5. Verwirrung
Sam
Apathisch strich ich über Frámils Flanke. Ich spürte das atemberaubende Gefühl seiner rauen und warmen Schuppen genauso wenig, wie das Brennen an meinem Hals. Ich wusste nicht, wie ich hiermit umgehen sollte. Mit meiner Situation. Dieser Welt. Sie war mir so unglaublich fremd. Was da eben passiert war... fast hätte man mich getötet oder zumindest in ein Verlies gesperrt. Es kam mir nicht vor, wie in der Zukunft. Eher wie in der Vergangenheit. Das hier konnte einfach nicht die Zukunft sein! Ich hatte sie mir immer modern und futuristisch vorgestellt und nicht wie im Mittelalter mit lauter seltsamen Wesen.
Ein dezentes Räuspern erklang hinter mir. Ich drehte mich um und sah Irin, die einen Eimer und weißen Stoff in ihren zierlichen Händen hielt. Ich hatte garnicht mitbekommen, dass sie weggegangen war.
Sie hockte sich hinter mich und erzählte mir, dass sie die Wunde säubern wollte, damit sie sich nicht entzündete.
Bereitwillig nahm ich die Prozedur hin und spürte, wie sie mit einem kalten, nassen Lappen das angetrocknete Blut beiseite wischte. Sie war ganz vorsichtig und ich bewunderte sie für diese Sanftheit. Sie machte das hier sicher nicht zum ersten Mal.
Als Irin damit fertig war, wickelte sie noch etwas von dem Stoff um meinen Hals. Er lag locker auf meiner Haut und würde mich sicher nicht stören.
Ihre Finger lagen immer noch auf meinen Schultern, obwohl sie schon länger aufgehört hatte, an mir herumzudoktern. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf, um in ihr schönes Gesicht sehen zu können. Sie war mir so nah.
Ich konnte ihren Geruch wahrnehmen, der mich an den Wald erinnerte. Ihre genauso grünen und strahlenden Augen. Ihre blasse Haut. Ihr leicht kantiges Gesicht. Ihre schmalen, rosaroten Lippen, die mich wie magisch anzogen. Unwillkürlich fiel mein Blick darauf und blieb hängen. Selbst, wenn ich gewollt hätte, hätte ich meinen Blick nicht davon lösen können. Von ihr.
Wir kamen uns immer näher. Ihr schienen fast dieselben Gedanken durch den Kopf zu wandern, wie mir.
Nur noch ein winziges Stück, dann würde ich ihre Lippen auf meinen fühlen. Ich spürte schon ihren schnellen Atem, der sich mit meinem vermischte.
Und dann verlor ich das Gleichgewicht. Ich fiel aus meiner sitzenden Position einfach nach hinten und zog Irin mit mir. Meine Landung wurde durch das Stroh zwar gefedert, aber die Halme stachen mir trotzdem durch mein Shirt unangenehm in den Rücken. Irin hatte sich vor einer Landung auf meiner Brust bewahrt, indem sie sich, links und rechts von mir, mit ihren Armen abstützte.
Durch ihre fehlende Nähe kam ich langsam wieder zu Verstand. Nicht mehr lange und ich hätte für nichts mehr garantieren können.
Als sie sich aufrappelte, ließ ich meine angestaute Luft entweichen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich den Atem angehalten hatte.
Schwerfällig und weit weniger elegant als Irin, rappelte ich mich ebenfalls auf. Ich sah zu Frámil. Mit unschuldigem Blick saß er da. Ich wusste genau, dass er der Übeltäter war, der mich mein Gleichgewicht hatte verlieren lassen. Ob er das mit Absicht getan hatte? Ich wusste nicht, ob ich wütend oder dankbar dafür sein sollte.
Schließlich sagte Irin zu mir: "Komm, ich zeige dir dein Zimmer."
Deutlich sah ich ihr dieselbe Verwirrung an, die sich auch in meinem Gesicht spiegeln musste. Dazu war in der unangenehmen Stille, die förmlich eine unüberwindbare Mauer zwischen uns bildete, eindeutige Verlegenheit zu spüren.
Es war fast so, als wären wir wieder ganz am Anfang. Zwei Fremde. Es war auch vorher so gewesen, hatte sich aber dennoch ganz anders angefühlt.
Still trottete ich also Irin hinterher und wagte es nicht, die Mauer allein mit Worten zum Einsturz zu bringen. Worte schienen in diesem Moment so unpassend, obwohl sie das einzig Richtige gewesen wären.
Wir taten beide so, als wäre nichts gewesen.
