Pepper, Pinterest und Einsamkeit

a/n: lasst einfach mal n bisschen kritik da (brauch n paar anhaltspunkte, damit ich meinen schreibstil verbessern kann),, enjoy
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october caldwell.

Er hat mir seine Nummer dagelassen und dazugeschrieben, dass ich ihn anschreiben kann, wenn ich nach einem neuen Freund suche.
Denn er tue es.

*

Ich wusste nicht ganz - weiß es immer noch nicht wirklich - was ich davon halten sollte. Was ich von ihm halten soll.

Also frage ich einfach Livia.
Der Unterricht ist eh nicht wirklich spannend gerade. Ich weiß eigentlich schon so gut wie alles.

[19.10.; 09:07] October: cliff halford
[19.10.; 09:07] October: sagt dir der name was?

Sie antworte keine fünf Minuten später.
Anscheinend ist ihr Kurs auch nicht unbedingt spannender.

[19.10.; 09:11] Livia: ähm
[19.10.; 09:11] Livia: sollte er?
[19.10.; 09:13] Livia: warte...
[19.10.; 09:13] Livia: ist das nicht der, mit dem du letztens im museum geredet hast?

[19.10.; 09:13] October: genau
[19.10.; 09:14] October: er hat mir seine nummer gegeben
[19.10.; 09:14] October: soll ich ihn anschreiben?

Danach antwortet sie leider nicht mehr und ich versuche mich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren.
Er ist immer noch nicht spannender.

*

Die Welt geht unter. In einem Sturm aus Trauer, Zorn und Einsamkeit. Bissige Kälte, der aufbrausende Wind und der gnadenlos an die Fensterscheibe trommelnde Regen vereinen sich. Verstecken sich im Nebel. Überfallen unvorbereitete Unschuldige.

Ich versuche meinen Gedanken Worte zu verleihen. Drehe meinen Septum, genau wie meine unvollständigen Sätze. Nichts will Sinn ergeben, doch irgendwie tut es das alles. Am liebsten möchte ich schreien.

Ruhe. Stille. Einsamkeit. Zweisamkeit.
Eine Welt aus Trauer, Sturm und Regen.
Wolken. Himmellose Wolken.
Unvorstellbar.
Gnadenlos.
Kalt. Kälte.

Verzweifelt streiche ich alles wieder durch. Schließe meine Augen und versuche mich entweder angestrengt darauf zu konzentrieren oder mich abzulenken, doch ich rutsche immer und immer wieder in die gleiche Gedankenspirale.

Seufzend packe ich mein Notizbuch zurück in meinen Rucksack, binde die Schnürsenkel meiner schwarzen Docs zu und schaue dann wieder aus dem Fenster.

Die Bahn kommt ratternd zum Halt. Meine Station ist es nicht.

Cliffs Brief, beziehungsweise Zettel - ich wünschte es wäre ein Brief - fällt mir wieder in die Hände, als ich in meinem Rucksack nach meinen Kopfhörern suche.

Eine Weile betrachte ich den schief gefalteten Zettel. Wäge ab, ob ich es wagen und ihn anschreiben sollte und entscheide mich nach einigem Zögern tatsächlich dafür.

Er scheint nicht unbedingt verurteilend zu sein, was ich beruhigend finde. Meine Tante meint nämlich oft, ich sei den meisten Menschen zu abgehoben, zu intelligent, zu komisch, zu leidenschaftlich.  Zu sehr ich.

Außerdem hat er mich angesehen. So angesehen, als wäre ich jemand besonderes.
Und ich habe mich besonders gefühlt.

Ich habe irgendwie ein gutes Gefühl bei ihm. Er ist so wie flüssiges Gold, aber auch der tiefste, dunkelste Wald. Ich mag solche Gegensätze.
Außerdem riecht nicht nur nach schwarzem Kaffee - was ich ziemlich beruhigend finde -, sondern auch nach Moos, alten Büchern und neuen H&M Klamotten.

Also tue ich es. Ich tippe seine Nummer ein. Erstelle einen neuen Kontakt und hoffe sehnlichst, dass er sich keinen Scherz erlaubt und mir einfach nur irgendeine wahllose Nummer gegeben hat durch die ich im Endeffekt bei einer ganz anderen Person rauskomme.

Doch ich werfe meine Bedenken über Bord. Ein einziges Mal lasse ich mich auf jemanden ein. Jemanden neues, den ich noch nicht kenne, den ich nicht komplett einschätzen kanne, ich tue es. Ich schreibe ihn an.

