Unordnung, Tagträumen und Zimtschnecken

october caldwell.

Meine Wangen brennen. Verdammt stark.
Ich lache zu viel. Kann meiner eigenen Stimme nicht mehr trauen und weiß nicht wohin mit der ganzen Wärme, die mein Körper ausstrahlt.

Cliffs Wangen sind ebenfalls rot gefärbt.
Sein nervöser Blick huscht zwischen mir und den Gemälden hin und her.

Wir stehen uns näher, als sonst. Es ist das erste Mal, dass mir auffällt, dass er ein wenig größer ist. Vielleicht nur zwei oder drei Centimeter, trotzdem ist er größer.

"Welches ist deins?", unterbricht Cliff plötzlich meine Gedanken.

Er hat mir gerade eben sein Lieblingsbild gezeigt. Schon wieder ein 'Lieblings-Irgendwas', doch auch darauf mache ich ihn nicht aufmerksam.

Ich bin noch zu eingenommen, mein Kopf fühlt sich noch viel zu benebelt an.
Das Gemälde vor mir, hilft bei meinem Kopfchaos auch nicht gerade.

Jedoch weiß ich jetzt, dass wenn ich eins hätte auswählen müssen, wäre es sogar genau das gewesen.

Es ist groß, ein Feuerwerk aus Grüntönen und Braun.
In der Mitte, ein sich immer weiter im Dunklen verlierender Nadelwald. Das Schwarz droht ihn schon fast zu überwältigen.

Das Kunstwerk macht mir ein wenig Angst. Es erinnert mich zu sehr an all die finsteren Gedanken, die in meinem Hinterkopf herumgeistern und mich in meinen schwächsten Momenten vollkommen einnehmen und unvorbereitet überfallen.

In dem Bild gibt es sehr viel Dunkles, sehr viel Unruhiges, was mich nervös macht. Verdammt nervös.
Ich kann mich bei solcher gewollten Unordnung nicht ganz konzentrieren. Zumindest nicht hier.

Oder es ist einfach nur Cliffs Anwesenheit.
Ich schlucke. Und schiebe es wieder auf die dunkle Farbexplosion.
Schüttle meinen Kopf, um all diese ungewollten Gedankengänge zu verdrängen.

"Meins ist in der ersten Halle", antworte ich auf seine Frage und ziehe ihn an seinem Ärmel ein kurzes Stück hinter mir her, bevor mir bewusst wird, was ich hier gerade tue. Wie als hätte ich mich verbrannt, lasse ich den weichen Stoff seinen Hoodies los. Er ist oversized und die Farbe erinnert mich an die kleinen Experimente, die man in der Grundschule während der Farbenlehre gemacht hat.
Wenn man alle drei Haupttöne vermischt und vielleicht ein wenig zu viel Rot und Gelb verwendet, entstand immer dieser eine, merkwürdige Braunton. Ich mag ihn aber. Er weckt Nostalgiegefühle.

Nachdem wir die kleine Halle verlassen haben, die, die nur so mit unruhigen Gemälden vollgestellt war, und wir in etwas peinlicher Stille, die langen weißen Flure entlangliefen, konnte ich ihm mein Lieblingsbild zeigen.

Eine Weile bleibt Cliff ruhig. Mustert das Gemälde und dann mich. Was mich heute nicht ganz stört, denn ich habe eine Fluchtmöglichkeit.
Ich versinke wieder in meinen Gedanken. Verliere mich.


*


Am Tag darauf sitze ich auf meinem Schreibtisch-Stuhl mit einer Tasse Tee in der Hand und kann meine Augen nicht mehr von Cliff lösen.

Es ist das erste Mal, dass er bei mir zuhause ist. Irgendwie war das auch eine ziemlich spontane Aktion. Er wollte nicht zu sich nach Hause und ich wollte ihn einfach nur bei mir haben.

Jetzt sitzt er also auf meinem Bett, mit dem Rücken an der Wand angelehnt und streichelt meine Katze Pepper, die sich in seinem Schoß zusammengerollt hat und leise vor sich hin schnurrt.

Seine Haare fallen ihm ein wenig ins Gesicht, wenn er Pepper ansieht und ich muss mich beherrschen nicht gleich aufzustehen und sie ihm wegzustreichen.

Bei der bloßen Vorstellung, wie ich meine Fingerspitzen über seine Stirn wandern ließe, meine Hand durch sein braunes Haar fährt und ich ihm nahe sein könnte, überkommt mich eine Gänsehaut.

