Freiheit?

Am nächsten Tag wollte Robert mir wohl zeigen, dass er es ernst meinte, denn ich war von der Schule befreit und stattdessen wollte er mit mir in die Stadt gehen, um ein Eis zu essen und wieder mehr Zeit miteinander zu verbringen. Glücklicherweise war meine Naivität vom Vortag, die ich zu hundert Prozent auf die Erinnerung an meine Mutter schob verflogen und ich war wieder ich selbst. Das schien auch Robert bemerkt zu haben, denn er war selbst wieder bedachter, auf das, was er sagte und auf das was er tat. Ich wusste nicht was ich von diesem neuem, vielleicht ja sogar besseren, Robert halten sollte, aber ich war mir sicher das irgendwas los war, wenn selbst er nett zu mir war.

Wir saßen in einem Eiscafé mitten in der Stadt, ich war noch nie in der Nähe davon gewesen, weil hier sowieso alles zu teuer war als das ich mir das hätte leisten können. Wenn ich Eis wollte, musste ich mich mit den billigen Flutschfingern, die es an der Tanke gab, zufriedengeben und meistens tat ich das auch. Aber jetzt hier zu sitzen, mit einem fast schon monströsen Erdbeereisbecher vor der Nase und zum erstem Mal seit langem wieder wirklich frei zu sein fühlte sich einfach gut an. Ich genoss es. Die verschiedensten Eindrücke prasselten auf mich herab, Stimmengewirr von den anderen Gästen, der Geruch vom frischen Kaffee den die, stark parfümierte, Frau neben uns trank. Den Lärm der in der Nähe durch die Stadt fahrenden Autos, den frischen Wind, der ab und an durch die offenstehende Tür hereinwehte und der sich so gut anfühlte, als wäre ich jahrelang eingesperrt gewesen. Ich musste meine Augen immer wieder schließen, denn plötzlich wirkte alles auf mich bunter, in der Nähe des Internats hatte immer alles grau und trostlos gewirkt. Aber hier? Hier konnte ich mich endlich lebendig fühlen. Hier konnte ich mich frei fühlen. Und wäre ich ein Vogel wäre ich schon längst weggeflogen nur um nie wieder zurück zu müssen in dieses langweilige Leben, das man kaum Leben nennen konnte.

Allerdings gab es auch etwas, das störte. Die Tatsache das mein Erzeuger wohl beschlossen hatte über die letzten Jahre kein Wort zu verlieren, denn wenn er wirklich wollte das eine auch nur ansatzweise freundschaftliche Bindung zwischen uns entstand dann musste er sich diesem Gespräch stellen. Aber nicht jetzt. Dafür das alles sofort wieder zu riskieren war ich nicht dumm genug, auch wenn ich es gerne wäre. Einfach dumm sein, dann wäre ich vermutlich nie in dieser Situation gelandet, oder ich hätte mehr Verständnis für meinen Erzeuger. Vielleicht war ich aber auch dumm und das war genau der Grund warum ich kein Verständnis für in aufbringen konnte. Ich redete mir immer ein das ich intelligenter als diese perfekten Mädchen des Internats war, die nie Ärger bekamen, die keinen eigenen Willen zu haben schienen, die alles tun würden, wenn ein Lehrer es ihnen sagte, aber vielleicht waren die ja auch einfach klug genug zu erkennen, wann sie besser klein bei geben sollten.

Das war eine sehr große Schwäche von mir, ich wusste zwar wann ich aufhören sollte, aber ich konnte mich nie dazu überreden das wirklich zu tun, denn das würde bedeuten das ich aufgeben würde. Zumindest sah ich das so. Und auch wenn ich ein sehr rational denkender Mensch war, ich konnte erkennen, wenn Menschen mir mehr schadeten als das sie mir halfen, wenn ich ausgenutzt wurde, wenn ich eine Freundschaft eher beenden sollte als das ich mich weiter kaputt machen ließ. Ich konnte zwar all das erkennen aber ich konnte nichts davon ändern. Ich band mich zu schnell an Leute und diese Leute hatten dann automatisch die Erlaubnis mich wie Dreck zu behandeln, ich würde immer wieder zu ihnen zurückgelaufen kommen. Denn das war wie mein Gehirn funktionierte, ich suchte die Schuld immer bei mir, dass das Verhalten anderer mich verletzte lag daran, dass ich zu empfindlich war, das mich jemand ignorierte lag daran, dass ich nervte, das andere nichts mit mir zu tun haben wollten lag daran, dass ich seltsam war. Jahrelang war ich in meinem Kopf Schuld an allem, doch ich konnte nichts daran ändern, auch wenn ich rational genug denken konnte um zu wissen, dass das alles absolut keinen Sinn ergab. Machte es für mich doch irgendwie Sinn.

