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Stunden um Stunden schwingt Arnt seine Flügel in der Luft und wartet darauf, dass es einsetzt. Es – er weiß nicht genau, was es ist.
Eine Leere füllt ihn aus, obwohl er ausreichend gefuttert hat. Fisch hat es heute gegeben. Bei dem Gedanken blickt er in die Ferne zum See. Vielleicht braucht er noch mehr.
Vielleicht. Dieses Wort gebraucht er sonst nicht – weder in Gedanken noch in seinen vielen Unterhaltungen. Er, der Wortgewandte, der Helfer, der König der Lüfte. Immer und allzeit bereit. Viele vertrauen auf ihn, suchen ihn auf, um Rat zu erfragen, wenn sie nicht weiter wissen. Okay, denkt er sich, manchmal erteilt er auch Rat, ohne gefragt zu werden und das sehr gerne.
Doch was passiert, wenn er mal nicht weiter weiß?
Schwinge um Schwinge kreist er über den Wald, dreht dabei seine Runden und kommt nicht zum Stillstand, wie seine Gedanken.
Und ... was wird geschehen, wenn er selbst in einem Teufelskreis steckt und dort nicht hinausgelangen würde?
Nein, das ist vollkommen unmöglich, beschwört er sich selbst.
Im nächsten Augenblick breitet er seine Flügel noch kraftvoller aus und schwingt noch ein paar Mal über den Wald. Er kommt zu der Erkenntnis, dass es an der brütenden Hitze, die mit dem einsetzenden Sommer über sie eingebrochen ist, liegen muss und schüttelt damit diesen wirren Gedanken von sich ab.
Nochmals fliegt sein Adlerauge zum See hinüber, indem sich nun nicht mehr nur das glitzernde Wasser befindet. Arnt entdeckt Artema mittendrin. Sein Herz macht einen Hops und seine Flügel sausen bereits wild schlagend in ihre Richtung, bevor er sich bewusst das Ziel gesetzt hat.
Ein paar Meter über ihr bremst er aus einem unwillkürlichen Instinkt heraus abrupt ab. Hastig – er hat noch einiges an Schwung in sich – krallt Arnt sich an dem Ast vor ihm fest. Offenbar hat Artema trotz seines Manövers nicht mitbekommen, dass er angeflogen ist. Zumindest schaut sie nicht zu ihm hoch und es kommt auch kein Wort der Begrüßung. Auch Arnt bleibt still, ein stiller Beobachter.
So leise, wie es ihm möglich ist, schüttelt er sein Gefieder und legt es sich an. Die Bärin krabbelt derweil über den Hang zu seiner Richtung aus dem See. Arnt befürchtet aufgeflogen zu sein, doch Artema führt etwas ganz anderes im Schilde.
Sich über den grünen Rasen rollend – dabei jauchzend lachend – nimmt sie einiges Abstand zum Wasser. Arnt folgt amüsiert der großen braunen Fellkugel, die kurz darauf zum Stillstand kommt. Beflügelt lässt sie sich augenscheinlich von ihrem Spieltrieb leiten und läuft wieder zurück. Mit einem riesigen Platsch landet sie erneut im Blauen. Das Wasser spritzt im hohen und weiten Bogen von ihr weg.
»Aaaah«, entkommt seinem Schnabel, da sich auch in Arnts Gefieder einige Tropfen des kühlen Nasses perlen. Obwohl er sich erschreckt, bemerkt er, wie angenehm es bei den Temperaturen ist.
»Oh, welch eine Ehre, so einen hohen Gast begrüßen zu dürfen«, fuchst Artema und deutet eine Verbeugung an – jedenfalls nimmt Arnt das an. Es ist nicht allzu gut im Wasser zu erkennen.
»Du sagst das ja so, als würden wir uns nie sehen«, erwidert Arnt.
»Es ist schon recht lang her«, meint Artema, während sie sich auf dem Rücken treiben lässt.
»Erst letzte Woche«, rechtfertigt sich Arnt sehr schnell.
Artema stellt sich nun aufrecht im Wasser hin und blickt ihn skeptisch an. »Arnt, das war doch nur ein Spaß, ich freue mich, dass du da bist.«
»Ach so, ja na klar. Ha-ha. Das wusste ich natürlich.«
»Soll ich so tun, als würde ich dir glauben?« Sie blickt ihn fragend an. »Oder soll ich dich lieber fragen, was dich betrübt?«
»Mich betrübt? Das ist ja Unsinn!«
»Wenn du das meinst.«
»Sehr wohl.« Stolz reckt sich Arnt.
»Also soll ich so tun, als würde ich dir glauben?«, hakt Artema nach, sie kann jedoch nicht jeden belustigen Unterton unterdrücken.
»Nein.«
»Na, was denn nun?«
»Nicht so tun, du sollst mir glauben«, bestimmt Arnt.
»Aber ich merke doch, dass dich etwas bedrückt.«
»Du meinst sicherlich die Sorgen aller anderen, die auf meinem Gefieder lasten.«
Arnt winkelt seine Flügel an, seine Federn krausen sich dabei und den Schnabel zieht er hoch. Artema hingegen klappt das Maul auf und da sie im tieferen Gefilde steht, schwappt Wasser hinein. Als sie das bemerkt, schließt sie ihre Schnauze.
»Glaubst du das etwa nicht?«
Artema möchte etwas erwidern, doch zunächst sprudeln statt Worte das Wasser aus ihrem Maul. »Ähm doch. Na klar. Schon. Aber was ist mit deinen Sorgen?«
»Was soll damit sein?«
»Ach Arnt ...«
»Wie ich sagte, das ist Unsinn!« Zur Unterstreichung wackelt er mit seinem Schnabel.
»In Ordnung. Sollte es doch kein Unsinn sein, ist das auch okay.« Artema fixiert ihn, er erwidert ihren Blick und hofft, dass damit dieses leidige Thema beendet ist.
Artema scheint zu verstehen und lässt sich ins wohltuende Wasser sinken. Als sie wieder auftaucht, fragt sie ihn: »Wollen wir gemeinsam toben?«
»Sehe ich so aus, als würde ich gerne im Wasser planschen?«
»Schade.« Mit diesem Wort hüpft sie hoch und lässt sich vom Wasser auffangen. Erneut ergießt sich dadurch das Wasser schwallartig um sie herum. Als sie sich herumdreht und Arnts nasses Gefieder erblickt, lacht sie auf. »Du machst ja doch mit«, gackert sie.
Arnt ist nicht zum Lachen zumute, wie auch Artema bemerkt. »Vielleicht ja ein anderes Mal – wäre wie mit einem Plov, wenn du verstehst«, versucht sie ihn zu besänftigen.
»Ehrlich gesagt begreife ich es nicht, aber ich habe nun auch keine Zeit mehr. Ich habe noch zutun.«
»Dann bis die Tage?«
»Wir werden sehen.« Da Artema ihn hoffnungsvoll aus ihren kleinen Knopfaugen anblickt, fügt er hinzu: »Ganz bestimmt. Noch viel Spaß.«
»Danke, den werde ich haben. Und denk dran, es ist Sommer, die Zeit der Leichtigkeit!«
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