[19.10.; 17:45] October: hey, hier ist october
[19.10.; 17:48] October: ich steh' übrigens mehr auf briefe

-

"Ich war heut' sogar die einzigste, die eine eins in der Chemie Arbeit hatte.", erzählt meine kleine Cousine mit halbvollen Mund beim Abendessen.

"Es heißt einzige-", fange ich an Lune zu berichtigen, doch stoppe sofort, als ich einen bösen Blick meiner Tante Marylin einfange.
Sie liebt ihre Tochter über alles. Mich dagegen eher weniger.

Als ich noch zwei weitere mahnende Blicke zugeworfen bekomme, entscheide ich mich einfach das restliche Abendessen still zu bleiben.
Ich mache das immer.

Um ein wenig runterzukommen und mich abzulenken zähle ich so viele Nachkommastellen von Pi auf, an die ich mich erinnern kann und lausche dem Gespräch zwischen Lune und meinem Onkel mit halbem Ohr. Es geht tatsächlich um Edgar Allan Poe, weil Lunes Klasse gerade im Unterricht das Thema Kurzgeschichten behandelt.
Ich würde gern mitreden. So so gern, doch meine Tante sitzt immer noch am Tisch.

Wenn sie einen schlechten Tag hat, dann regt sie jede Kleinigkeit auf.

Sie beschwerte sich liebend gern. Am meisten über meine Besserwisserei, aber auch über meine schlechte Handschrift, darüber, dass ich den Müll noch nicht rausgebracht habe oder ich ihrer Meinung zu viel Zeit mit Lesen verbringe. Meistens bin ich dann auch noch an dem schlechten Wetter Schuld, oder dass die Nachbarn zu schräg geparkt haben.

"October", werde ich wider meines Erwartens plötzlich angesprochen; aus meinen Gedanken gerissen.
Ich sehe von meinem leeren Teller auf.
"Räum' den Tisch bitte ab und gib dann Pepper ihr Futter."

Marylin ist bereits aufgestanden und wirft sich ihren dicken Mantel über die Schultern.

Wie immer auf dem Sprung, denke ich mir.

Sie schiebt ihre große, runde Brille wieder ein Stück ihre Nase hoch und bürstet sich noch einmal durch ihr braunes Haar, bevor sie ihrem Ehemann einen flüchtigen Kuss auf die Wange gibt.
Danach ist sie auch schon zur Tür hinaus verschwunden.

"Wo will sie hin?", frage ich, während ich die Schüsseln übereinander staple und dann in die Spülmaschine einräume.

"Sie musste nochmal ins Büro. Irgendwelcher Papierkram, der liegen geblieben ist.", gibt mein Onkel ein wenig abwesend von sich. Er ist zu sehr in das Soduko aus seiner Zeitschrift vertieft.

Ich nicke, obwohl er das wahrscheinlich gar nicht richtig wahrnimmt.

Lune ist bereits in ihrem Zimmer verschwunden, als ich dann unserer gemeinsamen Katze das Futter gebe.
Wir haben sie an meinem ersten Weihnachtsfest bekommen, das ich mit meiner Tante, Lune und meinem Onkel gefeiert habe, nachdem ich offiziell bei ihnen eingezogen bin.

Pepper tapst um meine Beine herum und streckt sich kurz, bevor sie sich dann über ihr Futter hermacht. Ich streichle und beobachte sie noch ein paar Momente lang, doch gehe dann ebenfalls in mein Zimmer.

Ich will wissen, ob Cliff schon geantwortet hat.

*

[19.10.; 18:33] Cliff: oh hey
[19.10.; 18:33] Cliff: hab mich schon gefragt, ob das nicht vielleicht doch zu direkt war und du mir vielleicht nicht antwortest
[19.10.; 18:35] Cliff: und zum thema brief: ich bin nicht unbedingt der talentierteste im umgang mit worten, ich denke nicht, dass ich dir diesen wunsch erfüllen könnte:(

Ich weiß wirklich nicht warum, aber die Tatsache, dass er sich freut, dass ich geantwortet habe, lässt mein Herz für einen kurzen Moment stolpern.

*

Ich will Cliff unbedingt antworten, jedoch fällt mir beim besten Willen nichts ein. Also überlege ich. Und überlege, überlege, überlege.

