22. Zerrissen

POV Max

Seit unserem großen Streit sind zweieinhalb Wochen vergangen. Zweieinhalb ewige Wochen, die mir sehr zäh und einschneidend vorkamen. Wie soll man auch Abstand gewinnen, wenn die Person, zu der man Abstand braucht, jeden Tag da ist und man sich immer sieht? Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke in der Schule trafen, war die Spannung zwischen uns sehr spürbar, doch wir schafften es jedes Mal, uns zusammenzureißen. Wir schafften es sogar, kein Wort miteinander zu sprechen oder eine Nachricht zu schreiben. Die gesamte Kommunikation verlief über Ju und Melina, die aber auch nur arrangiert hatten, dass wir uns hier und heute trafen. Es war ein kalter Nachmittag und der Winter legte sich nochmal kräftig ins Zeug, denn es schneite schon den ganzen Tag über. Doch für das Wetter hatte ich nicht wirklich viel übrig: Ich hatte zwei Tage zeugnisfrei und verbrachte den Tag heute damit, die Situation mit Dagi zu klären. So saß ich hier in einem Café, welches unsere Mediatoren ausgesucht hatten, und wartete auf sie. Sie, das Mädchen, welches mir vor paar Wochen noch den Kopf verdreht hatte. Die Person, die mir genau jetzt Schmerzen und Kummer gibt. Flau richtete sich mein Blick zur Tür, um Ausschau nach ihr zu halten. Die Atmosphäre dieses kleinen Cafés mit den warmen Lichtern und dem Geruch von frisch gebackenen Kuchen waren genau das Gegenteil von dem, was ich fühlte. Wenn ich ehrlich bin, bin ich seit Tagen nur mit dem Gespräch beschäftigt und gerade verdammt nervös. In meinem Kopf habe ich mir bereits eine Million Mal vorgestellt, wie das Gespräch ablaufen würde, aber es würde nichts, aber auch rein gar nichts, so sein, wie ich es mir vorgestellt habe. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Klingeln und ich sah, wie Dagi eintrat. Ihr dunkelblauer Wintermantel war mit ein paar Schneeflocken dekoriert, welche sie mit einer Handbewegung von der Schulter schüttelte. Suchend sah sie sich um, ehe sich unsere Blicke trafen. An ihrem Blick konnte ich zwar nichts erkennen, aber mein Herz fing an, schneller zu pochen. Während sie immer näher kam, rief ich mir die Worte von Ju wie ein Mantra in den Kopf. ‚Sprecht euch aus und seid ehrlich. Egal, wie sehr es weh tun wird, ihr müsst da beide durch, um zu sehen, was bleibt. Und wie auch immer es ausgeht, denk dran: Ihr habt wenigstens gesprochen und das zählt.' Schlussendlich war sie da. Es konnte losgehen.

