Wenn Baumhäuser lieben II - Der erste Tag
Zwei Tage nach Neujahr, das Feuerwerk in der Nacht des Jahreswechsels war wunderschön gewesen und hatte die Buche und das Baumhaus immer wieder in rotes oder grünes Licht getaucht, ereignete sich etwas bei den Nachbarn. Das waren alte Leute, die nur noch selten in den Garten kamen. Sie waren auch zu Silvester nicht aufgestanden, während der Rauch durch die Straßen zog und alle Menschen glänzende Augen hatten, entweder vom Alkohol, oder aus Freude über das Feuerwerk und die Knallfrösche.
Nur ein- oder zweimal hatte das Haus die Frau und den Mann überhaupt gesehen, seit es seinen Platz in der Umarmung der Buche gefunden hatte.
Diesmal leuchtete das Baumhaus blau auf, in vollkommen regelmäßigen Abständen.
Weder die alte Frau, noch der alte Mann kamen jemals wieder in den Garten.
Als die ersten Krokusse ihre Spitzen durch den kahlen Boden streckten, erschienen neue Besucher auf dem Nachbargrundstück.
Ein Mann kam regelmäßig vorbei und führte immer andere Menschen herum. Sie blieben einen Moment stehen, gingen hier hin und dort hin - manchmal waren auch Kinder dabei, die jauchzend auf das Baumhaus zeigten und ein Gleiches von Ihren Eltern einforderten, sollten sie das Grundstück kaufen.
An einem besonders heißen Tag, an dem die Buche bereits ihre Blätter hängen ließ und das Gras ganz gelb geworden war, weil die Sonne seit Wochen unerbittlich auf alles einhämmerte, was sich nicht an einen geschützten Platz zurückziehen konnte, während der Regen ausblieb, als wäre er in den Urlaub gefahren, betrat der Mann zusammen mit einem weiteren Mann, den das Baumhaus noch nie gesehen hatte, den Garten.
Beide schwitzten und blieben nur kurz.
Der Besucher hatte schon ein paar graue Strähnen in seinem kurz geschnittenen Haar und auf der höchsten Stelle seines Kopfes gab es gar keine Haare mehr, die noch eine Farbe hätten haben können. Er trug ein braunes T-Shirt und kurze Hosen mit vielen Taschen, dazu braune Schuhe, die er hinten herunter getreten hatte. So schien er sie immer zu tragen, denn das Leder war an dieser Stelle abgenutzt und scheinbar gewohnheitsmäßig geknickt.
Den Mann sah das Baumhaus einige Wochen später wieder. Offenbar war er der neue Eigentümer und zog gerade ein.
Als die Tage wieder kürzer wurden, der Regen auch gelegentlich wieder vorbeischaute, der Herbst aber noch nur ein vager Geruch war, kam der Mann in den Garten und besah sich die groß gewachsene Linde, die gar nicht weit von der Buche des Baumhauses entfernt wuchs.
Er maß sie von allen Seiten mit seinen Blicken und kam schließlich an den Zaun, zur Buche und ihrem Gefährten, der nur wenig von der Leuchtkraft seiner hellgrünen Farbe in seinem ersten Jahr verloren hatte.
Kurz darauf stapelten sich Bretter am Fuße der Linde und das Baumhaus konnte sein Glück kaum fassen.
Es hatte nicht damit gerechnet, in seinem Leben noch einem weiteren seiner Art zu begegnen, waren Baumhäuser doch eher unbeweglich und sehr mit ihrem Standort verbunden.
Aber es geschah.
Das Haus schmiegte seine Plattform ein wenig enger an den Stamm und knarrte leise vor Wonne, als der Bau auf dem Nachbargrundstück begann.
Während es zusah, erinnerten sich seine Bretter und Nägel an seinen eigenen Bau und es verspürte ein heftiger werdendes Ziehen in seinen Winkeln, als drüben die ersten Robinienbretter hart aneinander genagelt wurden.
Dieses Ziehen steigerte sich auf's Angenehmste, bis das Baumhaus kaum noch etwas anderes wahrnehmen konnte und sich nur noch wünschte, der Hammer möge seine Nägel treffen und der Bohrer Löcher für seine Schrauben drillen.
Als schließlich die hölzerne Treppe, die nun den Stamm der Linde umfasste, ihren Höhepunkt erreichte und in einem kleinen Balkon gipfelte, über den das letzte Licht des Tages in das Innere des neuen Baumhauses floß, ächzte der hellgrüne Beobachter so laut, daß er die Aufmerksamkeit der Vögel ringsum erregte.
Die Spannung seines Holzes entlud sich und selbst seine Dachpappe löste sich an einer Stelle ein klein wenig ab.
Dieser Vorgang war auch von dem neuen Haus, das noch ganz mit sich und seinem Baum beschäftigt gewesen war, nicht unbemerkt geblieben.
Es blinzelte aus seinen rundlichen und schiefen Fenstern herüber und zwei kleine Erker schienen rot in der Abendsonne.
Scheinbar war es der natürliche Typ, ohne aufdringlichen Anstrich und duftete angenehm nach Bienenwachs, mit dem man sein Inneres lasiert hatte.
Dann klappte es leise mit seiner Tür und ließ noch einmal kurz und lockend die Köpfe einiger Edelstahlnägel aufblinken, bevor die Sonne sich endgültig in ihr Nachtlager zurückzog und beide Baumhäuser ihre erste gemeinsame Nacht verschliefen.
Sie fühlten sich vom ersten Moment an nahe, und die Erlebnisse des Tages betäubten noch das Verlangen nach Berührung.
Ein ganzes Baumhausleben lag vor ihnen.
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