Part 13

Ich war im Paradies. Mit Neteyam lebte ich meinen Traum. Einen Traum, von dem ich nie gewusst hatte, dass er mich so erfüllen würde. Doch das war das einzige, was ich wollte. Ich wollte jede Minute mit Neteyam verbringen. Ich wollte eins werden mit dieser Welt. Die Natur spüren, ihn spüren. Wir hingen wie Kletten aneinander. Lo'ak rollte jedes Mal mit den Augen, wenn wir uns wie zufällig berührten - was oft geschah.

Ich wurde immer mehr zu eine von ihnen. Diese Welt hatte mich aufgesaugt, mich verschlungen und hielt mich nun fest. Doch ich wehrte mich kein Stück. Ich wollte hier sein. Aus tiefstem Herzen. Noch nie zuvor hatte ich solchen Frieden, solche Liebe gespürt. Und obwohl ich wusste, dass meine Arbeit, Norm, die Krankheit und die neuen Himmelsmenschen da draußen waren, kam es mir vor wie in weiter Ferne. Wie aus einem anderen Leben. Ich rannte barfuß durch den Wald, aß wilde Früchte und schwamm mit Neteyam durch glasklare Seen. Ich trug Kiris selbstgemachten Schmuck, hatte Braids und Dreadlocks in den Haaren. Jeden Tag wurde ein Stückchen meiner Seele  wilder, konnte freier atmen. Ich war Zuhause, im Paradies.

Ich wollte nie mehr weg von hier. Doch die Realität holte mich knallhart ein. Mit einer Nachricht über das Funkgerät, welches ich für den Kontakt mit dem Labor-Team bei meiner Ausrüstung hatte, riss Norm mich aus meinem Traumland: Er hatte in seiner Quarantäne die Zeit genutzt und jede von mir eingeschickte Pflanze genauestens analysiert. Keine einzige enthielt den Zucker, den wir für das Antibiotika brauchten. Die Nachricht war wie ein Schlag ins Gesicht. Wir konnten kein Heilmittel herstellen! Das bedeutete, dass wir die Na'vi nicht heilen konnten. Immer mehr würden krank werden und sterben.

Die Nachricht zog mir den Boden unter den Füßen weg. Und für einen Moment sah ich meine Situation aus einem fremden Blickwinkel. Was in aller Welt tat ich hier? Eine auszubildende Ärztin auf einem fremden Planeten, die in einem Alien-Körper steckte. Die Federn in den Haaren trug und mit den Eingeborenen durch den Wald hopste. Ja sogar mit dem Häuptlingssohn zusammen war. Das alles war zu absurd.

Ich schloss die Augen, um die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Es gelang nicht besonders gut. Meine Hände begannen zu zittern und ich ließ das Funkgerät fallen, das ich noch immer in der Hand gehalten hatte.

"Eva?" Nete's Stimme drang zu mir durch. Er schlenderte über die Lichtung zu mir herüber. Seine fröhliche Miene fiel in sich zusammen, als er mein bestürztes Gesicht sah. "Hey, was ist los?" Er berührte sacht meine Schulter. Da schossen mir die Tränen in die Augen.

"Norm hat mich kontaktiert.", begann ich zittrig, nachdem ich mich ein paar Sekunden gesammelt hatte. "Er hat alle Pflanzen die wir geschickt haben analysiert." Mein ernster Blick traf seinen und eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. "Keine der Pflanze enthält den Zucker, um ein Medikament herzustellen." Die Worte waren wie Steine in meinem Mund und schmeckten bitter. Neteyam's Miene wurde starr vor Schock. Ich sah förmlich wie die Gedanken in seinem Kopf ratterten.

"Was sagst du da?", seine Stimme war leise und rau. Ich sah ihn voller Verzweiflung an. "Wir können sie nicht retten", flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme. Neteyam starrte gedankenverloren vor sich hin. Seine Miene veränderte sich von Verwirrung über Zorn bis hin zu Trauer. Seine gelben Augen blickten trostlos in meine. "Wir müssen es Dad sagen!"

Davor, Toruk Makto diese schreckliche Nachricht zu überbringen, graute mir unglaublich. Der Clanführer war im Dorf und wir fanden ihn ziemlich schnell. Jake und seine Frau unterhielten sich mit einem großgewachsenen Krieger und ich schnappte das Wort 'tawtute' auf. Himmelsmenschen. Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wandte sich Jake an uns. Ihm entging Neteyams sorgenvoller Blick nicht und er eskortierte uns zu dem Zelt der Sullys, wo wir ungestört reden konnten. Neytiri stand daneben und verschränkte die Arme.

"Und ihr habt wirklich jede Pflanze untersucht?", wollte Jake wissen.
"Ja", murmelte ich. "Wir haben von jeder Pflanze Proben genommen, die ich zu Norm ins Labor geschickt habe. Neteyam kann das bezeugen."
Jakes Sohn nickte bekräftigend. Neytiri runzelte die Stirn. "Und du bist sicher, dass die Menschen keinen fehler gemacht haben?"
"Nein, Norm hat jede Pflanze gründlich untersucht!", beteuerte ich. Und Jake sagte besänftigend: "Norm ist äußerst gewissenhaft, ich hab noch nie erlebt, dass er Fehler macht."

