Kapitel 39

Fahles Licht schien durch ein paar Ritzen zwischen den Holzbrettern hindurch. Staub wirbelte auf als ein junger Mann aufgewühlt durch die Hütte stapfte. Seine schweren Füße hinterließen dumpfe Schläge bei jedem seiner Schritte.

„Ich erkläre es", murmelte Xynthia eine Spur ruhiger als ihr Vorderman. Er war Ruby unbekannt. Auch die anderen drei Jugendlichen schauten irritiert von einem zum anderen. Die Lithan drehte sich zu ihnen um. Der Unbekannte setzte sich auf einen klapprigen Stuhl in der hintersten Ecke des dunklen Zimmers.

Doch selbst dort konnte er nicht ruhig sitzen bleiben. Seine Hände zuckten unkontrolliert, während seine Beine reflexartig jede Sekunde aufspringen wollten. Wie als wäre er ein Känguru. Diese Vorstellung ließ Ruby schmunzeln. Xynthia räusperte sich. Sofort galt wieder alle Aufmerksamkeit ihr.

„Wie ihr vielleicht wisst, ist es möglich Magie in etwas materielles zu übertragen. Wie zum Beispiel eine Kette. Wenn dies geschieht, können auch nichtmagische von den Magiegeistern kontrolliert werden. Doch dies ist nur bei dunkler, schwarzer Magie möglich. Verbotener Magie eben.

Dennoch ist es genau diese, die unser „Freund" Kjell anwendet und aus welcher er so mächtig wird, wie er nun mal ist. So hat er die Könige unter seine Kontrolle gebracht. So wird Kitteka immer mächtiger. Sie besitzen nämlich mehr dieses Geistes, die seinen Truppen mehr Kraft, Ausdauer und Stärke schenken als jedes andere Königreich. Diese Teile müsst ihr finden und zerstören, damit die Königreiche von ihrem Bann befreit sind und wieder Frieden einkehren kann.

Doch am wichtigsten ist es Kjell zu besiegen. Erst dann kann der Krieg wirklich vorbei sein. Alles Leid beendet werden und die alte Weltordnung wieder hergestellt werden.

Der Fremde starrte indes aus dem Fenster der kleinen Hütte. Er wirkte nachdenklich und doch doch konnte Ruby seinen Gesichtsausdruck nicht ganz deuten. Was aber sehr wohl bemerkbar war, war die Anspannung die zwischen ihm und der Lithan herrschte. Immer wieder zuckte ihr nervöser, trüber Blick zu ihm hinüber, während sie sprach.

"Ihr vier seid die Auserwählten, ihr müsst die dunkle Kraft zerstören. Ganz egal, wie ihr das anstellt", schloss sie. Ihre Augen huschten hinüber zu Ruby, doch verweilen zu kurz, als dass sie etwas aus ihnen hätte lesen können.

Ruby gab sich alle Mühe nicht gelangweilt zu wirken. Auch wenn die Stimmung sehr angespannt war. Aber dennoch, das hatte ihnen die Lithan schon einmal erzählt. Zwar nicht in exakt demselben Wortlaut, doch trotzdem. Es war nichts Neues. Sie wollte lieber etwas erfahren, wovon sie noch keine Ahnung hatte. Doch dieser Wunsch blieb ihr wohl oder übel verwehrt.

Mit einem Ruck öffnete Ruby die Augen. Ihr Kopf dröhnte. Verwirrt setzte sie sich auf. Es war stockduster. Einzig ein paar kleine Sterne schenkten ein wenig Licht, doch die meisten waren von dunkelgrauen Wolken überdeckt.

Opelia, Azuri und Chester schliefen noch tief und fest in ihren improvisierten Betten, welche aus einer Decke auf dem kalten Steinboden bestanden. Ruby brauchte eine Weile um zu realisieren, dass sie sich in den Bergen befand. Auf ihrer Mission.

Seit Tagen hatte sie immer wieder denselben Traum, diesen hier. Erklären wieso, konnte sie sich nicht. Mittlerweile kannte sie die Szene in- und auswendig, was ihr aber auch nicht viel brachte.

Die Erklärung hatte sich wieso schon ihr Gehirn gebrannt – das ohnehin so einige Mühe damit gehabt hatte, alles zu verarbeiten und zu verstehen. Denn so ganz wollte es sich noch nicht mit der Vorstellung zufrieden geben, dass es so etwas wie Magie tatsächlich existierte. Obwohl sie ganz offensichtlich allgegenwärtig war.

