23. Standing Still (Dagi's Version)
Durchgefroren und zitternd kam ich zu Hause an. Ich zog meine Schuhe aus und flitzte schnell nach oben in mein Zimmer, dort, wo es warm war. Oben angekommen ließ ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen und machte nichts. Es war Leere da, die den Raum ausfüllte. Mit einem Mal drehte sich alles in mir und ich glitt zu Boden; jedoch angelehnt an meine Tür, damit ich nicht wirklich umkippte. Mein Herz hämmerte schnell gegen meine Brust und ich versuchte, einen Fixpunkt zu finden, auf den ich mich fixieren konnte. Die letzten zwei Stunden waberten durch meinen Kopf, Worte hallten durch meinen Kopf. Die Vorwürfe, der Streit, die Enttäuschung drückten auf meinen Kopf und machten mich verrückt. Zögerlich erhob ich mich aus der Hocke und legte mich auf mein Bett, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich starrte an die Decke, um auf andere Gedanken zu kommen, um mich abzulenken. Doch die Stille und das Licht an der Decke erdrückten mich weiterhin und warfen mich immer wieder zurück in unseren Streit. Vor meinem inneren Auge sah ich Max, immer wieder Max, einerseits sah ich, wie verletzt er war, andererseits hallte die Härte seiner Stimme durch mein Ohren wie ein Warnsignal. ‚Dann mache ich ein Mal den Schritt nach vorne und das war auch wieder falsch! Und jetzt kommst du und machst mir Vorwürfe, Dagi. Obwohl du genauso wenig gemacht hast wie ich!', schnarrte Max' Stimme durch meine Gedanken. Ich musste schlucken. Hatte er Recht? War ich wirklich so naiv und habe nicht wirklich etwas unternommen, um zu offenbaren, wie ich mich fühle? Ich schüttelte den Kopf. Fragen über Fragen. Ich griff mein Handy und ließ etwas Musik laufen, um mich zu beruhigen. Doch es brachte mich nicht weiter, denn ich hörte die Melodie eines Liedes, welches zur jetzigen Situation sehr gut passt, doch auch mindestens genau so sehr weh tut:
But I'm standing still, I'm standing still as you leave me now
Die Worte passten perfekt zu der Situation. Wir haben unsere Freundschaft auf Eis gelegt, ob es je etwas wieder zwischen uns wird, steht auch in den Sternen. Und dagegen konnte ich nichts machen. Ich bleibe stehen, während er geht. In die Stille hinein klopfte es an der Tür. „Dagi? Essen ist fertig!", verkündete Stephan. Immerhin ein wenig Ablenkung, dachte ich mir, als ich mich vom Bett erhob und ins Esszimmer ging.
Doch weder der Abend noch der nächste Tag brachten die versprochene Ablenkung. Am letzten Abend, bevor das neue Halbjahr anfing, konnte ich nicht schlafen. Ich wälzte mich hin und her, doch konnte keine Ruhe finden. Selbst die zugezogenen Vorhänge boten keine Geborgenheit. Entnervt stand ich auf und machte das Licht an meinem Schreibtisch an. Vielleicht half Ablenkung dabei, dass ich müder wurde und endlich schlafen konnte. Das warme Leuchten tauchte den Raum in ein sanftes Ambiente, während mein Blick auf das schwarze Büchlein fiel, welches unter meinem Bett hervorlugte. Das Fotoalbum, welches ich zu Weihnachten von meinen Freunden geschenkt bekommen habe. Ich blätterte durch die Fotos durch, Bilder aus den letzten Jahren. Irgendwo mittendrin fiel mir ein Bild besonders auf. Es war von meinem Geburtstag. Bianca und Julian saßen auf den Seiten des Sofas, in der Mitte saßen Max und ich, lachend, als wäre alles perfekt. Als gäbe es die Pause der Freundschaft nicht. Meine Brust begann zu drücken und zu pochen. „Warum musste es so kompliziert werden?", murmelte ich mir selbst zu. Ja, warum? Ich rekapitulierte zum gefühlt tausendsten Mal das gestrige Gespräch. Hatte Max doch recht gehabt? Es ging wieder von vorne los, als ich alles wiederholte, was in der Vergangenheit passiert war. Angefangen damit, dass ich von ihm geträumt habe, ihn gefragt habe und es immer wieder aufschob, noch mal zu fragen. Ich habe gehofft, dass er meine Veränderungen verstehen würde, durch die Art und Weise, wie ich ihn umarmt habe, wie wir lange Unterhaltungen geführt hatten, uns gegenseitig in den Wahnsinn trieben und neckten, als wären wir ein altes Ehepaar. Aber diese Aktionen lösten nicht das aus, was ich damit abzielen wollte. In meinem Kopf schossen wieder die Zeilen dieses Liedes, welches mich bereits gestern so verfolgt hat, durch den Kopf:
When winter's come along and summer's dead and gone
Is there anything left here to say?
I can put my arms around the emptiness I found
Find a way to make you stay
Es gibt nichts mehr zu sagen. Fürs erste, vielleicht auch für immer. Egal, wie ich es drehe und wende, ich zahle den Preis dafür. Vielleicht wäre er geblieben, wenn ich was unternommen hätte, doch er ist jetzt weg.
