4: Der Abgrund
TW: Flashbacks [in Form von PTBS], illegale Pornographie, Körperliche und Sexuelle Gewalt [nicht bildlich ausgeführt, aber dennoch genannt]
Februar, 2178
Zac betrachtete die Handschellen mit monotoner Miene. Er hatte nichts gesagt, seit sie ihn auf die Rückbank des Polizeiwagens gedrückt hatten und losgefahren sind.
An seinem Tshirt klebte noch immer etwas Blut. Erst langsam hatte Zac begriffen, was für ein Glück er hatte, dass dem Polizisten nichts Schlimmeres passiert war. Hätte er ihn ausversehen getötet, läge der Siebzehnjährige nun wahrscheinlich selbst leblos auf dem Asphalt.
In dem Verhörraum brannte ein blendendes, grelles Licht und warf dem Detective, der ihm gegenüber saß, dunkle Schatten ins hagere Gesicht. "Okay, Kleiner. Wir haben einen Bericht des Opfers und dem zweiten Polizisten vor uns liegen. Jetzt hätten wir gerne deine Version."
Zac schnaubte. "Opfer? Ihr Kollege war kein Opfer. Er... hat es provoziert."
"Wie?"
Zac sah sich in dem Fensterlosen Zimmer um. "Er wollte jemanden sinnloserweise festnehmen. Ich habe zuvor mit dieser Person gesprochen. Er hat an dieser Straße gearbeitet, verstehen Sie? Es kam zu einem Streit. Der Officer hat seine Waffe gezogen."
"Und da hast du beschlossen, ihm diese Waffe abzunehmen und auf ihn zu schießen?" Schlussfolgerte der Mann.
Zac schüttelte den Kopf. "Sie tun so, als wäre es so simpel. So eindimensional. Ihr Kollege war ein Arschloch, der seine Macht missbraucht hat. Wie Ihre Institution es gerne tut." Nun sah der Jugendliche seinen Gegenüber wieder an, ein verächtliches Lächeln im Gesicht.
"Wieso genau dachtest du, du müsstest schießen?"
"Weil er weitere Waffen hatte und sonst zuerst angegriffen hätte!"
"Woher solltest du das wissen?"
"Es war offensichtlich!" Beteuerte Zac und starrte den Detective ungeduldig an.
"Naja," meinte der Mann dann, "zum Glück ist mein Kollege wohl auf und muss nur einen Verband tragen. Du könntest bald ganz andere Probleme kriegen." Der Polizist klickte auf einen Knopf und das Hologramm einer Akte flackerte zwischen den Beiden auf. Zac tat sich schwer spiegelverkehrt lesen zu können, was dort genau über ihn stand, aber er erkannte, dass es eine Art Lebenslauf darstellte.
"Also gut, schauen wir uns doch mal genauer an, was du schon so auf dem Kasten hast, Kleiner."
Zac wurde wieder still, während der Polizist die vielen kleineren Delikte aufzählte. Diebstahl, Verweigerung gegenüber Polizisten, Einbruch und mindere Fälle von Prostitution.
"Und dann wurdest du immer wieder dabei erwischt, Drogen bei dir zu führen. Das ist eine sportliche Akte für dein Alter. Du kannst von Glück reden, dass dir bis heute noch keine ernsten Konsequenzen gedroht hatten. Bei dir kommt nun einiges zusammen. Genug, um dich bis zu deinem 21. Lebensjahr ins Jugensgefängnis einzubuchten, um ehrlich zu sein."
Zac versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber in seinem Kopf ratterte es. Bluffte er vielleicht nur?
Die Tür schwang auf und ein älterer Detective kam leise hinein, überreichte seinem Kollegen einen USB-Stick und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Zac beobachtete misstrauisch, wie der Blick des hageren Mannes zu ihm huschte und sich seine dunklen Augen einen Moment lang weiteten. Zac hasste es, etwas nicht zu wissen und spannte sich sofort an.
Sein zuvoriger Verhörer räusperte sich und aktivierte die Daten auf dem Stick. "Zachary. Bist das du?"
Zac beschlich ein ungutes Gefühl schon bevor er die Bilder erkannte. Er hatte sie nie aus der Perspektive eines Außenstehendens gesehen, wie auch? Er war nur das Model gewesen.