Müde streckte sie ihre versteifen Glieder in der Hoffnung sie damit etwas zu lockern. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie nicht mehr schlafen können würde. Ganz leise, um die anderen nicht zu wecken, erhob sie sich und tappte zu einem kleinen Felsspalt in dem sie ihr Gepäck versteckt hatten.

Der Berg auf dem sie lagen war zum Glück nicht zu steil. Man lag zwar nicht unbedingt gerade, doch auch nicht so senkrecht, dass man den ganzen Berg wieder herunterpurzelte. Man könnte es als leichte bis mittelgroße Steigung bezeichnen. Doch Ruby bevorzugte „kahler Berg der so aussah wie jeder andere und sie langsam zu Tode nervte". Denn das war er. Stinknormal.

Allerdings mochte Ruby die Berge auch nicht besonders, was ihre mangelnde Sympathie nochmal näher erläuterte. Es gab fast nichts essbares und Trinkwasser erst recht zu wenig. Ganz zu schwiegen von den steilen Abhängen die man sich hinauf kämpfen musste, nur um wieder einen gefährlichen Abstieg wagen zu müssen, der ihnen jedes mal das Leben kosten könnte. Was also war an ihrem jetzigen Aufenthaltsort gut?

Resigniert seufzte sie und kramte aus ihrem Gepäckstück ein kleines Stück Holz hervor, das sie am Vortag überraschend gefunden hatte. Mit einiger Anstrengung und nur ein wenig Konzentration beschwor sie eine kleine Flamme in ihren Händen auf und übergab diese dann dem Holz.

Sofort schlangen sie sich gierig um den Stock und begannen ihm zischend zu verbrutzeln. Schon nach wenigen Sekunden hatte das schöne Braun sich in ein leichtes Schwarz verwandelt und ein nicht gerade angenehmer Gestank setzte ein.

Schnell entfernte sie sich von ihren Freunden und ging mit dem Stock als Lichtquelle ein paar Schritte den Hang weiter hinauf.

Eigentlich hätte sie das Stück Holz auch für etwas sinnvolleres verwenden können, als ihn in Brand zu setzen, doch sie mochte es, wie das Feuer einfach die Überhand gewann. Als wäre es ein leichtes alles zu kontrollieren und sich zu eigen zu machen. Wäre es im echten Leben doch nur auch so einfach.

Einen kleinen Stock in Flammen zu setzen war das beeindruckendste, was sie mit ihrer Magie anstellen konnte – und das nach fünf Tagen Training. Langsam verlor wohl jeder die Hoffnung in sie. Alle hatten sie schon größere Fortschritte gemacht, doch sie blieb bei der Restmagie hängen, die sie auch kaum kontrollieren konnte. Sie konnte sich einfach nicht genug konzentrieren.

Den Kopf frei zu machen erschien ihr unmöglich. Sie konnte es einfach nicht. Doch sie schüttelte die Gedanken wie eine lästige Fliege ab. Die brachten sie auch nicht wirklich weiter. Stattdessen richtete sie ihren Blick auf ihr provisorisches Lager. Es würde eigentlich Sinn machen sich jetzt noch ein wenig um Frühstück zu kümmern, doch schon seit Tagen litten sie alle Hunger.

Nur selten bekamen sie mal einen Hasen oder ähnliches zu Gesicht den Ruby sofort erledigen konnte. Da machten sich ihre Erfahrungen aus der Kriegsschule ziemlich bezahlt. Denn keiner aus der Gruppe konnte so gut jagen oder mit dem Schwert umgehen wie sie. Ruby musste zugeben, dass sie darauf schon ein wenig stolz war.

Dennoch musste sie sich vor Augen führen, dass dieses Talent natürlich auch ihrer Magie geschuldet war, wie ihr Lehrmeister ihr erklärt hatte. Seufzend blieb sie auf der Stelle stehen. Ihr Magen begann zu knurren. Ihre Laune sank mit jedem Atemzug. Sie war einfach nur wütend auf alles.

Darauf, dass sie unbedingt auf diese Mission mitgehen musste. Sie wollte immer bedeutend sein, das war ihr großes Ziel gewesen, dennoch vermisste sie ihre Freunde. Einfach alle. Instinktiv tastete sie nach Flynn Pfeife und eine unendliche Sehnsucht überkam sie. Gefolgt von einem lähmenden Gefühl der Einsamkeit.