POV Dagi

Durch den Schneesturm war es ein Kampf, hierher zu kommen, aber es war wichtig, dass wir uns trafen. Wir schieben den Streit schon viel zu lange vor uns her und heute war der Tag, an dem wir alles sagen werden, was uns bedrückt. Kaum war ich durch die Tür ins Café getreten, sah ich ihn schon aus der Ferne an einem Tisch sitzen. Unsere Blicke trafen sich einen kleinen Moment, doch wir beide sahen schnell wieder weg. Ich schritt im Eiltempo zum Tisch. Die Nervosität, die ich verspürte, setzte sich langsam wieder. Ich atmete kurz ein und aus, ehe ich den Stuhl, der ihm gegenüber stand, zurückzog. „Hey", sagte ich möglichst ruhig, während ich meinen Mantel aufknöpfte und über die Rückenlehne hängte. „Hey", erwiderte Max fast schüchtern, während ich mich hinsetzte. Ein Moment des Schweigens entstand, als wir beide uns ansahen, wartend, dass der andere etwas sagt. Unser Schweigen wurde nur vom Kellner unterbrochen, der unsere Bestellung aufnahm. Ich bestellte mir einen Chai Latte, Max einen Kakao. Die Mauer des Schweigens zog sich weiter hoch, ehe Max das Schweigen brach. „Danke, dass du gekommen bist.", sagte er mehr zu sich selbst als zu mir. Ich wog den Kopf leicht zur Seite und zuckte mit den Schultern. „Wir müssen reden. Es bringt nichts, es noch weiter vor sich herzuschieben.", antwortete ich lapidar. Er nickte. Wir schwiegen weiter, während wir auf unsere Getränke warteten. Als die dampfenden Tassen da war, nahmen wir beide jeweils einen großen Schluck von unseren Getränken. Max umklammerte die Tasse, als wäre sie ein wertvoller Goldschatz und tippelte dabei nervös mit den Füßen. „Wie geht es dir?", fragte er zögerlich, was ich nur mit einem lauten Atmen quittierte. Auf Smalltalk hatte ich keine Lust und je eher wir anfangen würden zu sprechen, desto besser wäre es für uns. „Verstehe.", murmelte er leise und stocherte mit dem Löffel in seiner Tasse. „Ich weiß, dass wir reden müssen und das Gespräch längst überfällig ist.", fing er an. „Und ich weiß auch, dass ich auf der Weihnachtsfeier Mist gebaut habe, was mir auch sehr leid tut." Mein Blick verhärtete sich. Ist das sein Ernst?, dachte ich mir. „Mist gebaut?", fragte ich ungläubig. „Das ist mehr als nur Mist bauen. Du bist nach unserem Tanz einfach abgehauen, Max. Weißt du, wie ich mich gefühlt habe? Als ob ich abstoßend und dir komplett egal bin.", reagierte ich erzürnt und sah ihn dabei an. Unsere Blicke trafen sich und er realisierte, was los war. Langsam schüttelte er den Kopf. „Nein, Dagi. Das stimmt nicht. Du bist mir nicht egal. Ich...", er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, „ich wusste einfach nicht, was ich sagen soll. Mir ist die Situation über den Kopf gewachsen und ich konnte nicht damit umgehen." Ich stützte meinen Kopf in meiner Hand, mein Blick wanderte nach unten. „Und genau DAS ist das Problem!", entgegnete ich erregt und drehte mich leicht zu ihm. „Ich raffe es nicht, du bist sonst nie um einen guten Spruch verlegen. Aber sobald es ernst wird, weißt du nie, was du sagen sollst. Anstatt zu reden, schweigst du alles tot, so als ob alles von allein verschwinden würde, wenn du nichts tust und abwartest." Max schluckte kurz, man merkte, dass er nach Worten rang. „Ich bin da einfach unsicher. Verdammt, ich wollte doch nur nichts kaputt machen...", stammelte er. „Nichts kaputt machen? Ernsthaft, Max?", unterbrach ich ihn scharf. „Du hast genau das Gegenteil damit erreicht. Weißt du auch, warum? Weil ich dich mag, Max. Mehr als das. Ich hatte Gefühle für dich, und ich dachte ernsthaft, dass da was zwischen uns sein könnte. Aber du – du hast nie etwas getan. Nie! Du hast mich immer wie eine Freundin behandelt, aber ich hatte trotzdem immer die Hoffnung, dass es einfach deine Art der Annäherung ist. Und dann kam die Weihnachtsfeier, ein Abend, wo ich mir echt geglaubt habe, dass etwas gehen könnte, die realistischste Chance bis dahin. Und nach dem Abend war klar, dass du mich einfach nicht so siehst!" Mit jedem Wort wurde ich wütender und ich merkte, wie sich meine Augen mit Wasser füllten. Ich war erleichtert und enttäuscht zugleich, einerseits war alles von meiner Brust, andererseits war ich so enttäuscht von ihm und die Tatsache, dass er mir gleich mein Herz brechen würde, machte es nicht viel besser.