Mitten in der Nacht fällt mir dann doch plötzlich etwas ein.
Ich arbeite noch immer an einer meiner Pinnwände auf Pinterest.

Mit ihnen kann ich meine unordentlichen Gedanken sortieren ohne sie wirklich zu ordnen. Es hilft mir einfach mich zu verstehen. Meine Gefühle zu verstehen.
Zu wissen, dass bestimmte Bilder in einer systematisch durchdachten Reihenfolge mir eine Antwort auf mein inneres Chaos geben, beruhigt mich. Lässt mich für einen kurzen Augenblick die Welt vergessen.
Genau wie es die Kunst tut.

Apropos Kunst.

[20.10.; o2:57] October: kunstmuseum
[20.10.; 02:57] October: wir haben uns im kunstmuseum getroffen

In meinem Eifer habe ich ganz die Uhrzeit vergessen und ihm einfach geschrieben.
Er antwortet jedoch kaum einen Moment später.

[20.10.; 02:58] Cliff: ja
[20.10.; 02:59] Cliff: was?

[20.10.; 03:00] October: du bist wach?

[20.10.; 03:00] Cliff: obviously, ja
[20.10.; 03:00] Cliff: warum schreibst du mir um diese uhrzeit, dass wir uns da getroffen haben
[20.10.; 03:03] Cliff: ich mein, ich freu mich ja, dass du mir schreibst, aber... warum?

[20.10.; 03:04] October: oh tschuldigung
[20.10.; 03:04] October: hab völlig vergessen wie spät es ist
[20.10.; 03:04] October: ich wollt fragen, ob du oft ins museum gehst

*

Nach dem Frühstück bin ich in meinem Zimmer. Immer noch total müde.
Ich muss gähnen.

"Das kommt davon, wenn man immer so lange wach ist", murmelt meine Tante halb vorwurfsvoll, aber auch halb amüsiert, als sie plötzlich in meinem Türrahmen steht.

Sie hat heute einen guten Tag. Zumindest noch.

Während sie sich ihren weinroten Wollschal um den Hals wickelt, wirft sie einen raschen Blick durch mein Zimmer und schüttelt den Kopf. "Aufräumen müsstest du auch dringend mal wieder."

Ich sehe mich ebenfalls um und weiß nicht was sie meint. Für meine Verhältnisse ist es ziemlich ordentlich. "Du weißt ja-"

Sie seufzt. "Ich weiß, ja. Geordnetes Chaos. Das hast-"

"Das hab ich von meinem Vater, ich weiß." Es ist nicht das erste Mal, dass wir diese Konversation führen. Wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal.

Ich sehe aus dem Fenster. Das Wetter - üblicherweise gleich.

"Naja wie auch immer. Hab Spaß in der Schule und vergiss nicht Lune am Abend abzuholen.", erinnert mich meine Tante, während sie die Geldbörse in ihre lederne Umhängetasche packt. Danach gibt sie mir einen Kuss auf die Wange und wuschelt mir durch die Haare.
Warum tut das immer jeder?

Genervt presse ich meine Lippen aufeinander und sehe ich ihr hinterher, wie sie sich ihren schwarzen Mantel um die Schultern schwingt und dann aus meinem Blickfeld verschwindet.
Sie hat nichtmal die Tür zugemacht.

*

Wind.
Wetter.
Regen.
Beschlagene Fensterscheiben.
Kopf voller Gedanken.

Mein Stift kreist über dem Papier, wie meine Gedanken um eine bestimmte Person.
Ich drehe die Ringe an meinen Fingern ein wenig und tue es dann mit meinem Septum gleich.

Goldenes Kreuz auf Haut.
Haut,
so weich und hell.
Farbig,
in einer Welt aus
Schwarz und Weiß.

Und schon wieder gehe ich verloren. Ich finde mich nicht wieder. Finde mich in meinem Kopf, meinen Gedanken nicht zurecht. Ich fühle mich, als wäre ich kurz vorm Explodieren.

Doch dann spricht mich jemand an. Mein Herz setzt für einen kurzen Moment aus.

Realität.
Ich bin wieder in der Realität angelangt.

"Ja" Der Geruch von schwarzem Kaffee steigt mir in die Nase. Ich weiß schon wer vor mir steht, ohne aufsehen zu müssen. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

"Was?", frage ich und vergesse glatt mich über sein Getränk zu beschweren. Verwirrt sehe ich zu Cliff auf. Die Mittagssonne fällt auf seine Haare und lässt sie furchtbar gutaussehend glänzen. Mein Blick rutscht trotzdem runter zu seinem Hals - nicht ohne vorher an seinen Lippen hängen zu bleiben - und ich muss schlucken.
Er trägt eine goldene Kette mit einem Kreuz. Ist er religiös?