Zac wich alle Farbe aus dem Gesicht und schnell wandte er den Kopf ab. Er konnte sich das nicht ansehen.
"Beantworte die Frage." Verlangte der Polizist.
Zac fürchtete schon, es hätte ihm endgültig die Sprache verschlagen, aber dann nickte er. "Ja."
Stille.
Zac hatte früher nie verstanden, warum manche in der digitalen Welt eine Gefahr sahen. Nun verstand er es. Jeder hatte Zugriff auf alles.
Der ältere Mann hatte die Güte und schaltete das Hologramm ab. "Wie alt warst du zum Zeitpunkt, als diese Aufnahmen entstanden sind?"
Wieder zögerte Zac, aber er schaute nun wieder in die Gesichter der Polizisten. "Elf."
Erneut herrschte Stille und die beiden Männer wechselten besorgte Blicke. Ob sie besorgt waren, wegen seiner Vergangenheit, der illegalen Art von Pornografie oder was dies für das gegenwärtige Urteil bedeuten konnte, war schwer einzuschätzen.
Es dauerte ein paar Minuten, bis das belastende Schweigen endlich gebrochen wurde und sich der ältere vorbeugte. "Hör zu, Junge. Du bist siebzehn Jahre alt und hast einige Fehler gemacht, aber das soll nicht das Ende vom Lied sein. Ich habe einen Vorschlag. Wir lassen dich einem psychologischen Gutachten unterziehen. Sicher, würde das Ergebnis die Strafe mindern."
Zacs Blick huschte unruhig über das fremde Gesicht, voller Misstrauen suchte er nach den Anzeichen eines Hinterhalts. Aber dann nickte er langsam, willigte ein und die Strafe wurde in der Tat vermindert.
Auf acht Monate im Jugendgefängnis unter psychologischer und pädagogischer Betreuung.
Machte es das besser? Nicht wirklich.
•••
März, 2178
Der erste Tag war bisher der schlimmste gewesen. Er hatte seine Kleidung abgeben müssen und der zuständige Wachmann hatte ihn dabei im Auge behalten, als würde er gleich ein Messer aus dem Hintern ziehen. Vielleicht versteckten manche ja wirklich Waffen oder Drogen an der Haut, aber Zac hasste es, nackt zu sein. Er konnte sich den Gefängnisoverall gar nicht schnell gut überziehen und seinen Körper ordentlich bedecken.
In der Zelle hatte Zac jedoch überraschenderweise seine Ruhe gehabt. Es standen zwar zwei Betten in dieser, aber er musste sie sich bis jetzt mit niemanden teilen. Es war fast ein bisschen wie im Jugendheim. Über den Boden und die Betten verteilt lagen Bücher, analoge, da diese nicht von außen zu hacken waren. Aber sie gaben ihm alle Informationen, die Zac zum Lernen brauchte. Er ging nicht aus der Zelle, wenn es sich vermeiden ließ, da ihm die Blicke, die ihm zugeworfen wurden, unangenehm waren. Außerdem war er ja auch nicht hier, um neue Freunde zu finden. Sein Kopf hing gerade über einem Physikbuch, als Schritte vor seiner Zelle erklangen und Zac schnell den Kopf hob. Ein Wachmann mit einem Insassen in Handschellen machten sich gerade an der Tür zu schaffen. Zac legte das Buch zur Seite und lehnte sich vor. Kriegte er nun doch einen Zellengenossen? Aber irgendwas an der Art, wie die beiden sprachen gefiel Zac nicht. Sie sollten überhaupt nicht miteinander reden, aber so, bedankte sich der Wachmann bei dem Insassen und erwähnte einen Deal, der zwischen den beiden bestand. Sie beachteten Zac gar nicht, der sie verwirrt anstarrte.
"Vielen Dank, Klevo. Viel Spaß."
"Deal ist Deal."
Zac stand auf, als die Tür von außen wieder veriegelt wurde und er mit Klevo alleine war.
"Was willst du?" Fragte er schroff und musterte ihn. Klevo war größer und breiter als er, mit einem Gesicht, das förmlich darum bat geschlagen zu werden und definitiv würde er mit seinem Alter nicht mehr lange im Jugendgefängnis bleiben dürfen.
"Oh, ich teile mir jetzt diese Zelle mit dir." Klevo ging auf ihn zu, "Du scheinst ja ganz schüchtern zu sein, wenn du dich nie blicken lässt."