POV Max

‚Ich hatte Gefühle dich.' Das ist das, was sie gerade sagte. Die Worte hingen in der Luft und waren nicht so leicht zu vertreiben. Ich schaute sie an, wollte etwas sagen, doch meine Kehle war wie zugeschnürt. Sie wich meinem Blick aus, es schien als würde sie um Fassung ringen. Mein Herz schlug immer schnell, mir war heiß und kalt zugleich. Mein Mund fühlte sich staubig und sandig an, als würde mein Körper verhindern wollen, eine Reaktion zu zeigen. Ich nippte leicht am Kakao, der inzwischen abgekühlt war. Die Flüssigkeit lockerte meine Zunge etwas, doch mehr als ein verletztes Flüstern brachte ich nicht zustande: „Du... du hattest Gefühle für mich? Echte Gefühle?", fragte ich sie heiser und mit Ungläubigkeit in der Stimme. Sie sah kurz auf, ihre blauen Augen waren leicht verschwommen. Ihre Arme lagen verschränkt auf ihrer Brust. „Ja, echte Gefühle, wie du so schön sagst. Aber seit der Weihnachtsfeier hatte ich einfach keine Hoffnung mehr, dass du sie erwiderst. Weil mich dein Verhalten verrückt gemacht hat. Als ob du nicht weißt, was du willst.", sagte sie bitter. Ich schnaubte kurz durch die Nase, ich war einfach nur noch verwirrt. In was für einer Shitshow bin ich denn gelandet? „Unfassbar.", murmelte ich leise, aber hörbar. Ich schnaubte nochmal laut auf. „Das ist doch ein Scherz. Ich hatte auch Gefühle für dich, Dagi. Ja, ich würde sogar sagen, verknallt. Aber warum hätte ich etwas sagen sollen? Du warst immer so überlegen. So sicher in dem, was du von einem Typen willst. Ich dachte lange, dass ich nur ein Freund wäre und habe mich dann endlich aus meiner Komfortzone getraut. Doch deine Reaktion auf der Party hat mein Gefühl nur bestätigt."

Dagi sah mich entgeistert an, doch fiel zurück in die steinerne Miene. „Du hattest Gefühle für mich?", fragte sie entsetzt. Ehe ich etwas entgegnen konnte, fuhr sie fort. „Und warum hast du dann nichts gesagt? Warum hast du nichts getan?!", fragte sie nun wütend. Ihre Stimme überschlug sich bei der letzten Frage etwas, sodass die Frage etwas lauter durch das Café schallte. Ich legte meine Hände kurz in den Nacken und lehnte mich dann nach vorne. Wir wollten alles auf den Tisch legen, dann musste ich da jetzt durch. „Weil ich Angst hatte, okay?! Angst, dass ich es mir einbilde. Dass ich mit einem Schritt zu viel alles kaputt mache, was mir so fucking heilig ist. Dass sich das alles wiederholt!", antwortete ich angestachelt. Meine Stimme wurde lauter und ich atmete schneller. „Dann mache ich ein Mal, ein gottverdammtes Mal den Schritt nach vorne, und das war auch wieder falsch! Und jetzt, JETZT, kommst du und machst mir Vorwürfe, Dagi. Obwohl du genauso wenig gemacht hast wie ich!" Dagi schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Der laute Knall, gepaart mit dem leichten Klirren unserer Tassen, ließen nicht nur mich zusammenzucken, sondern auch ein paar Gäste in unsere Richtung gucken. „Das ist nicht fair, Max! Das stimmt einfach nicht! Ich habe dir SO viele Zeichen gegeben! Immer wieder kleine Gesten, verdammt, ich habe dich sogar nach einem Date gefragt! Die ganze Zeit war da diese scheiß Hoffnung, dass du es checkst, dass du verstehst, dass ich an dir Interesse habe! Aber nein, du warst immer so...", sie suchte nach Worten und stieß ein frustrierten Ruf aus. „Mann, du warst so blind und dumm!", warf sie mir entgegen. Ich ließ mich in meinen Stuhl fallen, die Arme ebenfalls vor der Brust. Ein bitteres Lachen entfuhr mir und ich schüttelte mit dem Kopf. „Zeichen? Was genau für Zeichen? Dass du mit mir gelacht hast, deine Sorgen mit dir teilst und mit mir Zeit verbringst? So Sachen, die Freunde machen? Bin ich ein Hellseher?", fragte ich verletzt. Die Wut und der Zorn zwischen uns war sehr spürbar, jeder der letzten Sätze seit unserem Geständnis war wie ein Messerstich ins Herz. Jeder Angriff wurde persönlicher als der letzte. Es war eine Extremsituation, wir sind beide verletzt, enttäuscht und aufgebracht. Ich selbst war von mir auch enttäuscht, dass ich nicht früher den Mund aufgemacht habe. Ich konnte nicht weiterdenken, da Dagi bereits mit dem nächsten Hieb um die Ecke kam. „Nein, Max. Vielleicht solltest du mal ein paar Sekunden mehr nachdenken, dann siehst du auch die Zeichen! Es war nicht wirklich beim ersten Treffen klar, aber nach den ersten Wochen war mir einfach klar, was ich möchte und wollte ausloten, was geht. Hast du es echt nicht gesehen, wie ich mein Verhalten dir gegenüber verändert habe? Um dir zu zeigen, dass da nicht ein leerer Platz ist, sondern dass ich da bin.", schrie sie mich an. „Wie denn? Wie soll ich es sehen, Dagi? Das kann man doch niemandem ablesen! Und ich kenne das nicht, dass man mich nach einem Treffen fragt! Ich habe nie darüber nachgedacht, dass das eine Einladung war! Woher denn auch?", erwiderte ich genauso laut. Ich sank meine Stimme, damit wir uns nicht noch Ärger einhandelten. Die vereinzelten Blicke der Gäste reichten mir bereits. „Woher denn auch?", fragte ich leise, fast schon flehend. Wir sahen aneinander vorbei und tranken unsere Getränke aus. Unsere Gemüter beruhigten sich, doch das Feuer war noch nicht erloschen, etwas Glut glühte noch etwas vor sich hin. „Weißt du, was das Schlimmste an dem Streit ist?", fragte Dagi schließlich mit brüchiger Stimme. Ich sah sie fragend an. „Dass all das hier", sie wedelte mit dem Zeigefinger zwischen uns hin und her, „all das hier wäre vermeidbar gewesen, wenn einer von uns den Mut gehabt hätte, ehrlich zu sein. Aber jetzt stehen wir hier vor einem Scherbenhaufen." Ich nickte und sah betroffen zu Boden. Was soll ich da noch sagen? Sie hatte recht. Wir beide waren zu unfähig, miteinander zu reden und uns zu öffnen. Und jetzt leiden wir beide unter den Konsequenzen, dass wir unsere Gefühle nicht ausgesprochen hatten. „Ich glaube es ist besser, wenn wir erst mal Abstand gewinnen.", sagte ich leise. „Wir können nicht einfach so weiter machen, als wäre nichts gewesen. Es tut mir weh und es tut dir weh, Dagi." Sie nickte langsam. „Ja... ich glaube, wir müssen es erst mal verarbeiten. Ist vielleicht das Beste so.", sagte sie. Das erste Mal an diesem Tag schien die Spannung zwischen uns nachzulassen, es war kein Zorn, keine Wut, kein Hass spürbar. Doch mit den Worten kämpften wir beide sichtbar. Es fühlte sich wie Schluss machen an, aber es ist besser so. Wir können nicht miteinander, aber auch nicht ohne, aber ehe wir wieder auf einen vernünftigen Status kommen, müssen wir Abstand gewinnen. „Vielleicht geht eines Tages wieder die Sonne auf, doch wir brauchen Zeit, um zu heilen.", fügte sie leise hinzu.