Irin führte mich wieder an den Nidhorrs vorbei, aus dem Stall nach draußen und zu einem weiteren Gebäude. Dort folgte ich ihr einige weniger prunkvoll verzierte Korridore entlang, die von Säulen gestützt wurden, bis sie vor einer von vielen rustikalen Holztüren stehen blieb.
Mit den knappen Worten: "Dein Zimmer.", öffnete sie diese Tür und bedeutete mir, hineinzugehen. Ein kleines, hohes Fenster ließ gerade mal genug Licht hindurch, dass ich alles erkennen konnte. Ein hölzernes Bett, daneben ein Nachtschränkchen, ein klobiger Ofen, ein Tisch mit zwei Stühlen und einige Kerzen, die hier und dort verteilt waren. Mehr nicht. Das Zimmer war klein und die Wände aus Backstein.
Staub tanzte in den wenigen Sonnenstrahlen, die auf den staubigen Boden aus Holzbrettern fielen.
Mit der Ansage, dass jemand mich bei Sonnenuntergang zum Abendessen der Angestellten führen würde, war Irin verschwunden. Ob sie ebenfalls bei diesem Abendessen war? Aber nein, dann würde sie mich ja selbst abholen können. Bestimmt wurde das Essen der Königsfamilie getrennt von dem der Angestellten gehalten. Und ich war es nicht wert, bei ihnen sein zu dürfen, sondern wurde wie einer dieser Angestellten behandelt.
Schnaubend ließ ich mich auf das Bett fallen, welches bedrohlich zu quietschen und knarzen begann. Meine Füße ragten über den Rand hinaus. Verdammte Winzlinge!
Ich wollte nach Hause. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte Sarah zurück.
Mir war bewusst, dass ich nicht alles bekommen konnte, was ich wollte, aber einen Versuch war es immer wert. Ich wollte nicht hier sein. Das würde mir fürs Erste schon reichen.
Ich verschränkte die Arme hinter meinem Kopf und begann, die Staubkörnchen, die munter vor meiner Nase umherschwebten, zu zählen. Logischerweise vergeblich.
Ich versuchte, zu schätzen, wie viele es waren, aber diese Schätzung würde mir wohl nie jemand als richtig oder falsch deklarieren können.
Ein leises Klopfen weckte mich. Im Zimmer war es jetzt fast stockdunkel. Müde und mit verstrubbelten Haaren schlenderte ich zur Tür, um sie zu öffnen. Ein Mädchen von vielleicht 16 Jahren blickte mir schüchtern entgegen. Kein Wunder, sie war auch mindestens drei Köpfe kleiner als ich. Viel kleiner als Irin.
Ich versuchte, nicht allzu unfreundlich dreinzublicken, um sie nicht noch mehr zu verängstigen und wartete auf eine Erklärung, was sie von mir wollte.
Sie schlug die Augen nieder, bevor sie zögerlich und leise sprach: "Ich wurde von Prinzessin Irin beauftragt, Euch zum Abendessen zu geleiten."
Ah ja, ich erinnerte mich.
Ohne ein weiteres Wort ging das Mädchen mit schnellen Schritten den Korridor entlang. Ich schloss die Tür hinter mir und versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Ein Glück war es hier noch nicht so dunkel wie in dem Zimmer, denn die rötliche Abendsonne schien zwischen den hohen Säulen hindurch.
Schließlich wurde das Mädchen langsamer und ich konnte unzählige laute Stimmen hören. Sie schienen alle aus einem Raum zu kommen, der hinter zwei großen Flügeltüren aus Holz mit Metallscharnieren liegen musste.
Die Türen waren geöffnet und ich sah viele Alben, die an großen Holztischen auf Bänken saßen. Es wurde gelacht und sich lautstark unterhalten. Einige Frauen eilten umher und verteilten Suppenschüsseln an den Tischen.
Ich betrat zögerlich den Raum und blickte zweifelnd dem Mädchen hinterher, das zielstrebig auf einen Tisch mit weiteren Jugendlichen zulief.
Als ich den Raum betrat, fingen die Alben, die mich gesehen hatten, an, zu tuscheln.
Manche Blicke waren misstrauisch und voller Verachtung, andere lediglich interessiert und neugierig.
Ich fühlte mich zunehmend unwohl. Ein Junge, der ungefähr mein Alter haben musste, erkannte offenbar meine Miesere und winkte mich mit einem aufmunternden Lächeln zu sich. Bereitwillig nahm ich das Angebot an und ging zu dem Tisch, an dem auch das Mädchen saß, was mich hergebracht hatte.
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