Der Schatz unter ihrem Herzen

Dezember 1979

Bellatrix' Fanatismus schien grenzenlos zu sein. Narzissa wusste nicht, was sich ihre Schwester zum Ziel gesetzt hatte, doch nach dem Verschwinden ihres Vaters, war sie fast täglich zu Gast in Malfoy Manor. Manchmal beschlich Narzissa der Gedanke, es sollte der Überwachung dienen. Ob ihrer eigenen oder Lucius', dessen war sie sich noch nicht sicher.

Die Pläne für die Machtübernahme schienen zumindest den erhofften Lauf zu nehmen. Die Feiern im kleinen Kreis mehrten sich und Lucius' Besuchern waren überwiegend positiv gestimmt.

Alles schien sich in die richtige Richtung zu entwickeln. Narzissas Beziehung zu Lucius wurde jeden Tag inniger und auch die Mühen seiner Arbeit worden belohnt. Zu ihrem vollkommenen Glück fehlte nur noch eines.

Ungeduldig starrte sie das Becherglas an und wartete darauf, dass sich die Flüssigkeit, die sie gegurgelt hatte verfärbte. Sie wusste nicht, wie lange der Trank dafür brauchte, doch für die Nerven, der geborenen Black war es viel zu lange. Sie lief ein paar Mal um die freistehende Wanne, die auf goldenen Löwenfüßen in der Raummitte thronte, und sah erneut hin.

Nichts war geschehen.

Vielleicht hatte sie sich auch einfach geirrt?

Enttäuscht legte sie ihr Nachthemd an, schlüpfte in die Pantoffel und warf einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie zurück ins Gemach gehen würde. Aus den Augenwinkeln sah sie die Veränderung.

Ihr Herz explodierte in einem unerwarteten Funkenregen. Hastig griff Narzissa das Becherglas und hielt es gegen das Licht, um die Farbe noch besser erkennen zu können. Dann trübten Tränen ihre Sicht.

Es klopfte an der Tür.

»Narzissa?« Lucius' Stimme klang besorgt.

Sie hatte heute viel länger als sonst gebraucht.

»Alles in Ordnung«, sagte sie heiser.

»Das hört sich nicht so an«, hielt er dagegen.

Narzissa quetschte die Tränen unter ihren Lidern heraus und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Lucius sah sie verwirrt an. Die Tränen, die über ihre Wangen liefen, standen im Widerspruch zu dem strahlenden Lächeln, mit dem sie ihn empfing.

Dann gab sie ihm das Becherglas in die Hand. Die klare Flüssigkeit darin hatte sich zu einem zarten transparenten Blau gefärbt.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Lucius stirnrunzelnd.

Narzissa japste glücklich auf, bevor sie sagte: »Es bedeutet, dass wir einen Jungen bekommen.«

Lucius starrte mit einer Mischung aus Freude und Verblüffung von seiner Frau zu dem Glas in seiner Hand, bis er die Worte realisierte. Die Erkenntnis ließ sein Herz vor Glück schneller schlagen, und er hob den Blick auf Narzissa, um ihr mit strahlenden Augen zu begegnen.

»Das ist wundervoll!«, rief er aus, und bevor er noch etwas sagen konnte, sprang seine Frau in die Luft und fiel ihm um den Hals.

Sie wusste, es war nicht das Verhalten, dass sich für eine Lady ziemte, doch es war in jenem Moment genau das, was ihr Herz verlangte.

Ihre Umstände veränderten nicht nur Narzissa selbst, sie hatte auch Auswirkungen auf Lucius und sein Verhalten ihr gegenüber. Er war aufmerksamer und aufrichtiger und Narzissa fühlte sich wie der glücklichste Mensch auf Erden.

Endlich war sie in Malfoy Manor angekommen!