POV Dagi

Wir hatten uns nicht mehr viel zu sagen. Schweigend warteten wir darauf, dass wir zahlen konnten. Wir zogen unsere Jacken an und standen vor der Tür des Cafés. Der Wind wurde etwas stärker und es schneite. Er drehte sich zu mir. „Das war es also.", sagte er, leicht fragend. Ich nickte. Schweigend verharrten wir etwas in unseren Positionen, ehe wir uns voneinander verabschiedeten. „Pass auf dich auf, okay?", sagte ich und sah ihn dabei an. Für einen kleinen Moment trafen sich unsere Augen, doch wir schauten beide nahezu gleichzeitig weg. „Du auch.", antwortete er mit einem aufgesetzten Lächeln. Er hob zum Abschied die Hand und ging in die eine Richtung. Ich ging in die entgegengesetzte Richtung, mit dem Kragen hochgestellt. Komisches Gefühl, wie innerhalb von einem halben Jahr alles anders kommt. Von heile Welt zu alles zerrissen.

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Hey Leute! Ich hoffe, ihr habt die Feiertage gut überstanden :) Zum Abschluss des Jahres schaffe ich es endlich, ein neues Kapitel zu veröffentlichen. Hoffe es gefällt euch!
In dem Sinne wünsche ich euch jetzt schon mal einen guten Rutsch ins neue Jahr! Wir sehen uns in 2025 mit neuen Kapitel der Geschichte wieder!
Fühlt euch gedrückt,
eure Julia Melania

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