Zac machte instinktiv einen Schritt zurück. Er warf einen Blick durch die Gitter, denn der Wachmann war noch nicht gegangen. Er wartete auf irgendwas, ebenso die Leute in den Zellen gegenüber lehnten sich neugierig nach vorne um zu sehen, was passierte. Zac verstand.
"Warum hörst du nicht auf zu kucken, wie ein Schwein auf der Schlachtbank und kniest dich brav hin?" Klevo kam wieder näher.
Er brauchte einen Plan. Dringend. Schnell. Statt weiter zurückzuweichen, nahm er die Hände hinter sich und lehnte sich scheinbar entspannt am Waschbecken an. Zac senkte leicht den Kopf, sah Klevo allerdings lächelnd an und richtete seinen Blick dann mit einem Seufzen dorthin, wo der Andere ihn wohl haben wollte. "Na dann. Sei ein guter Junge und komm her." Zac wusste wie seine Stimme gerade klang. Es war diese Stimme und das sanfte Lächeln auf seinen geöffneten Lippen, die das verführerische Trugbild schufen. Klevo lachte, aber ließ sich das nicht zweimal sagen.
Er streckte eine Hand nach ihm aus, aber bevor Klevo ihn auch nur berühren konnte, wich Zac zur Seite und rammte ihm sein Knie in die Seite. Der Schwerere stolperte kurz und Zac packte seinen Kopf und krachte diesen nach unten auf den Waschbeckenrand.
Von draußen ertönte Lachen, aber auch fröhlicher Jubel und anfeuernde Rufe. Zac wollte erneut zuschlagen, da fuhr Klevo, blutüberströmt im Gesicht, zu ihm herum und schubste ihn gegen die Wand. Ohne zu Zögern schlug er zu und Zac blieb einen Moment die Luft weg, ehe er mit einem Haken von unten konterte und Klevo mit einem kräftigen Tritt gegen die Wand schubste. Zac griff nach dem nähesten Buch, Mathematik, und warf den Wälzer in das ohnehin schon geschundene Gesicht.
Ein weiteres Mal traf Klevos Kopf auf das Waschbecken und diesmal kämpfte er nicht weiter. Zac hörte das Klicken der Tür hinter sich, dann plötzlich war der Wachmann da und der Stromschlag mit dem Teaser in den Rücken haute auch ihn um.
Zac wachte in einem ungemütlichen Bett auf der Krankenstation auf und fasste sich mürrisch an den schmerzenden Kopf. Er hielt inne. Seine rechte Hand war durch Handschellen an das Bett gebunden. Träge rutschte er in eine sitzende Position und sah sich kurz um. Er war in einem kleinen Behandlungszimmer mit großen Fenstern hinüber in die anderen Räume. Bis auf sein Bett und das Gerät, welches seinen Puls maß, gab es nichts in dem weißen Raum und Zac ließ sich seufzend wieder zurückfallen. Die Stelle, an der ihn der Teaser erwischt hatte, tat immer noch weh und sorgte für Muskelkater in der gesamten Region.
Plötzlich ging die Tür auf und ein Wachmann schlenderte herein. "Und? Endlich aufgewacht? Du hast Klevo ja ganz schon mies erwischt. Der schläft gerade wunderbar auf seine Dosis Morphium."
Zac verdrehte die Augen und schaute nun zu dem uniformierten Mann. Er stockte. Es war derselbe, der Klevo vorhin in seine Zelle gebracht hatte.
"Was wollen Sie? Kann ich zurück in meine Zelle?" Fragte er gepresst.
"Nein, nein, nicht einfach so. Du hast eine Schlägerei angefangen, darauf erfolgt eine Strafe und ein Eintrag."
Zac hatte langsam genug, sich ständig für Gewalt rechtfertigen zu müssen, "Verdammt, ich wollte mich nur verteidigen!"
Der Wachmann zuckte mit den Schultern, "Ja ja. Das ist wahrscheinlich nicht gut für deine laufende psychologische Begutachtung. Du hast doch den Antrag gestellt früher entlassen zu werden. Aber gut geführt hast du dich heute nicht."