Ich bin so vertieft in mein Starren, dass ich gar nicht bemerke, wie sich die Zimmertür öffnet und meine Tante hereinkommt.

"October ich würde-", fängt sie an, doch unterbricht sich dann selbst, als sie Cliff wahrnimmt.
Ich erschrecke mich - merke wie meine Wangen ganz warm werden und mein Herz plötzlich unglaublich schnell schlägt.

Ich verschlucke mich und muss husten, woraufhin Cliff augenblicklich zu mir aufsieht und dann zu meiner Tante, die noch immer im Türrahmen steht.

Einen Moment lang ist es still; die Luft ist zum Schneiden dick.

"Hi" Cliff steht auf, weshalb Pepper sich schnell verkrümelt, und geht mit ausgestreckter Hand in Richtung meiner Tür. "Ich bin Cliff", stellt er sich vor und schüttelt meiner Tante die Hand.

"Oh uhm... Marylin", erwidert sie daraufhin kurz etwas überfordert, doch hebt dann ihre Mundwinkel an.

Ich sitze nur bewegungsunfähig daneben und starre immer noch, wie ein Vollidiot.

"Freut mich Sie kennen zu lernen" Cliff lächelt sie an und mir wird heiß und kalt bei dem Gedanken, dass ich ihn schön finde. Viel zu schön.

"Oh die Freude ist ganz meinerseits." Meine Tante sieht kurz zu mir und grinst noch breiter, doch gleich darauf wendet sie sich wieder Cliff zu.

"Bleibst du zum Abendessen?"

Cliff sieht zu mir, als wolle er wissen, ob das ok ist.
Ich nicke. Ich mag es, wenn er bei mir ist.

"Wenn ich erwünscht bin, sag ich nicht nein" Er hebt die Schultern und sieht glücklich aus.

"Na das freut mich doch", sie will sich schon zum Gehen abwenden, doch dreht sich dann nochmal um.
"Ach und noch etwas, lass das siezen am besten weg. Sonst fühl ich mich noch so alt", meint sie mit einem peinlichen Augenzwinkern und verlässt mein Zimmer. Die Tür lässt sie natürlich wieder offen.

Cliff bleibt noch kurz stehen, dreht sich dann zu mir um und meint "Naja, das lief doch gar nicht mal so schlecht."

"Hm", mache ich nur. Irgendwie war mir das gerade unangenehm. Meine Tante hat mich beim Anstarren eines Jungen ertappt und ich würde am liebsten im Erdboden versinken.

Er mustert mich kurz, mein Gesicht, meine Haare
Marylin sieht mir nicht ähnlich. Ich glaube, ich weiß was ihm gerade durch den Kopf geht.

"War das deine M-" Ich unterbreche ihn, weil ich nicht will, dass er es sagt. Will nicht an sie erinnert werden.

Mom.

"Das war meine Tante" Ich hoffe, dass er das Thema fallen lässt, dass er merkt, wie ungern ich über sie reden will.

Ich sehe die Verwirrung über Cliffs Gesicht wandern.
"Was ist mit deiner..." Doch seine Worte verlieren sich

Ich presse meine Lippen aufeinander und sehe von ihm weg. Kann seinem Blick nicht mehr standhalten.
Mein Herz schlägt so schnell, als würde ich gerade einen Marathon laufen und mir wird schlagartig wieder eiskalt.
Ich schlucke.

"Oh", höre ich nur von ihm, während er sich wieder auf mein Bett setzt. Diesmal nur auf die Kante.

Ich versuche meine zittrigen Finger zu verstecken; spiele mit dem Saum meines Ärmels. Und sehe wieder zu ihm.

Cliff sieht sich in meinem unaufgeräumten Zimmer um und ich bekomme Angst, dass er sich unwohl fühlt.
Doch er sieht mich nur mitfühlend an.

"Uhm... Wollen wir vielleicht rausgehen? 'Ne Runde spazieren gehen oder so?"


*


"Warum trinkst du so viel schwarzen Kaffee?"

Er lacht auf und sieht mich amüsiert an.
Seine Augen strahlen.

"Was?", frage ich verwirrt.

Cliff schüttelt nur grinsend seinen Kopf.

Langsam werde ich neugierig. Ich will mitlachen. "Was denn?" Ich stoße ihn mit meiner Schulter an.

Es ist bereits dunkel. Cliff trägt wieder seinen karierten Mantel, um sich vor der aggressiven, abendlichen Kälte zu schützen.
Er hat seine Mütze nicht mit, weshalb seine Ohren schon ganz rot sind. Genau wie meine Nasenspitze es auch immer wird.

