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Auf Wiederholungen hat Artema ebenso wenig Lust wie auf weitere Lehrstunden. Sie weiß gerade nicht mal, was sie mehr fürchten soll oder was ihr mehr zuwider wäre. Sie möchte doch nur wissen, wie sie zu einer Entscheidung kommen kann.

»Bei Teigtaschen wüsstest du doch auch sofort, auf was deine Wahl fallen würde, oder etwa nicht?«, fällt Arnt als erstes darauf ein.

»Mmmhm«, grummelt sie nur.

»Etwa nicht für Pelmeni?«

»Und, wenn ich mal etwas Neues ausprobieren mag?«, sagt sie selbst für sich überraschend. Doch es stimmt. Vielleicht wäre dem so.

»Na, dann folgst du deinen Instinkten oder deinem Bauchgefühl.«

»Und, wenn das ein Fehler wäre?«

»Dann wäre es ein Fehler. Die machen wir doch alle. Daran ist nichts verwerflich oder was findest du daran so schlimm?«

»Ach, ich weiß auch nicht.« Artema grummelt erneut vor sich hin.

Pelmeni oder etwas Neues ausprobieren. Allmählich kommt sie dem auf die Schliche, was sie umtreibt. Neu und alt. Fremd und bekannt.

Immer noch oder immer wieder dieses Thema. Es scheint sie nicht loszulassen. Doch vielleicht ist es auch an ihr, dass sie das Thema loslassen muss ... Oder sich schrittweise davon lösen darf. Immer wieder neu zu schauen, was gut für sie ist. Was jedoch auch bedeuten würde, dass sie immer wieder bewusste Entscheidungen treffen müsste.

Sich einzugraben wäre jetzt wunderbar. Ebenfalls den Tag zu beenden. Angestrengt senkt sie schnaufend ihren Kopf, bis er beinahe auf ihren Schenkeln landet.

»Sieh her«, fordert Arnt sie auf und die Bärin befolgt seinem Befehl auch noch. Über sich selbst ärgernd brummt sie lediglich als Antwort.

Doch Arnt wäre ja nicht Arnt, wenn er sich beirren lassen würde, also spricht er einfach weiter. »Wir tun jetzt so, als würdest du zu mir einem großen, tollen und stolzen Händler kommen und dich interessiert umschauen.«

»Hä?«, überkommt es Artema. Was soll das nun wieder?

»Warte warte. Ich erkläre es dir oder ... zeige es dir vielmehr. Höre mir erst einmal zu und lass dich begeistern, dann schauen wir weiter, okay?«

»Gut«, antwortet sie. Was hat sie denn auch schon zu verlieren – außer Zeit, mit der sie gerade sowieso nichts anfangen kann.

»Also«, räuspernd unterbricht sich Arnt und spricht dann mit tieferer Stimme weiter: »Guten Tag, werte Dame.«

»Gute–«

»Wie ich sehe«, quatscht Arnt konsequent weiter, obwohl Artema ihn ebenso grüßen wollte. »... interessieren Sie sich für die herrliche Auswahl an Teigtaschen. Kein Wunder und allein dafür schon mal meinen Glückwunsch. Aber wie mir scheint, brauchen Sie vielleicht Unterstützung bei der Entscheidungsfindung?«

Arnt setzt eine Kunstpause ein und tut so, als würde er seine Ware inspizieren.

»Ich stelle Ihnen drei wunderbare exemplarische Teigtaschen vor.« Arnt zeigt auf imaginäre Punkte. »Das hier sind Maultaschen. Sie sind die großen Viereckigen aus diesem Lande, größer als viele andere, saftig und weich. Mich erinnern sie – natürlich nur von der Form – an Butterkekse.« Arnt lacht gekünstelt und geht in seiner Rolle scheinbar vollkommen auf. Artema lächelt – ebenso gekünstelt – zurück und lässt es über sich ergehen.