Neytiri knurrte leise.  "Und was tun wir jetzt?"
Jake atmete langsam aus. Seine zusammen gezogenen Augenbrauen zeugten von seiner tiefen Sorge. "Ich bin ehrlich, ich weiß es nicht. Ich hatte gehofft dass zumindest eine Pflanze für das Heilmittel da ist. Aber so..." Er rieb sich mit der Hand über die Augen. "Und ohne diese Pflanze geht es wirklich nicht?", fragte er erschöpft.
Ich schüttelte bedauernd den Kopf. "Nein, wir brauchen diesen Zucker aus den Pflanzen, weil der im Körper für die Bildung der Abwehrzellen verantwortlich ist. Und ohne ihn kann das Immunsystem den Virus nicht bekämpfen."

Kiri, Tuk, Lo'ak und Spider bekamen irgendwann Wind von unserer Unterhaltung und tauchten nach einer Weile im Zelteingang auf. Stumm, mit besorgten Mienen, lauschten sie unserem Gespräch und Lo'ak ballte wütend die Fäuste.

Jake seufzte. "Ich bin zwar kein Bio-Freak, aber den Zucker kann man ohne die Pflanze nicht künstlich herstellen oder?"
"Nein", raunte ich und es fühlte sich schrecklich an. Ich fühlte mich schuldig, obwohl ich nichts dafür konnte. In meinem Kopf sah ich bereits die vielen Toten, die die Krankheit wegen mir und dem fehlenden Medikament nicht überleben würde. Die aufkeimende Panik drohte mich zu überrennen.

"Wir müssen uns mit Tsahìk beraten.", sagte Neytiri plötzlich.
"Mit Mo'at?", Jake stemmte die Arme in die Hüfte. "Was kann sie denn tun? Sie ist selber krank."
"Die Tsahìk weiß immer Rat, selbst wenn alle Hoffnung verloren scheint."

Also gingen wir zu Mo'ats Zelt. Die Schamanin saß auf ihrer Schlafstätte mit dem Rücken zur Wand gelehnt. Es ging ihr nicht besser als zuvor, aber immerhin auch nicht schlechter. Ein leichter Schweißfilm lag auf ihrer Stirn und ihre Stimme war heiser vom Husten. In ihrer Hand lag ein aus Leder geflochtenes Armband, das sie gerade mit Perlen verzierte. Ihr Kopf schoss hoch, als wir ihr Zelt betraten. Wachsam huschten ihre Augen zwischen uns hin und her und blieben am besorgten Blick ihrer Tochter hängen.

Als wir ihr die schlechte Nachricht überbrachten, vertieften sich die Furchen auf ihrer Stirn. "Bei Eywa", raunte sie und schlug die Hand vor den Mund. "Und es gibt keine Lösung?"
Jake schüttelte den Kopf. "Ohne die Pflanze gibt es kein Medikament. Und Norm hat jede Pflanze untersucht. Nein. Es gibt keine Lösung." Toruk Makto senkte beschämt den Kopf. Er fühlte sich als hätte er versagt.

Mo'at schwieg und dachte nach. Ich drängte mich in die hinterste Ecke des Zeltes, fühlte mich immer schuldiger. Da spürte ich, wie Neteyam meine Hand nahm. Lächelnd sah ich zu ihm auf. Ein ermutigendes Schmunzeln erschien auf seinen Lippen, doch ich sah in seinen Augen, wieviel Angst ihm Norm's Nachricht machte. Er drückte ermutigend meine Hand. Die anderen beobachten die Erwachsenen mit bedrückten Gesichtern. Spider hatte die Arme verschränkt und Tuk nahm besorgt Kiris Hand. Lo'ak starrte nur stumm vor sich hin.

Mo'at legte das Armband zur Seite und richtete sich auf, dabei fiel die gewebte Decke von ihren Schultern. "Welche Pflanzen habt ihr geprüft?", wollte sie wissen und richtete ihre weisen Augen aus mich. Neteyam und ich tauschten einen Blick. Dann zählte er eine Reihe von Pflanzennamen auf. Mo'at nickte abwesend bei jeder Einzelnen. Nachdem Neteyam geendet hatte, erwähnte ich: "Es müssen nachtaktive Pflanzen sein, hat Norm herausgefunden. Wir haben wirklich jede Probe gründlich untersucht, aber..." Das Ende des Satzes hing unausgesprochen im Raum und verbreitete wine bedrückende Wahrheit.

Mo'at senkte den Blick. Alle Hoffnung lag auf ihr. Norm und seine Wissenschaftler hatten keine Lösung gefunden. Und wenn Mo'at ebenfalls keine fand, war das Dorf verloren.
Die Schamanin richtete ihren Blick wieder auf mich. Ihre Ohren zuckten leicht. "Was ist mit der Clarasalus?"
Ich runzelte die Stirn und warf Neteyam einen fragenden Blick zu. Doch auch er sah verwirrt aus, genauso wie alle anderen im Raum.
"Die kenne ich nicht, wo wächst die?", fragte Neteyam.
Mo'at räusperte sich. "Sie wächst nur an einem Ort: Noch hinter den Hallelujah Bergen, im Lepay Wald.
Und sie blüht nur ein Mal alle zehn Jahre."

Ihre Worte hingen einen Moment in der Luft. "Fuck", schimpfte Jake und rieb sich mit der Hand über die Stirn. "Kann das Glück uns nicht einmal beistehen? Jesus!"
Neytiri überhörte die Flüche ihres Mannes. "Wann das nächste Mal?"
Ein schmales Lächeln erschien auf Mo'ats Lippen. "Eywa steht uns bei. Zum nächsten Vollmond, also in 1 Woche."
 

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