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Artema weigert sich, dem Drang nachzukommen, über ihre Schnauze zu streifen. Ein, zwei, drei ... Viele einzelne Tropfen landen auf ihrer Nase, manche tröpfeln in eins der Öffnungen, kitzeln sie – doch sie mag noch ein wenig dösen. Nase kräuselnd versucht sie es hinauszuzögern.

Die Nacht umhüllt die erblühenden Prachtexemplare mit ihrem feuchten, glänzenden Schutz. Sobald die ersten Sonnenstrahlen vom Himmel auf die Erde gelangen, lösen sie sich, um die Energie aufnehmen zu können. Und um Artema zu ärgern.

Plopp. Der nächste Tropfen trifft genau auf die Spitze, wovon er abprallt, sodass ein Teil davon auf ihr Augenlid prasselt. Gähnend streckt sie sich nun und robbt unter dem kleinen Felsvorsprung hervor.

Davor sitzend lugt sie nach oben. Ihr entgegen schielen einige Pflanzen – nun äußerlich trocken. Der Waldboden ringsherum dafür schön saftig. Artema klaubt sich ein paar Bucheckern und Wurzeln zusammen und schiebt sie sich genüsslich ins Maul.

Die Nacht war zwar erholsamer, aber auch kürzer als die vorherigen. Lange hat Artema noch über das gestrige Treffen mit Arnt nachgedacht. Und ihre Emotionen, die hervorgeholt wurden. Ihre Erinnerungen möchte sie nicht mehr verdammen, sondern mit ihnen leben. Sie gehören zu ihr; sind ein Teil von ihr; werden es immer sein.

Warum wohl möchte Arnt sie wiedersehen? Adler und Bären sind einander Fressfeinde – und keine Freunde. Doch gestern hatte sie nicht mit einem Mal daran gedacht, ihn sich einzuverleiben.

Die Entscheidung ist längst gefallen. Artema klatscht wie zur eigenen Bestätigung in die Tatzen und stemmt sich auf all ihre vier Beine, um sich dann auf denselben Weg zu machen wie schon gestern.

Auf dem Boden schimmert nicht nur ihr eigener Körper, ebenso tänzeln Sonnenstrahlen in Form von Lichtpunkten vor und neben ihr herum. Artema macht sich ein Spiel daraus, mit ihren Tatzen hinein zu greifen, als wolle sie sie fangen. Sie ist nicht die Einzige, die ihren Spaß hat.

Kratzgeräusche ganz in der Nähe lassen sie aufhorchen. Jedoch wittert sie keine Gefahr. Ihr Blick wandert zu den großgewachsenen Bäumen, in denen am Rumpf kleine Kuhlen als Behausungen für Dachse oder andere Bewohnende des Waldes gegraben wurden. Die Geräusche kommen von Eichhörnchen, die an den Bäumen hoch und runterflitzen und über den Bach ein paar Meter weiter springen.

Artema bewegt sich instinktiv darauf zu. Das kristallklare Wasser glitzert. Auch hier treffen die Lichterpunkte auf die Oberfläche, wodurch Artema geblendet wird. Ihren Kopf neigt sie daher nach oben. Ihre Augen erfreuen sich daran, wie sie sich die Verästelungen der Zweige immer mehr miteinander verweben, bis hoch hinauf in den Himmel und dennoch genug Platz lassen, damit die Sonne es schafft, hindurch zu kommen.

Irgendwo da oben wird Arnt sein, glaubt Artema. Nun, da sie schon an ihn denkt, möchte sie sich schnell wieder auf den direkten Weg zu ihrem gestrigen Treffpunkt machen.

Als sie die Birke sieht, neigt sie den Kopf nach oben, um Ausschau zu halten. Zunächst kann sie den König der Lüfte nicht erblicken, doch dann hört sie einen vertrauten Flügelschlag aus der anderen Richtung und dreht sich um.

»Weißt du, was das ist?«, fragt Arnt, statt sie zu begrüßen und lässt etwas aus seinem Schnabel plumpsen.

Gegen die Sonnenstrahlen blinzelnd versucht Artema den Flug des Gegenstandes zu verfolgen. Unnötigerweise, denn es fällt ihr direkt vor die Füße.

Als Antwort schüttelt sie mit dem Kopf. Eine längliche grüne Stange – sie hat keinen Schimmer, was das sein soll. Mit der Tatze drückt sie vorsichtig da drauf, doch auch diese seltsame Konsistenz sagt ihr nicht mehr.

»Komm hoch, dann erfährst du mehr«, singsangt Arnt zwar, doch irgendwie klingt es auch nach einem indirekten Befehl.

»Hallo Arnt«, erwidert Artema betont ironisch, schnappt sich das glitschige Teil vom Boden, wobei es in ihrer Tatze nicht ganz heil bleibt und krallt sich in die Rinde des Baumes. Er hat sich erneut auf die Birke gesetzt, doch heute viel höher.