"Ich finds nur irgendwie lustig, dass fast alle unserer Gespräche mit meinem Kaffee beginnen", klärt er mich auf und schaut zu mir.

Ich weiß nicht was er so faszinierend an mir findet, doch er lässt seinen Blick wieder über mich schweifen.
Er musterte mich. Das tut er so oft und ich will wissen warum.
Warum?
Warum ich ?
Ich kann den Blick in seinen Augen jedoch nicht deuten; presse kurz meine Lippen aufeinander.

"Ich interessiere mich nunmal sehr für dich und deine Kaffeesucht", meine ich dann schmunzelnd. Und es stimmt. Ich interessiere mich wirklich für ihn. Schwarzer Kaffeegeruch hin oder her.

"Naw, das ist ja lieb", meint er und sieht mich halb lächelnd an, bevor er sich dann wieder von mir abwendet und seufzt. "Ich bin halt einfach kontinuierlich und wirklich immer müde. Kaffee hält da n bisschen wach, weißt du?"

"Hm"

Ich verstehe ihn, viel zu gut, doch ich glaube, dass es andere Formen von 'müde' sind.
Ich bin mental immer viel zu sehr erschöpft um diese Jahreszeit.
Und ich glaube er bleibt einfach immer nur zu lange wach.

*

Genau eine Woche später - es ist ein Mittwochabend - sitzt Livia in meiner Decke eingewickelt auf meinem Bett und scrollt auf ihrem Handy durch Instagram.

Ich quäle mich durch einen weiteren Aufsatz und bereue es ein weiteres Mal, dass ich dieses Fach nicht abgewählt habe.

Der Regen trommelt harsch gegen die Fensterscheiben meines Zimmers.
Ich sehe in die dunklen Wolken hinauf und seufze.

Dann schaue ich zu meiner besten Freundin und beobachte sie kurz, wie sie eine ihrer kupferfarbenen Haarsträhnen um ihren Finger wickelt und verloren auf ihr Handy starrt.

"Wie weit bist du?", frage ich um ein Gespräch anfangen zu können.

"Hm?", macht Livia verwirrt und hält in ihrer Bewegung an.
Ich nicke zu ihrem neuen Buch - mein Geburtstagsgeschenk an sie, das neben ihr legt.

Sie bleibt eine Weile ruhig. Sortiert wahrscheinlich ihre Gedanken. "Weißt du, je öfter man ein Buch liest, das man mag, desto mehr verliebt man sich in dieses."

Ich brumme zustimmend. Trotzdem noch mit unbeantworteter Frage.

"Doch genau das gleiche passiert auch mit Stellen, die man hasst..."

Diesmal nicke ich; jetzt wissend, wie weit sie ungefähr ist. Es gibt in diesem Buch nur wenige so prägnant hassbare Stellen.

Dann fällt mir wieder mein Aufsatz ein und ich steige aus dem kurzen Gespräch aus.





Irgendwann lacht Livia, was meine Aufmerksamkeit wieder auf sie zieht.
"Was?", frage ich. Bin neugierig.

Sie grinst zuerst nur blöd, doch zeigt mir dann kurz ihren Bildschirm, sodass ich sehen kann, dass sie wieder auf dieser komischen Seite mit den total unnötigen und auch echt nicht lustigen Sprüchen gelandet ist. "Hier steht, dass man am Tag mindestens dreißig Minuten mit Tagträumen verbringt." Sie sieht mich auffordernd an, doch ich verstehe nicht ganz worauf sie hinaus will.
"Ich glaube, dass man bei dir die Zeit vervierfachen muss", meint Livia schmunzelnd und ich verdrehe nur genervt meine Augen.

"Ha Ha, sehr witzig", antworte ich ihr mit zusammengekniffenen Augen und mit vor Ironie triefender Stimme.

"Spaßverderber", murmelt meine beste Freundin neben mir und schiebt ihre Unterlippe nach vorne.

Ich wende mich kopfschüttelnd von ihr ab und versuche mich wieder auf meinen Aufsatz zu konzentrieren.
Doch leider fällt mir beim besten Willen nichts mehr ein, was ich noch schreiben könnte, um meinen Text auf mindestens fünf Seiten zu bekommen.

Genervt presse ich meine Lippen aufeinander.
Meine Gedanken wandern wieder zu einem meiner Gedichte zurück.

Goldenes Kreuz auf Haut.
Haut,
so weich und hell.
Farbig,
in einer Welt aus
Schwarz und Weiß.