Ihre anfängliche Wut schlug in Niedergeschlagenheit um. Am allermeisten traf sie die Kälte, die zwischen ihr und Azuri herrschte. Erst vor wenigen Tagen hatte er sie gebeten ihn nicht mehr so zu nennen. Die Dorfbewohner hatten ihn nur noch aus Respekt zu ihr so genannt. Eigentlich hieß er nun Enno.

Die Magier hatten ihm einen neuen Namen gegeben, um ihm die Eingewöhnung zu erleichtern, aber auch damit er besser geschützt war. Für Ruby war bei seinen Worten eine ganze Welt zusammen gebrochen.

Bitte nenne mich nicht mehr Azuri. Ich heiße jetzt Enno und so soll es auch bleiben!", hatte er gesagt. Sie würde nie vergessen, wie hart er geklungen hatte. Wie als hätte er ihr mit Schmirgelpapier eins übergezogen. Seine sonst so weichen Augen waren zu einem Sturm geworden. Einem Sturm, der allein gegen sie gerichtet gewesen war.

Es kam Ruby so vor, als hätte sie nicht ihren Bruder, sondern eine vollkommen fremde Person vor sich gehabt. Dieses unsichtbare Band, das immer zwischen ihnen bestanden hatte, schien wie aufgelöst zu sein.

Er verhielt sich ihr gegenüber verschlossen. Er war nicht mehr so ausgelassen, er war ein ganz anderer Mensch geworden. Sie beide waren das. Sie waren so viele Jahre getrennt gewesen. Zu viele. Eine einzelne Träne bannte sich ihren Weg aus Rubys Augen. Erschöpft ließ diese sich auf den Boden sinken.

Weit genug von den anderen entfernt, um sich allein zu fühlen. Verlassen. So wie sie jetzt sein wollte. Sie hatte sich ihren Bruder gewünscht, doch jetzt wo er da war, schien er ihr etliche Jahre entfernt zu sein.

Sie wünschte sich langsam, sie hätte ihn nie gefunden. Dann wären ihr ihre alten, glücklichen Erinnerungen geblieben und nicht durch neue, so hässliche ersetzt worden.

Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurück halten. Schluchzend zog sie die Knie an und vergrub ihr Gesicht in ihnen. Sie hatte niemanden mehr. Sie hatte sich immer darauf verlassen, dass ihr Bruder über ihr wachen würde und immer noch ein Teil von ihr wäre.

Das, wenn sie nur wieder mit ihm zusammen war, sie wieder Zuhause wäre, doch nun? Nun waren alle ihre Vorstellungen wie Eis, das zu hart auf den Boden geworfen wurde, zersplittert und in tausende Stücke zerfallen.

Und die Scherben, die bohrten sich immer weiter in ihr Herz hinein, bis es nicht mehr im Stande war, diesem Schmerz zu entkommen, geschweige denn ihn auszuhalten, bis es schließlich verblutete und Ruby die Last des Lebens nahm. Sie von den Qualen erlöste.

Eine Kälte durchfuhr ihren Körper und ließ sie zittern. Eine Kälte, die von ihrem Inneren ausging. Nicht von der Umgebung. Eine Kälte, die sich wie eine schützende Mauer um sie herum schloss und ihre Emotionen nicht nach außen ließ.

Nicht zeigte, was wirklich in ihr vorging. Wie sehr sie die Tatsache belastete, scheitern zu können. Wie sehr es sie strapazierte, nicht zu wissen, was mit ihren Freunden war. Was mit Eljin war. Wie es den Chintah erging, was demnächst passieren würde. Ob sie schon zu spät waren, um Kjell aufzuhalten und am allerwichtigsten, wie sehr ihr die Distanziertheit zwischen Azuri, nein Enno, und ihr zusetzte.

Das alles vergrub sie so tief, dass selbst sie Schwierigkeiten hatte, an all diese Emotionen je wieder dran zu kommen. Kraftlos regte sie sich. Begann sich wieder aufzurichten. Ihre Tränen wischte sie mit ihrem Ärmel ab, doch ihr Gesicht blieb dabei die Maske, die sie ab jetzt immer tragen würde. Die keiner durchbrechen können würde.

Ungelenk ging sie in Richtung Lager. Sie würde so tun, als hätte sie ebenfalls die ganze Nacht geschlafen. Schließlich würde die Sonne erst in ein paar Stunden aufgehen.

Müde und zerschlagen legte sie sich auf ihre Decke. Mit einer unsäglichen Leere im Kopf fiel sie letztendlich dem Schlaf anheim, der sie mit offenen Armen empfing, nur um sie schließlich fiel zu schnell wieder in die Wirklichkeit zu entlassen.

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