"Du hast mich gefragt ob ich oft ins Museum gehe, das ist meine Antwort."

Meine Augen wandern wieder hoch zu seinem Gesicht. Fixieren das Tattoo unter seinem linken Auge. Ein Kreuz.

Ich fühle mich irgendwie überrumpelt. Außerdem wird mir unangenehm warm, wenn ich an das kleine Gedicht zurückdenke, dass ich gerade geschrieben habe.

Ich will schon aufstehen und gehen - der obskuren Situation entkommen - doch dann sieht er mich an und alles um mich herum ist mir für ein paar Sekunden egal. Ich sehe nur ihn. Seine grau-grünen Augen und die Spiegelung meiner Silhouette in ihnen. Er ist auf mich fixiert, ich auf ihn.

Kurz darauf stürzt die Welt dann jedoch mit doppeltem Gewicht auf mich ein und ich stolpere über meine eigene Atmung.
Ich weiß nicht was das war, aber ich weiß, dass ich diesen Moment - dieses Gefühl - geliebt habe.

Plötzlich spüre ich das dringende Bedürfnis Pinterest zu öffnen und meine rotierenden Gedanken in einem Board zu strukturieren. Alles was ich fühle, alles was mir durch den Kopf geht und mich fast zum explodieren bringt, in Bildern festzuhalten. Alles, was er mich fühlen lässt, zu sortieren.

Herzklopfen.

"October?" Cliffs Stimme ist so weich und ruhig. Fragend sieht er mich an. Ich sehe zurück.

"Mhm?", mache ich und merke, wie sich meine Brust zusammenzieht. Alles, die ganze Situation, fühlt sich einfach nur komisch an. Ungewohnt. Trotzdem gut. Wunderschön.

"Du warst gerade irgendwie", er versucht den richtigen Worten Wert zu verleihen, schwenkt seinen Kaffeebecher gefährlich durch die Luft, "nicht ganz anwesend."

Ich senke meinen Blick und lasse ihn über das Gedicht vor mir schweifen.
"Das passiert öfters", murmle ich und schaue ihn wieder an. Sein Mundwinkel zuckt ein klein wenig nach oben.

Ich schenke ihm ein Lächeln und schlage dann mein Notizbuch zu.
In meinem Hinterkopf schwirrt die ganze Zeit eine Frage umher. Ich traue mich nur nicht sie zu stellen.
Wir kennen uns kaum. Sicherlich wäre es noch zu zeitig.
Eine Weile ringe ich mit mir selbst, weiß nicht, ob ich die Frage stellen soll, oder nicht, doch dann räuspert sich Cliff plötzlich und ich schiebe meine Gedanken zur Seite. Konzentriere mich auf die Realität.

"Warum wolltest du das eigentlich wissen?"

Um ihm zu antworten, muss ich erst einmal meinen gesamten Mut zusammenkratzen.
Doch als ich ihm ins Gesicht schaue und seinem Blick, seinen hoffnungsvollen Blick, sehe, verdränge ich all die unangenehmen Vorstellungen, wie er reagieren könnte und frage ihn einfach.
Sehe ihn dabei nicht an.

"Weil ich-", meine Stimme bricht ab. Ich schlucke. "Ich wollte wissen, ob du vielleicht Lust hast mit mir zusammen ins Museum zu gehen? Heute. Heute Abend."

Ich mag es zwar alleine zu sein, doch zur Zeit bin ich manchmal zu allein. Es herrscht zu viel Stille und die Leere droht mich zu erdrücken. Und ich glaube, dass es mit ihm nicht so beunruhigend ruhig sein wird. Ich glaube, dass man mit ihm gut gemeinsam einsam sein kann.

"J-ja, klar!" Er scheint ein wenig überrascht von meiner Frage, doch er lächelt. Er lächelt.

Er lächelt.

Ich bin kurz sprachlos. Irgendwie habe ich nicht mit seiner Zustimmung gerechnet. Nicht mit seiner Begeisterung.

"Und wann?", fragt er mich, während er sein Handy herausholt. Schaut wahrscheinlich in seinen Kalender. "Also wann wollen wir uns treffen, meine ich."

