5
»Wie mit einem Plopp ...«, ahmt Arnt Artema nach. Selbstredend aus sicherer Entfernung, wo er nun alleine herum grübelt. Er ist hoch hinauf – ein ordentliches Stück über die Baumkronen – geflogen und hat sich dort über eine hervorragende Verästelung, die sich mit einem Berg verschmolzen hat, niedergelassen. Er tänzelt vor und zurück auf dem stämmigen, aber dürren Ast, der unter seinem federleichten Gewicht immerzu mitschwingt.
»Was soll das bedeuten: Ein Plopp?« Er verharrt. Am liebsten würde er auf der Stelle zurückdonnern, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Doch dann würde Artema nur in ihm rumbohren mit ihrer scharfzüngigen Intuition. Oh oh, das war sicherlich ihr Plan – so ein Wiesel!, denkt sich Arnt nun.
Mit der Spitze seines linken Flügels tippt er sich gegen das Köpfchen. So leicht würde er es ihr nicht machen.
Dank seiner ausgeprägten Sinne, vor allem dem einen, kann er sie auch von hier oben aus weiter Ferne beobachten. Just in diesem Moment springt sie erneut in den See, wodurch das Wasser hochgewirbelt wird. Was für ein Geräusch ihr Aufkommen auf der Oberfläche macht und wie sie dabei fröhlich jubelt, kann er sich gut vorstellen. »Wie ein Plopp?«, nuschelt er vor sich hin.
»Guten Mittag, Arnt«, begrüßt ihn wie beinahe jeden Tag der kauzige Karl, wenn er seinem Nachmittagsflug nachkommt und nicht den ganzen Tag verschläft – und sofern er bei Arnt vorbeiflattert.
»Den wünsche ich dir auch«, erwidert Arnt, den Blick jedoch weiterhin auf Artema gerichtet.
»Was hat es mit dem Plopp auf sich?«
»Kann ich etwas für dich tun, Karl?«, fragt er unvermittelt und weicht damit der Frage aus.
»Begleite mich doch bitte zurück. Die Hitze macht mir zu schaffen. Dann bist du auch gleich näher beim See, nach dem du dich wohl sehnst.«
Auch wenn Karl mit seiner Vermutung falschliegt, verspürt Arnt nicht das Bedürfnis, es richtig darzustellen. Ihm ist bewusst, dass sein Hinstieren so gedeutet werden kann. Daher breitet er seine Flügel aus und wartet, bis der Kauz soweit ist, sich ebenso auf dem Weg zu machen. Gemeinsam fliegen sie hinab, wobei Arnt Acht geben muss, das Tempo drosselig zu halten, um an Karls Seite bleiben zu können.
»Hab vielen Dank, Arnt!«
»Immer«, erwidert der König der Lüfte.
»Vergnüg dich nun noch ein wenig. Ich werde meine Äuglein wieder schließen.« Damit schrumpft der Kauz seinen Kopf etwas ab und ist im Nu im Traumland verschwunden.
Nur einen Baum weiter befindet sich der See. Artema wird Arnt sicherlich schon bemerkt haben, daher wäre es sehr unhöflich, einfach an seiner Freundin vorbeizufliegen, auch wenn sie sich heute schon gesehen haben.
Sich einmal auf- und abplusternd befreit er sich von angestauter Luft und schwingt sich über die kurze Distanz hinüber. Wie er es sich dachte, erwartet sie ihn bereits mit einem strahlenden Gesicht.
»Du bist ja wieder zurückgekehrt, habe ich es mir doch gedacht, dass du dir den Spaß deines Lebens nicht entgehen lassen willst!«
»Damit liegst du zwar falsch, aber du hast recht, ich bin wieder da.«
»Wie kommt es dann, dass du hier bist?«
»Ich habe jemanden heimgebracht und Karl dachte, ich möchte sowieso hierher.«
»Es ist sicherlich für alle nur zu verständlich, wenn du dich eher hier aufhalten würdest – ob im Wasser oder oberhalb.«
Artema hat recht, hier ist es deutlich kühler und es lässt sich angenehmer aushalten.
»Du meinst, jeder andere wird auch hier nach mir suchen?«
»Wie finden sie dich sonst?«, stellt Artema als Gegenfrage.
»Das ist gar nicht so leicht zu beantworten.«
»Das verstehe ich nicht.«
Sie beide blicken sich an und bereits jetzt scheinen sie in einer Sackgasse in ihrem Gespräch gelandet zu sein.
»Warum muss denn immer alles so kompliziert sein?«, fügt Artema hinzu.
