wollte er sich jedes Detail darin einprägen. Dann sagte er: »Ich möchte Lucius sprechen.«
»Lucius ist-«, begann Narzissa, wurde jedoch unterbrochen.
»Ich bin hier!«, sprach eine Stimme von der Galerie herab.
Lucius kam die Treppe herunter und verneigte sich tief vor seinem Gast.
»Ihr habt meine Gattin, Narzissa, bereits kennen gelernt?«, fragte er rhetorisch.
»Das habe ich«, antwortete der Dunkle Lord und fügte floskelartig hinzu, »ich bin sehr erfreut.«
Narzissa setzte ihr Lächeln auf und verbeugte sich, so wie es Lucius zuvor getan hatte.
»Es gibt eine Angelegenheit, die ich mit dir bereden muss, Lucius«, sprach der Dunkle Lord ernst und sah zur Galerie hinauf, »nun, da Abraxas gegenwärtig keine Dienste leisten kann.«
»Selbstverständlich, mein Lord!« Lucius deutete auf eine der Türen und fuhr fort: »Lasst uns in den Herrensalon gehen, dort sind wir ungestört.«
Die beiden Männer ließen Narzissa alleine zurück, die ihnen mit etwas Unbehagen nachsah.
Lucius' Anspannung war nach des Abschieds des Dunklen Lords noch allgegenwärtig und Narzissa wusste nicht, ob es klug war, sich ihrem Mann weiter zu nähern. Es war jedoch die Sorge um sein Wohlbefinden, die ihre Ängste überwog.
»Lucius«, sprach sie leise, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. »Worum ging es bei dieser Unterhaltung? Ist alles in Ordnung?«
Er drehte sich abrupt zu ihr um und sein Blick war hart und undurchdringlich. »Das geht dich nichts an, Narzissa«, antwortete er mit einem kalten Unterton.
Sie zuckte von der Schärfe in seinem Tonfall zurück und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, als sie die Ablehnung in seinen Augen sah.
»Ich ... ich wollte nur zeigen, dass ich ... dass mich sorge«, gab sie verlegen zu.
Lucius schnaubte verächtlich und drehte sich in einer abwesenden Geste wieder von ihr weg. »Deine Sorge ist unangebracht«, brummte er. »Vaters Krankheit wird keine Auswirkungen auf uns haben. Das ist alles, was du wissen musst.«
Narzissa schenkte seinen Worten keinen Glauben. Nach allem, was sie getan hatte, um sich zu beweisen und Lucius ihre Liebe zu zeigen, wurde sie noch immer mit Kälte und Abweisung gestraft.
Januar 1979
Auch der Jahresanfang war weiterhin von einem schlechten Omen überschattet. Narzissa hatte einen großen Neujahrsball ausgerichtet, denn der Schein der Erhabenheit und des Wohlstands sollte gewahrt bleiben. Bei manchen Entscheidungen hatte ihr Aethel unterstützend beigestanden, wenngleich von vornherein klar war, dass sie nicht am pompösen Schauspiel teilhaben würde. Es diente nur der Demonstration des ehrwürdigen Hauses Malfoy und seiner Macht. Dass man feierte, während nur wenige Zimmer weiter ein Familienmitglied einer schweren Krankheit unterlag, war für Narzissa nicht einmal befremdlich. Sie war in einer Welt aufgewachsen, in der der äußere Schein und die Aufrechterhaltung des Familienansehens über allem standen. Gefühle und persönliche Belange hatten wenig Platz in der sorgfältig inszenierten Darstellung der Reinblutfamilien.
Doch die glanzvolle Feier wurde plötzlich durch Auroren und Angestellte der magischen Strafverfolgung unterbrochen. Sie durchsuchten das Anwesen, stellten Fragen und sorgten für Unruhe unter den Gästen. Lucius hatte getobt, so wie Narzissa ihn noch nie erlebt hatte, aber all die Drohungen hatten nicht geholfen den Vorgang zu verhindern und obwohl sie am Ende erfolglos abziehen mussten, war die Party dennoch ruiniert. Die zuvor herrschende Atmosphäre konnte auch durch Narzissas Bemühungen nicht wiederhergestellt werden. Tuschelnd verließen die Gäste vorzeitig das Fest, und ein Schatten der Scham legte sich über das Ereignis. Narzissa beobachtete die Szene mit zusammengebissenen Zähnen, während ihr bewusst wurde, dass die sorgsam aufgebaute Fassade des Hauses Malfoy einen schweren Riss bekommen hatte.
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