"Ähm also... ich muss meine Cousine um 17 Uhr noch von einer ihrer Freundinnen abholen und danach würde ich mich auf den Weg machen.", erkläre ich ihm.

Cliff steckt sein Handy wieder zurück in seine Hosentasche. "Der Unterricht beginnt gleich, schreiben wir nochmal?"

Ich nicke und werde wohl meine Freistunde alleine verbringen. Irgendwie hatte ich gehofft, von ihm Gesellschaft zu bekommen. Denn auch Livia hat jetzt keine Zeit.

Er sieht auf seine Armbanduhr. "Ok gut dann... bis später. Sag einfach bescheid, wann du los machst."

Ein Lächeln später und ohne dass ich mich verabschieden kann, ist er auch schon verschwunden. Er und sein Kaffeegeruch.

Ein Ich freu' mich liegt mir noch auf der Zunge, doch findet nie den Weg hinaus.

*

"Warum holst du mich so zeitig ab", ist das erste, das ich von meiner Cousine zu hören bekomme, als ich am Abend vor Navy's Tür stand. Tatsächlich bin ich sogar eine Viertelstunde zu spät.

"Ich bin nicht zeitig", meine ich, nach einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr.

"Das ist nicht was ich meint-...", fängt Lune an, doch stoppt mitten im Wort. Schaut mich genervt an.

"Ja?"

"Sonst redest du doch immer noch mit Navy's Mom." Da hat sie recht. Ich rede gerne mit ihr. Irgendwie verstehen wir uns.

Aber das sei bei mir auch kein Wunder, würde mein Vater jetzt sagen, denn ich verstehe mich mit Erwachsenen komischerweise einfach besser, als mit Gleichaltrigen. Erwachsene sind oft schon erwachsen. Wissen in den meisten Dingen schon was sie tun und verurteilen mich nicht allzu sehr, nur weil ich manchmal vielleicht zu verträumt, zu still oder zu ehrlich bin. Finden es nicht schlimm, wenn ich ihre Gesichter lese. Wenn ich plötzlich aus dem Gespräch aussteige, nur weil mir ein neuer Vers für eines meiner Gedichte eingefallen ist.

Ich seufze. "Tja.. Heut nicht."

"Und warum nicht?" Sie schiebt ein wenig traurig ihre Unterlippe nach vorn.

"Hab noch was vor", murmle ich in meinen Schal und sehe in die Dunkelheit vor uns. Die Straßenlaternen färben die Welt ein wenig orange. Irgendetwas hängt in der Luft. Es ist ein Gefühl, dass sich unbemerkt immer mehr um uns zuzieht. Uns einhüllt.

"Du hast doch nie was vor!", fängt sie an zu protestieren. Ich werde ein wenig genervt.

"Ja und? Darf ich das etwa nicht?"

Danach antwortet sie nicht mehr und schaut schmollend von mir weg.

Eigentlich wäre ich jetzt ebenfalls noch schlechter gelaunt. Doch bei dem Gedanken an Cliff und unser bevorstehendes Treffen kann mir Lune heute meine aufsteigende gute Laune irgendwie nicht nehmen.

*

Ich bin nicht wirklich nervös.
Das ist das erste, was mir auffällt, als ich Cliff schreibe, dass ich meine Cousine nach Hause gebracht habe und loslaufen würde.

Ich bin aufgeregt, das definitiv, aber mir wird nicht warm, bei dem Gedanken ihn gleich zu treffen. Meine Beine werden nicht wackelig und auch sonst bin ich vollkommen ruhig.
Ich freue mich einfach nur, dass ist alles. Ich bin froh, dass er mit mir ins Museum geht.

Ich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist. Ob es gut ist, dass er mich auf irgendeine Weise eher beruhigt, als dass meine Hände vor Nervosität anfangen zu schwitzen. Immerhin kenne ich ihn nicht wirklich. Kann seine Grenzen nicht einschätzen.
Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung, alles könnte vorbei sein. Die Chance auf diese besondere, neue Freundschaft wäre dahin.

Ich muss schlucken.
Das will ich nicht. Cliff ist ein viel zu guter Mensch.




Doch all die Sorgen sind vergessen, als ich ihn dann ein paar Straßen später treffe. Er mich sieht und sich auf seinen Lippen ein breites Grinsen formt.
Er sieht irgendwie glücklich aus.
Glücklicher, als ich es jemals sein werde. Sein könnte.