Dennoch überschatteten die andauernde Bedrohung der Aufträge des Dunklen Lords ihre Freude. Narzissa lebte stets mit der Angst, dass Lucius etwas geschehen konnte. Die geborene Black hoffte täglich darauf, dass der Dunkle Lord endlich die Macht erlangte und dass sich die Wogen glättete, um ihren Mann in Sicherheit zu wissen.

Sie sehnte sich nach mehr Zeit und Unbeschwertheit. Doch der neu gewonnene Beistand und die Zuneigung, die sie inzwischen durch Lucius erfuhr, spendeten ihr sowohl Trost als auch Hoffnung. Von nun an würde alles gut werden.

Inmitten dieser Gedanken teilte Bellatrix ihr ein paar Monate später eine Nachricht mit, die Narzissa zutiefst erschütterte.

»Der Dunkle Lord lässt mir eine große Ehre zuteilwerden«, erklärte sie ihrer Schwester. »Und ich bat ihm darum, dieses Vertrauen auch in dich zu setzen.«

»Du hast was?«, fragte Narzissa entsetzt. »Spinnst du?«

Bellatrix lachte über die Reaktion ihrer kleinen Schwester.

»Ich möchte da rausgehalten werden!«

»Genau darum geht es Zissy«, zischte ihre Schwester. »Dass du endlich einen Standpunkt beziehst. Dass du deine Loyalität beweist.«

»Meine Loyalität gilt allein meiner Familie und nicht irgendeinem da-«

»Du!«, kreischte Bellatrix und zog den Zauberstab.

Narzissa konnte gar nicht so schnell reagieren. Das Einzige, was sie tat, war ihre Hände schützend, um ihren Bauch zu legen.

»Wage es nicht, Bellatrix!« Eine Welle der Erleichterung durchströmte Narzissa beim eisigen Klang der Stimme.

Lucius stand im Türrahmen und sein eigener Zauberstab war direkt auf Bellatrix' Brust gerichtet.

»Wage es nicht, Bellatrix«, wiederholte er, »meine Frau und mein Kind in unserem eigenen Haus zu bedrohen.«

»Sie hat den Dunklen Lord beleidigt«, zischte sie zornig, »duldest du das etwa?«

»Zauberstab weg!« Betonte er mit Nachdruck.

Bellatrix gehorchte mit knirschenden Zähnen. Narzissa konnte sehen, dass sie ihr am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte.

»Der Dunkle Lord«, sprach Bellatrix mit einer provokanten Grimasse, während sie auf Lucius zuging, »wird deine Frau mit einer verantwortungsvollen Aufgabe betrauen.«

Der Hausherr ließ sich nicht provozieren, steckte seinen Zauberstab weg und erwiderte kühl: »Wir fühlen uns geehrt.«

Bellatrix grinste hämisch ihre Schwester an und sagte: »Siehst du: Eine Ehre ist es!«, sie trat mit erhobenem Kopf an Lucius vorbei, doch im Türrahmen wandte sie sich noch einmal um. »Ich werde dich in die Lestranges Residenz rufen lassen, wenn es soweit ist.«

Dann verschwand sie.

Narzissa sah ihr mit einem Blick nach, als wollte sie ihre Schwester erdolchen.

»Ich möchte damit nichts zu tun haben«, betonte sie, als Lucius zu ihr trat.

»Wenn er Dunkle Lord dich erwählt hat«, sprach Lucius sachlich und legte eine Hand auf ihren Bauch, »dann wirst du tun, was er verlangt.«

»Dieses hinterhältige Miststück«, fluchte Narzissa boshaft. »Sie hat es mit Absicht arrangiert.«

»Es wird unsere Treue festigen, Narzissa. Mach dir keine Sorgen darüber.«

April 1980

Nur wenige Tage später befand sich Narzissa zusammen mit Bellatrix und dem Dunklen Lord in einem der kleineren Räume der Lestranges Residenz. Seine Anwesenheit behagte ihr nicht und Narzissa fühlte sich wie eine Maus, die man zu einer Schlange in eine Box gesperrt hatte. Auch das Verhalten ihrer Schwester, das demütig, fast schon hörig war machte ihr Sorgen. Allein der Gedanke, an ihre Zukunft, ließ sie den Moment überstehen. Sie legte die Hände auf ihren inzwischen deutlich hervortretenden Bauch. Es gab ihr Kraft und Mut.