»Vielleicht ist es nicht für alle kompliziert? Da war es schon wieder, dieses Wort ...«
»Was meinst du?«
»Unwichtig.«
»Und was ist wichtig für dich?«
»Dass alles weiter so reibungslos läuft.«
»Warum sollte es auf einmal nicht mehr so sein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Das weißt du nicht? Du?«
»Ich habe nie behauptet, dass ich alles weiß!«
Doch offenbar versprüht er diese Impulse in seiner ganzen Umgebung, stellt er gerade fest. Und nun wurde er noch dazu gezwungen, sich zu rechtfertigen. Ob das etwas mit seinem leeren Inneren zu tun hat? Diese Leere, die wiederum keine sein kann, beschäftigt ihn mehr, als er zugeben mag.
»Richtig – Arnt, wo bleibt dein Sinn für Humor?«, hört er noch von Artema sagen, doch etwas anderes drängt sich gerade in den Vordergrund.
Seine Krallen haben nachgegeben und verhaken nicht mehr um den Ast. Er müsste seine Schwingen ausbreiten, doch etwas hindert ihn. Er weiß nicht was. Dennoch verflucht er sich dafür, denn kurz darauf spürt er Nässe. Viel. Sehr viel.
»Arnt!«, vernimmt er von irgendwo – doch ganz genau kann er es nicht begreifen, von wo es kommen soll. Lichterspiele ringen ihn ein. »Arnt!« Diese hallende Rufe – die auf eine merkwürdige Art zu ihm durchdringen mögen, auf andere Weise jedoch auch an ihm abprallen – scheinen sich im Lichtermeer zu spiegeln.
Er erschrickt. Sein einer Flügel wird angezupft. Nicht grob. Und dann gelangt er röchelnd an die Oberfläche und begreift. Er muss im Wasser des Sees gelandet sein. Gleichzeitig ist er noch verwirrter als vorher.
»Wenn du doch mit mir toben willst«, lassen donnernde Worte seine nassen Federn beben, »dann sag mir das, anstatt mir solch einen Schrecken einzujagen!«
Artema setzt ihn auf einen großen Stein direkt am Ufer ab und robbt dann selbst aus dem See heraus, um sich vor ihm ins Gras zu setzen. Sie starrt ihn mit großen Augen an, ihr Fell erzittert und es kann kaum an den Temperaturen liegen.
»Tut mir leid«, brummt sie und klingt wieder ruhiger, »anschreien wollte ich dich nicht. Ich habe mir nur Sorgen gemacht«, fügt sie noch an.
Arnt erwidert nichts. Nicht, weil ihm nichts einfällt – vielmehr, weil ihm viel zu viele Gedanken kommen und er gleichsam nichts davon richtig greifen kann. Als würde er immer noch im seichten Wasser schweben. Auch Artema ist schweigsam, wodurch eine Stille entsteht.
Nicht nur, dass sich dadurch eine merkliche Distanz zwischen ihnen aufbaut, Artema lässt sie sich nun ebenso rücklings ins Gras fallen und robbt schrubbend zurück zum See.
Vermutlich wartet sie darauf, dass er den ersten Flügelschlag macht, eventuell gibt sie ihm den nötigen Platz dafür. Sowohl räumlich als auch gedanklich.
Arnt beobachtet sie, wie sie im Wasser mit ihren Pranken Wellen schlägt und einzelne Tropfen in die Luft fliegen. Dieses Mal ist er nicht verärgert, dass er ein kleines bisschen der Kühle abbekommt.
Schon vorhin und auch jetzt lauert ihm immer wieder diese eine Frage rund um dieses Wort auf. Er hopst auf dem felsigen Grund etwas hin und her, um dann so nah, wie er es für ungefährlich erachtet, an den Rand zum Wasser zu hüpfen. »Was meintest du vorhin mit ›es wäre wie mit einem Plopp‹?«
Nase kräuselnd blickt sie ihm entgegen. Die Worte kamen nur gedämpft an ihre Ohrmuscheln, als hätte er unter Wasser zu ihr gesprochen. »Noch mal bitte, was hast du gesagt?«
»Du hast vorhin irgendeinen Vergleich mit einem Plopp gebracht, das verstehe ich nicht.« Die letzten Worte murmelt er nur noch, so schwer fällt es ihm, das auszusprechen. Währenddessen verziehen sich Artemas Maulwinkel immer weiter nach oben. Bis sie sich nicht mehr zurückhalten kann und vollumfänglich anfangen muss zu lachen.
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