Und ich bewundere ihn dafür. So so sehr.
Bin neidisch. So so sehr.

Ohh, wenn er das nur wüsste.

"Hey, October" Seine Stimme ist leicht rau. Ungefähr so, wie es meine früher war, wenn ich zu viel geweint und dann ewig nicht geredet habe.
Er holt mich aus meinen Gedanken zurück und mein Herz stolpert für einen Moment. Gerät aus dem Takt. Fällt aus dem Muster.
Wie ich, immer, mit jedem einzelnen Wort, das mein Mund verlässt.

"Hey, Cliff", tue ich es ihm gleich. Ich mag es, wenn er meinen Namen sagt. Ich glaube, jeder mag das.

Dann ist es plötzlich still zwischen uns. Ich deute in die Richtung, in der ich vermute, dass da ungefähr das Museum liegt.
Er versteht.



Ich will mit ihm reden. Irgendwie ein Gespräch anfangen, um diese Stille zu überbrücken.

Leicht verzweifelt, weil mir nichts einfällt, presse ich meine Lippen aufeinander und sehe ihn an.
Er schaut bereits zu mir und unsere Wangen werden plötzlich ganz rot. Zumindest glaube ich das es meine auch sind, denn sie werden plötzlich sehr sehr warm.

Cliff sieht irgendwann - nach ein paar Sekunden - von mir weg, versucht sein Grinsen zu verstecken.
Ich stupse ihn dann nur halb lachend und kopfschüttelnd mit meiner Schulter an seiner an.

"Hm... Weißt du, ich versuche mir gerade krampfhaft ein Gesprächsthema auszudenken, damit das hier nicht allzu awkward wird. Helf mir mal", meint er dann und sieht mich wieder an. Seine Augen glitzern im Licht der Straßenlaternen und ich würde so gern stehenbleiben und ihn einfach nur anschauen. Bewundern.

"Filme", er macht eine kurze Pause, "Magst du Filme?" Cliff sieht mich hoffnungsvoll an, weshalb er mir ein wenig leid tut, als ich das folgende sage: "Sorry, aber an Filme komm' ich gar nicht ran. Ist für mich, wie schwarzer Kaffee."

Irgendwie habe ich Angst, die Stimmung jetzt zerstört zu haben. Doch Cliff lacht nur, als er ungläubig in den Himmel und danach wieder zu mir schaut. "Was ist das für ein Hass zwischen dir und meinem Lieblingsgetränk?", fragt er schmunzelnd und gespielt verzweifelt.

Seine Augen wandern über mein Gesicht, bleiben kurz an meinen Mundwinkeln hängen, doch schweifen dann sofort hoch zu meinen Wangen.

Ich zucke mit meinen Schultern und sehe ihn entschuldigend an. "Ich mag Bücher. Da kann ich mir wenigstens selbst vorstellen, wie alles aussieht. Da bekomme ich nichts vorgegeben..."

Er mustert mich schon wieder. Ein Mundwinkel angehoben. "Bücher also"

"Hm" Ich brumme zustimmend.

Dann laufen wir wieder eine Weile schweigend nebeneinander her. Ich bin mir unsicher, ob ich jetzt vielleicht ein Gespräch anfangen sollte. Ob ich ihn vielleicht nach seinem Lieblingsbuch fragen sollte. Ob ich vielleicht ruhig bleiben sollte, damit ich nichts vermassle. Damit das hier nicht so endet, wie sonst auch immer. Desaster.

Irgendwann stupst er mich dann mit seiner Schulter an. Ich sehe zu ihm. Er sieht mich an und lächelt.
Fuck!, wie ich dieses Lächeln doch mag.

"Liest du eigentlich?", frage ich dann. Bin ein wenig von mir selbst überrascht. Warum rede ich so viel?

"J-ja" Er klingt unsicher.

"Wirklich?"

Er nickt darauf nur.

"Wow. Das ist-" Ich glaube, er kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich das gerade glücklich macht. Was für Explosionen in meinem Inneren gerade entstehen und wie sehr er meine Gedanken dazu anregt verrückt umher zu wirbeln. Ich kann mich kaum noch auf irgendetwas anderes konzentrieren.

Er liest auch.
Ich hab ihn irgendwie überhaupt nicht für jemanden gehalten, der sich gerne in Welten aus Wörtern und der eigenen Vorstellungskraft verliert. Der mit der Stille um sich herum klarkommt und... liest.