"Denkst du, dass das bei Menschen auch so ist?" Ich sehe sie nicht an. Spiele mit dem Stoff meines Bettlakens neben mir.

"Huh?"

"Das was du vorhin über Bücher gesagt hast..."

"Ich weiß nicht was du meinst" Ich höre aus ihrer Stimme heraus, dass sie es eigentlich doch weiß, jedoch mich trotzdem leiden sehen will.

"Naja" Ich muss auflachen und meine Wangen werden ganz warm. "Je mehr Zeit man mit einer Person verbringt, desto mehr..." Ich komme mir blöd vor, das zu sagen. "verliebt man sich in sie"

Ich wage einen Blick zu Livia, doch bereue es kurz darauf wieder. Sie sieht mich mit wackelnden Augenbrauen und dem breitesten Grinsen an. "Jemand Bestimmtes im Sinn?"

Meine Hände werden vor Nervosität ganz feucht und ich drehe mit zittrigen Fingern an meinen Ringen.

"Nein", lache ich und will meine roten Wangen verstecken, indem ich mich ein wenig von ihr wegdrehe. So tue, als ob ich etwas suchen würde.

"Ja ja ja", macht sie nur 'besser wissend' und ich bin mir sicher, dass sie immer noch diesen bescheuerten Blick auf ihrem Gesicht hat.
"Wer ist die Glückliche?", fragt sie nun und schubst mich ein wenig an, nachdem ich ihr nicht antworte.

Die Glückliche... existiert nicht. Ich weiß nicht was ich erwidern soll. Wie ich ihr weiß machen kann, dass ich an keinem Mädchen interessiert bin. Auch wenn sie das vielleicht denkt.

"Keine Ahnung", meine ich dann irgendwann und hebe gespielt ratlos die Schultern.

Diesmal muss sie lachen. "Du bist so ein Idiot"


*


Am Tag darauf treffe ich Cliff beim Bäcker. Ich soll Brötchen zum Frühstück holen, weil mein Onkel gestern Abend vergessen hat welche nach der Arbeit zu kaufen.

Nun steh' ich hier, mit Schlafzimmerblick, dem Kopfkissen fast noch im Gesicht und einer out-of-bed-Frisur, was mich bestimmt alles wie einen Obdachlosen aussehen lässt. Ich habe überhaupt nicht gut geschlafen und dann auch noch so früh geweckt zu werden, schmeichelt meinem Anblick nicht gerade. Im Gegenteil sogar.

„Ich würde dir ja die Zimtschnecken empfehlen", meine ich und lächle Cliff an, der sich überrascht zu mir umdreht.
Wir haben uns schon eine Weile nicht mehr richtig gesehen. Ich glaube, wir hatten beide viel zu viel für die Schule zu tun.

„Hm, beim nächsten Mal", grinst er zurück und kauft sich stattdessen einen schwarzen Kaffee.
Ich schüttle nur meinen Kopf und bestelle dann selber zwei Zimtschnecken und sieben Brötchen.

Nachdem Cliff sein brühend heißes Getränk bekommt und ich die Gelegenheit mich über den Geruch zu beschweren, bleibt er noch da; verlässt den Bäcker nicht. Vielleicht wartet er auf mich.

Cliff lehnt sich auf einen der Stehtische ab und ich geselle mich zu ihm.
Die Brötchen sind noch im Ofen, weshalb ich warten muss.

„Hast du dieses Wochenende zufällig Zeit?", fragt er mich nach einer Weile, in der wir uns nur peinliche Blicke zugeworfen und danach sofort wieder weggeschaut haben.
„Ja", stimme ich ihm zu schnell zu und presse dann meine Lippen aufeinander. Ich bin dieses Wochenende eigentlich bei meinem Vater.

Doch obwohl ich eigentlich nur ein bis zwei Mal im Monat bei ihm bin, will ich meine Zeit plötzlich doch lieber mit Cliff verbringen.

Ich bin verwirrt und dann total hin und hergerissen.

Will eigentlich meinen Kopf entscheiden lassen, das Treffen mit Cliff absagen und zu meinem Pa gehen, dich mein Herz spricht dazwischen.

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a/n: vielleicht haben es einige schon bemerkt, aber das hier wird kein Buch, in dem es hauptsächlich um die entstehende liebe zwischen cliff und october geht [deswegen gibts hier leider kein slow burn], sondern eher um das 'reparieren' seelischer zustände und das austesten mentaler grenzen

die kapitel bis jetzt sind nur der anfang, die vorarbeit, für das, was danach noch auf euch zukommen wird

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word count: 2393

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