Möchte er sie ärgern? Sie kann sehr gut klettern, aber er könnte ja auch gerne mal zur Abwechslung hinunter zu ihr kommen. Doch, so denkt sie, sie ist diejenige, die Fragen hat und Antworten haben möchte. Also klettert sie zu Arnt hinauf.

Bevor der Baum zu dünn wird, hangelt sie sich nach rechts auf einen Ast. Weiter nach oben geht demnach gar nicht.

»Hallo Artema, ich freue mich, dass du wieder gekommen bist«, begrüßt Arnt sie nun doch noch und flattert von einem Ast weiter oben heran.

Artema ist noch am Schnaufen, daher nickt sie lediglich.

»Weißt du, was das ist?«

Irritiert über die Frage, weil sie doch schon darauf geantwortet hatte, möchte sie das Dingsbums aus ihrer Pranke zücken und es ihm hinknallen, bemerkt dann jedoch, dass lediglich nur noch ein paar Fäden an ihren Krallen hängen. Der Rest dieses Stangenzeugs ist ihr wohl abhandengekommen.

»Artema, ich meine das, wohin ich schaue.«

Sie wischt sich den Saft an ihrem Fell ab und folgt dann dem Blick von Arnt. »Irgendein Acker würde ich meinen.«

»Immerhin schauen wir nun in die gleiche Richtung«, säuselt er. »Auch wenn es nicht nur irgendein Acker ist. Es ist ein Spargelfeld!«

»Ein Spargelfeld?« Ist Arnt eine Art Lehrer?, fragt sie sich.

»Ja, genau. Spargel ist das, was du gerade noch gehalten hattest.«

»Und wozu ist der gut? Was kann damit gemacht werden?«

»Beispielsweise Spargelgratin!«, schwärmt Arnt vor sich hin und es scheint, dass er für einen kurzen Augenblick in Gedanken verloren geht.

Artema brummt leise, damit sie seine Aufmerksamkeit zurückerlangt. »Was auch immer dieses Grat-irgendetwas ist – warum betrachte ich dieses Feld nun?«

»Ausgezeichnete Frage!«, freut sich der heilige Vogel. »Und Gratin«, betont er belehrend, »ist wirklich sehr lecker. Darin sind die Köstlichkeiten geschichtet, das Leckere ist unter anderem Leckeren verborgen. Ein Paradis! Aber zurück zum Thema: So wie die Birke für etwas steht, tut das auch der Spargel.«

Der Adler macht eine Pause, wodurch Artema glaubt, sie müsse auf die Lösung kommen, doch sie kennt dieses Zeugs ja nicht. Wie soll sie es da wissen? Er wird es ihr sicherlich gleich verraten, was das mit ihr zutun hat.

»Der Spargel ist ein Symbol für Allerlei, aber unter anderem auch für Wachstum und Erfolg. Außerdem wird gesagt, dass, wenn er dir erscheint, sich dir Wege eröffnen – sowohl zu neuen Zielen auch der zu dir selbst.«

Arnt betrachtet Artema, wartet, ob sie eine Frage hat. »Die Wege sind ja nie gänzlich fort, nur manchmal sehen wir den Zugang nicht«, fügt er dann noch an.

»Deswegen bin ich hier oben«, stellt Artema überrascht fest.

Stolz nickt er ihr zu. Beide lassen ihren Blick über das Feld streifen, Artema hängt dabei ihren Gedanken nach.

Wie die Birken immer wieder einen Neubeginn wagen können, so kann auch sie es. Der erste Funke dessen sprühte bereits gestern, doch jetzt strömt die Erkenntnis in sie hinein.

Das Spargelfeld ist nicht nur ein Feld mit wachsendem Gemüse, das bald geerntet und dann von vielen in ein Spargelgratin verarbeitet werden. Nicht mehr für sie. So köstlich das auch klingt und ihr der Speichel dabei beginnt zu fließen.

Doch es verbirgt sich noch so viel mehr hinter Birkensaft und Spargelgratin. Für Arnt – dem König der Lüfte – und die Teilnahme an seinen Fähigkeiten wird sie ihm immer dankbar sein.

»Wo willst du denn nun hin?«, fragt er Artema, als er merkt, dass sie sich ans Hinabklettern macht.

»Auf zu meinem neuen Weg!«, ruft sie ihm zu und muss dabei lachen.

»Das ist ja toll – du weißt schon, in welche Richtung es für dich geht?«

»Na, zum Spargel natürlich!«

»Äh-ju«, kommt aus seinem Schnabel.

»Ein Gratin kann ich natürlich nicht daraus zaubern.«

Von Arnt folgt noch ein merkwürdigeres gekrächztes Räuspern, daher hält sie inne, als sie den grünen Waldboden unter sich spürt.

»Keine Sorge, Arnt, ich gehe nur in die Richtung, ich nehme es als Zeichen und dann mal sehen.«

Arnt wird sie sicher aus der Luft im Blick behalten, während Artema sich freudig ihrem neuen Pfad widmet. Sie ist angekommen – vor allem wieder bei sich selbst – und kann die Frühlingsenergie in ihrer ganzen Vielfalt in sich aufnehmen. 

E N D E
Teil 1

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