"Was ist dein Lieblingsbuch?"
Ich bin in meinem Fachgebiet. Trotzdem weiß ich nicht, warum ich plötzlich so enthusiastisch bin ein Gespräch aufzubauen.
Innerlich versuche ich runterzukommen. Wieder stiller zu werden, wie man es von mir erwartet, wie man mich eigentlich kennt.

Aber er kennt mich nicht.

Auf meine Frage hin, lacht er kurz auf. Seine Stimme klingt immer noch ein wenig rau. "Irgendwie wusste ich, dass das jetzt kommt.", meint Cliff und schon wieder lächelt er mir zu.

Innerlich sterbe ich gerade ein wenig mehr. Verfluche meinen Körper, dass er nicht die Kontrolle behält. Dass er so stark auf Cliff reagiert.

"Ich hab kein Lieblingsbuch.", meint er und überlegt noch einmal. Vergräbt dabei seine Hände in den Taschen seines karierten Mantels. "Zur Zeit mag ich Smoke, aber es ist definitiv nicht mein Lieblingsbuch." Er nickt, wie um seine Antwort nochmals zu bestätigen.
"Ich hab keine Lieblingsbücher. Generell kein Lieblings-Irgendwas. Weißt du?"

"Mh", mache ich zustimmend.
Kaffee ist sein Lieblingsgetränk, meinte er doch vorhin, oder nicht? Also hat er doch ein 'Lieblings-Irgendwas'.

Ich sage es ihm nicht, denn ich bin mit den Gedanken schon wieder ganz woanders.

Smoke. Smoke.
Smoke...

"Von Dan Vyleta?", fällt es mir wieder ein, woraufhin Cliff mit großen Augen und angehobenen Mundwinkeln nickt.

Ich glaube, wir sind beide erstaunt, dass der jeweils andere das Buch kennt.

Aber ich bin sowieso schon überrascht.
Von ihm überrascht.
Dass er gerne liest, dass er gern ins Museum geht, dass er sich mit mir treffen wollte, dass er-... mit mir.

Er kennt mich nichtmal, und wollte sich trotzdem mit mir treffen. Will mit mir Zeit verbringen.


"Wann hast du eigentlich Geburtstag?"
Ich sehe ihn verwirrt an. Wie kommt er denn jetzt darauf?

"Ironischerweise im November", ich lache kurz auf. Humorlos. "Am neunten. Du?"
Meine Augen mustern sein Gesicht. Mustern jede minimale Bewegung.

"Vierter Februar." Sein Blick huscht kurz über meine Wangen, die vielen Sommersprossen. "2002", fügt er dann noch hinzu.

Oh. Er ist über anderthalb Jahre älter als ich.

"2003", hätte ich jetzt fast auch noch ergänzt, doch lasse es. Er hat nicht gefragt, also will er es nicht wissen.
Oder weiß es schon.
Bei dem Gedanken - der Vorstellung - daran, werde ich irgendwie unruhig.


Doch als wir das Kunstmuseum betreten, wird meine Welt wieder ein wenig heller.
Obwohl ich heute von Nostalgiegefühlen verlassen bin. Obwohl ich mich auf nichts anderes, außer auf den Fakt, dass Cliff bei mir ist - ich nicht alleine bin, konzentrieren kann.

Mit ihm fühlt es sich an, als wäre es ein Neuanfang. Als würde ich das Museum zum ersten Mal betreten.
Jedes einzelne Kunstwerk - jedes Gemälde, jede Statur - wirkt auf mich ganz anders. Intensiver.
Ich nehme meine Umwelt intensiver wahr. Und doch ist Cliff das einzige, worum sich meine Gedanken drehen.
Kein neuer Vers. Nichtmal irgendein Gedicht, obwohl er, seine ganze Erscheinung, schon einem Gedicht gleicht.

Neuanfänge sind schwer. Doch mit ihm wirkt alles so verdammt leicht.

Ich will schreien. Oder ihm um den Hals fallen.

Nichts dergleichen tue ich. Ich bleibe einfach still. Bin ihm dankbar, dass er hier ist.
Hasse ihn für mein Gefühlschaos.
Bin ihm trotzdem so unendlich dankbar.

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a/n: sind n bisschen viele zeitsprünge drin, ich weiß

habt ihr ansonsten fragen oder so? ich bin hier 24/7 da und hab lust zu diskutieren hehehe:]

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word count: 4035

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