Und all das wurde mir klar als ich in diesem Eiscafé meinem Vater gegenüber saß, den ich kaum sehen konnte, weil vor mir ein Eisbecher stand, der zwar langsam schmolz, aber immer noch viel zu groß war als das ein Mensch ihn alleine Essen konnte, allerdings tat ich genau das. Und nach ungefähr 10 Minuten hatte ich den gesamten Eisbecher hinuntergeschlungen. Schon nach 5 weiteren Minuten wurde mir allerdings klar, dass das wohl ein Fehler war. Und während ich mich mit Robert über mein Leben auf dem Internat unterhielt, ihm erzählte was mich am meisten störte, denn scheinbar hatten die das ernst gemeint mit dem verbessern, merkte ich wie mir langsam immer schlechter wurden. Ich konnte mich auf das Gespräch kaum noch konzentrieren und das schien auch Robert zu bemerken, der fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich antwortete: "Ja, mir ist nur ein bisschen schlecht. War wohl zu viel Eis auf einmal". Er bot an zurück ins Internat zu gehen und ich bejahte. Auch wenn mir die Freiheit fehlen würde, oder zumindest das Gefühl davon. Also zahlte Robert und wir standen auf und verließen das Eiscafé, dann die Straße des Eiscafés und letztendlich war selbst die Geräuschkulisse anders als vor dem Café.

Statt fahrende Autos und Stimmengewirr war hier alles voll von vorbeilaufenden Anzugträgern, die wohl alle sehr unter der Sonne litten, es sich aber nicht im Ansatz anmerken ließen während sie konzentriert in die Richtung ihrer Ziele liefen. Und diesmal viel nicht nur ich auf. Selbst Robert wäre es schwergefallen hier unterzutauchen. Im Eiscafé hatte er gewirkt wie ein ganz normaler Vater mit seinem nicht ganz so normalen Kind, aber hier unter all den anderen Anzugträgern viel er, trotz seines Anzuges, auf wie ein bunter Hund. Als hätte er ein Schild um den Hals auf dem stand: "Nicht wie die". Denn er hatte sich zu voller Größe aufgebaut und stolzierte schon fast durch die Reihen, jeder der ihm entgegenkam wich aus, sobald er näher als 2 Meter war. Er war wirklich gut darin sich selbst als etwas Wichtigeres darzustellen als andere.

Als wir wieder im Internat waren, hing auf dem schwarzen Brett ein neuer Zettel. Einer vom Jugendzentrum, Robert versuchte wohl überrascht zu wirken, allerdings war das Schauspielern keine seiner stärken, und er las sich den Zettel durch, es stand dasselbe darauf wie auf dem Zettel, den ich Saturday gegeben hatte. Ich war mir nicht sicher ob Robert wusste, woher die Zettel kamen oder ob er wusste, dass einer dort hängen würde. Aber ich war mir sicher, dass er etwas über die Zettel wusste. Und mein Verdacht erhärtete sich weiter als wir auf mein Zimmer gingen und er mir sehr gezielte Fragen dazu stellte. "Weißt du woher diese Zettel kommen, oder von wem mein Schatz?" ich verneinte. "Weißt du was die Person als Ziel hat die diese Zettel aufhängt?" Ich verneinte wieder, sagte aber das er vielleicht Kindern, die im Internat lebten helfen wollte. "Hängen solche Zettel öfter hier?" Ich sagte ja. "Wie oft und gibt es andere Wege wie sie zu euch gelangen?" Ich konnte bei der Anzahl nur schätzen, da sie meist noch in der Nacht entfernt wurden, sagte aber einmal alle zwei Wochen, bei der zweiten Frage versuchte ich auszuweichen, indem ich ihn fragte wie er das meinte. "Na ja, wurden euch die Zettel schon einmal persönlich gegeben?" Ich verneinte, denn ich hatte niemandem den Zettel persönlich gegeben. Er schien sich all das noch besser zu merken als die Kritikpunkte am Internat. Und das fand ich, um ehrlich zu sein, echt scheiße, denn ich hatte wirklich gehofft ihm wäre all das wirklich wichtig. Aber ich wollte nicht sofort die neu gewonnene Harmonie kaputt machen und deshalb sagte ich nichts. Ich lag auf meinem Bett, er saß auf meinem Schreibtischstuhl, den er sich ein wenig näher an das Bett herangezogen hatte, allerdings wurde ich langsam Müde, denn scheinbar erschöpfte Eis essen mich, das schien auch Robert zu bemerken denn er verabschiedete sich mit den Worten das er den Tag sehr genossen hatte und dass wir das alles unbedingt wiederholen müssten, ich mich aber jetzt erst einmal ausruhen sollte. Mein einziger Kommentar dazu war: "Okay, tschüss" und das lag nicht nur daran das ich müde war, ich war auch genervt davon das ihm scheinbar diese Zettel wichtiger waren als das Internat zu verbessern. Dabei würde es das Problem mit den Zetteln gar nicht geben, wenn das Internat weniger Scheiße wäre.

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