Irgendwann muss ich doch wohl eingeschlafen sein. Mein Wecker klingelte, als ich mich vom Boden aufsammelte. Kein Wunder, dass die Nacht keine Ruhe gebracht hat, wenn ich schon auf dem harten Boden schlafe. Trottend schleppte ich mich zum Frühstück ins Esszimmer und würgte mein Essen mit Mühe runter. Mit noch weniger Motivation schlurfte ich wieder nach oben ins Bad, um mich frisch zu machen. Ich schaute in den Spiegel und beäugte mein Spiegelbild. Die Müdigkeit stand mir ins Gesicht geschrieben, gepaart mit matten Augen, die nicht nur Schlafmangel, sondern auch Trauer widerspiegeln. Ich rang mich zu einem Lächeln durch, doch das machte es nicht besser. Missmutig packte ich meine Tasche und fuhr zur Schule. Dort angekommen stand mein Plan, dass ich mich auf andere Dinge konzentriere. Mehr Lernen, mehr mit den anderen machen, Max vermeiden. Dieser Plan lief auch gut bis zur ersten Pause. Ich kam aus dem Ethik-Unterricht und machte mich auf dem Weg zu den anderen im Aufenthaltsraum. Der Platz neben Melina frei, also machte es mir dort bequem. Ich versuchte, mich ins Gespräch einzubringen, doch meine Konzentration machte mir immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Mein Blick ging immer wieder durch den Raum, so als ob ich nach jemandem Ausschau halten würde. Obwohl ich nicht wollte, suchte ich unweigerlich nach ihm, nach Max. Ich fand ihn relativ schnell, er saß in der Ecke mit Sterzik und Paul. Angeregt tauschten sie sich zu dritt über ein Thema aus, was ihnen wohl Spaß machte, den Gesten nach zu urteilen. Ich blickte schnell zur Seite, da die Enge in meiner Brust wieder stärker wurde. Es ging ihm wohl schnell wieder so wie vorher – nur ohne mich. „Alles okay bei dir, Dagi?", fragte Melina. Ich zuckte zusammen. Meine Gedanken hatten wieder Überhand genommen. „Ja ja, klar. Ich bin nur müde.", nickte ich schnell und beschwichtigte sie. Ju, der mir gegenüber saß, musterte mich und zog eine Augenbraue hoch, doch er bohrte nicht weiter nach. Schlagartig fiel mir ein, dass die beiden noch nicht wussten, was genau beim Treffen rauskam. Aber so viel Lust, davon zu reden, hatte ich auch nicht, also beließen wir es dabei.
Nach der Schule passten mich Melina und Ju ab. „Lust, dich mal so richtig auszupowern?", fragte er. Ich sah ihn fragend an. „Komm, einfach laufen, alles rauslassen, rausschreien. Einfach machen.", forderte mich Melina auf. Ich nickte. Wir verabredeten uns dafür, am Nachmittag bei mir in der Nähe laufen zu gehen. Es war kalt und die Luft schnitt brennend durch Mark und Bein, doch es war gut, einfach zu laufen und alles rauszulassen. Nach einer Weile hielten wir ein und machten Pause. Wir lächelten uns an, als wir auf einer Bank Platz nahmen und entspannten. „Danke, Leute.", stieß ich außer Atem vor. Beide nickten und legten zeitgleich einen Arm um mich. „Es ist so schön, einfach mal alles rauszulassen. Gerade, weil es die letzten Tage nicht so lief, wie ich es mir erhofft hatte...", begann ich zu erzählen. Ich erzählte von unserem Treffen im Café und unseren Geständnissen, unserem Streit und dass wir jetzt eine Freundschaftspause haben. Beide nickten verständnisvoll. „Gut, ihr beide hättet einfach mal den Mund aufmachen müssen, aber das Kapitel ist ja fürs Erste erst mal erzählt. Du solltest nach vorne schauen und deinen Weg gehen.", resümierte Ju. „Mach Sachen, auf die du Bock hast. Ein Schritt vor dem anderen, um deinen Weg zu gehen. Finde dich selbst, und die Zeit wird zeigen, was noch kommt.", philosophierte Melina. Auch wenn sie Recht hatte, war die Art und Weise, wie sie es sagte, sehr lustig, weswegen wir alle lachen mussten. „Oh Mann, das klingt so, als würden wir in einer Midlife-Crisis sein.", kicherte ich. Die beiden lachten weiter. „Es wird alles wieder, Dagi. Du hast uns, du kannst auf uns zählen.", sagte Melina und zog mich in eine Umarmung. Auch Ju drückte mich fest an sich. Es fühlte sich gut an und sie hatten Recht. Es war jetzt Zeit, dass ich mich auf mich konzentriere und verarbeite, was passiert ist. Vielleicht reden wir eines Tages wieder wie normale Menschen miteinander, ohne dass wir Groll untereinander hegen.
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Frohes neues Jahr euch allen! Ein neues Kapitel kommt hier für euch, hoffe es gefällt euch! Fühlt euch gedrückt und bis zum nächsten Kapitel!
Eure Julia Melania
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