Hammada
= Geröllwüste; Steinwüste. Hammada ist ein so schönes Wort für das, was es bedeutet. Endlos liegen die kleinen und großen Brocken da. Die Farbe wechselt zwischen grau-schwarz, gelb und orange - Ich bin auf dem Mond, doch nur wenige Schritte weiter bin ich auf Fuerteventura und dann wieder auf dem Mars. Eigentlich aber ist es egal - denn ich bin. Und nur darauf kommt es an.
Meine Sinne sind hier und mit ihnen auch meine Seele. Wie viele Stunden wir gehen, weiß ich nicht. Ich setze einen Fuss vor den anderen, bewege mich, immer darauf achtend, nicht zu stolpern. Gleichgewicht stellt sich nicht nur in den Füßen ein, auch ganz tief in mir drin achte ich darauf, nicht zu stürzen. Tausend Gedanken schwirren durch meinen Kopf und lassen die Erinnerungen flimmern wie der Horizont es längst tut. Die Luft ist trocken, heiß und rein. Es riecht nach - nichts. Seltsam, nichts zu riechen. Das würde ich bestimmt ändern, wenn ich näher bei den Dromedaren ginge, doch hier, in einem respektvollen Abstand rieche ich dieses einzigartige Nichts.
Zu meinem Wissen und meinen Erfahrungen gesellt sich das Jetzt. Es wird sich neben sie stellen, gleichwertig. Es wird eine unauslöschbare Erfahrung mehr sein, die sich zusammen mit den Bildern als Film in mehr als 4D festkrallen wird - sie hinterlässt Spuren wie einst Armstrong es auf dem Mond gemacht hat. Eindrücke; nicht in den grauen Staub, aber in mein Gedächtnis, in die ebenso grauen Hirnwindungen.
Steinwüste. Es ist noch nicht Wüste, doch bereits Wüste. Einzelne Bäume, die der Trockenheit trotzen, spenden wenig Schatten. Zaghaft kämpfen kleinere Pflanzen und Gräser um ihren Platz auf dieser fruchtbaren Erde, der bloß das lebensspendende Wasser fehlt. Der Canyon, durch den wir wandern, zeugt davon, dass es dereinst auch fruchtbarere Zeiten gegeben hat. Wasser schuf ihn, doch das ist viele Generationen her. Ein stilles Rinnsal kollert filigran zwischen den Steinen, aber nur bis wenige Meter nach der Oase; danach ist wieder alles trocken.
Wo es Wasser hat, blühen viele Pflanzen in bunten Farben; sie erinnern an das Paradies, das hier blühen, strahlen und duften könnte. Einzelne Enten tummeln sich auf dem kleinen Teich, Insekten summen und ich spüre, dass nachts hier deutlich mehr Leben leben wird, als ich es jetzt erahnen kann. Mir wird auf eindrückliche Art gezeigt, dass unser Leben an Wasser gebunden ist. Ohne Wasser - kein Leben. Ach, wie schnell wir Menschen das doch vergessen und Wasser mit Geld verwechseln.
Um mich herrscht Einöde. Jeder Stein ist einzigartig wie mein Daumenabdruck und dennoch sehen sie alle gleich aus; fast wie die Touristen aus Asien für uns Europäer. Erst bei genauerem Hinsehen erkenne ich die Einzigartigkeit. Eine Kante, ein Einschluss von Kalk, ein kleiner Riss, eine feine Nuance von Grau in Schwarz oder Orange in Gelb. Die Frage ist nicht die Individualität - die Frage ist mein Wille, sie zu erkennen. Es ist einfach, sich über die endlos scheinenden Steine, die immerwährende Gleichheit zu ärgern und zu langweilen. Es ist weitaus schwieriger, sich über die Variationen und Farbenpracht zu freuen. Doch wenn es mir gelingt, dann werde ich süchtig; durstig nach Bildern, nicht nur nach Wasser.
Plötzlich sind da viele Ziegen, mager, schwarz. Sie suchen nach den Pflanzen, die ihrerseits nach dem Wasser suchen. Kreislauf des Lebens. Wo es Ziegen hat, gibt es einen Nomaden. Es sind der Sohn und die Frau des Mannes, den wir gestern angetroffen haben. Sie führen die andere Hälfte der Herde durch den trockenen Canyon. Baziz wechselt einige Worte mit ihnen. Wir werden auf unserem Weg an ihrem Heim vorbeigehen.
Die Steinhäuser und Zelte sind von weit her zu erkennen; Fremdkörper in der Natur und doch darin eingebettet. Spuren von Menschlichkeit. Mich erdrückt die Einfachheit. Die Tochter ist alleine zuhause, bewacht das Wenige, das Diebe entwenden könnten. Ich werde ermutigt, alles anzusehen und Fotos zu machen; Fatima, so heißt das Mädchen mit den schönen, geheimnisvollen Augen, steht scheu daneben. Ich senke mein Haupt, zeige mich dankbar für die Gastfreundschaft und mache kein einziges Bild.
Sie spricht kein Französisch und ich kein Tamazight, keine Berbersprache. Wir verstehen uns auch so. Sie lächelt, als ich mich verabschiede. Fünf einfache Häuser aus Trockensteinmauern, drei Zelte, einige kleinere Gebäude für die Ziegen, ein Zaun. Das ist ihre Welt, die ich hier besuche wie der Alien, von einem fernen Planeten kommend. Den Einblick in dieses Leben nehme ich lernwillig und dankbar an. Diese Augen zeigen keine Sehnsucht und keinen Neid. Sie sind stolz und zufrieden. Fatimas Familie sind sehr reiche Nomaden; sie haben einige hundert Ziegen und beweiden ein riesiges Gebiet. Längst sitze ich wieder auf meinem Dromedar, als ich mich nochmals umdrehe. Fatimas winkenden Gruß erwidere ich mit lachendem Herzen, in welchem das einzige Bild der Szene abgespeichert ist.
Im Canyon; © Bruno Heter, 2024
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