Sandreinigung
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Die Wüste reinigt die Seele
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Kann Sand reinigen? Nein, sicher nicht - sagen die einen. Für sie ist Sand wie Dreck, liegt am Boden. Kamele sind drübergewandert, haben draufgepisst; Fahrzeuge sind drübergefahren, haben Öl verloren. Sand ist schmutzig. Ja, sicher - sagen die anderen. Sie denken an die Sandstrahlwerke, die Metall säubern, sie denken an die Sandseife, mit der sie ihre schmutzigen Hände reinigen. Sand ist rein, Sand ist stark.
Sand ist in erster Linie einfach nur Sand. Wenn meine Hände nach dem Kochen streng riechen, reibe ich sie mit Sand ein; kräftig. Danach sind die Hände sauber. Ein Dromedar wälzt sich im Sand, wenn es einen Tag lang marschiert ist und geschwitzt hat. Das Dromedar ist danach sauber. Sand hat reinigende Wirkung.
Als ich mir vor der Reise vorstellte, ohne Wasser und ohne Toilette in der Wüste zu sein, da kamen mir schon gewisse Bedenken. Doch dann habe ich die Sanddusche erlebt. Feinen Wüstensand nehmen und den Körper einreiben. Ein ganz spezielles Gefühl von Sauberkeit. Keine Angst davor, dass der Sand dabei in jede Ritze und Falte perlt - das tut er sowieso. Nach der Sanddusche fühle ich mich nicht sandiger als zuvor, aber sauberer.
Also beginne ich darüber nachzudenken, was Sand sonst noch alles reinigen kann. Es reichen schon zwei oder drei Tage im Sand, dann bin ich nicht mehr die gleiche Person, die ich vorher war. Logisch, ich bin immer noch gleich groß und gleich dick, ich habe noch immer graue Haare und bernsteinfarbene Augen, mit vielen Falten drum herum. Doch ich bin seltsam geerdet, so wie ich es schon unter dem Sternendach der Nacht fühlen konnte.
All der Stress, all der Schrott, den ich hierher mitgebracht habe, tief in mir drin - der ist weg. Auf wundersame Art ist er einfach nicht mehr da; oder ich kann ihn zumindest nicht mehr fühlen. Der Sand ist weich, er dämpft meine Schritte. Er ist warm und umhüllt meine Füße. Er zwingt mich zur Langsamkeit, den jeder Schritt vorwärts geht einher mit einem halben Schritt zurück. Ich brauche Vertrauen, wenn ich im tiefen Sand barfuß unterwegs bin; so ähnlich wie beim Schwimmen in einem dunklen See oder im trüben Meer. Die Sinne werden geschärft, ich fühle mein Gehen; nicht, weil ich ankommen will, sondern weil ich gehe.
Das Ziel ist die bestimmt zweihundert Meter hohe Düne. Vor Sonnenuntergang will ich oben sein; ich möchte das perfekte Foto machen können. Zweihundert Meter mit einer Zeitreserve von einer halben Stunde. Locker! - Falsch gedacht. Der Sand hatte andere Pläne. Zuerst ärgere ich mich, nicht fitter zu sein. Dann ärgere ich mich darüber, zu unsportlich zu sein, was dem ersten Ärger ziemlich ähnlich kommt. Ich ärgere mich, nicht früher losgegangen zu sein - die Sonne sinkt hinter den Horizont und ich bin noch nicht mal in der Hälfte.
Der Sand wird kühler, wenn die Sonne weg ist. Aufgeben? Niemals! Ich will da hoch! Ich gehe da hoch! Schritt um Schritt vorwärts (mit entsprechendem Zurückgleiten) stapfe ich durch den Sand, der mich trägt und der mich aber auch lehrt, was das Ziel ist. Es ist längst nicht mehr das perfekte Foto; den Sonnenuntergang habe ich beobachtet, in meinem Kopf gespeichert. Das Ziel ist es, nicht aufzugeben. Die Widrigkeiten anzunehmen und an die Grenze zu gehen.
Die ersten Touristen steigen bereits wieder von der Düne ab; sie haben gesehen, was sie haben sehen wollen. Ich steige noch auf, denn ich will längst nicht mehr sehen, ich will fühlen, ich will siegen. Nicht über die Düne, sondern über mich. Die Düne hilft mir dabei, einen Kampf mit mir selbst auszufechten. Sie zwingt mich dazu, tief in mir danach zu suchen, was heute, in diesem Moment gerade wichtig ist. Für mich zählt nur noch der Gipfel - ich will da hoch! Ich ärgere mich schon lange nicht mehr. Ich freue mich über jeden Schritt, den ich meinem Ziel näher komme.
Dann bin ich oben. Es ist, als ob der Sand, die Düne, mich begrüßt. Ich setze mich an den Rand und blicke über das unendliche Dünenmeer. Es ist weit mehr als ein gewaltiger Ausblick. Es ist Ruhe, es ist Zufriedenheit und es ist Stolz. Sand kann reinigen - die Hände und die Seele.
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In der folgenden Nacht fegt ein Sandsturm über mich und meinen Schlafsack. Sand kann auch nerven - nur nebenbei.
Ausblick von der höchsten Düne; © Bruno Heter, 2024
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