3. Die Alben

Sam

Nach einer erneuten Nacht auf dem Waldboden hatte mein Frühstück aus ein paar Beeren und ein bisschen Trockenfleisch von Irin bestanden. Nicht sehr lecker.
Ich hatte beschlossen, dem Drachen, Frámil, ein bisschen mehr Vertrauen zu schenken, da er mich über Nacht nicht gefressen hatte.
Es war mir schwer gefallen einzuschlafen, da immer noch ein wenig Misstrauen und Angst in meinen Knochen gesteckt hatten, auch wenn ich wusste, dass Irin und der Drache - oder Nidhorr, wie Irin ihn nannte - mir schon lange etwas hätten antun können, wenn sie es denn gewollt hätten. Eigentlich war das Tier schon ziemlich cool.
Alter, das war immerhin ein Drache! Mit Flügeln, blau schimmernden Schuppen, spitzen und langen Zähnen und allem drumherum! Und ich war sogar auf ihm geflogen! Wie geil war das denn bitte?!
Ich fand Drachen schon immer faszinierend. Ob Frámil Feuer speien konnte? Genau das fragte ich Irin. "Ja, kann er.", erwiderte sie. "Und wie alt ist er?", fragte ich daraufhin neugierig. Immerhin war mir bekannt, dass Drachen Jahrhunderte alt werden sollten. Ob das auch auf ihn zutraf? "Er ist 18 Winter alt.", meinte Irin daraufhin. "So alt wie ich."
"Und wie alt wird er?"
"Die meisten Nidhorrs werden um die 100 Winter. Aber wenn sie sich gebunden haben, werden sie nur so alt, wie ihr Seelenpartner."
"Was bedeutet das? Seelenpartner?"
"Naja...", meinte sie daraufhin stockend. "Jeder Alb bekommt bei seiner Geburt ein Tier zugewiesen. Egal, welches. Es kann ein Vogel, ein Fisch oder ein Hund sein. Oder eben ein Nidhorr, wie bei mir. Die Seelenpartner werden am selben Tag geboren und leben gleich lang. Für manche Tiere wird damit ihre Lebensspanne erheblich verlängert. Jedoch, wenn ein Partner stirbt, stirbt auch der andere. Ich habe Glück, dass ich Frámil habe. Durch ihn habe ich einige Freiheiten und darf auch allein in unserem Reich weilen. Wenigstens für ein paar Tage. Er passt dann immer auf mich auf." Besonders glücklich wirkte sie aber nicht.
"Warum bist du überhaupt allein hier?"
Sie zögerte merklich.
"Ich habe mich mit meinen Eltern gestritten und brauchte etwas Abstand. Das passiert in letzter Zeit leider öfter.", flüsterte sie den Schluss betrübt.
Ich wollte nicht nachfragen, da ich wusste, ich würde eine Grenze übertreten.
"Komm, wir müssen weiter. Es liegt noch ein langer Flug vor uns.", sagte sie dann energischer, als wollte sie das Gespräch abschütteln.
Stirnrunzelnd stieg ich hinter ihr auf den Rücken von Frámil.

Irin

Nach einer weiteren Nacht und einem weiteren Tag der Reise kamen Sam, Frámil und sie schließlich bei dem Volk der Alben an.
Es war wie immer schön und schrecklich zugleich, nach Hause zu kommen.
Der königliche Palast lag mitten an einem See, von dem ein Fluss abzweigte, der einige hundert Meter weiter über die Klippen von Donnhil stürzte. Viele Sekunden später schlugen die Wassermassen dann unten am Fuße der Klippen auf, wo sie sich in einer enormen, in Regenbögen schillernden Gischt brachen. Dort unten führte dann der Fluss Eonim das Wasser unendliche Kilometer weiter und durch viele andere Lande bis zum westlichen Meer.
Das besondere am Moïa-See war, dass unter dem Wasser helles Gestein war, sodass man in den Untiefen bis auf den Grund sehen konnte. Der See war von einem wunderschönen und einzigartigen Türkisblau.
Die Ufer des Moïa hatte Irin in ihrer Kindheit immer am meisten geliebt. Sie hatte zusammen mit Arya die Fische dort gezählt, die man so gut sah und stundenlang mit Frámil herumgetollt unter den Weiden.
Jedoch wurde das Gebiet, in dem sie sich aufhalten durften, immer bewacht und Irin hatte nie Kontakt zu anderen Albenkindern. Sie hatte nie Freundschaften schließen können und konnte immer nur mit Frámil und Arya spielen. Frámil hatte sie als ihr Seelenpartner immer am besten verstanden.
Als sie dann endlich alt genug war, die Gebiete des Palastes zu verlassen und in die so belebte Stadt zu gehen, waren immer Wachen in der Nähe und ihr Nidhorr und sie hatten sich einen Spaß daraus gemacht, die Leibgarde auszutricksen und ihnen zu entwischen.
Es war ein eher trauriger Spaß.
Im Hier und Jetzt war sie gerade mit Frámil im Landeanflug auf den Hof des Palastes. Es würde bestimmt kein allzu schönes Wiedersehen mit ihrer Familie geben.

Sam

Ich kam aus dem Staunen garnicht mehr raus.
Dieser See, der eine Farbe hatte, wie ich sie noch nie bei einem Gewässer gesehen hatte und dann erst dieser Wasserfall und die Schlucht! Hinzu kam noch diese gigantische Stadt mit diesem riesigen Schloss, das sich mit dem Rücken an einen Hang schmiegte. Etwas Vergleichbares hatte ich echt noch nie gesehen... Hier lebten die Alben? Wow. Der Drache landete schließlich mitten im Hof des Schlosses, direkt vor einem eindrucksvoll verzierten Tor. Es war aus Holz und so geschnitzt, dass es aussah, als wären an den Rändern Bäume und Blätter mit kleinen, kunstvollen Blüten.
Mann, wer auch immer das gemacht hatte, verstand etwas von seinem Handwerk.
Als ich mich umblickte, sah ich, dass rund um den Hof ein mit Säulen gestützter und nicht weniger glamouröser Steingang führte.
Er sah antik aus aber... irgendwie auch nicht.
Irin hatte mir unterwegs erzählt, dass es einst einen großen Krieg der Menschen gab und fast alles vernichtet wurde. Das war vor fast drei Äonen, meinte sie.
Entweder ich war in der Zukunft oder einer Parallelwelt, denn den Mond kannte ich noch, als er ganz war.
Irin sagte mir, ich wäre in der Zukunft meiner Welt. Das 'Alte Volk', wie sie auch mich nannte, gebe es noch aber es sei bei weitem nicht mehr so zahlreich.
So verrückt sich das am Anfang auch anhörte, mittlerweile glaubte ich ihr. Denn dass es ein Traum war, erschien mir mittlerweile eher unwahrscheinlich.
Dafür fühlte sich hier alles zu real an.

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