»Bellatrix, Narzissa«, sprach der Dunkle Lord und forderte sie auf, zu einer kleinen Sitzgruppe zu gehen Platz zu nehmen. »Ich habe euch beide hier versammelt, um euch eine wichtige Aufgabe zu übertragen.«

»Mein Herr, wir stehen bereit, um eure Befehle auszuführen«, beschwor Bellatrix sofort.

Narzissa stimmte mit einem demütigen Nicken zu.

»Ich habe zwei Gegenstände von höchst historischem Wert erobert«, fuhr er fort. »Ich möchte sie an einem sicheren Ort wissen. An einem Ort, an dem sie überdauern können, bis ich sie brauche.«

Perplex sah Narzissa zu ihrer Schwester, die den Blick jedoch nicht von ihrem Meister nahm.

»Das Verlies der Lestranges in Gringotts ist ein Hochsicherheitsverlies, Herr«, erzählte Bellatrix bereitwillig. »Es liegt auf der untersten Ebene der Bank, welcher Ort könnte besser sein?«

Voldemort antwortete nicht. Stattdessen zog er zwei kleine Gegenstände aus dem innern seines Mantels. Einen goldenen Trinkpokal und einen schlichten Taschenkalender.

Verblüfft betrachtete Narzissa sie. Es erschien ihr suspekt, dass der Dunkle Lord ihnen das Verwahren eben jener Gegenstände auftrug. Während sie die Artefakte ansah, fühlte Narzissa eine unheimliche Präsenz von Macht und Dunkelheit, die von ihnen auszugehen schien. Es war, als könnten die Objekte sie mit ihren düsteren Geheimnissen erdrücken.

»Das Hochsicherheitsverlies in Gringotts scheint mir ein geeigneter Ort für diesen Pokal zu sein«, sprach er ernst. »Ich gehe davon aus, Bellatrix«, sie hielt den Atem an, als er ihren Namen aussprach, »dass du ihn mit zusätzlichen Zaubern sichern wirst.«

»Selbstverständlich, Herr, das werde ich natürlich tun.«

Narzissa war der lechzende Ton ihrer Schwester zuwider, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Auch als Voldemort sie fixierte, ruhte ihr Blick beharrlich auf den Gegenständen vor ihr.

»Welches Versteck kannst du mir für das Tagebuch anbieten, Narzissa?«

Sie sah ihn nur kurz an. Die kalten grauen Augen musterten sie berechnend und es war, als konnte er gnadenlos in ihre Seele blicken.

»Die Bibliothek«, antwortete sie schlicht.

Bellatrix zischte wie eine wütende Schlange. Verunsichert warf Narzissa ihr einen kurzen Blick zu.

»Die Malfoy Bibliothek umfasst tausende Bücher. In manchen Regalen stehen sie sogar zweireihig. Wo sonst könnte man ein Buch besser verstecken, als in einer Bibliothek, die nur auserlesenen Personen zugänglich ist?«

Den Dunklen Lord schienen die Worte zu überzeugen. Zumindest zeigte er keinen Widerwillen.

»Dann ist es beschlossen«, sagte er schließlich. »Seid euch der Wichtigkeit dieser Aufgabe bewusst. Niemand darf von der Existenz dieser Gegenstände erfahren und ich erwarte den sofortigen Zugang, wenn ich es verlange.«

»Natürlich Herr«, sagte Bellatrix sogleich.

»Wie Ihr wünscht«, fügte Narzissa hinzu.