»Dann haben wir noch ... Hm. Was nehme ich denn mal als nächstes? Ja, warum nicht?! Hier als zweites haben wir die Tortellini. Wie die Endung schon verrät, sind es die niedlichen Runden. Sie sind kleiner und gerne mal fester, dennoch zart. Und nun kommen wir als letztes zu den Pelmeni.«

Arnt macht eine Vorzüglich-Geste, indem er seine eingeklappte Flügelspitze zum Schnabel führt und während er sie schräg zum Himmel von sich schleudert »unbeschreiblich« sagt. Das passt sehr gut zu Pelmeni. Sie sind unbeschreiblich gut.

»Schauen Sie sie in Ruhe an. Wenn Sie Fragen haben, kommen Sie zu mir – genauso, wenn Sie wissen, was Sie wollen. Ich bin hier.« Mit einem Luftküsschen in ihre Richtung beendet er seine Show.

Ihr Schädel ist voll mit Fragen und Gedanken und gleichzeitig leer. Vielleicht hat sie gerade einen Tornado verpasst, der über ihrem Kopf hinweggeschwebt ist.

Sie applaudiert Arnt zu seiner Einlage, denn ja, das muss sie zugeben, das hat er hervorragend gemeistert.

»Danke danke!« Er verbeugt sich mehrmals und badet in ihrem Applaus. »Und?«

»Alle klingen lecker, muss ich sagen. Da fällt eine Entscheidung schon schwer. Muss ich mich denn zwischen den dreien entscheiden?«

»Liegt ganz bei dir.« Arnt hüstelt und setzt schnell nach: »Ich meine Ihnen. Tut mir leid.«

Artema grinst, da er nach wie vor an den Rollen festhalten will.

Sie hingegen geht in sich. Ihre Gedanken sind wie weggeflogen, als hätten die bunten Blätter ihre Bitte nun nach den vielen Stunden doch noch erhört und sie mit fortgenommen.

Merkwürdigerweise beruhigt sich auch das Chaos langsam und der dicke Kloß in ihrem breiten großen Körper verflüssigt sich. Ohne etwas in diese Richtung vorher bemerkt zu haben; ohne ein Anzeichen erkannt zu haben, überkommt es sie. Der Aha-Effekt.

Grinsend schüttelt sie alle wirren losen Gedankenfäden von vorher von sich ab und springt auf alle Viere.

»Warum machen wir uns nur so lange Gedanken darum?«, fragt sie für Arnt völlig unvorhergesehen und überrumpelt ihn damit. Sogar so sehr, dass er vor Schreck beinahe vom Ast fällt. »In der Zeit hätte ich sicherlich schon lange eine Höhle graben können.« Artema hüpft lachend von einer Pranke auf die andere. »Und viel schlimmer: Wir hätten schon so viel essen können, ich habe einen Bärenhunger!«

»Was bedeutet?«, hakt Arnt unsicher nach.

»Dass wir uns nun Kürbis oder Teigtaschen besorgen«, beschließt sie weiterhin lachend.

»Hä?« Nun ist es Arnt, der nicht versteht, was sie sehr genießt und noch lauter lachen lässt.

»Arnt, das mit der Höhle muss doch gar nicht heute entschieden werden. Keine Ahnung, warum ich da so stur in mir drin war und es nicht sehen konnte. Ich denke, mir wird die Antwort schon noch zugeflogen kommen.« Sie zwinkert ihm zu. »Doch dieses ganze Sprechen über Essen ...« Sie reibt sich über den Magen und starrt ihn dabei an.

»Ah! Und oh ja, bevor du noch mich schnappst, lass uns lieber was anderes suchen!«, stimmt er ihr nun zu und flattert los.

»Als würde ich das machen«, ruft sie ihm hinterher. Doch sie weiß, dass er weiß, dass sie es nicht tun würde.

Auf den Wandel mit all seinen Farben ... und seinen Freuden sowie Freunden, bedankt sich Artema im Geiste. 

E N D E
Teil 3

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