Zac starrte ihn an. "Was wollen Sie?" Wiederholte er seine Frage und sah mit ansteigender Nervosität zu, wie der Wachmann die Tür abschloss, "Glücklicherweise kann ich das verhindern und den ganzen Vorfall unter den Tisch kehren. Natürlich, gegen einen kleinen Gefallen."
Zac schüttelte den Kopf, "Nein."
Aber der blonde Mann akzeptierte das nicht. Im nächsten Moment stand er bereits neben ihn, hatte seine Hose geöffnet und Zacs freien Arm nach unten gedrückt. "Nicht anfassen!" Entfuhr es dem Siebzehnjährigen, doch den Mund zu öffnen, war ein fataler Fehler gewesen.
Er musste würgen und strampelte mit den Beinen, um sich irgendwie zu befreien. Der Wachmann sagte irgendwas mit einem breites Grinsen im Gesicht, doch Zac verstand ihn nicht. In seinen Ohren rauschte das Blut. Aber dann hielt der Junge einen Augenblick inne und schaute zu ihm hoch, sah ihn richtig an.
Dann biss er zu und der Blondschopf schrie vor Schmerz auf.
Zac schmeckte Blut gemeinsam mit anderen Flüssigkeiten im Mund und spuckte es kurzerhand aus.
Fluchend wich der Wachmann zurück und drückte sich schützend seine Hand über den Schritt. Zac starrte ihn an, klare Verachtung stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber auch aufkommende Angst. Er hätte ihm seinen scheiß Schwanz gleich ganz abbeißen sollen, schoss es ihm durch den Kopf. Blut lief ihm aus dem Mundwinkel und es war nicht sein eigenes. Gut.
"Du Bastard..." der Blondschopf richtete sich wieder auf und kam wieder näher, "Beiß noch einmal zu und ich schlag dir all deine Zähne raus."
Zac versuchte auszuweichen, aber seine Hand war noch am Bettgestell befestigt. "Nein. Sie können nicht... das... nein, fassen Sie mich nicht an."
Er offenbarte mehr und mehr von seiner Haut und Zac schrie auf, der Wachmann hielt ihm den Mund zu, er biss, die Wache schlug.
Eine Stunde später kam der Arzt zurück und erschreckte sich fast zu Tode, als er den zusammen gekauerten nackten Körper auf dem Boden sitzen sah, die gefesselte Hand in einem ungesunden Winkel noch immer befestigt.
Zac fand nie den Namen des Mannes heraus, der immer wieder dafür sorgte, dass er auf der Krankenstation landete, nur um dann hinter sich die Tür zu schließen. Zac begann Streitigkeiten anzufangen, um in Einzelhaft zu landen, was ihm eine Zeit lang die benötigte Ruhe verschaffte. Aber irgendwann schreckte auch das den blonden Wachmann nicht mehr ab und niemand hielt ihn auf. Er hatte angeblich einen Ruf. Und angeblich wusste jeder, warum der Blonde den Job im Jugendgefängnis ausführte und nicht im Regulären.
Niemand hielt ihn auf.
Meistens war er alleine, manchmal waren es zwei oder drei. Und niemanden der anderen Wärter interessierte es.
Die psychologischen Gutachten fielen miserabel aus, also fing er an zu lügen und überlistete den Gefängnispsychologen schließlich. Nach knapp über sieben Monaten wurde er entlassen und in der Obhut des Jugendamtes überlassen, schließlich war er noch immer Siebzehn.
Die letzte Nacht war ein weiterer Horror und seinen ersten Tag in amtlich überwachter Freiheit verbrachte er würgend über einer Toilettenschüssel, als würde dies die vergangen Monate von seiner Seele spülen. Stattdessen war er wieder in einem Raum, wie mit vierzehn, und erlebte eine zweite Art Gefängnis. Aber er konnte wieder lesen und lernen. Verkroch sich in dem Zimmer, hing über Büchern und lag die meisten Nächte auf dem Badezimmerboden. Er absolvierte Schulprüfungen und machte endlich seinen Abschluss über eine Einrichtung des Jugendamtes.
An seinem achtzehnten Geburtstag war er noch vor dem Frühstück aus dem Heim verschwunden.
Was sich nach Freiheit anfühlen sollte, glich jedoch vielmehr dem überwältigenden Ballast eines viel zu jungen Lebens, mit einer viel zu vernarbten Seele.
••••••
[4/5]
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