Der Dunkle Lord nickte und forderte beide auf, sich der Objekte zu bemächtigen. Ein unheilvolles Kribbeln ging von dem Buch aus, als Narzissa es berührte. Das abgenutzte Leder des Taschenkalenders fühlten sich schwer in ihren Händen an, als würden sie eine Last tragen, die sie kaum bewältigen konnte. Doch es war nicht das Gewicht des Artefakts allein, das sie bedrückte. Da war noch etwas anderes, etwas, das Narzissa nicht benennen konnte.

Sie unterdrückte ein Schaudern und verstaute den alten Taschenkalender eilig in ihrer Handtasche.

Als der Dunkle Lord seine Anweisungen beendete und sie beide entließ, spürte Narzissa eine Erleichterung darüber, dass sie dem Raum entkommen konnte. Doch zugleich wusste sie, dass die Bürde, die sie trug, nicht so leicht abzuschütteln war. Die Verantwortung für die Bewahrung dieses Artefaktes lastete schwer auf ihren Schultern. Wenngleich der Dunkle Lord ihnen verboten hatte, darüber zu sprechen, entschied Narzissa dennoch dieses Geheimnis mit Lucius zu teilen.

Ihr Mann wusste schließlich, wie man mit seltenen und magischen Artefakten umging.

Juni 1980

Die Kerzen im Raum flackerten im sanften Schein, als Narzissa mit müden, aber glückseligen Augen auf das kleine Bündel in ihren Armen blickte. Die Anstrengung der Geburt lag hinter ihr, doch die Erschöpfung wich einem unbeschreiblichen Gefühl der Erfüllung und Liebe.

»Soll ich Ihren Mann hereinbitten, Mrs Malfoy?«, fragte die Hebamme, die geduldig an ihrem Bett gesessen hatte.

Narzissa nickte, wenngleich sie sich müde und ausgelaugt fühlte, konnte sie es nicht erwarten, Lucius' Reaktion zu sehen.

Nur wenig später trat er ein und nahm auf dem Stuhl platz auf dem die Amme wies.

»Wie geht es dir?«, fragte er.

»Gut«, brachte Narzissa nur hervor und lächelte über die erwartungsvolle Ungeduld in seiner Miene.

»Wo ist er?«, fragte er.

Narzissa zog die Decke ein Stück zurück, damit er das Kind, das auf ihrer Brust lag, sehen konnte. Lucius beugte sich vor und betrachtete das kleine Wesen voller Ehrfurcht, nicht fähig etwas zu sagen. Die Hebamme kam heran und half dabei, ihm den Jungen in die Arme zu legen.

Eine ganze Zeit lang sah er nur ungläubig auf das kleine Kind in seinen Armen und dann geschah etwas Wundersames.

Lucius hob den Kopf und lächelte – und dieses Lächeln galt nur ihr.

Tränen der Freude und Dankbarkeit stiegen Narzissa in die Augen, als sie das Lächeln ihres Mannes erwiderte. Es war ein Moment der reinen Glückseligkeit, der die Strapazen der Vergangenheit vergessen ließ und eine Zukunft voller Hoffnung und Liebe verhieß.

»Er ist wunderschön«, flüsterte Lucius schließlich, als er stolz das neugeborene Kind betrachtete, das nun Teil ihrer Familie war.

Narzissa konnte die Dankbarkeit in seinem Blick sehen, das Gefühl von Glück und Erfüllung, das sie beide in jenem Augenblick teilten. Es war, als ob all ihre Sorgen und Ängste in diesem Moment verschwanden und nur noch die unendliche Liebe zu ihrem Kind übrig blieb.

»Wir werden ihn ›Draco‹ nennen«, sagte Lucius irgendwann.

»Ein ausdrucksvoller und kraftvoller Name«, flüsterte Narzissa sanft.

»Ein kraftvoller Name, für einen kraftvollen Erben.«

Narzissa lächelte sanft und spürte, wie sich ihr Herz mit Glück füllte. Draco Malfoy – ihr Sohn, ihr kostbares Geschenk und das Symbol ihrer Liebe und Hoffnung für die Zukunft. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie nichts jemals wieder trennen würde, denn ihre Familie war nun vollkommen.


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